Der Sachsenspiegel, übers. und mit
einer Einleitung v. Kaller, Paul. Beck, München 2002.
XVI, 179 S.
Die
Sachsenspiegel-Forschung schloß die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit fünf
beachtlichen Übertragungen dieses bedeutenden, mittelniederdeutsch
geschriebenen Rechtsbuches ins Hochdeutsche ab. Kaller
beginnt das 21. Jahrhundert mit einer weiteren Übersetzung und muß sie nun an
denen seiner Vorgänger messen lassen. Dabei fällt schon eingangs auf, daß das
Bild auf dem Einband nicht, wie Kaller angibt, aus
der Oldenburger sondern aus der Wolfenbütteler Bilderhandschrift stammt und daß
die Konzentration „nur“ auf das Landrecht nicht aus dem Titel hervorgeht..
Diese Begrenzung der Arbeit auf die drei Bücher des Landrechts ist jedoch
keineswegs ungewöhnlich und hängt hier wohl mit der Zielstellung
des Übersetzers zusammen, allen an der mittelalterlich deutschen Kultur
Interessierten, Fachleuten wie Laien, speziell die Regeln über das Zusammenleben
unserer Vorfahren im Alltag vor Augen zu führen. Diese Tendenz ist in der
gesamten Veröffentlichung spürbar. Sie scheint dem ersten Anschein nach in der
Übersetzung durchaus zufriedenstellend gelöst zu sein. Doch bald ist man eines
Besseren belehrt.. Es stellt sich sehr schnell heraus, daß sich der Autor sehr
stark, ja weit über das Übliche hinausgehend eng an die
Sachsenspiegel-Übersetzung. I. Landrecht in hochdeutscher Übersetzung von K. A.
Eckhardt, Hannover 1967, Neuauflage Witzenhausen 1976, angelehnt hat, wie ein
Vergleich der Vorreden., sämtlicher Artikel des ersten Buches sowie jeweils der
etwa 15 ersten Artikel und ebenso viele der letzten Artikel des zweiten und des
dritten Buches ergeben hat. Dabei läßt die Übersetzung der Vorreden noch eine
gewisse Selbständigkeit erkennen, wenn auch bei der Vorrede von der herren geburt der wichtige Unterschied zwischen Schwaben und
Nordschwaben nicht deutlich genug heraus gearbeitet wird. Doch für den nun
folgenden gesamten Rechtstext herrscht die enge Anlehnung an Eckhardt vor. Kaller hat ferner übersehen, daß Eckhardts Vorlage für die
Übersetzung von 1967 die eigene kritische Landrechtsausgabe von 1955 gewesen
war und nicht, wie Kaller auf S. 7 betont, die
Eckhardt’sche Edition der kürzeren Quedlinburger Handschrift von 1966. Kaller kennt durchaus die Arbeiten seiner bekanntesten
Vorgänger in der hochdeutschen Übersetzung des Sachsenspiegels und geht auf sie
ein, wenn er im Glossarium die unterschiedlichen
Erläuterungen der im Text auftretenden Fachausdrücke zum Vergleich mit
heranzieht. Er zählt die Vorgänger im Vorspann zu seinem Glossar in äußerst
knapper Form auf, wobei an dieser Stelle Hirsch (1936) vergessen und „Eckhart
(1966)“ in Namen und Datum falsch bezeichnet wurde. Das schon angedeutete Bemühen,
mit einer einfachen, knappen Darstellung allen Interessenten gerecht zu werden,
kommt in der Einleitung zur Übersetzung wenig glücklich zur Geltung, weil hier
der doch sehr kurze Überblick für die ebenfalls angesprochenen Laien einfach
nicht ausreichend erscheint, ja, zu Mißverständnissen führen kann und muß. Zwei
Beispiele sollen das verdeutlichen. So ist die Formulierung auf S. 6 „daß man
den Inhalt des Rechtsbuches auf Karl den Großen zurückführte“ , ergänzt mit der
Fußnote „Gärtner, Zobell, Othmar, v. Zweym jeweils Glosse zu III 52 § 1“, insofern ungenau, als
daraus nicht hervorgeht, daß Johann von Buch diesem Irrtum erlegen war, der ihn
auch zur Abfassung der Glosse motiviert hatte. Er wurde in den Handschriften
weitergegeben, und auch die ersten namentlich bekannten Verleger von
Sachsenspiegel-Druckausgaben mit Glosse, wie Christoph Zobel (6 Ausgaben), Hans
Reinmann von Öhringen (Drucker: Hans Othmer), Alex
von Zweym, Carl Wilhelm Gärtner und andere, haben
diese unrichtige Auffassung weitergetragen, ehe seit den
Sachsenspiegel-Forschungen von Christian Ulrich Grupen
(1692-1767) und seiner bedeutenden Nachfolger im 19. Jahrhundert die
Autorschaft endgültig geklärt wurde. Auf S. 7 wird der berühmte
Sachsenspiegel-Forscher Carl Gustav Homeyer erwähnt, „dessen eigene Ausgabe auf
der Berliner Handschrift beruht“. Bei der großen Zahl Berliner Sachsensspiegel-Handschriften wäre hier der unbestimmte
Artikel eine oder die ergänzende Form „Berliner Handschrift von 1369“ genauer
gewesen. Es zeigt sich also, daß ein Literaturverzeichnis sehr angebracht
gewesen wäre. Vermutlich Druckfehler sind Serimut für
den sorbischen Gau Serimunt (S. 2) und prinzipibus statt principibus (S.
4).
Von dieser
neuen hochdeutschen Übersetzung des Sachsenspiegels und seiner sehr vereinfachten
Einführung bin ich enttäuscht.
Halle an
der Saale Rolf
Lieberwirth