Finzel,
Jan,
Georg Adam Struve (1619-1692) als Zivilrechtler (= Rechtshistorische Reihe
264). Lang, Frankfurt am Main 2003. 173 S.
Über einhundert Jahre war „der kleine Struve“ das führende
Institutionenlehrbuch, das Lehrbuch der Usus modernus pandectarum.
Einunddreißig Ausgaben der „Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“ sind
erschienen, die erste Jena 1670, die letzte Frankfurt am Main 1771 (dazu Verf.
S. 143ff.).
Der Verfasser, ein Schüler Klaus Luigs, bietet in
seiner Kölner Dissertation eine eingehende Untersuchung von Leben und Werk
Georg Adam Struves; insbesondere wird dessen Bedeutung als Zivilrechtler und
hervorragender Vertreter des Usus modernus im 17. Jahrhundert aufgezeigt.
Das erste Kapitel (S. 13-29) ist dem Leben Struves und
seiner Bewertung in der Rechtswissenschaft gewidmet. Georg Adam Struve, 1619 in
Magdeburg geboren, stammte aus einer angesehenen Juristenfamilie. Er studierte Geschichte
und Jura in Jena und Helmstedt, wo er Vorlesungen bei Hermann Conring und
Heinrich Hahn hörte. Nach Erlangung des Doktorats im Jahre 1645 wurde er
Beisitzer am Schöffengericht zu Halle. Schon 1646 wurde er Professor der Rechte
(zunächst der Institutionen) an der Universität Jena (S. 18), blieb aber stets
mit der Praxis verbunden Im Jahre 1667 wurde er Hofrat und Direktor für
Kameralangelegenheiten in Weimar, doch 1674 kehrte er zur akademischen
Tätigkeit zurück, wurde Präsident und Ordinarius am Jenenser Juristenkollegium;
damit war die Professur des kanonischen Rechts sowie der Vorsitz am Gerichtshof
(Landgericht) in Jena verbunden.
Sowohl nach Ansicht seiner Zeitgenossen wie nach der
heutigen Wertung genießt Struve auf Grund seiner Werke, insbesondere der
„Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“ und des „Syntagma Iurisprudentiae
secundum ordinem Pandectarum“ hohes Ansehen (S. 21ff.). J. G. Heineccius
bezeichnet Struve in seinem Vorwort zur „Iurisprudentia“ (Ausgabe 1767) als Iureconsultus praestantissimus (S. 22).
Nicolaus von Beckmann[1]
nennt Struve einen Juris Consultus nulli
quoad solidam juris doctrinam secundus.
Im zweiten Kapitel (S. 31-55) werden Struves zivilrechtliche
Werke behandelt, die „Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“, das „Syntagma
Jurisprudentiae, secundum ordinem Pandectarum concinnatum“ und die
„Jurisprudenz oder Verfassung derer Land-üblichen Rechte“.
Die Bedeutung der „Iurisprudentia“ zeigt sich nicht nur in
der Zahl der Auflagen, sondern auch darin, dass so bedeutende Juristen wie
Augustin Leyser und Johann Gottlieb Heineccius dieses Werk noch lange nach
Struves Tod weiterführend behandelt bzw. mit Zusätzen und Observationes
versehen haben (S. 31). Der Verfasser (S. 36ff.) untersucht den
Jurisprudenzbegriff bei Struve. Im „Syntagma“ (1. 7) definiert Struve die
Jurisprudenz als habitus practicus, quo
jus ad actiones civiles convenienter accomodatur, als die praktische
Fähigkeit, das Recht auf bürgerliche Handlungen passend anzuwenden (Verf. S.
36).
Der Verfasser (S. 39ff., bes. S. 41) folgt der Ansicht K.
Luigs[2],
dass es sich bei der „Iurisprudentia“ um ein Lehrbuch des Privatrechts handle,
das in allen wesentlichen Punkten der Forderung Conrings nach einem exiguus libellus des wirklich geltenden
Rechts entsprach. Behandelt soll werden, was vor Gericht Geltung hat: notentur ea, quae in foro obtinent
(Struve, Vorwort zur „Iurisprudentia“; vgl. Verf. S. 40). Parallelen der
„Iurisprudentia“ zur „Inleidinge“ des Hugo Grotius sind unverkennbar[3].
Eingehend untersucht wird das Verhältnis der „Jurisprudenz
oder Verfassung derer Land-üblichen Rechte“ (1. Aufl. Merseburg 1689; 8. Aufl.
Leipzig 1737; dazu Verf. S. 154ff.) zur „Iurisprudentia“ (S. 42ff.). Beide
Werke sind in vier Bücher gegliedert, nämlich Personenrecht, Sachenrecht,
Schuldrecht und Prozessrecht. Bei den beiden ersten Büchern sind sehr starke
Übereinstimmungen gegeben; Buch 3 und 4 weisen größere Unterschiede auf. Der
Verfasser (S. 49) kommt abschließend zum Ergebnis, dass die „Jurisprudenz“ als
„eine gründlich neubearbeitete Auflage des lateinischen Vorbilds“ anzusehen
sei.
Das dritte wichtige Werk Struves ist das „Syntagma
Iurisprudentiae, secundum ordinem Pandectarum concinnatum“ (Datum der
Erstauflage ungewiss; 2. Aufl. Jena 1655-1663; Verf. S. 49). Das „Syntagma“
zählt zu den Kettenkommentaren des „jüngeren Typs“ mit besonderem
Darstellungsschema[4]. Es
handelt sich um eine Zusammenstellung von Disputationen und Dissertationen
durch den Rechtslehrer, der die jeweilige Disputation geleitet hat (S. 51). Oft
werden mehrere Bücher der Digesten in einer „Exercitatio“ zusammengefasst[5].
Untersucht wurde vom Verfasser (S. 54f.) der
wissenschaftliche Apparat der „Iurisprudentia“. 70% machen die Nachweise der
Gesetzesquellen aus. Davon betreffen circa 90% der Allegate das römische Recht;
von diesen entfallen etwa zwei Drittel auf die Digesten, ein Drittel auf
Institutionen und Codex. Die Literaturhinweise machen etwa 30% der Allegate
aus; an erster Stelle steht dabei Benedikt Carpzov. Hinsichtlich des
wissenschaftlichen Apparats des „Syntagma“ wird auf die Untersuchung Klemms[6]
verwiesen.
Das dritte Kapitel (S. 57-77) betrifft den Aufbau der
„Iurisprudentia“, Struves Privatrechtssystem. Interessant ist vor allem die
Darstellung der Vertragsarten im dritten Buch; die Darstellung folgt einem
bestimmten Schema: 1) personae
contrahentes, 2) res de qua contrahitur, 3) forma contrahendi, 4) obligatio
inde fluens, 5) actio, qua id, quod
ex obligatione nobis debetur, persequimur (S. 57). Die deutschrechtlichen
Institute werden von Struve in das System eingebaut und als homogene
Bestandteile dargestellt (S. 58). Im Aufbau folgt die Darstellung im
wesentlichen dem Institutionensystem, enthält aber doch wichtige, vom römischen
Recht abweichende systembildende Merkmale, so insbesondere die Unterscheidung
von ius ad rem und ius in re (S. 62ff.)[7]
und die fünf Arten von iura in re,
auf deren Herkunft der Verfasser im Folgenden näher eingeht (S. 66ff.). Er
kommt zum Ergebnis, dass als der eigentliche Urheber der Fünfzahl der
dinglichen Rechte entgegen neueren Anschauungen doch Heinrich Hahn anzusehen
sei (S. 68). Eine weitere wesentliche Abweichung vom Institutionensystem
besteht darin, dass Struve die actiones
dem jeweiligen materiellen Recht zu- und unterordnet (S. 69ff.).
Im vierten Kapitel (S. 79-107) wird eingehend Struves
Rechtsquellenlehre behandelt. In der Klärung der Rechtsquellenfragen wird ein
Hauptverdienst Struves gesehen[8].
Im Gegensatz zu Conring sieht Struve in der Zustimmung der Stände zur
Reichskammergerichtsordnung von 1495 die Bestätigung der Geltung des römischen
Rechts auch in den Territorien (S. 84). Neben den Reichsgesetzen gehörten zu
den iura communia das römische und
das kanonische Recht, aber nur quatenus
sc(ilicet) sunt recepta (Iurisprudentia 1. 2. 15) (Verf. S. 99f.). Das
römische Recht hatte aber die Vermutung der Geltung für sich (S. 100).
Partikulare Rechte mussten hingegen jedenfalls vor dem Reichskammergericht
allegiert und bewiesen werden. Viele Gerichtsordnungen für Territorialgerichte
lehnten sich wörtlich an die Reichskammergerichtsordnung an und verlangten
teilweise die Allegation von Landesrecht auch innerhalb seines räumlichen
Geltungsbereichs (S. 103). Bemerkenswert ist, dass Struve betont, dass die
Verbindlichkeit des römischen Rechts in Deutschland nicht größer sei als in den
anderen europäischen Ländern[9].
Im fünften Kapitel (S. 109-137) wird Struves Dogmatik am
Beispiel des Erbvertrages[10]
untersucht und dargestellt. Ein einzelnes Institut wird herausgegriffen; dabei
sollen auch die Auswirkungen von Struves Rechtsquellenlehre auf das materielle
Recht erforscht werden (S. 109)[11].
Der Erbvertrag als eigenständiges, allgemein gültiges Institut des Erbrechts
wurde erst nach der Rezeption ausgebildet, wenn auch bedeutende Ansätze bei den
Kommentatoren gegeben sind (S. 112). Eine gemeinrechtliche Anerkennung der
Erbverträge, und zwar in bestimmten Fällen auch der pacta acquirendae successionis, beginnt sich ab der Mitte des 17.
Jahrhunderts abzuzeichnen, etwa bei Heinrich Hahn, Struve und Wolfgang Adam
Lauterbach[12].
Struve geht auf die verschiedenen Arten von Erbverträgen ein (Syntagma 6. 44;
dazu Verf. S. 114ff.).; er führt die Geltung der pacta acquisitiva auf die mores zurück (Syntagma, Exerc. 38. 46
bzw. 47; Verf. S. 118ff. u. S. 137). Struve bezeichnet die Erbfolge auf Grund
von pacta successoria s. conventiones de hereditate tertii als
eine extraordinaria seu anomala successio[13].
Struves Vorgänger und Vorbild im Bereiche der Erbverträge war zweifellos sein
Lehrer Heinrich Hahn[14].
Im 6. Kapitel (S. 139-142) gibt der Verfasser eine
abschließende Würdigung Struves. Dieser ist zweifellos als einer der
wichtigsten Juristen des Usus modernus anzusehen. Seine Bedeutung beruht neben
dem „Syntagma“ vor allem auf der „Iurisprudentia Romano-Germanica forensis“,
einem Werk, das wegen seiner Kürze, Klarheit und Einfachheit so große
Verbreitung gefunden hat.
Als Anhang findet sich eine Bibliographie zur
„Iurisprudentia“ und zur „Jurisprudenz oder Verfassung der Land-üblichen
Rechte“ (S. 143-157), ein Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 159ff.) sowie
ein Personenverzeichnis (S. 171ff.).
Dem Verfasser ist es gelungen, ein zuverlässiges und
anschauliches Bild von Leben und Werk Struves zu zeichnen und uns diesen
bedeutenden Vertreter des älteren gemeinen Rechts nahe zu bringen. Die
Untersuchung bildet einen wichtigen Baustein zur Geschichte der deutschen
Rechtswissenschaft.
Graz Gunter
Wesener
[1]Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure
Romano collati (Graecii 1688).
[2]Conring, das deutsche Recht und die
Rechtsgeschichte, in K. Luig, Römisches Recht, Naturrecht ,
Nationales Recht (Goldbach 1998) 344*; ders., HRG V Sp. 57.
[3]Vgl. dazu K. Voppel, Der Einfluß
des Naturrechts auf den Usus modernus (1996) 138.
[4]So A. Söllner, in Handbuch der
Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hrsg.
von H. Coing, II/1 (1977) 524 u. 538.
[5]Übersicht über den Aufbau des „Syntagma“
bei P. Ch. Klemm, Eigentum und Eigentumsbeschränkungen in der Doktrin
des usus modernus pandectarum, untersucht anhand der Pandektenkommentare von
Struve, Lauterbach und Stryk (1984) 18.
[6]Eigentum und Eigentumsbeschränkungen (o.
Anm. 5) 27-31.
[7]Vgl. G. Wesener, Dingliche und
persönliche Sachenrechte - iura in re
und iura ad rem. Zur Herkunft und
Ausbildung dieser Unterscheidung, in: FS für H. Niederländer (Heidelberg 1991)
195ff., bes. 201f.
[8]Vgl. Luig, HRG V Sp. 53ff. Zum
Verhältnis der Rechtsquellen zueinander nun J. Schröder, Recht als
Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur
historischen Schule (1500-1850) (München 2001) 110ff., bes. 115ff.
[9]Luig, HRG V Sp.
54.
[10]Vgl. Wesener, Zur Lehre vom
Erbvertrag im deutschen Usus modernus pandectarum und im Naturrecht, in: Wege
europäischer Rechtsgeschichte. K. Kroeschell zum 60. Geburtstag (1987) 607ff.,
bes. 615.
[11]Zur Kompensation bei Struve vgl. nun P.
Pichonnaz, La compensation. Analyse historique et comparative des modes de compenser
non conventionnels (Fribourg 2001) 367.
[12]Vgl. Wesener, Zur Lehre vom
Erbvertrag (o. Anm. 10) 614f.
[13]Vgl. Wesener, Zur Lehre vom
Erbvertrag (o. Anm. 10) 615.
[14]Verf. S. 137.