Ad Fontes.
Europäisches Forum junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker Wien 2001,
hg. v. Feldner, Birgit/Halbwachs, Verena
Tiziana/Olechowski, Thomas/Pauser, Josef/Schima, Stefan/Sereinig, Andreas.
Lang, Frankfurt am Main 2002. 411 S.
Das Generalthema (Ad fontes) der 7. Tagung des Europäischen Forums legte
Vorträge zu Quellenbereichen und methodischen Fragestellungen nahe. So befassen
sich A. Baumann und E.
Ortlieb mit dem Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit
(Reichsgericht und Reichshofrat), Chr.
Birr mit den Weistümern
und ländlichen Rechtsquellen sowie Ch. Börner
mit dem New Yorker Kodifikationsentwurf (Field Civil
Code) von 1865. A. Deutsch erschließt
die Quellen zur Salzgerichtsbarkeit von Schwäbisch Hall, während St.
Ehrenpreis/A. Gotzmann/Stephan Wendehorst das Projekt zur Untersuchung der
die Juden betreffenden, durch nichtjüdische und jüdische Gerichte während des
alten Reichs ergangenen Rechtsprechung vorstellen, von denen sich die Autoren
einen neuen Zugang zur rechtlichen Lage der Juden in der frühen Neuzeit
erhoffen. Die vier Beiträge zum antiken Recht (friedenserhaltende Maßnahmen im
antiken Völkerrecht von D. Gottwald;
Inge Kroppenberg über die Sicherung der Mitgift; J.-D. Rodríguez
Martín über
den Vollstreckungsprozess ohne Urteil und V. Heutger über die Sonntagsgesetze des 4. und 5.
Jahrhunderts n. Chr.) weisen auf die ungebrochene Attraktivität dieses
Forschungsgebiets hin. Unter den Beiträgen zum 19. Jahrhundert ist vor allem
bedeutsam der Aufsatz von A. Aragoneses über Raymond Saleilles
und die Strafrechtswissenschaft in Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts. Saleilles, vor allem bekannt als Privatrechtler und Kenner
des deutschen Zivilrechts, veröffentlichte 1898 die Monographie über die „Individualisation de la peine“,
die auch heute noch für das Verständnis der im Frankreich zur Jahrhundertwende
vertretenen Strafrechtstheorien sehr aufschlussreich ist. Saleilles
versuchte zwischen der unter dem Einfluss Kants stehenden klassischen Schule
und der modernen Schule (Franz von Liszt und Karl Stoos),
die er dem französischen Publikum detailliert vorstellte, zu vermitteln. Sein
Ziel bestand in einer Vereinigung der deterministischen Ideen, die in
Frankreich insbesondere von Lacassagne vertreten
wurden, und der in Frankreich noch herrschenden, auf Freiheit gegründeten Theorien,
die Saleilles religiös-theologisch rechtfertigte,
hinsichtlich der Individualisierung der Strafe zu vereinigen. Dieses Ziel wurde
allerdings erst mit der sozialwissenschaftlichen Methode Émile
Durkheims, der den Einfluss des Milieus akzeptierte, ohne aber die menschliche
Freiheit zu negieren, erreicht. Nach Aragoneses war
das Werk von Saleilles, das den Meinungsumschwung in
Frankreich vorbereitete, ein typisches Werk des fin
de siècle. Die von ihm angekündigte Edition der
Briefe von Saleilles an Eugen Huber dürfte für die
historische Rechtsvergleichung von großem Interesse sein. - In ihrem Beitrag
über die Dampfkesselüberwachung in Preußen zwischen Fremd- und Selbststeuerung
(1870-1914) arbeitet Ina vom Feld das
Mischmodell der Überwachung zwischen „staatlich-imperativer Steuerung,
kooperativer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung mit einer
gewissen Phasenverschiebung hin zur kooperativen Steuerung“ (S. 138) heraus.
Nach ihr wirkte das Haftpflichtrecht des Haftpflichtgesetzes von 1871 stärker unfallverhütend, als die Forschung bisher annahm, da das
Gesetz die Unternehmer zu erhöhten Sicherheitsanstrengungen veranlasste. – K. Gönczi berichtet
über den beträchtlichen juristischen Wissenstransfer von Deutschland nach
Ungarn im 19. Jahrhundert, ingesamt ein wichtiger
Beitrag zur Geschichte der Rezeption im Zeitalter des Nationalismus. - Mit
einem zeitgeschichtlichen Thema befasst sich Th. Henne in seinem Beitrag über die Mephisto-Entscheidungen
der deutschen Gerichte. Henne zeigt auf, wie die Justiz mit ihren Mitteln den
jeweiligen Stand des Modernisierungsprozesses spiegelte und die
rechtsgeschichtliche Analyse der Mephisto-Prozesse damit den Blick auf ein
Stück Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik eröffnet, die allerdings in
rechtsgeschichtlicher Hinsicht noch schärfer zu profilieren wäre, als es in dem
Beitrag Hennes möglich war. Diese und die weiteren
hier nicht referierten Beiträge insbesondere aus Italien zeigen das breite
Spektrum internationaler Forschungstätigkeit sowie die Themen- und
Methodenvielfalt auf, die für die heutige Rechtsgeschichte kennzeichnend ist.
Auf die weiteren Arbeiten der in diesem Band vertretenen 25 Autorinnen und
Autoren darf man gespannt sein.
Kiel |
Werner Schubert |