Buda város jogkönyve (Das Rechtsbuch der Stadt Ofen), hg. v. Blazovich, László/Schmidt, József, Bd. 1, 2. Szegedi Középkortörténeti Könyvtár (Szegediner Mediävistische Bibliothek), Szeged 2001. 640 S.

 

Die Erforschung der mittelalterlichen ungarischen Stadtrechtsgeschichte kann auf ein neues Ergebnis verweisen: Die erste ungarischsprachige Ausgabe des Ofner Stadtrechtsbuches samt Kommentar, erstellt durch eine Autorengemeinschaft unter Führung von László Blazovich. Nun kann mehr und neues Licht in das Stadtleben während der Regierungszeit König Sigismunds des Luxemburgers dringen.

 

Das Ofner Rechtsbuch gehört zu den im 14./15. Jahrhundert verschriftlichten städtischen Rechtsaufzeichnungen und ist eine der umfangreichsten noch erhaltenen Quellen zum mittelalterlichen Recht im Königreich Ungarn. Es war die maßgebliche Rechtsquelle nicht nur in den führenden Handelsstädten des mittelalterlichen Königreichs Ungarn, sondern seine Regeln – um eine Metapher von Blazovich aufzugreifen – fielen stufenweise auch auf das Gemeindeleben und auf die Marktregeln der kleineren Städte der südlichen Tiefebene nieder. Herausragend sind die europäischen Bezüge dieses Stadtrechts, denn die zentrale königliche Freistadt Ofen, die zugleich Residenz der ungarischen Könige war, besaß umfassende Handelsverbindungen nach Süddeutschland, und die Oberschicht der Bevölkerung dieser Donauhandelsmetropole bildeten Kaufmannsfamilien, die aus süddeutschen Handelsstädten stammten.

 

Das Ofner Stadtrechtsbuch bietet dem Leser darüber hinaus auch Einblicke in die Entstehung des mittelalterlichen Rechts – es enthält untereinander vermengte Quellenmaterialien wie z. B. Rechtsgewohnheiten, städtische Freiheiten und Regelungen aus den königlichen Gesetzen. Im Rechtsbuch wurde das Stadtrecht auch noch mit subsidiärem Material gemischt – auf diese Weise wurden Zitate aus dem Schwabenspiegel und dem Sachsenspiegel, aber auch aus dem kanonischen Recht und aus dem Corpus Juris als eigenständige Rechtssätze in das Rechtsbuch als Ornament der Gelehrsamkeit aufgenommen. Außerdem findet man eine verschriftlichte Ordnung der Kaufmannschaft und der Handwerker, wodurch Gegenstände, Akteure und Rechtsgewohnheiten des städtischen Handels und Gewerbes gut rekonstruiert werden können.

Blazovichs Werk bewirkt nicht nur die Überwindung der sprachlichen Hürde, denn die nunmehr größere Zugänglichkeit des Ofner Stadtrechtsbuches für die ungarische Rechtsgeschichtsforschung trägt auch zur Überwindung der adelszentrierten juristischen Historiographie in Ungarn bei. Die jetzt in Ungarn entstehende Zivilgesellschaft sucht hingegen mehr Anknüpfungspunkte an die Geschichte des Bürgertums und wird dabei natürlich bei den Stadtrechten fündig. Ein interkultureller Vergleich ergibt interessante Parallelen der jetzigen ungarischen Rechtshistoriographie zur bundesdeutschen Wissenschaftsgeschichte in den 1950er Jahren: Während des Aufatmens nach der NS-Diktatur wurden auch in Deutschland die Städte und die Stadtbürgerschaft ins Rampenlicht der Forschung gestellt, wie die Arbeiten Wilhelm Ebels und Edith Ennens belegen. Doch hat dieser Weg in der ungarischen Rechtsgeschichtsschreibung erst begonnen, wie sich beim 34. Deutschen Rechtshistorikertag 2002 in Würzburg zeigte: Typischerweise in einer Sektion zur „Modernisierung der Rechtsordnungen“ trafen die adelszentrierten Betrachtungen und deren Kritiker aufeinander. Die in den Arbeiten von László Blazovich vertetenen neueren Ansätze der Stadtrechtsforschung liefern dazu eine fundierte Stellungnahme. Zudem ist es dank der ungarischen Übersetzung jetzt mehr möglich, die Europaverbundenheit der ungarischen Rechtsentwicklung im Rechtsunterricht herauszustellen.

 

Der Herausgeber László Blazovich, ein bereits durch mehrere Publikationen ausgewiesener Experte der Verfassungs- und Rechtsgeschichte der ungarischen Städte in der südlichen Tiefebene, besitzt als Archivdirektor und Rechtshistoriker an der Universität Szeged auch eine Affinität zum genius loci. Die Arbeit ist in einer namhaften Reihe erschienen, in der führende ungarische Mediävisten publizieren, was auch die Stärke der mediävistischen Werkstatt der Universität Szeged um Gyula Kristó und Ferenc Makk belegt.

 

Im ersten Band und als Einleitung werden die mittelalterlichen deutschsprachigen Rechtsaufzeichnungen kurz vorgestellt, für ungarische Leser eine lexikonartige und prägnante Zusammenfassung. Der Verfasser kennt sich im Begriffswald der neueren Stadtforschung gut aus; insbesondere die Lehre der coniuratio als zentralem Ansatzpunkt der Stadtbürgergemeinde und ihres Rechts interpretiert er souverän. Auch die Forschungsgeschichte des ungarischen Stadtrechts ist ein gelungener Abschnitt; die neuesten Ergebnisse der Sprach- und Rechtsgeschichte werden zutreffend erläutert. Ein leserfreundliches Register ermöglicht den Einstieg auch für Querleser; hervorzuheben sind auch die sorgfältig zusammengestellten Bilder.

 

Die Art der Darstellung spiegelt die Umbruchssituation der ungarischen Historiographie: Von der positivistisch-dogmatischen Methodik des späten 19. Jahrhunderts wird langsam Abschied genommen, und die Gliederung starr nach Rechtszweigen wird jedenfalls weitgehend aufgegeben. Stattdessen werden sachbezogene Fragestellungen formuliert, hier vor allem nach den Schichten des Stadtrechts. Die Normen werden nun nicht mehr als lebendige Wesen angesehen, für die eine Art zoologischer Betrachtung genügt, sondern auf die Berücksichtigung gesellschaftshistorischer Gesichtspunkte kann jetzt auch in der ungarischen Rechtsgeschichte nicht mehr verzichtet werden. „Ad fontes“ also im besten Sinne: Die ungarische Rechtsgeschichte kann so nicht nur für ungarische Leser, sondern in der Gesamtschau mit den älteren deutschsprachigen Ausgaben des Ofner Stadtrechts auch für die abendländische Rechtskultur im 21. Jahrhundert wichtige Beiträge zur Identitätsuche liefern. Die Beiträge der Arbeitsgemeinschaft um László Blazovich gehören damit zu einer neuen Epoche der ungarischen Rechtsgeschichtsschreibung: Von der Ära der ideologisch verdrehenden Rechtsinterpretationen, von dem Schweigen der musae und vom methodologischen Vakuum nimmt man Abschied zugunsten einer quellennahen Rechtshistoriographie, die auf die Herausforderungen der Zivilgesellschaft antwortet und neuere methodisch fundierte Studien aufgrund interkultureller wissenschaftlicher Verbindungen rezipiert.

 

Frankfurt am Main                                                                                            Katalin Gönczi