Englert, Tassilo Wilhelm Maria, Deutsche und italienische Zivilrechtsgesetzgebung 1933-1945. Parallelen in der Rechtsetzung und gegenseitige Beeinflussung unter besonderer Berücksichtigung des Familien- und Erbrechts (= Rechtshistorische Reihe 278). Lang, Frankfurt am Main 2003. 276 S.

 

Während der NS-Zeit fanden meist unter Ägide der Akademie für Deutsches Recht, dessen Präsident Hans Frank die italienische Sprache beherrschte, zahlreiche Begegnungen zwischen italienischen und deutschen Juristen statt. 1937 wurde die Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen gegründet, die sich in mehreren Arbeitstagungen mit den Grundlagen auch des Zivilrechts befasst hat. Dies legt die Vermutung nahe, dass die gesetzgeberischen Arbeiten beider Länder nicht unbeeinflusst voneinander entstanden sind. In Italien war dies im wesentlichen der Codice Civile (CC) von 1942, in Deutschland die umfangreiche Gesetzgebung zum Familien- und Erbrecht sowie die Teilentwürfe zu einem Volksgesetzbuch. Ziel der Arbeit von Englert ist es, durch eine Gegenüberstellung den Vergleich der Gesetzgebung der Jahre 1933-1945 zu ermöglichen und eventuelle Parallelen zwischen Deutschland und Italien aufzuzeigen (S. 3). Darüber hinaus wird auch die Aufnahme der Gesetzgebung des Partnerlandes durch das jeweils andere geschildert und werden etwaige Beeinflussungen in der Gesetzgebung zwischen beiden Ländern herausgearbeitet. Das Untersuchungsmaterial bilden neben den Gesetzestexten für Deutschland die amtlichen Begründungen sowie die zeitgenössische Literatur, für Italien neben der Literatur vor allem die Berichte der Gesetzgebungskommissionen. Nach einem kurzen Abschnitt über die nationalsozialistische Gemeinschaftsideologie geht Englert auf die Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen im allgemeinen und speziell auf die in der 2. Arbeitstagung 1939 behandelte Thematik der Aufhebung oder Abänderung schuldrechtlicher Verträge vor allem im Wege der Vertragsanpassung ein. Während von deutscher Sicht aus der Richter die Möglichkeit haben sollte, jedweden Vertrag aufzuheben oder zu ändern (richterliche Vertragshilfe), stellten die Bestimmungen des CC (Art. 1468, 1469) nur eng gefasste Ausnahmetatbestände zur Vertragsanpassung auf. Diese führte auf deutscher Seite, wie die Reaktion Hedemanns zeigt, zu einer „gewissen Enttäuschung“ (S. 39). Allerdings wäre es nützlich gewesen, wenn der Verfasser in den Vergleich auch noch die für das Volksgesetzbuch geplante Vorschrift über die „Geschäftsgrundlage“ mit einbezogen hätte.

 

Für das Eherecht (S. 43-160) geht der Verfasser von folgenden Gesichtspunkten aus: Veränderungen der Bestimmung zur Ehefähigkeit im Interesse der Bevölkerungs- und Wehrpolitik, Vorbereitung der Eheschließung als Maßnahme zur Kontrolle der Eheschließenden, „Verstaatlichung“ der Formerfordernisse der Eheschließung, Ehehindernisse sowie Nichtigkeit und Nichtigkeitsfolge (Veränderungen zur Durchsetzung der Rassen- und Erbgesundheitsideologie sowie der Bevölkerungspolitik), Neugestaltung der Eheaufhebung im Interesse der Bevölkerungspolitik sowie Veränderungen des Ehescheidungsrechts im Interesse der Ideologie. Der Abschnitt über das Kindschaftsrecht (S. 160-201) befasst sich mit folgenden Themen: Neuregelung der Bestimmungen zur ehelichen Abstammung (Verhinderung der „Abstammungsverschleierung“), Ehelichkeitsanfechtung (Legitimation) sowie Adoptionsrecht (ebenfalls Verhinderung der „Abstammungsverschleierung“). Für das Erbrecht (S. 203-250) geht es um die Einschränkung der Testierfreiheit durch das Reichserbhofgesetz und das Erbbeschränkungsgesetz (1937) sowie um die Eindämmung zwingender Testaments-Formvorschriften und die „Inhaltskontrolle“ des Testaments.

 

Englert arbeitet zunächst die Zielsetzung der jeweiligen Bestimmungen anhand der amtlichen Begründungen, der Gesetzesmaterialien und der zeitgenössischen Literatur heraus und stellt dann die Aufnahme der gesetzlichen Regelungen im Partnerland dar, bevor er abschließend einen Vergleich zwischen der jeweiligen gesetzlichen Neuregelung vornimmt. Für die deutschen Regelungen stellt Englert vornehmlich die ideologischen Komponenten scharf heraus. Dabei ist sich der Verfasser durchaus bewusst, dass vor allem das Ehe- und Testamentsgesetz auch „nicht-ideologiegeprägte“ Teile enthält, die allerdings von der NS-Ideologie oft nur schwer zu trennen sind. Für Italien lässt sich eine dem deutschen Recht vergleichbare tiefgreifende ideologische Durchdringung des Familien- und Erbrechts nicht feststellen. Das italienische Eherecht war weitgehend durch die Vorgaben des Laterankonkordats, das eine Ehescheidung nicht vorsah, und durch die weitgehende Vereinheitlichung des staatlichen und des kirchlichen Eherechts bestimmt. Bevölkerungspolitische Ziele spielten für das italienische Ehescheidungsrecht daher kaum eine Rolle. Der deutschen Rassengesetzgebung von 1935 (Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. 9. 1935) standen Teile der italienischen Rechtswissenschaft 1936/37 sehr kritisch gegenüber. Goldschmied bezeichnet das Blutschutzgesetz als „Verstoß gegen die Grundlagen der eigenen, italienischen Gesetzgebung“ und forderte den italienischen Gesetzgeber auf, dafür Sorge zu tragen, „dass vermieden werde, dass die Anwendung dieser nationalsozialistischen Gesetze das italienische juristische Gewissen beleidigen und ein fundamentales Prinzip der italienischen Rechtsordnung abschafften, dass nämlich alle Menschen unabhängig von ihrer Rasse gleich vor dem Gesetz seien“ (S. 93). Italien führte erst mit den „Maßnahmen zum Schutz der italienischen Rasse“ vom 17. 11. 1938 das Verbot von Rassenmischehen ein, d. h. von „Ehen von Italienern oder Italienerinnen mit Personen, die der hamitischen oder der semitischen Rasse oder anderen nicht arischen Rassen angehören“ (S. 61f.). Die italienische Rassengesetzgebung war anders als die deutsche nicht primär „biologisch“ begründet, sondern erfolgte auch aus dem Bedürfnis der „Abgrenzung zu den beherrschten Völkern“ und dem „Schutz des Rassenprestiges im Kolonialreich“ (S. 254). Mit Gabriele Schneider, Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien 1936-1941 (Köln 2000) stellt der Verfasser als „wesentlichen Unterschied“ der eigenständigen italienischen antisemitischen Bestimmungen zu den deutschen Regelungen heraus, dass es sich hierbei um eine strikte Ausgrenzungspolitik handelte, „die aber nicht im Zentrum der faschistischen Weltanschauung stand und keine Vernichtungstendenzen beinhaltete“ (Englert, S. 254f.). Gleichwohl drängt sich die Vorbildfunktion der deutschen Gesetzgebung von 1935 auf, ohne dass dieses Vorbild in den Gesetzesmaterialien zum CC ausdrücklich genannt wird (vgl. S. 107f.). Hieraus lässt sich mit Englert schließen, dass Italien grundsätzlich eine eigene Gesetzgebung anstrebte, zumal auch der Einfluss des kanonischen Rechts einer Rezeption der deutschen Gesetzgebung entgegenstand. Nicht übernommen wurde von Italien das Ehetauglichkeitszeugnis des Ehegesundheitsgesetzes, dem die dortige Literatur kritisch gegenüberstand. Auch das deutsche Ehescheidungsrecht fand in der italienischen Kritik nur eine zurückhaltende Aufnahme (S. 145f.). Während das neue deutsche Recht zur Anfechtung der Ehelichkeit von Kindern die Feststellung der „blutsmäßigen Abstammung“ in weitem Maße zu verwirklichen suchte, ließ sich der CC bei dieser Rechtsmaterie von rationalen Gesichtspunkten leiten: Schutz der legitimen Familie, der öffentlichen Moral, Verhütung missbräuchlicher Klagen und Schwierigkeiten des Beweises (S. 173). Auch im übrigen Kindschaftsrecht und im Erbrecht brachte der CC keine radikalen Reformen im Sinne einer Verwirklichung der faschistischen Ideologie. Beispielsweise gab es keine größeren Einschränkungen der Testierfreiheit wie in Deutschland durch das Reichserbhofgesetz und das Erbbeschränkungsgesetz, wenn man einmal von dem sog. patrimonium familiare absieht, und keine dem in Italien „mit großem Unverständnis“ (S. 239) wahrgenommenen § 48 TestG (Inhaltskontrolle) vergleichbare Regelung. Für den italienischen Gesetzgeber stand bei der Neuregelung des Testamentsrechts dessen Modernisierung ganz im Vordergrund. Insgesamt lassen sich trotz des regen Austausches zwischen deutschen und italienischen Rechtswissenschaftlern nach Englert aus den herangezogenen Gesetzesmaterialien zum CC – allerdings dürften die vom Verfasser nicht herangezogenen Kommissionsprotokolle wohl noch detailliertere Aufschlüsse bringen – keine „gegenseitige Beeinflussung der beiden Staaten auf dem Gebiete der ideologisch motivierten Gesetzgebung“ nachweisen. Italien kam weder den deutschen Forderungen nach stärkerer Richtermacht noch den deutschen Forderungen nach einer durchgehenden Berücksichtigung des Gemeinschaftsgedankens nach. Im übrigen wurde in einigen Fällen in Italien eine „recht deutliche Kritik“ an den deutschen Gesetzen geübt (S. 255). Insgesamt blieb Italien in weiten Teilen des Familienrechts der Tradition des CC von 1865 mit seinen überwiegend französischrechtlichen Bezügen verhaftet, die der Verfasser leider kaum aufdeckt.

 

Während die Rechtsvergleichung als etabliertes Fach im aktuellen Rechtsleben unverzichtbare Aufgaben erfüllt, wird die historische Rechtsvergleichung zumindest für die neueste Privatrechtsgeschichte bisher nur selten genutzt. Sie ist einmal unabdingbar für eine europäische Rechtsgeschichte, die auch im 20. Jahrhundert durch umfangreiche Rezeptionen besonders auf dem Gebiet des Familienrechts gekennzeichnet ist. Zum anderen trägt der historische Rechtsvergleich dazu bei, die Grundlagen und Besonderheiten der jeweils miteinander verglichenen Rechtsordnungen schärfer zu erfassen, als dies im Rahmen einer rein nationalen Rechtsgeschichte möglich ist, wie die Arbeit von Englert eindringlich zeigt. Darüber hinaus gibt die vom Verfasser gewählte Methode auch Aufschlüsse über die Herrschaftsstruktur und die unterschiedliche ideologische Regelungsdichte der beiden totalitären Staaten. Allerdings werden mit der starken Untergliederung der Darstellung, die auch zu einer doppelten Besprechung von Gesetzen führen kann (vgl. für die „Maßnahmen zum Schutz der italienischen Rasse“ von 1938 S. 61ff., 107, 114f.) einige Zusammenhänge zerrissen. So lernt der Leser die italienischen Stellungnahmen zum deutschen Recht (insbesondere die Kritiken von Giovanni Brunelli, Antonio Brunetti und Rudolfo Goldschmied) nicht im Zusammenhang kennen, sondern nur sukzessive in den einzelnen Abschnitten. Dem wird auch durch das sehr knappe Resümee am Ende der Arbeit (S. 251-255) nicht abgeholfen. Im übrigen hätte der Verfasser die sehr zurückhaltende bzw. fast ablehnende Haltung der italienischen Rechtswissenschaft zum nationalsozialistischen Recht noch schärfer herausstellen können (vgl. u. a. Ilse Staff, Staatsdenken im Italien des 20. Jhts. Ein Beitrag zur Carl-Schmitt-Rezeption, Baden-Baden 1991, S. 41ff.; Andrea Hoffend, Zwischen Kultur-Achse und Kulturkampf: Die Beziehungen zwischen „Drittem Reich“ und faschistischem Italien in den Bereichen Medien, Kunst, Wissenschaft und Rassenfragen, Frankfurt am Main 1998, bes. 321ff. m. w. N.). Von diesen Einschränkungen abgesehen, liegt mit dem Werk von Englert zu einer grundlegenden Thematik der Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts eine sorgfältig erarbeitete rechtsvergleichende Untersuchung vor, der für die neueste Rechtsgeschichte viele Nachfolger zu wünschen sind.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert