Bergemann, Hans/Ladwig-Winters, Simone, Für ihn brach die Welt, wie er sie kannt, zusammen …. Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam. Verlag Otto Schmidt. Köln 2003. III, 156 S.
Eine Zusammenstellung der Namen sollte es sein, nichts weiter als eine Liste der nach 1933 aus antisemitischer Motivation verfolgten Rechtsanwälte in Berlin. Danach hatte 1995 der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Tel Aviv die Rechtsanwaltskammer Berlin gefragt. Doch nicht einmal ein derartiges Register gab es, fast sechzig Jahre nach der Vertreibung der letzten jener Anwälte, die aus NS-Sicht jüdisch waren. So grundlegend und detailreich auch die bereits vorliegenden Bücher von Horst Göppinger und Tillmann Krach waren,[1] auf Vollständigkeit zielten sie nicht ab.
Simone Ladwig-Winters wurde mit den Recherchen beauftragt, aus denen 1998 eine umfangreiche und präzise Studie hervorging.[2] Vielleicht noch wichtiger war, daß dazu die Begleitausstellung „Anwalt ohne Recht“ entstand, die – um jeweils lokale Schwerpunkte ergänzt – in den letzten Jahren in vielen deutschen Städten gezeigt wurde und wiederum viele Lokalstudien über das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte im Dritten Reich angeregt hat. Die meist schmalen, einzelnen Städten gewidmeten Broschüren bieten – neben kurzen, eher allgemein gehaltenen Darstellungen zur Situation der Juden im Dritten Reich und zur Verdrängung jüdischer Juristen aus ihren Berufen – allerdings fast ausschließlich breite Dokumentationen einzelner Lebensläufe. Die dabei gesammelten biographischen Daten wurden jedoch meist weder mit den Mitteln der Rechtsgeschichte noch mit den Methoden der Antisemitismusforschung analysiert. Die Erinnerung überwog die Wissenschaft, zumal universitäre Rechtshistoriker erstaunlicherweise an der Ausstellung kaum und auch an den Publikationen nur selten beteiligt waren.
Mit dem nunmehr vorgelegten Buch über die antisemitische Verfolgung von Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam kann die Historikerin Simone Ladwig-Winters (zusammen mit ihrem Co-Autor Hans Bergemann) die bei ihrem Berliner Buch gesammelten methodischen Erfahrungen nun auf das Potsdamer Beispiel anwenden. Damit gelingt eine Studie, die in der ersten Hälfte des Buches die regionale mit der allgemeinen Geschichte der Verfolgung „jüdischer Juristen“[3] auf hohem Niveau verknüpft und so das leistet, woran es bei vielen der erwähnten anderen Lokalstudien eher fehlt.
Angeregt worden ist das Buch durch den Präsidenten des Landgerichts Potsdam, Hans-Jürgen Wende. Auch deshalb wird die bisher übliche – aus der Genese der erwähnten Ausstellung erklärbare, aber rechtshistorisch wenig hilfreiche – Verengung auf Rechtsanwälte aufgegeben. Richter und Staatsanwälte werden einbezogen (S. 39ff. et al.), nur eine systematische Recherche nach Volljuristen jenseits dieser drei Berufe war nicht möglich (S. 13).
Potsdam ist zugleich ein Untersuchungsgegenstand, der letztlich typischer ist als Berlin, wo nach 1933 rund 50% der Anwälte aus NS-Sicht als jüdisch galten. In der „regional bedeutsamen Mittelstadt“ Potsdam hingegen wurde nach den sich „erheblich“ wandelnden Kriterien der Nazis hingegen rund 1/4 der Juristen als jüdisch eingestuft (S. 13f.). Daher gelang es, diese Personen im Vergleich mit Berlin schneller aus dem Beruf zu drängen (S. 48). Und was in anderen Lokalstudien festgestellt wurde, gilt auch für Potsdam: „Aus dem Kreis der nichtjüdischen Anwälte regte sich wenig Widerstand gegen die Ausgrenzung der Kollegen“ (S. 49).
Mit kurzen Ausführungen zum „Referendarlager Hanns Kerrl“ in Jüterbog weisen die Autoren dann auf eine Forschungslücke hin: Diese Schulungen in dem bei Potsdam gelegenen Jüterbog waren heute wie damals berüchtigt, sind aber bislang – soweit ersichtlich – nicht systematisch untersucht. Nur das Photo mit dem „erhängten Paragraphen“ ist vielfach zur Illustration verwandt; schon die Teilnehmer sind aber bislang vor allem aus (Auto-)Biographien bekannt. Sebastian Haffner hat, was die Autoren noch nicht berücksichtigen konnten, dazu jüngst eine eindringliche Schilderung vorgelegt.[4] Kritisch anzumerken ist nur, daß Otto Palandt, (Vize-)Präsident des Reichs-Justizprüfungsamtes und ein engagierter Befürworter jener Gemeinschaftslager, bei Ladwig-Winters zu einem „der bedeutenden Kommentatoren“ des BGB wird (S. 50), obwohl er jenseits von Einleitungen keine Zeile an dem nach ihm benannten Kommentar verfaßt hat.[5]
Die weiteren Phasen der Ausgrenzung und Verfolgung sind grundsätzlich bekannt, die Autoren können am Beispiel Potsdam jedoch insbesondere das Zusammenwirken der NS-Instituitionen eindringlich und detailgenau belegen; auch die Verzahnung von antisemitisch motivierten Aktionen und verteidigenden Reaktionen der Betroffenen wird umfassend dargestellt und nicht durch eine emotionalisierende Betrachtung verdeckt. Beeindruckend ist auch, daß die Emigration genau recherchiert wird und im zweiten, nach Biographien geordneten Teil des Buches von den Autoren erstaunlich viel Material über die verfolgten „jüdischen Juristen“ zusammengetragen werden konnte.
Wie Cornelia Essner kürzlich gezeigt hat, beruhte die Dynamik der Ausgrenzung und Verfolgung bis in die späten 1930er Jahre aus der gegenseitigen Verstärkung von nationalkonservativen Juristen und von SA- und SS-Kreisen;[6] es gab keine, wie noch bei Andreas Rethmeier behauptet wird,[7] bremsende Wirkung, die von jenen nationalkonservativen Juristen ausging.
Die beiden Thesen bedürfen zwar noch weiterer Diskussion, unter anderem weil in der geschichtswissenschaftlichen Habilitationsschrift von Essner die Arbeit von Rethmeier, eine juristische Dissertation, überraschenderweise nicht vorkommt. Das Buch von Ladwig-Winters und Bergemann über die Vertreibung der „Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam“ belegt aber eher Essners These, denn mäßigende Eingriffe von Justizbehörden aufgrund von Normen waren jedenfalls in Potsdam sehr selten.
Frankfurt am Main Thomas Henne
[1] Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“. Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl. München 1990; Tillmann Krach, Jüdische Rechtsanwälte in Preußen. Bedeutung der freien Advokatur und ihre Zerstörung durch den Nationalsozialismus, München 1991.
[2] Anwalt ohne Recht: Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, Berlin 1998.
[3] Der Begriff „Juristen jüdischer Herkunft“ (in Buchtiteln verwendet außer bei Ladwig-Winters/Bergemann auch z.B. bei Helmut Heinrichs u.a. [Hrsg.], Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, dort S. IX f. eine Begründung für diese Terminologie) ist nicht vorzugswürdig, weil damit die getauften Mitglieder dieser Gruppe nur dann erfaßt sind, wenn „Herkunft“ als eine unveränderbare Kategorie verstanden wird, obwohl vor und nach der Herrschaft des rassisch motivierten Antisemitismus die Taufe für die meisten Zeitgenossen das „Jüdischsein“ vollständig beseitigt(e). Zudem erscheint es wenig adäquat, einem (nicht getauften) Juden eine bloß „jüdische Herkunft“ zuzusprechen. Außerdem würde niemand, auch nicht in der heutigen säkularisierten Gesellschaft, von „Juristen christlicher Herkunft“ sprechen, so daß jene Terminologie auch (aus heutiger Perspektive) eine abgesonderte und – mangels Analogon auf christlicher Seite – isolierte Gruppe konstituiert. Als sprachlich kurzer Oberbegriff ist daher „jüdische Juristen“ (in Anführungszeichen) passender.
[4] Zuerst publiziert in DIE ZEIT 21/2002; außerdem in den Auflagen von Haffners Geschichte eines Deutschen, die seitdem publiziert wurden, z.B. in der Taschenbuchausgabe München 2002, S. 253 ff.
[5] Lediglich das Vorworte und Einleitungen zum „Beck’schen Kurz-Kommentar Nr. 7“ waren seine Beiträge. Dazu ausführlich Klaus Slapnicar, Der Wilke, der später Palandt hieß, NJW 2000, S. 1692 ff. (1695).
[6] Die „Nürnberger Gesetze“ oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945, Paderborn 2002. Dazu die Rezension von Werner Schubert, ZRG Germ. Abt. 121 (2004).
[7] „Nürnberger Rassegesetze” und Entrechtung der Juden im Zivilrecht, Frankfurt/M. 1995 (= Rechtshistorische Reihe, Bd. 126).