Engstfeld, Jörn C., Der Erwerb vom Nichtberechtigten. Die
rechtsgeschichtliche Entwicklung, insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert (=
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag,
Reihe Rechtswissenschaften 12). Tectum-Verlag,
Marburg 2002. XXVIII, 105 S.
Die von Dieter Werkmüller betreute
Dissertation greift das bereits wiederholt behandelte Thema des
Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten bei beweglichen Sachen auf. Der
Verfasser schildert nach kurzer Einleitung und Darstellung der heutigen
Regelung in sechs weiteren Abschnitten (III. bis VIII.) die historische
Entwicklung vom römischen Recht bis zum Zivilgesetzbuch der Deutschen
Demokratischen Republik, die von dem Gegensatz zwischen dem römischen Vindikationssprinzip und dem deutschrechtlichen Grundsatz
„Hand wahre Hand“ geprägt wird.
Der dritte Abschnitt behandelt die
Geltung des Prinzips „Hand wahre Hand“ im indogermanischen, germanischen und
deutschen mittelalterlichen Recht. Mangels ausreichender Quellen stellt Engstfeld zutreffend
fest, dass über die Anwendung dieses Grundsatzes bei den Indogermanen
keine Aussage gemacht werden kann. Zum germanischen und fränkischen Recht weist
er mit Recht darauf hin, dass die Hand wahre Hand-Regel nichts über den
Rechtserwerb des Dritten besagt, sondern lediglich den früheren Inhaber der Gewere an der Verfolgung seiner freiwillig aus der Hand
gegebenen Sache gegenüber einem anderen als dem Empfänger hinderte. Die vom
Verfasser vorgenommene Einordnung dieser Beschränkung als Prozesshindernis und
(!) fehlende Aktivlegitimation ist allerdings widersprüchlich, richtigerweise
sollte man mit dem von ihm selbst angeführten Grund der Regel, den
Dritterwerber aus dem Rechtsstreit des ursprünglich Berechtigten mit seinem
Gewährsmann herauszuhalten, nach heutiger Anschauung von fehlender
Anspruchsgrundlage sprechen. Weiter schildert der Verfasser die als Folge des Gewerebruchs möglichen Verfahren aus handhafter Tat, der
Spurfolge und des Anefangs sowie die Klage um
Diebstahl oder Raub gegen den besitzenden Dritten.
Hieran schließt er einen Exkurs zum
römischen Recht an, der aus chronologischen Gründen auch hätte vorangestellt
werden können. In diesem Teil befasst sich die Arbeit vor allem mit der Ansicht
Alfred Söllners, der zufolge der
Zwölf-Tafel-Satz usus auctoritas annuus est bedeutete, dass
freiwillig aus der Hand gegebene Sachen bei vorliegendem Erwerbsgrund (iusta causa, z. B. Kauf) nach einjähriger
Besitzzeit ersessen werden konnten. Nach Ablauf der Frist habe der Beklagten
nur noch den rechtlich einwandfreien Erwerbsgrund, nicht mehr dagegen die
Übertragungsbefugnis des Veräußerers beweisen müssen.
Da bei gestohlenen Sachen eine Ersitzung ausschied und in klassischer Zeit der
Diebstahlsbegriff auf die Unterschlagung ausgedehnt worden sei, sei ein Erwerb
vom Nichtberechtigten kaum mehr möglich gewesen. Auf diesem Stand habe sich das
römische Recht bis zur Rezeption befunden.
Für die Zeit des Hoch- und Spätmittelalters
stellt Engstfeld die Geltung des Hand wahre Hand–Prinzips im Sachsenspiegel der Praxis des Ingelheimer
Oberhofes gegenüber, der diesen Grundsatz nach überwiegender Meinung nicht
gekannt habe. Der Autor schließt sich der Auffassung an, dass bei den beiden
als einschlägig diskutierten Oberhofsprüchen von 1416 und 1450 (, die er zum
Teil in allerdings für sein Thema nicht entscheidenden Punkten missversteht,)
das Hand wahre Hand-Prinzip nicht angewendet worden bzw. nicht einschlägig
gewesen sei. Letztlich genügt ihm das überlieferte Spruchmaterial nicht, um die
Geltung des Grundsatzes in Ingelheim zu ermitteln. Im Folgenden geht der
Verfasser auf die Änderungen ein, die die Rezeption gegenüber dem Hand wahre
Hand-Grundsatz brachte, nämlich die aus den römischen Ersitzungsregeln
hergeleitete Voraussetzung der Gutgläubigkeit sowie die in
spätmittelalterlichen Stadtrechten geregelte Erweiterung der Fahrnisverfolgung
auch gegenüber Dritten, die mit einer Pflicht zur Aufwanderstattung
(Lösungsrecht) verbunden war. Er erwähnt weiter den erstmals vom revidierten lübischen Recht von 1586 im Interesse des Verkehrsschutzes
eingeführten gutgläubigen Fahrniserwerb; teilweise sehen die
Stadtrechtsreformationen die romanistische Ersitzung mit deutlicher Verkürzung
der Ersitzungsfristen vor.
Die Arbeit befasst sich sodann im vierten
Abschnitt mit dem Standpunkt des gemeinen Rechts und der frühen Kodifikationen,
die vom römischen Vindikationsrecht ausgehen, dieses
aber bei öffentlichem Kauf verwehren und ansonsten Lösungsrechte (Preußischen
Allgemeines Landrecht) oder einen Eigentumserwerb des redlichen Besitzers bei
willentlich weggegebenen Sachen (Code civil, Allgemeines Bürgerliches
Gesetzbuch) vorsehen.
Im folgenden Abschnitt behandelt der
Autor die Entstehung des Art. 306 des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches,
der dem redlichen Erwerber einer beweglichen Sache in einem Handelsbetrieb das
Eigentum zusprach, wenn der Gegenstand nicht gestohlen oder verloren worden
war. Egstfeld schildert dazu die heftigen
Kontroversen darüber, ob und inwieweit das gemeinrechtliche Vindikationssystem
zu beschränken sei, wobei man letztlich im Interesse des Verkehrsschutzes die
römische usucapio-Regel
ohne Ersitzungsfristen heranzog, während der Verfasser aus dem Gang der
Verhandlungen entnimmt, dass das deutschrechtliche Hand wahre Hand-Prinzip
nicht aufgegriffen wurde.
Im Anschluss daran kommt der Verfasser zu
den Beratungen, die zur Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches führten. Dabei
sprach sich die Vorkommission 1875 für ein Lösungsrecht gegenüber dem redlichen
Erwerber aus. Der 14. Deutsche Juristentag diskutierte eine Ausdehnung des Art.
306 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch auf das allgemeine Zivilrecht, die
der 15. Deutsche Juristentag 1880 dann befürwortete. Auch der erste Entwurf sah
in § 877 eine dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch entsprechende
Regelung des Gutglaubenserwerbs vor, wobei auch hier der Verfasser die Ansicht
vertritt, dass trotz der Bezugnahme der Kommission auf den Hand wahre Hand-Grundsatz
der Wunsch nach einer Anpassung des Zivilrechts an das Handelsrecht
entscheidend gewesen sei. Aus verschiedenen, vom Autor dargestellten Richtungen
kam Zustimmung zu diesem Entwurf, wobei die germanistische Seite die Regelung
als Sieg des alten Satzes „Hand wahre Hand“ interpretierte und das württembergische
Staatsministerium eine Beschränkung des Verkehrsschutzes auf den entgeltlichen
Erwerb forderte.
Im sechsten Abschnitt schildert der
Verfasser die nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches angebrachten
Petitionen aus Kreisen der Pfandleiher und Altertumshändler, die §§ 932ff. BGB dahin
zu ändern, dass auch bei der Annahme gestohlener Sachen gegen den
Herausgabeanspruch des Eigentümers ein Lösungsrecht bestehe. Dies blieb jedoch
ebenso ohne Erfolg wie ein Ansuchen des Verbandes der Klavierhändler, § 935 BGB
um den Tatbestand der Unterschlagung zu erweitern.
Der siebente Abschnitt befasst sich mit
der Diskussion des Erwerbs vom Nichtberechtigten bei der Schaffung des nicht zu
Ende geführten nationalsozialistischen Volksgesetzbuches. Nach der Darstellung
des Verfassers sahen die Vorberatungen durch die Akademie für Deutsches Recht
keine Änderung des Gutglaubensschutzes vor, allenfalls wurde eine Ausdehnung
der Erkundigungspflicht zur Erhaltung der Redlichkeit befürwortet.
Im achten Abschnitt greift die Arbeit die
bis 1957 in der Deutschen Demokratischen Republik geführte Diskussion auf.
Vorwiegend wurde die Geltung der §§ 932ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches für
Volkseigentum abgelehnt, in erster Linie mit der Begründung, dass
sozialistisches Eigentum eine neue Eigentumsform sei, auf die das Bürgerliche
Gesetzbuch nicht anwendbar sei, und gutgläubiger Erwerb der Durchführung des
normierten Planes zuwiderlaufe. Andere Stimmen hielten die Regelungen zum
Schutz des Warenverkehrs für angebracht, verlangten aber gesteigerte
Anforderungen an den guten Glauben des Erwerbers. Als das Oberste Gericht 1957
die Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs im Rahmen eines Teilzahlungsgeschäfts
ablehnte, war die Kontroverse beendet. In das 1975 verabschiedete Zivilgesetzbuch
wurden keine Bestimmungen über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten
aufgenommen, weil man sie nicht für notwendig hielt.
In einem neunten Abschnitt fasst der
Verfasser unter der missverständlichen Überschrift „Der gutgläubige Erwerb als
Rechtswidrigkeitsproblem?“ Stellungnahmen zu zwei sehr verschiedenen Themen
zusammen. Er beginnt mit der vom Bundesgerichtshof verneinten Frage, ob der
Erwerb vom Nichtberechtigten eine unerlaubte Handlung darstellt, und geht
sodann über zu der vor allem verfassungsrechtlichen Kritik an den §§ 932ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuches. Hier stellt er eingehend die Argumente dar, mit
denen in der wissenschaftlichen Nachkriegsliteratur der Bundesrepublik der
gesetzlich angeordnete Eigentumsverlust als Sozialbindung des Eigentums oder
als Enteignung vor Art. 14 Grundgesetz gerechtfertigt bzw. für den Fall des
unentgeltlichen gutgläubigen Erwerbs verworfen wurde.
Den letzten Abschnitt widmet Engstfeld der Diskussion um den Aspekt der Gerechtigkeit
beim Erwerb vom Nichtberechtigten. Dabei stellt er zunächst die Thesen Immanuel
Kants dar, wonach aus Gründen der distributiven Gerechtigkeit der gutgläubige
Dritte nicht nur ein persönliches Recht gegen den unberechtigten Veräußerer,
sondern ein Sachenrecht erwerben müsse. Daran schließen sich die kritischen
Ausführungen der Sozialisten Anton Menger und Paul Sokolowski sowie des
Strafrechtlers Karl Binding sowie weitere, die gesetzliche Wertung
befürwortende Stimmen des 20. Jahrhunderts.
In einer Schlussbetrachtung tritt der Autor mit einer kurzen Zusammenfassung den
einschlägigen Erwägungen des Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches bei.
Insgesamt liegt der Wert der Arbeit in
erster Linie in der eingehenden Darstellung der Diskussion des Erwerbs vom
Nichtberechtigten seit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch. Die
zahlreichen formalen Fehler einschließlich der eigenwilligen Zeichensetzung
hätten vermieden werden können.
Bad Nauheim Reinhard
Schartl