Cuadernos de historia del derecho, hg. v. Departamento de
Historia del Derecho, Bd. 9. Servicio de publicaciones Universidad Complutense,
Madrid 2002. 364 S.
Der Band 9 der Madrider
rechtshistorischen Jahrbücher umfasst nahezu ausnahmlos spanischsprachige
Einzelstudien, deren Titel in dieser Rezension gleich auf Deutsch wiedergegeben
werden, um das Verständnis zu erleichtern. Zunächst ist der Beitrag von Pedro
Andrés Porras Arboledas zu erwähnen („Prozessurkunden aus dem beginnenden
16. Jahrhundert“), für den er drei Urkunden ausgewählt hat, denen gemeinsam
ist, dass sie in der Übergangsphase vom 15. zum 16. Jahrhundert
niedergeschrieben wurden und gleichzeitig Prozessfragen behandeln. Die erste Urkunde
dokumentiert einen Prozess, der vor der Kanzlei von Granada von den
Espartogras-Arbeitern von Jaén betrieben wurde, welche wegen der Verabschiedung
einer ihren Interessen widersprechenden städtischen Verordnung klagten. Die
beiden übrigen Urkunden vereinen jeweils Zeugnisse über Ordnungen zu
Gerichtsgebühren, die in Toledo für die ordentliche Gerichtsbarkeit und für
Gerichtsverfahren in den umliegenden Bergen erhoben wurden und die überdies die
Maßnahmen einbezogen, welche vom Rat aufgrund einer in seinem Gebiet
entstandenen Erkundung ausgeführt wurden. Es folgt ein Artikel von Maria
Dolores Madrid Cruz („Die Kunst der betrügerischen Verführung: Einige
Betrachtungen über die Delikte Schändung und Vergewaltigung am Gericht von
Bureo im 18. Jahrhundert“). Die Studie stützt sich auf Prozesse, die sich im
18. und 19. Jahrhundert vor dem Gericht von Bureo abspielten, einer
Sondergerichtsbarkeit, deren Hauptpersonen Palastdiener und –wächter waren. Aus
der Analyse der Entscheidungen resultiert, dass die Richter in praktisch keinem
Fall so urteilten, wie die anwendbaren Normen der Zeit dies vorsahen. Der
Aufsatz möchte zu beantworten versuchen, was das Gericht mit dieser Praxis
bezwecken wollte, und arbeitet dabei den wichtigen soziologischen Charakter des
Schändungsdelikts heraus.
Bereits in den Cuadernos Nr. 8
lieferte Mariana Moranchel Pocaterra den ersten Teil ihrer Forschungen
über „Die Verordnungen des Königs und des Obersten Rates der Indias von 1636“, den sie in diesen
Cuadernos komplettiert. Um die zur Analyse der Entwicklung des Indias-Rates notwendigen
Rechtsinstrumente zugänglich zu machen, sind die einschlägigen Verordnungen
auch denjenigen Normen gegenübergestellt worden, die in der Sammlung der Indias von 1680 aufgenommen wurden.
Raquel Medina Plana wirft darüber hinaus einen
kritischen Blick auf das „Das Sitzungsbulletin der Cortes des liberalen Trienniums“. Ausgehend von einer
theoretisch-methodologischen Überlegung über die Aufgabe des Historikers und
seiner Beziehung zu den Quellen, mit denen er arbeitet, stößt man rasch auf
eine Schwierigkeit in den Quellen, die, wenn sie Recht setzen, auch
gleichzeitig die Macht erhalten. Dies ist bei den zeitgenössischen
Parlamentstexten der Fall: Dabei dürfe die Forschung weder außer acht lassen,
dass der Diario de Sesiones (=
Sitzungsbulletin) nicht nur das Geschehen in den Cortes (= Parlament) zum Ausdruck bringe, sondern obendrein eine
Demonstration der Macht sei, die die Abgeordneten in Händen hielten. Von der
Warte einer Rechtsgeschichte aus gesehen, die kritisch sein möchte, lohnt es
sich, die Sichtweise des Konstitutionalismus auf die Probe zu stellen, der den Diario de Sesiones ohne weiteres als
einen Ausfluss des Öffentlichkeitsgrundsatzes ansieht, welcher der Verfassung
von 1812 innewohnt. Dazu ist es notwendig, zu ergründen, wie der Diario in den Cortes zu unterschiedlichen Zeiten verstanden wurde - in diesem
Fall konkret die Cortes des liberalen
Trienniums von 1820-1823. Hier wurde über sehr verschiedenartige Konzepte
gestritten, welche alle von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten bestimmt
waren, die den Staatsfinanzen im allgemeinen und dem „Unternehmen Redaktion Diario“ im besonderen zusetzten. Zwar
ging es darum, die Unterscheidung zwischen Diario
(= Sitzungsprotokoll) und Actas (=
Parlamentsakten) aus materiellen Gründen aufzuheben, und zwar wegen des
Problems, eine solch umfängliche Publikation wie den Diario zu finanzieren oder wegen der Zweckdienlichkeit eines
anderen Publikationstyps, der in Erscheinen und Verbreitung handhabbarer ist,
wie etwa die damals so mächtigen Zeitungen und Prospekte. Doch überwog immer
dasselbe liberale Konzept des Diario als Mittel der öffentlichen Meinungsbildung.
Ins Mittelalter führt Ignacio
Cremades Ugarte mit „Das Recht des Jakobusweges: Der Fall des gehenkten Pilgers“.
Seine Arbeit versucht, die rechtshistorische Beziehung zu einem wichtigen, auf
dem Jakobusweg passierten Wunder herauszustellen. Der Beitrag reiht sich ein in
eine gegenwärtige, mehr allgemein gehaltene Studie über das Recht des
Jakobusweges und das Recht der Heiligen. Das Wunder des gehenkten Pilgers wird
im Lichte der ältesten Texte betrachtet, welche mit ähnlichen Tatbeständen in
Beziehung stehen (etwa dem Fueros-Buch von Castiella). Diese Analyse wird durch
eine Darstellung der weltlichen und christlichen Motive des Gastungsrechts
vervollständigt sowie mit dem Versuch, die Ordalie (des Wunders) des
wiedererweckten Hahns und der Henne zu erklären. Die Arbeit trägt literarische
Züge und ist im Ton feierlich, bald ironisch, bald spielerisch, mitunter sogar
karnevalsmäßig.
Aus der mittelalterlichen
Rechtsgeschichte stammt noch ein Beitrag aus eigener Feder, in dem es um die
rechtliche Praxis der Gottesfrieden in Aquitanien geht. Zu zeigen ist, dass die
Friedensregeln dort im 11. Jahrhundert so präsent waren, dass sie womöglich zur
Lösung von Konflikten zwischen Kirche und weltlichen Herren dienten. Hierfür
sprechen nicht nur örtliche und zeitliche Nähe der jeweiligen Urkunden zu den
Konzilsorten und Konzilsdaten (Charroux 989, Poitiers 1000/14, Limoges 1031),
sondern auch die tatbestandlichen Parallelen zwischen abstrakter Friedensnorm
und konkretem Einzelfall der Rückübereignung von vorher usurpiertem Abteigut.
Saarbrücken Thomas
Gergen