Der praktische Nutzen der
Rechtsgeschichte. Hans Hattenhauer zum 8. September 2001, hg. v. Eckert,
Jörg. C. F. Müller, Heidelberg 2003. XI, 627 S.
Der Herausgeber Jörn
Eckert gibt in seinem Vorwort einen trefflichen Überblick über die
Entwicklung der Disziplin „Rechtsgeschichte“ und ihre Stellung in der
Rechtswissenschaft und an der Universität. Zwei große Themenkreise beherrschen
das Buch. Der eine befasst sich mit dem Fach Rechtsgeschichte und seinem Nutzen
für Theorie und Praxis, der andere enthält dazu Beiträge aus verschiedenen
Rechtsgebieten, wobei die meisten aber wieder in das erste Generalthema
einmünden. Da 37 Autoren beteiligt sind, ist es im Rahmen einer Besprechung
nicht möglich, die einzelnen Beiträge so zu würdigen, wie sie es verdienten.
Diese sind das Ergebnis eines Kolloquiums, da im Jahre 2001 zum 70. Geburtstag
des verdienten Kieler Rechtshistorikers Hans Hattenhauer, dem der Band gewidmet
ist, durchgeführt wurde.
Günter Baranowski zeigt, dass die Rechtshistorischen
Disziplinen in der Deutschen Demokratischen Republik in das Auf und Ab des
politischen Geschehens gerieten, dass man aber die historische Dimension des
Rechts nicht vernachlässigte und sich dabei auf Vorbilder und Erfahrungen
anderer sozialistischer Länder stützte, besonders der Sowjetunion, deren
Verhältnis zur Rechtsgeschichte ausführlich dargelegt wird.
Hans-Jürgen Becker skizziert in seinem Beitrag „Der
Föderalismus als Konstante der deutschen Verfassungsgeschichte“ die Elemente
der deutschen Verfassungsentwicklung. Er geht, nach Ausführungen über den
Begriff des Föderalismus, aus vom Westfälischen Friedensvertrag von 1648 und
denjenigen Artikeln, die als Teile eines föderalen Verfassungsprogramms
anzusehen sind, behandelt die föderativen Elemente im mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Reich und hält Ausschau nach der föderativen Komponente in
der Verfassung des Alten Reiches zwischen 1648 und 1806 sowie der Bedeutung des
föderalistischen Gedankens in der Verfassungsgeschichte des 19., 20. und 21.
Jahrhunderts.
„Die Ökumene der antiken
Civitas und die Privatrechtsordnungen Europas und der Welt“ nennt sich der
Beitrag von Okko Behrends, der den „praktischen“ Nutzen der antiken
römischen Rechtsgeschichte für die Juristenausbildung und die heutige europäische
Rechtskultur hervorhebt. Einleitend befasst er sich mit dem Phänomen des
Zukünftigen in der Vergangenheit und geht dann auf Stärken und Schwächen der
Historischen Rechtsschule und der von ihr begründeten pandektistischen
Tradition ein, um zur Rechtsordnung der Staatenwelt des Hellenismus in der
vorklassischen und klassischen Rechtswissenschaft der Römer überzugehen.
„Es ist verboten, alt zu
sein“. Unter dieser Überschrift plädiert Jürgen Brand für eine mit dem
aktuellen Recht verknüpfte Rechtsgeschichte. Die Rechtshistoriker sollten
vermehrt zum geltenden Recht Stellung beziehen und die Bezüge rechtshistorisch
im Verbund und als Teil der Rechtstheorie ordnen.
Was eine historische
Gesetzesauslegung bringt, verdeutlicht Stephan Buchholz anhand einer
ehe- und erbrechtlichen Problematik. Es geht um die Beschenktenhaftung und
Benachteiligungsabsicht. Das Fallproblem und Lösungsansätze werden historisch
ausgelegt und in einem Exkurs wird ein Text Max Webers erörtert.
Wenn Arno Buschmann
die Frage stellt, warum noch Rechtsgeschichte in der heutigen
Rechtswissenschaft und welchen Nutzen sie im heutigen rechtswissenschaftlichen
Studium noch hat, greift er weit aus und zeigt, wie das Recht nicht nur einen
sozialen Tatbestand darstellt, sondern wie das gegenwärtige Recht in Europa
stark auf der Geschichte beruht und wie die geschichtlichen Umstände das Recht
nachhaltig geprägt haben und prägen, und wie auch die Methode der heutigen
Rechtswissenschaft ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung ist. Daraus wird
die Schlussfolgerung gezogen: die Rechtsgeschichte gibt ein vertieftes
Verständnis des geltenden Rechts, und dem Rechtsstudenten muss die Erkenntnis
der Geschichtlichkeit allen Rechts nahe gebracht werden.
Ina Ebert frägt, ob die Rechtsgeschichte einen
praktischen Nutzen für die höchstrichterliche Rechtsprechung hat. Eine geringe
Anzahl von Urteilen nimmt auf die Rechtsgeschichte Bezug, Urteile, in denen die
Rechtsgeschichte als geltendes Recht oder als Hilfsmittel für das geltende
Recht oder als dessen Ergänzung oder Korrektur dient, um tatsächliche oder
vermeintliche Rechtslücken zu schließen. „Der Nutzen der Rechtsgeschichte zeigt
sich also erst im Ausnahmezustand“.
Jörn Eckert äußert sich zur Krise der Rechtsgeschichte
und der Frage nach ihrem Nutzen. Er geht aus von der Unterdrückung
rechtshistorischer Lehrstühle zu Gunsten solcher des geltenden Rechts und in
der neueren Juristenausbildung und der Uneinigkeit der Rechtshistoriker selbst
über Sinn und Aufgaben ihres Faches. Trotzdem ist die Rechtsgeschichte für die
Rechtsanwendung nicht irrelevant. Sie kann durch Rechtsvergleichung mit
historischen Methoden brauchbare Lösungs- und Wertungsmodelle liefern und die
rechtspolitische oder rechtsdogmatische Diskussion bereichern und der Auslegung
dienen, letzteres besonders durch den Rückgriff auf Quellen aus der Zeit vor
der eigentlichen Gesetzgebungsgeschichte, und sie ergänzt die systematische
Erkenntnis um die geschichtliche Dimension des Rechts.
Walther Hadding und Erik Kiessling befassen sich
mit den Anfängen deutschen Aktienrechts, das heißt mit dem preußischen
Aktiengesetz vom 9. November 1843. Sie skizzieren das System der
Gesellschaftsformen im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 und dessen
Unzulänglichkeiten, gehen auf die Entstehungsgeschichte und den Inhalt des
Aktiengesetzes von 1843 ein und zeichnen die folgende Entwicklung.
Dass über die Kritik und den
Einfluss sowie die Sicht dogmengeschichtlicher Zusammenhänge des Bonner
Zivilisten Ulrich Huber die Rechtsgeschichte einen beachtlichen praktischen
Nutzen entfalten konnte beim Gesetzgebungsverfahren für das deutsche
Schuldvertragsrecht, zeigt Christian Hattenhauer.
Im Beitrag „Cautio damni
infecti, Besitzbegriff und Verantwortung für Sachgefahren“ stellt Elke
Herrmann fest, dass man die §§ 836ff., 908 BGB
nicht versteht, wenn man ihre Entstehungsgeschichte und den gemeinrechtlichen
Begriff nicht kennt. Es kann als gesichert gelten, dass diese Paragraphen ein
besitzrechtliches Relikt darstellen.
Heinz Holzhauer schreibt über „Erfahrungen mit dem ,praktischen Nutzen’ der Rechtsgeschichte und
Überlegungen zum Sinn rechtsgeschichtlichen Unterrichts“. Ist es
gerechtfertigt, der Rechtsgeschichte in der allgemeinen Juristenausbildung einen
Platz einzuräumen und welche „Fälle“ gibt es, in denen die Rechtsgeschichte
praktisch nützlich gewesen ist? Holzhauer beantwortet diese Fragen, und hebt
den Nutzen der Rechtsgeschichte für die Rechtsanwendung und die Gesetzgebung
hervor und schließt: „Nur der rechtsgeschichtlich gebildete, jedenfalls in die
Rechtsgeschichte eingeführte und von ihr berührte Jurist, der nicht nach dem
Modell des homo faber ausgebildet worden ist, wird“ verschiedenen aufgezeigten
„Anforderungen gerecht“.
„Geschichtliche
Rechtswissenschaft und Recht der Kapitalgesellschaften“ heißt der Beitrag von Peter
Hommelhoff. Es geht darum aufzuzeigen, welche praktische Bedeutung die
Rechtsgeschichte für das junge, dynamische und europäisch orientierte
Kapitalgesellschaftsrecht haben kann. Der Verfasser analysiert zunächst den
Ist-Zustand, bevor er anhand eines Beispiels aus der aktuellen Diskussion, dem
Erwerb eigener Aktien durch eine Aktiengesellschaft sagt, warum es geboten ist,
die Wissenschaft vom Gesellschaftsrecht auf rechtshistorische Grundlagen zu
setzen. Daraus werden die Konsequenzen gezogen, besonders für die Reform der
Juristenausbildung und die Stärkung des Stellenwertes der Grundlagenfächer in
der zukünftigen universitären Ausbildung.
„Die Bedeutung des römischen
Rechts für die moderne Zivilrechtsdogmatik“ hebt Heinrich Honsell hervor
und bezeichnet die Rechtsgeschichte, namentlich jene des römischen Rechts als „eine
Fundgrube von Argumenten"“ mit zeitlosem Wert. Für das Verhältnis des
Bürgerlichen Gesetzbuchs zum römischen Recht und zum Pandektenrecht
unterscheidet er im Wesentlichen vier Fallgruppen, die im einzelnen
besprochen werden. Dann geht der Verfasser auf die Bedeutung des
römisch-gemeinen Rechts für die Erarbeitung eines europäischen
Zivilgesetzbuches ein.
Gerhard Köbler schreibt über „Rechtsgeschichte und
Gesetzbuch“. Er verfolgt die Wortgeschichte des Gesetzbuches, dem „ein
beachtlicher geschichtlicher Raum eröffnet“ ist. Es stellt sich die Frage,
welche Bedeutung der Rechtsgeschichte für die großen Gesetze und Rechtstexte
zukommt und welchen Gewinn man aus ihrer Entstehungsgeschichte ziehen kann. Das
wird, beginnend beim Zwölftafelgesetz, an zehn Beispielen von Rechtstexten
erläutert, denen epochaler Erfolg zukam, deren Anlass vielfach historisch
bedingt war und bei denen man jeweilen auch nach besseren Lebensverhältnissen
strebte. Dazu sammelte man neben notwendigen Erneuerungen geschichtlichen Stoff
und geschichtliche Erfahrung, die aber professionell rechtsgeschichtlich erst
seit Beginn der Neuzeit sichtbar wird und deren reife Frucht das Schweizerische
Zivilgesetzbuch von Eugen Huber ist. Köbler zieht den Schluss für die
Rechtsgeschichte: „Sie muss, wie Hans Hattenhauer dies beispielhaft vorgelebt
hat, das Vergangene allgemein gegenwärtig machen. Sie muss darüber hinaus aber auch
an der rechtlichen Gestaltung der Zukunft, wie sie etwa in einem allgemeinen
Europäischen Universalgesetzbuch denkbar ist, nach besten Kräften mitwirken.“
Wie mittelalterliche
Rechtsübertragungen in der Gegenwart fortwirken, erläutert Götz Landwehr
mit eingehenden historischen Ausführungen und Erwägungen an zwei Prozessen von
1927 und 1980, in denen sich die Kläger darauf beriefen, dass sie Inhaber des
Jagdausübungsrechtes auf der Niederelbe auf Grund einer im Jahre 1494 durch den
Herzog von Holstein König Johann von Dänemark erfolgten Rechtsübertragung
seien. Ihre rechtshistorische Argumentationen waren in
allen Instanzen erfolgreich.
Der Beitrag von Pia
Letto-Vanamo über die Stellung der Rechtsgeschichte in Finnland freut den
Rechtshistoriker ganz besonders. Sie zeigt auf, dass das Studienfach
„Rechtsgeschichte“ in Finnland sich in keiner Krise befindet, sondern dass sie
sich trotz Studienreformen mit der Einführung neuer Fächer wie Europarecht sich
als obligatorisches Fach im Jurastudium als obligatorisches Fach behauptet. An
den juristischen Fakultäten ist man sich jedenfalls einig, dass (auch) die
Juristen Kenntnisse der Vergangenheit und ein Verständnis für die Tradition
haben sollen.
„Rechtsgeschichte als Immunschutz
vor (allzu) Aktuellem“ nennt sich der Beitrag von Gerhard Lingelbach,
der Rechtsgeschichte ansieht als Bildung durch die Methode des Denkens, Wissen
um Zusammenhänge und Einbindung eines Rechtsinstituts, „Würzung“ der Lehre. Sie
vermag Werden und Vergehen von Rechtsinstitutionen überhaupt erst verständlich
zu machen und populistische Forderungen zu mäßigen oder verhindern und die
Chancen für die Stabilität in der Wertordnung zu vergrößern.
Unter dem Titel „Rechtliche
Identität und ihre Tiefenstruktur“ gibt Kiell A Modéer einen Überblick
über die Situation der Rechtsgeschichte in Schweden und ihren Wandel in
veränderten Rechtskulturen. Rechtsgeschichte ist in Schweden in der
Juristenausbildung immer noch ein obligatorisches Fach. An den Universitäten in
Uppsala, Lund und Stockholm sind Lehrstühle für Rechtsgeschichte. Er schließt:
„Heute ist der Kontext des Nationalstaates des 19. Jhs. nicht mehr aktuell.
Heutzutage ist statt dessen die multikulturelle Gesellschaft
ein wichtiger herausfordernder und aktueller Problemkreis für die gegenwärtigen
schwedischen Rechtshistoriker“.
Dass die
Verfassungsgeschichte besonders enge Bezüge zum geltenden Verfassungs- und
Verwaltungsrecht hat und für deren Verständnis relevant ist, erläutert Reinhard
Mussgnug. Er weist das anhand verschiedener Beispiele nach, wie Art. 82 GG
der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes, der Staatsdotationen im
Staatskirchenrecht, der Europäischen Gemeinschaft, dem Verhältnis von
Gemeinschaft und nationalem Recht der Gliedstaaten. Die Verfassungsgeschichte
gibt für das geltende Verfassungsrecht vor allem für die Zeit vom Wiener Kongress
und 1945 Aufschlüsse, aber auch für die früheren Jahrhunderte.
Wolfgang Naucke unterscheidet protokollierende und
summarische Strafrechtsgeschichte. Die erstere hält fest, was es als Strafrecht
in den einzelnen Teilgebieten gegeben hat und sichert die vorgefundenen Texte.
Die zweite bündelt die politischen Erfahrungen mit dem Strafrecht und ist
Resultatgeschichte und ein Teil der allgemeinen politischen Geschichte.
Zwischen protokollierender und summierender Strafrechtsgeschichte bestehen
Wechselwirkungen.
Paul L. Neve äußert sich zur „Rechtsvergleichung und
Rechtsgeschichte“. Für das niederländische Recht betrachtet er die französische
Rechtsgeschichte für das 19. Jahrhundert als von besonderem Nutzen, obwohl die
großen deutschen Zivilisten, die Pandektisten, eine starke Wirkung auf die
niederländische zivilrechtliche Doktrin ausübten. 1876 wurden alle
niederländischen juristischen Fakultäten durch Gesetz verpflichtet, Unterricht
im „altvaterländischen" Recht und seiner Geschichte zu erteilen;
Prüfungsfach wurde es erst 1921. An den Fakultäten waren zwei Lehrstühle für
römisches und altes niederländisches Recht. Seit 1981/82 wurde deren Position
ausgehöhlt.
Knut Wolgang Nörr schreibt über „Sozialstaat und
Wirtschaftsordnung: ein Stück bundesrepublikanischer Begriffsgeschichte“. Er
analysiert bestimmte unter rechtlichem Aspekt greifbare Konzeptionen. So geht
er dem Begriff der Wirtschaftsordnung der Sozialstaatsdiskussion nach und behandelt
die etatistisch-staatstheoretische und die gesellschaftspolitisch-demokratische
und die historizistische Richtung und würdigt die einzelnen Interpretationen.
Gerhard Otte stellt den Nutzen der historischen
Auslegung am Problem des Erwerbs schuldnerfremder Sachen in der
Zwangsversteigerung dar. Die historische Auslegung ist ein geschlossenes Bild
von den Absichten des Gesetzgebers und der Nachweis, sich davon zu lösen, führt
zu unheilvollen Auffassungen.
Als Jurist und Archivdirektor
nennt Rainer Polley die Rechtspraktiker in Justiz und Verwaltung und die
wissenschaftlichen Archivare als „stille Reserven“ für den Kampf um
rechtshistorische Belange außerhalb der Rechtsfakultäten und wägt deren Stärken
und Schwächen diesbezüglich ab.
Auf den praktischen Nutzen
der Rechtsgeschichte für das kollektive Arbeitsrecht weist Dieter Reuter
hin und bezeichnet sie auch für diesen Rechtsbereich „nach wie vor unentbehrlich“.
Sie lehrt u. a., welchen Einflüssen die Entwicklung von Rechtsinstituten wie
Tarifautonomie und Betriebsverfassung unterlagen.
Gerd Roellecke stellt theoretische Überlegungen zum
Verhältnis von Rechtsgeschichte und Rechtspraxis an. Er sagt, dass die
Rechtsgeschichte der Eigenart des Rechts Rechnung tragen muss und die
Kontinuitäten des Rechts herausarbeiten und an die Geschichtlichkeit und
Gesellschaftsabhängigkeit des Rechts erinnern soll.
Vormoderne Rechtstexte
konnten dichterische Form annehmen. Rechtserhebliches Geschehen gehört zu den
literarischen Motiven, und die Dichtung erweist, wie sich Autoren zu Recht und
Gerechtigkeit stellen. In diesem Sinne geht Stefan Chr. Saar auf Recht,
Rechtskritik und Staat in den 1886 erschien Altersroman „Martin Salander“ von
Gottfried Keller ein.
Dass rechtsgeschichtliche
Analyse auch im Parlamentsrecht, einem „Sonderbereich geschichtlicher
Gewachsenheit von Verfahrens- und Verhaltensregel“ von Nöten ist, erläutert Edzard
Schmidt-Jortzig am Alterspräsidenten im Parlament, wobei er von einem
exemplarischen Fall von Schleswig-Holstein aus dem Jahre 1992 ausgeht und eine
Übersicht gibt, wie in Deutschland die Frage des Alterspräsidenten gelöst
wurde.
„Zur praktischen Bedeutung
der Rechtsgeschichte“ nimmt Horst Schröder Stellung, wobei er auch den
Vergleich mit anderen Wissenschaftszweigen anstellt und betont, dass die eigentliche
Hauptaufgabe der rechtsgeschichtlichen Forschung, Lehre und Ausbildung, trotz
verschiedener Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden, die
systemtheoretische Grundlegung der lokalen, nationalen und universalen
Rechtsordnungen ist und bleibt, wie auch ihre Entstehung und Entwicklung als
moderne Wissenschaft beim Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert belegt.
Jan Schröder befasst sich mit der Geschichte der
historischen Gesetzesauslegung und beantwortet die Frage, seit wann und warum
der Rechtsgeschichte bei der Gesetzesinterpretation eine praktische Aufgabe
zukommt. Dabei zeigt sich, dass die historische Gesetzesauslegung in der
Interpretationslehre des 17. Jahrhunderts noch nicht existierte; der
rationalistische Gesetzesbegriff der frühesten Neuzeit war der Grund. Erst seit
dem späten 17. Jahrhundert entwickelte sich die historische
Gesetzesinterpretation, wobei wahrscheinlich ein Wandel des Gesetzesbegriffes
seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Ursache ist.
Werner Schubert zeichnet die Entwicklung von Familienlohn,
Kinderhilfen und Familienstimmrecht (salaire familiale, alloctions familiales
et suffrage familial) in Frankreich und in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert
bis zum Zweiten Weltkrieg und in der Frühzeit der Bundesrepublik. Das ist umso begrüßenswerter,
weil die Geschichte der Familienpolitik ein Bereich ist, der von
rechtsgeschichtlicher Seite bisher noch kaum erschlossen ist. Der Vergleich mit
Frankreich ist angebracht, da die Diskussion in Deutschland bis in die NS-Zeit
stark von Frankreich geprägt war. Schubert weist auch auf Gemeinsamkeiten, Abhängigkeiten
und Unterschiede hin.
Als Romanist berichtet Hans
Hermann Seiler, welche persönliche Erfahrungen er
im Umgang mit der Rechtsgeschichte in seiner bisherigen Arbeit gemacht hat. Er
äußert sich über seine historischen Arbeiten mit Gegenwartsbezug, wozu auch die
Lehre gehört und die Tätigkeit als Referent. Eine Reihe von Beispielen belegen
den Nutzen der Rechtsgeschichte bei der Behandlung zeitgenössischen Rechts, so
die Haftung und Vergütung des auftraglosen Geschäftsführers, dessen
ungerechtfertigte Bereicherung, die Teilunwirksamkeit von Rechtsgeschäften,
verbotswidrige und sittenwidrige Rechtsgeschäfte, Tierhalterhaftung.
Elmar Wadle weist auf die Bedeutung der
Rechtsgeschichte für das Urheberrecht und den gewerblichen Rechtsschutz hin und
auf Wechselbeziehungen zwischen der Rechtsgeschichte einerseits und den
gesamten Gebieten des geltenden Rechts anderseits. An Beispielen aus dem
Patentrecht, dem Bereich des Kennzeichenschutzes und des Urheberrechts belegt
er, „dass die Rechtsgebiete des geistigen Eigentums und unter Rückbesinnung auf
ihre historische Dimension sinnvoll fortentwickelt werden können“.
Hans Wieling frägt nach dem „Numerus clausus der
Sachenrechte?“ Er betrachtet die Entstehung des Prinzips des numerus clausus
und seine Stellung in der Rechtsgeschichte und schließt: „Tatsächlich kann man
sich für den numerus clausus weder auf das römische Recht noch auf sonst einen
überzeugenden Grund berufen“.
Walter Wiese, einst in führender Stelle in der NATO,
bringt Betrachtungen und Erfahrungen über den „Auswärtigen Dienst“ und zeigt,
dass auch hier die Rechtsgeschichte für die Praxis von Nutzen ist. Das wird
deutlich bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Standortes der auswärtigen
Gewalt sowie von Verwaltungskunst und Menschenführung.
Unter dem Titel „Gemeines Recht
heute: Das Kreuz des Südens“ macht Reinhard Zimmermann Bemerkungen zum
praktischen Nutzen der Rechtsgeschichte, um dann zum römischen Recht und
englischen Recht in Südafrika überzugehen – und auf einige Beispiele aus dem
Bereich des Schuldrechts zu sprechen zu kommen, wobei der Blick gleichzeitig
auf das Recht in Europa und in Südafrika ausgerichtet ist und Erfahrungen
ausgetauscht werden.
Brig Louis
Carlen