Fasel, Urs, Bahnbrecher Munzinger. Gesetzgeber und Führer der katholischen Reformbewegung (1830-1873). Haupt, Bern 2003, XXXII, 332 S.

 

Fasel ist bereits mit der umfangreichen Edition der „Handels- und obligationenrechtlichen Materialien“ zum Schweizer Obligationenrecht (2000) in Erscheinung getreten.[1] Bislang waren diese Grundlagen nur rudimentär bekannt. Ebenfalls kaum bekannt war der Politiker und Rechtsprofessor Walther Munzinger, der wesentliche Teile zu dieser Materialsammlung beigesteuert hat. Mit der vorliegenden Monografie, einer von Wolfgang Wiegand in Bern betreuten Dissertation, stellt Fasel einen der geistigen Väter des schweizerischen Handels- und Obligationenrechts konkret vor.

 

Bekannter als Walther ist sein Vater Joseph Munzinger, der ein engagierter Kämpfer für Demokratie und Liberalismus im katholischen Kanton Solothurn und Mitglied des ersten siebenköpfigen Kollegs des schweizerischen Bundesrates von 1848 war. Unter dessen Einfluss und Vorbild beteiligte sich Walther bereits als Siebzehnjähriger auf Seiten der Freisinns gegen die katholisch-konservativen Kreise der Innerschweiz im Sonderbundskrieg von 1847. Zeitlebens vertrat er eine gegen die römische Kurie gerichtete Auffassung der nationalen und freigeistigen Volkskirche, die er mit einer Schrift „Papsttum und Nationalkirche (1860)“ legitimierte. Munzinger bekämpfte die neuen Dogmen Roms nach 1870 und avancierte dadurch zum juristischen Kopf der altkatholischen Bewegung der Schweiz.

 

Munzinger studierte in Paris, Berlin und Bern, wo er sich 1855 habilitierte. Sein Lehrgebiet an der Universität Bern umfasste Kirchenrecht, Handels- sowie französisches und jurassisches Zivilrecht. Ab 1863 bis zu seinem Tod betreute er diese Fächer als Ordinarius. Fasel hat sämtliche Lehrtätigkeiten (S. 289ff.) sowie alle Studenten Munzingers (S. 307-321) minutiös recherchiert. In seiner Funktion als Professor wurde Munzinger fast gleichzeitig sowohl vom Berner Regierungsrat mit der Redaktion eines Handelsgesetzbuches als auch vom schweizerischen Bundesrat mit Vorabklärungen für ein Schweizerisches Handelsgesetzbuch betraut. Während das Berner Projekt nicht realisiert wurde, legte Munzinger ein Gutachten und einen Entwurf für ein schweizerisches HGB 1864 vor. Dabei mag erstaunen, dass sich Munzinger trotz seines Lehrgebiets des französischen Zivilrechts aber vor dem Hintergrund des im März 1861 erschienenen Entwurfs des „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches“ mehr am neuen deutschen Recht als am französischen „Code de commerce“ von 1807 orientierte. Munzingers Entwurf fand Beachtung und wurde unter anderen vom Basler Rechtsprofessor Andreas Heusler sowie von Levin Goldschmidt, dem späteren ersten deutschen Ordinarius für Handelsrecht in Berlin, günstig aufgenommen. Goldschmidt würdigte den Entwurf im Vergleich zum deutschen HGB und hob dabei die umfassendere Regelung mit Einbezug von Wechsel- und Checkrecht sowie der Grundregeln zum kaufmännischen Konkursrecht positiv hervor, kritisierte aber die allzu großen Vereinfachungen in der Regulierung von Einzelfragen sowie systematische Mängel. Darüber hinaus erarbeitete Munzinger auch zwei Entwürfe zum Obligationenrecht, die Fasel mit seiner vorerwähnten Materialsammlung aus dem Archiv gehoben hat. Angesichts dieser Entwürfe wird klar, dass Munzingers Konzeptionen die Gesamtanlage des späteren schweizerischen Obligationen- und Handelsrechts von 1881/1911 weitgehend prädisponierte.[2] Neben diesen Tätigkeiten war Munzinger als Parlamentarier im Berner Stadtrat und zwei Jahre auch als Nationalrat sowie als Richter aktiv.

 

Der zweite Aspekt, der Fasel an Munzinger besonders fasziniert, ist, wie aus dem Untertitel „Führer der katholischen Reformbewegung“ markig hervorgeht, sein demokratisch-liberales Engagement während der Zeit des Kulturkampfes. Insbesondere werden dabei die Verhältnisse in der Baseler Diözese erörtert und das Spannungsverhältnis der Schweizer Katholiken zu Rom aufgezeigt. Dazu holt Fasel historisch weit aus, zeichnet aber auch akribisch aufgrund des zeitgenössischen Briefverkehrs Munzingers Leistungen für die Erneuerung des Katholizismus in der Schweiz nach (S. 227-247). Dabei lässt sich Fasel allerdings durch seine Figur „Bahnbrecher Munzinger“ für den Altkatholizismus stark leiten. In die Skizze des historischen Horizonts hätte gerade mit Blick auf das spätere Werk Munzingers jene innerhalb des gesamtschweizerischen Katholizismus intensive, wenn auch kurze Emanzipationsbestrebung gehört, die unter dem Begriff der „Badener-Artikel“ in den 1830er Jahren bekannt geworden ist.[3] Man forderte damals ein Nationalbistum sowie eine begrenzte Autonomie von Rom, doch wurde insbesondere auf ausländischen Druck hin – die Schweiz bestand noch nicht – diesem aufmüpfigen Liberalismus der Schweizer Katholiken der Riegel geschoben. In seiner Schrift „Papsttum und Nationalkirche“ von 1860 übernimmt Munzinger zahlreiche dieser Postulate. Der Unterschied, der sich aber ergab, war, dass sich nun die altkatholische Kirche im Kulturkampf mit Rom abspaltete und etablierte.

 

Insgesamt überzeugt und beeindruckt auch diese Publikation Fasels, der zu jener Gruppe der Rechtshistoriker gehört, die anwaltlich erwerbstätig ist und die Rechtsgeschichte als ihr seriöses und schönes Hobby ebenso bewusst wie für die Disziplin gewinnbringend pflegt, und die auch deshalb unsere besondere Anerkennung verdient.

 

Zürich                                                                                                                        Marcel Senn



[1] Siehe dazu: Eugen Bucher: Die Entwicklung des deutschen Schuldrechts im 19. Jahrhundert und die Schweiz. Zugleich Besprechung der Materialien-Edition zum schweiz. Handels- und Obligationenrecht von Urs Fasel. In: ZEuP 2003, S. 353-374.

[2] Den Zusammenhang zwischen Munzingers Vorarbeiten zur geschichtlichen Entwicklung des schweizerischen Handelsregisterrechts hat nunmehr Hans-Ueli Vogt in seiner Untersuchung „Der öffentliche Glaube des Handelsregisters“ (2003) ebenfalls nachgewiesen (S. 124ff., 248f.).

[3] Vgl. dazu: Alfred Kölz: Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte. Ihre Grundlinien vom Ende der Alten Eidgenossenschaft bis 1848. Bern: Stämpfli, 1992, S. 400-404.