Esmyol, Andrea, Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 52). Böhlau, Köln 2002. IX, 315 S.

 

Die Arbeit – eine von Dieter Hägemann betreute, im November 1999 vom Fachbereich Geschichte der Universität Bremen angenommene Dissertation -, die – was lobend vorweg genommen werden soll – in der Aufmachung sehr solide und sauber gearbeitet im Jahre 2002 erschienen ist, stellt die Forschungsergebnisse der Autorin dar, die die Erscheinungsformen ehelicher und außerehelicher Beziehungen im frühen Mittelalter beinhalten. „Der untersuchte Zeitraum reicht schwerpunktmäßig von Ende des 5. Jahrhunderts bis zum Ende des 9. Jahrhunderts und umfasst das merowingische und das karolingische Reich, außerdem die langbardischen Gesellschaftsverhältnisse“ (S. 4). Dabei greift die Verfasserin wenn nötig auch auf Quellen der römischen Kaiserzeit zurück und berücksichtigt auch grundlegende kirchenrechtliche Stellungnahmen zum Thema aus dem beginnenden 5. Jahrhundert. Sie geht hierbei insbesondere der Frage nach dem zunehmenden Einfluss der Kirche auf das Beziehungsverhältnis der Menschen im frühen Mittelalter nach. Sie will damit einen möglichst umfassenden Eindruck außer- und nebenehelicher Beziehungsformen in der frühmittelalterlichen Gesellschaft gewinnen und die Engführung vieler Arbeiten hierzu, zu­meist aus rechtshistorischer, kirchenrechtlicher oder moraltheologischer Sicht vermeiden, auch die darin oft feststellbare Einschränkung auf einzelne Personengruppen wie Herrscher­dynastien oder Menschen unfreien Standes, und vor allem die daraus erfließenden oft „einsei­tigen“ sich je nach Forschungsansatz sogar widersprechenden Ergebnissen“ (S. 4).

 

Deshalb ist das Quellenmaterial, das die Verfasserin untersucht, so breit gefächert wie möglich gehalten. Die Verfasserin untersucht beispielsweise Texte des geltenden kirchlichen und weltlichen Eherechts, wie es sich in Leges, Kapitularien, Formeln und Urkunden, in Konzilsbestimmungen und Kanones­sammlungen findet; sie zieht die zeitgenössische Geschichtsschreibung (Annalistik und Herr­scherviten) heran, Bußbücher und auch Stellungnahmen einzelner Kirchenvertreter, auch Tra­ditionsurkunden kirchlicher Provenienz, in denen z. B. die Versorgung unfreier Konkubinen und ihrer Kinder geregelt ist, und sogar Heiligenviten.

 

Mit dieser Methode gelingt ihr wirklich ein umfassendes Bild von Ehe und Konkubinat im Untersuchungszeitraum. Ihre überzeugende und doch vorsichtige Einschätzung der einzelnen Aussagen der Quellen, ist einfach klug zu nennen und sie vermag damit nicht selten die Urteile mancher Autoren zu diesem Thema zu verbessern, ja sogar zu widerlegen. Der Umgang mit den Quellen, der unabdingbar beste Lateinkenntnisse voraussetzt und klar beweist, kann nur als rundum gekonnt und gelungen bezeichnet werden.

 

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung fasst die Verfasserin S. 248ff. zusammen und benennt hier die für den Untersuchungszeitraum festgestellten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die Beziehungen zwischen den Geschlechtern abspielten:

 

a) Der Aspekt der Herrschaft von Männern über Frauen, sowohl Freien wie Unfreien, die die Machtverhältnisse zwischen beiden beinhaltete.

b) Der Aspekt der ,Frauenehre’, der den Handlungsspielraum freier Frauen festlegte.

c) Der Aspekt des kirchlichen Einflusses, der beide vorgenannten Aspekte beeinflusste und zu modifizieren suchte (S. 250f.).

 

Damit sind die vorherrschenden Machtverhältnisse genannt: die Vorherrschaft des Mannes gegenüber der Frau, sowohl der freien wie erst recht der unfreien Frau, die sich gerade auch in der sexuellen Verfügung über diese ausdrückte; die ,Frauenehre’, dem Wohlverhalten freier Frauen im sittlichen Bereich, die den gesellschaftlichen Unterschied zu den unfreien Frauen markierte; und die kirchliche Rechtsordnung, die diese gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen zwischen den Geschlechtern schützte und stärkte. Dabei kommt die Verfasserin. zu einem bemer­kenswerten Schluss: „Keineswegs förderte die Kirche bis zum Ende des 9. Jahrhunderts die ,Konsensehe’“ (S. 253) und begründet dies mit der Tatsache des Vorhandenseins nur einer einzigen Stellungnahme der Kirche hierzu, derjenigen die von Papst Nikolaus I, „die in der Forschung überbewertet“ worden sei.

 

Und doch habe die Kirche versucht, ihre Ansicht von Sexualität zwischen den Geschlechtern durchzusetzen, wobei sie stets die unbestrittene Autorität eines Kirchenvaters Augustinus anführte: Sexualität sei nach diesem theoretisch nur innerhalb einer lebenslangen monogamen Bezie­hung zu Fortpflanzungszwecken erlaubt. Dies gleichsam das erstrebenswerte Ideal, das mit der damaligen Realität – und wohl auch heute noch nicht und eigentlich zu keiner Zeit – überein­stimmte.

Ehen wurden selten oder fast nie aus leidenschaftlicher Liebe (amor) geschlossen, sondern aus fürsorglicher Liebe (caritas, dilectio), was sich in der Höhe der Dotierung durch den Ehemann und in seiner respektvollen Behandlung ausdrückte. Für Amor stand das Konkubinat zur Ver­fügung. Deshalb entsprach das gesellschaftliche Ansehen einer concubina und einer uxor dem rechtlichen Gefälle zwischen einer freien und einer unfreien Frau.

 

„Es war für eine Frau viel erstrebenswerter, die rechtlich und ökonomisch abgesicherte Position einer Ehefrau zu erlangen, als innerhalb eines ,Liebesverhältnisses’ eine vollkommen rechtlose Konkubine zu sein“ (S. 255). Deshalb kann die Verfasserin diese conclusio mit Fug und Recht überschreiben: „Aliud est uxor, aliud concubina“.

 

Die Verfasserin entfaltet ihre Darstellung auf 255 Seiten, denen ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist und ein Abkürzungsverzeichnis folgt, siebeneinhalb Seiten Quellenverzeichnis und ein wahrlich reichhaltiges Literaturverzeichnis von fast 40 Seiten. Ein Person-, Sach- und Quellenre­gister runden das Werk, wie man es wohl bezeichnen darf, ab und erschließen den Text.

 

Ayl/Saar                                                                                             Maximilian Hommens