Appel, Susanne, Reisen im Nationalsozialismus. Eine
rechtshistorische Untersuchung (= Schriften zum Reise- und Verkehrsrecht 3).
Nomos, Baden-Baden 2001. 140 S.
Thema des
Werkes von Susanne Appel ist die nationalsozialistische Urlaubs- und
Fremdenverkehrspolitik aus rechtshistorischer Perspektive, ohne daß dabei die
sozialhistorische Seite der Thematik ausgeklammert wurde. Darüber hinaus sollte
untersucht werden, „ob und inwiefern der in der NS-Zeit existente Tourismus für
den Massentourismus in der Bundesrepublik nach dem Zusammenbruch des Dritten
Reichs Auswirkungen hatte. War die nationalsozialistische Urlaubspolitik
notwendige Etappe auf dem Wege zum Massentourismus, wie wir ihn heute kennen,
oder fand diese Politik mit dem Zusammenbruch des Systems und dem Ende des
Zweiten Weltkriegs ebenfalls ein Ende?“ (S. 10). Nach einem kurzen Überblick
über den nationalsozialistischen Staat (S. 13ff.) behandelt die Verfasserin
zunächst die „Urlaubsfrage“. Für Reisen im größeren Stil war Voraussetzung der
bezahlte Urlaub. Eine Pflicht zur Urlaubsgewährung war bereits in dem Entwurf
eines Allgemeinen Arbeitsvertragsgesetzes von 1923 vorgesehen, das jedoch nicht
zustande kam. Rechtlich geregelt war der
Urlaub in den Tarifverträgen; so sah der Tarifvertrag für den
Mitteldeutschen Braunkohlebergbau von 1929 drei Arbeitstage Urlaub nach
einjähriger, vier Urlaubstage nach zweijähriger Beschäftigung vor (S. 25). Auch
in der NS-Zeit war der Urlaub des Arbeitnehmers gesetzlich nicht ausdrücklich
geregelt. Ein Urlaubsanspruch wurde – anders nur bis 1938 das
Reichsarbeitsgericht – aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des § 2 Abs. 2 des
Arbeitsordnungsgesetzes von 1934 hergeleitet. Umgesetzt wurde diese
Verpflichtung in den Richtlinien der Treuhänder der Arbeit und in den
Tarifordnungen, die durchschnittlich einen Urlaub von sechs bis zwölf Tagen,
vereinzelt auch bis zu achtzehn Tagen vorsahen (S. 34). Lediglich für
jugendliche Arbeitnehmer wurde die Urlaubsdauer im Gesetz von 1938 über die
Kinderarbeit und die Arbeitszeit von Jugendlichen festgelegt.
Pauschalreisen
wurden angeboten von privaten Reiseveranstaltern (Reisebüros) und von der
NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF). Nach der Verordnung vom 24.10.1934
über Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront (DAF) war sie Trägerin der KdF,
die sich bald zum größten Reise- und Freizeitveranstalter der Welt entwickelte.
Die Mitgliedschaft als Einzelmitglied bei der DAF bedeutete gleichzeitig
Mitgliedschaft bei KdF. Die KdF war am 27. 11. 1933 nach dem Vorbild der
italienischen Feierabendorganisation „Dopolavoro“ (S. 50) gegründet worden und
war entsprechend der NSDAP-Organisation in jedem Gau, in den Kreisen und in den
Gemeinden (mit Ortsgruppen) vertreten. Die Gründe für die Veranstaltung von
KdF-Reisen waren Propaganda, Volksertüchtigung und Volkserziehung sowie
Wirtschaftsförderung (vor allem in wirtschaftlich unterentwickelten
Grenzgebieten). Ziel der KdF war es, den Arbeitnehmer „auch im Bereich des
Unpolitischen zu erfassen“ (S. 53), diesen Bereich also einer verdeckten
politischen Kontrolle zu unterwerfen. Da die Akten der NS- Gemeinschaft KdF,
insbesondere des Amtes „Reisen, Wandern, Urlaub“ nicht überliefert sind, ist
über die Praxis der sog. „Teilnahmebedingungen“ nur wenig zu ermitteln gewesen.
Ein Rechtsanspruch auf Durchführung der Reise bestand nicht, ein Rücktritt von
der Reise war nur sehr beschränkt möglich. Prozesse über Reisemängel bei
KdF-Reisen hat es offenbar nicht gegeben, zumal die Urlauber keine gleichberechtigten
Vertragspartner waren. – Ein weiterer Abschnitt befaßt sich mit der Ordnung des
Fremdenverkehrs. Der Reichsausschuß für Fremdenverkehr wurde durch ein Gesetz
vom 26. 6. 1933 installiert; ihm oblagen im wesentlichen die Zusammenfassung
und Leitung der Maßnahmen zur Förderung des Fremdenverkehrs für das
Reichsgebiet. Der erst durch Gesetz vom 26. 3. 1936 geschaffene
Reichsfremdenverkehrsverband – Vorläufer war der Bund deutscher
Verkehrsverbände und Bäder – hatte detailliertere Aufgaben als der Reichsausschuß.
Der Verband sollte „der Zersplitterung und der daraus folgenden Kraftlosigkeit
der früheren Fremdenverkehrsförderung ein Ende setzen durch eine zielklare und
straffe Führung“ (S. 79). Die Reisebüros unterfielen der Reichsverkehrsgruppe
„Hilfsgewerbe des Verkehrs“, welche die 1921 gegründete Vereinigung deutscher
Reisebüros e. V. ersetzte. Das Gesetz über die Ausübung der Reisevermittlung
vom 26. 1. 1937 hob das Verbot der Errichtung neuer Reisebüros vom Juni 1933
auf und sollte nach der NS-Literatur den Schutz des Publikums vor unseriösen
Geschäftemachern und Geschäftspraktiken sichern. Nach dem Gesetz konnte die
Ausübung der Reisevermittlung, vor allem die „Vermittlung von vorübergehender
Unterkunft oder Verpflegung ganz oder teilweise untersagt werden, wenn
Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in
bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun“. Wie die 1. DVO vom 22. 2. 1937 zeigt,
diente diese Norm auch der Kontrolle des politischen Wohlverhaltens der
Reisebüroinhaber. Allerdings hatte das Gesetz bis 1939 mit nur 49 tatsächlichen
Untersagungen nur eine geringe Wirkung.
Nach den
Anordnungen der Reichsverkehrsgruppe „Hilfsgewerbe des Verkehrs“ durfte Reisen
nur vermitteln, wer ein Reisebüro oder Reisemittler war. Erstmals definiert
wurden Begriffe wie Gesellschaftsreisen, Sonderfahrten, Pauschalreisen.
Pauschalaufenthalte und Ausflugsfahrten. Relativ knapp, da wohl einschlägiges
Material kaum überliefert ist, behandelt die Verfasserin die Rechtsbeziehungen
des Reisebüros zu den Kunden anhand der offiziellen Allgemeinen
Reisebedingungen. Nach einem kurzen Abschnitt über das Verhältnis der Fremdenverkehrseinrichtungen
zur NS-Gemeinschaft KdF – das KdF-Amt „Reisen“ gab es Anfang 1943 nicht mehr –
geht die Verfasserin auf das Urlaubsrecht während des Krieges sowie das Reisen
und die Reisebüros während dieser Zeit und anschließend in einem Ausblick auf
die Nachkriegsentwicklung ein. Die Bestimmungen des Reisevermittlungsgesetzes
waren bis 1961 in Geltung. Danach zählt das Reisegewerbe weiterhin zu den überwachungsbedürftigen
Gewerbezweigen. Ein „Sozialtourismus“ (veranstaltet vom DGB, der DAG und dem
Deutschen Beamtenbund) konnte sich im Gegensatz zur DDR in der Bundesrepublik
nicht durchsetzen. Die Maßnahmen der NS-Zeit auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes
können mit der Verfasserin „als fortschrittlich und verbraucherfreundlich“ (S.
124) bezeichnet werden. So enthielt bereits die 1. Anordnung des Leiters der
Reichsverkehrsgruppe „Hilfsgewerbe“ die ausdrückliche Verpflichtung der
Reiseveranstalter auf die Grundsätze der Prospektwahrheit und -klarheit.
Schließlich hat die Urlaubspolitik der NS-Zeit zur Beschleunigung der
Entwicklung der modernen Pauschalreise geführt: „Die Ankurbelung des Fremdenverkehrs
auf dem Privatsektor, insbesondere jedoch die ‚Kraft durch Freude‘-Reisen schufen
im Zusammenspiel mit der Urlaubspolitik im engeren Sinn erst das Bedürfnis und
weckten die Reiselust.“ Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der verbands- und
organisationsrechtlichen Seite des Fremdenverkehrs, wenn man von der
Darstellung des Urlaubsrechts einmal absieht. Dagegen ist die Rechtsstellung
des Urlaubers nach den Teilnahmebedingungen der KdF und der Allgemeinen
Reisebedingungen der Reisebüros allzu knapp behandelt worden. Ob für letztere detailliertere
Verbindungslinien zur Weimarer Zeit und zur Anfangszeit der Bundesrepublik zu
ziehen sind, ist kaum angesprochen, wie auch die eingangs zitierte
Fragestellung der Verfasserin für die Bundesrepublik nur knapp angesprochen
wird. Überhaupt nicht behandelt wurden die Erholungsreisen des FDGB und deren
Reisebedingungen, nach der Verfasserin wäre dies „ein eigenes Thema“ (S. 122).
Aufschlußreich wäre es auch gewesen, wenn die Verfasserin ergänzend noch die
Entwicklung des Reiserechts im Ausland – vor allem in Italien – während der
dreißiger Jahre im Rahmen einer vergleichenden Rechtsgeschichte herangezogen
hätte, da zu vermuten ist, daß die deutsche Entwicklung nicht ganz singulär
war. Alles in allem liegt mit der Studie der Verfasserin eine angenehm zu
lesende Untersuchung über die Anfänge des modernen deutschen Reiserechts vor,
die der rechtshistorischen Forschung ein weiteres wichtiges Rechtsgebiet des
20. Jahrhundert erschließt und weiterführende Arbeiten anregen sollte.
Kiel Werner
Schubert