Das Reichskammergericht am Ende des Alten Reichs und
sein Fortwirken im 19. Jahrhundert, hg. v. Diestelkamp, Bernhard (=
Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 41).
Böhlau, Köln 2002. IX, 305 S.
Lebenswerk des verdienten Herausgebers ist (auch) die Geschichte der obersten Gerichte des alten Reichs, vor allem natürlich sichtbar in den von ihm bewerkstelligten oder geleiteten Editionen, auch in vielen monographischen Leistungen und Entwürfen wie Leitung von Kongressen zum Thema wie Anregungen von Schülerarbeiten. Zeugte zuletzt die 1994 erschienene gehaltvolle Festschrift für ihn vom Beginn, der Blüte und dem Alltag von Hofgericht, Hofrat und Kammergericht (RKG) des Reichs, so ist hier das rechtliche und tatsächliche Ende, aber auch die „postmortale“ Wirksamkeit des RKG Thema eines Kolloquiums, dessen Beiträge in diesem Band vorgelegt werden.
Der Untergang des Reichs zog auch seine Organe in den Strudel. Eröffnet wird der Vortragsreigen von einer Studie Rita Sailers über einen Ausschnitt aus der Arbeit vor dem Chaos. Es geht um Auffassungen und Umsetzungen richterlichen Denkens in Staatsrecht und guter Polizei (den nicht aussprechbaren Modernismus von „cey“ vermeidet der Berichterstatter bewusst, ebenso wie plakatives Großschreiben von Attributen [„Altes“ Reich]; dass sich in der Zeit Begriffsinhalte wandeln, ist ja nun nichts Neues). Die Verfasserin betont zu recht die – relative – Unabhängigkeit des Gerichts gegenüber den Ständen. Die geltenden juristischen Standards werden an Hand der Proberelationen entwickelt; hier ackert die Referentin auf noch brachliegendem Land. Illustriert wird das Thema durch einzelne Verfahren im polizeirechtlichen Bereich, dem schwierigen und meist sehr politischen Komplex der Privilegien und Kontrollen ausgebracht aus der Kameralistischen Literatur.
Karl Härter widmet sich dem Verhältnis von Französischer Revolution und Reichskammergericht. Entscheidend war natürlich die nicht-revolutionäre Grundsituation im Reich, anders als in Frankreich. Bemerkenswert ist das beharrliche Weitermachen des Reichskammergerichts im Untergangsorkan des Reichs. Das Phänomen ist ja auch von zeitlich anderen Szenarien bekannt. Einige Beispiele aus der Praxis der Jahrhundertwende belegen aber auch den Einfluss revolutionär veranlasster Umstände auf das Gericht.
Zusammengefasst nur erwähnt (das ist keine Zurücksetzung der niveauvollen Beiträge) seien die Beiträge Eric-Oliver Maders, „Heilige Schulden“ des aufgelösten Reichs, über ein Problem, das 150 Jahre später im Rahmen des Art. 131 GG abermals gelöst werden musste und Wolfgang Burgdorfs über die Folgen des Untergangs der Reichskirche für die Mitglieder und Bediensteten des Klerus, für die die französische Seite natürlich nicht aufzukommen trachtete, zumal viele der Betroffenen den Rhein in Richtung Osten überschritten hatten.
Ernst Holthöfer beschäftigt sich mit der Kameraljurisprudenz des alten Reichs in seiner Spätphase. Zunächst muss er ein aktuelles Forschungsdefizit konstatieren, sieht zu Mitte des 18. Jahrhunderts eine deutliche Zäsur der erkennbaren Kameraljurisprudenz, nicht nur quantitativ. Es wird eine Typologie höchst interessanten Zuschnitts geboten, die (gerade auch im Blick auf die weitere Entwicklung der Literatur im 19. Jahrhundert) noch manche Diskussion auslösen könnte.
Das praktische Weiterleben der Streitigkeiten in den Territorien (Mecklenburg und preußische Rheinprovinz) ist dann der Abschluss des Bandes (Hans-Konrad Stein und Matthias Kordes).
Die Rezension von Sammelbänden ist immer problematisch. Je mehr Einzelbeiträge, desto dünner die Würdigung; manchmal bleibt nicht viel mehr als ein Abdruck des Inhaltsverzeichnisses. Das Haus der Erkenntnis der Reichskammergerichts-Geschichte ist noch nicht fertig, doch hat der Baumeister Diestelkamp viele tüchtige Steinmetze eingesetzt, deren Marken tragende Quader des Gewölbes zieren. Hier liegen sie beieinander, sind gefügt und finden sich zum Schlussstein mindestens eines der vielen Bögen, die das Gesamtgebäude fügen. Der „Bauhütte“ Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung ist Imponierendes gelungen.
Berlin-Dahlem Friedrich Ebel