Engert, Markus, Die historische Entwicklung des
Rechtsinstituts Verwaltungsakt (= Europäische Hochschulschriften 2, 3479).
Lang, Frankfurt am Main 2002. 274 S.
Die bei
Thomas Würtenberger in Freiburg entstandene
Dissertation führt im Detail aus, was von Walter Pauly im Handwörterbuch zur
Deutschen Rechtsgeschichte unter dem Stichwort „Verwaltungsakt“ nur skizziert
werden konnte. Es geht um die zentrale Rechtsfigur des kontinental-europäischen
rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts des 19. und 20. Jahrhunderts, die heutigen
jungen Juristen gesetzlich definiert (§ 35 VwVfG) und
scheinbar völlig unproblematisch gegenübertritt. Engert
beschreibt den langen Weg tastender Versuche, vor 1848 nach dem Vorbild des
französischen acte administratif zu
einer Trennung von öffentlichem und privatem Recht zu kommen, die Verwaltung an
den Vorbehalt und den Vorrang des Gesetzes zu gewöhnen und zu binden sowie
Rechtsschutz gegen die Verwaltung zu gewähren. Dahinter steht die
konstitutionelle Bewegung mit ihrer Durchsetzung parlamentarischer
Gesetzgebung, die auf der Seite der Verwaltung, aber auch im gesamten
Beziehungsgefüge zwischen Obrigkeit und Bürger Folgen haben sollte. Fordernd
und fördernd steht daneben die schrittweise sich komplettierende neue
Wissenschaftsdisziplin des Verwaltungsrechts.
Die Aufgabe
des Buchs geht dahin, das sprachliche Ringen um den „Verwaltungsakt“ in die
politische Geschichte, das Verfassungsrecht und das werdende
„Administrativrecht“ sowie in die Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen
Rechts einzuordnen. Dabei auftretende methodische Probleme hat Engert ebenso ansprechend gemeistert wie das Ineinander der
verschiedenen Ebenen. Wir beobachten, wie das Wort zunächst fast nebenbei
auftaucht – erstmals wohl 1821 bei dem bayerischen Regierungsrat Anton Kurz – ,
dann langsam gebräuchlicher wird, nach 1850 in wechselnden Abgrenzungen in die
Systembildung eingeht, um schließlich durch Otto Mayer 1895 mit entschiedenen
Worten umrissen und im heutigen Sinn kanonisiert zu werden. Es ist ein Prozeß der Verrechtlichung der
Verwaltung, zugleich mit der dazu wie ein Handschuh über eine Hand passenden
Ausbildung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin. Die neue Semantik,
angetrieben von den Intentionen des Rechtsstaats und der bürgerlichen Ökonomie,
trennt allmählich, was zuvor nach einem vagen Zweckprogramm („gute Policey“, „Glückseligkeit“) gesteuert worden war. Der
Verwaltungsakt sagt nicht mehr nur dem Bürger, was für ihn rechtens sein soll,
er gibt ihm auch Sicherheit und Ansprüche, indem er die Verwaltung bindet und
sie bei Rücknahme und Widerruf einschränkt.
Engert führt den Leser vom Vormärz in die hier entscheidende
Epoche, die Jahrzehnte zwischen 1850 und 1914. Dort liegt der wesentliche,
Neuland erschließende Beitrag des Buchs. Aber auch die weitere Geschichte ist
erhellend. Beschrieben wird die Fortentwicklung der Doktrin des Verwaltungsakts
in der Weimarer Republik einschließlich des Ausbaus der
Verwaltungsgerichtsbarkeit. Während des Nationalsozialismus brach ein
biologistisches Zweckprogramm durch und ließ alle kunstvoll errichteten
Schranken des Verwaltungshandelns erodieren, wiederum unter fordernder und
fördernder Begleitung der dazugehörigen Literatur (Koellreutter,
Maunz u. a.). Ein kurzer Ausblick auf die Bundesrepublik und die heute
sichtbare Europäisierung des Verwaltungsrechts beschließt die besonders in der
Literaturverarbeitung sorgfältige und informative Studie.
Frankfurt
am Main Michael
Stolleis