Austermühle,
Gisa, Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen
Geheimsphärenschutzes vom Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des Deutschen
Reiches (= Schriften zur Rechtsgeschichte 91). Duncker
& Humblot, Berlin 2002. 214 S.
Die Verfasserin
hat es sich zur Aufgabe gemacht, die historischen Wurzeln des
Privatsphärenschutzes vom deutschen Spätabsolutismus bis zur Gesetzgebung des
Deutschen Reiches aufzuzeigen. Sie beschäftigt sich also mit einem Gegenstand,
der kaum losgelöst von der Entwicklung zum Rechtsstaat in Deutschland
betrachtet werden kann.
Da die
persönliche Geheimsphäre als eine gegen staatliche Überwachung gerichtete
Rechtsposition begriffen wurde, legt die Verfasserin den Schwerpunkt der
Untersuchung auf die Staatsrechtslehre, das Verfassungsrecht und das Straf- und
Strafprozessrecht. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Sie beginnt nach
einer Einleitung mit der Zeit des deutschen Spätabsolutismus; der 2. Teil ist
dem 19. Jahrhundert bis zur Entstehung des Reiches 1871 gewidmet. Im 3. Teil
beschränkt Verf. sich für die nachfolgende Zeit auf die
Reichsstrafprozessordnung und das Reichsstrafgesetzbuch.
Die Verfasserin
stellt im 1. Teil fest, dass die Idee eines schutzbedürftigen persönlichen
Geheimnisbereichs zum ersten Mal in der staatsrechtlichen Literatur des
deutschen Spätabsolutismus thematisiert worden ist. Sie ortet hier die Wurzeln
des modernen Privatsphärenschutzes. Gefordert wurden neben Teilgarantien für
eine persönliche Geheimsphäre u. a. der Schutz des Familienlebens vor
staatlicher Ausforschung, das Briefgeheimnis und das Zeugnisverweigerungsrecht.
Alles dies galt es gegenüber dem ius inspectionis, das dem Herrscher als Majestätsrecht
zugestanden wurde und ihm ein Mittel gab, unter dem Vorwand der
Wohlfahrtsförderung in den privaten Lebensbereich der Untertanen einzugreifen,
abzugrenzen. Die Verfasserin versucht, die Grenzen des ius inspectionis (u. a. bei Pütter, Häberlin, Nettelbladt und v. Martini) und in der Polizeiwissenschaft
der Aufklärung (vor allem bei v. Justi und v. Pfeiffer) zu bestimmen und
arbeitet den Kern eines ersten Schutzes der persönlichen Geheimsphäre, nämlich
die Unverletzlichkeit des Hausfriedens, heraus. Im Strafprozessrecht wurden im
Zuge der Aufklärung sowohl die Hausdurchsuchung gesetzlich geregelt als auch
ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt. Gleichzeitig sind im Strafrecht
Ansätze eines persönlichen Geheimnisschutzes zu erkennen. Tatbestände wie die
Verletzung des Post- und Briefgeheimnisses, Hausfriedensbruch und die
Verletzung des Berufsgeheimnisses wurden gesetzlich geregelt.
Nach Ansicht der
Verfasserin ging der wesentliche Einfluss auf die Entwicklung eines
persönlichen Geheimnisschutzes von der staatwissenschaftlichen Literatur aus.
Insbesondere die Liberalen Süddeutschlands lehnten das ius inspectionis ab, weil sie darin ein
Mittel sahen, mit dem die Regierenden die Freiheitsrechte der Bürger beliebig
weit beschränken konnten. Als erste deutsche Verfassung garantierte die kurhessische
von 1831 das Briefgeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ehe die
Frankfurter Reichsverfassung einen umfangreichen Schutz bot, der später im Zuge
der Verfassungsgesetzgebung in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes, u. a.
besonders deutlich in Preußen, erheblich zurückgenommen wurde. Vermisst wird
für das 19. Jahrhundert die Herstellung eines Zusammenhangs mit der
Grundrechtsentwicklung, gleichgültig, ob man nun die in den frühen und den nach
1830 entstandenen Verfassungen den Bürgern garantierten Rechte als Grundrechte
qualifiziert oder nicht. Die Aufnahme des Rechts auf Unverletzlichkeit der
Wohnung und des Briefgeheimnisses in die Verfassungen und die gleichzeitige
gesetzliche Regelung im materiellen Strafrecht und im Strafprozessrecht lässt
sich nicht lösen von dem wichtigen Prozess der Ausbildung von Grundrechten. Es
fehlt die Verbindung zur Entwicklung rechtsstaatlicher Bestrebungen in
Deutschland. Wer diesen Zusammenhang nicht herstellt, wird dem Rang so
wichtiger Rechte, wie Unverletzlichkeit der Wohnung und Briefgeheimnis nicht
gerecht. Schließlich hat ja auch der Grundrechtsteil der Frankfurter
Paulskirchenverfassung die strafprozessuale Entwicklung befördert, indem u. a.
gesetzlich geregelt wurde, dass Wohnungsdurchsuchungen nur noch aufgrund einer
richterlichen Anordnung zulässig sein sollten (§ 140 FRV). Daneben wurden im
Strafprozessrecht die Beschlagnahme von Briefen und anderen Unterlagen
erschwert; das Zeugnisverweigerungsrecht wurde ausgebaut. Im materiellen
Strafrecht erlangte der Geheimnisschutz immer mehr Bedeutung.
Da die
Reichsverfassung von 1871 keinen Grundrechtsteil enthielt, beschränkt die
Verfasserin sich für die Zeit nach 1871 auf die Entwicklung von Strafprozess
und materiellem Strafrecht. Reichstrafprozessordnung und
Reichsstrafgesetzgebung führten im wesentlichen die in den Einzelstaaten des
Deutschen Bundes in Gang gesetzte Entwicklung fort. Die Tatbestände der
Bewahrung eines privaten Geheimbereichs im Sinne eines selbständigen
Schutzgutes waren nun anerkannt.
Die Untersuchung
führt zu einer Reihe neuer Erkenntnisse über die Entwicklung eines persönlichen
Geheimsphärenschutzes. Ob es sinnvoll ist, in einer solchen Arbeit, die in der
Zeit des Spätabsolutismus beginnt, die privatrechtliche Entwicklung in diesem Bereich
ganz außer Acht zu lassen, soll nicht näher thematisiert werden. Zu vermerken
ist aber, dass die Verfasserin die von ihr dargestellte Entwicklung nicht in
den großen Prozess der Ausgestaltung rechtsstaatlicher Bestrebungen in
Deutschland gestellt hat. Dies vermag allerdings den guten Ertrag der Untersuchung
nicht zu verdecken.
Hagen Ulrich
Eisenhardt