Frotscher, Werner/Pieroth, Bodo,
Verfassungsgeschichte, 3. Aufl. Beck, München 2002. XXII, 426 S.
Zippelius,
Reinhold, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte. Vom frühen
Mittelalter bis zur Gegenwart (= beck’sche reihe
1041) 6. Aufl. Beck, München 2002. X, 198 S.
Kippels, Kurt,
Grundzüge deutscher Staats- und Verfassungsgeschichte (= Verwaltung in Praxis
und Wissenschaft/vpw 34). Kohlhammer, Stuttgart 2001.
XVI, 163 S.
Willoweit, Dietmar,
Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung
Deutschlands , 4. Aufl. Beck, München 2001. XXXVIII, 514 S.
Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10.
Auflage, hg. v. Reinhard, Wolfgang, Band X Lanzinner,
Maximilian, Konfessionelles Zeitalter 1555-1618/Schormann,
Gerhard, 30jähriger Krieg 1618-1648. Klett-Cotta, Stuttgart 2001. XLVIII,
320 S.
Kleine
Zürcher Verfassungsgeschichte 1218-2000, hg. v. Staatsarchiv des Kantons Zürich
im Auftrag der Direktion der Justiz und des Innern auf den Tag der
Konstituierung des Zürcher Verfassungsrates am 13. September 2000. Konzept und
Redaktion Suter, Meinrad. Chronos, Zürich 2000. 175 S.
An
deutschen Verfassungsgeschichten ist wahrlich kein Mangel,
was nicht nur die hier genannten Titel bestätigen, sondern beispielsweise auch
die Darstellungen von Rudolf Weber-Fas (Deutschlands
Verfassung. Vom Wiener Kongreß bis zur
Gegenwart, Bonn 1997) oder Hartwig Brandt (Der lange Weg in die demokratische
Moderne. Deutsche Verfassungsgeschichte von 1800 bis 1945, Darmstadt 1998). In
diesen Kreis ist mit dem Buch von Kippels eine neue
Darstellung getreten, mit der Zürichs eine regionale Verfassungsgeschichte, und
überdies haben bekannte Titel Neuauflagen erfahren. Aber nicht nur dies: Daß Verfassungsgeschichte nicht nur unter diesem Titel zu
finden ist, soll der angeführte Band aus der Neuauflage des Gebhardt-Handbuchs
erweisen.
Zu
den neuaufgelegten Verfassungsgeschichten zählt
einmal die von Frotscher/Pieroth; der 2. Auflage von
1999 ist nun die 3. Auflage gefolgt, in der laut Vorwort unter anderem Fehler
beseitigt wurden und ein neues (10.) Kapitel „Demokratischer Neubeginn 1945 bis
1949“ hinzukam. Ansonsten blieben nicht nur die Konzeption, sondern auch der
Text unverändert, das schon zur 2. Auflage hier (ZRG/GA 119, 2001, 741ff.)
Gesagte sei daher nur in wesentlichen Zügen wiederholt: Trotz des Weglassens
des Etiketts „deutsche“ zum Titel „Verfassungsgeschichte“ und mit dem Einstieg
über die USA und Frankreich liegt dennoch eine herkömmliche deutsche
Verfassungsgeschichte vor. Und man muß sie weiterhin
zwiespältig sehen: Für eine bloße Vorgeschichte der derzeitigen deutschen
Verfassung („Verknüpfung ... insbesondere mit dem Grundgesetz“: Vorwort VIII)
ufert sie aus, zum Glück, wird aber der historischen Situation durch den
verengten Blick auf die preußische Entwicklung durch die Ausklammerung
Süddeutschlands und Österreichs nicht gerecht. Dies hat auch anderswo seine
Kritiker gefunden (Ewald Grothe, Geschichtsschreibung
und Verfassungsgeschichte, in: neue politische literatur
1/2001, 80). Da beispielweise, wie schon zur
Vorauflage kritisiert, die österreichische Kodifikationsentwicklung völlig
fehlt, repräsentiert diese – einseitig – das ALR weiterhin mit der unrichtigen Behauptung
Hattenhauers, es hätte ein der ALR-Diskussion
vergleichbares Reformgespräch in Deutschland nicht gegeben (RdZ
141); die Ausführungen zum „einheitlichen Recht“ zufolge des ALR (RdZ 143) verkennen überdies dessen ganz unterschiedliche Subsidiärität. Auch der sonstige zur Vorauflage
aufgelistete Mängelkatalog (a. a. O. 743) besitzt nach wie vor Gültigkeit,
hervorgehoben sei aus ihm eines: Weiterhin ist der Deutsche Zollverein
unverdienterweise nur am Rande flüchtigst gestreift (RdZ 281). Ein Mangel der Vorauflage freilich ist behoben:
Die Darstellung geht über 1945 hinaus, warum sie aber angesichts der nun schon
mehr als zehn Jahre zurückliegenden Wiedervereinigung ausdrücklich nur „bis
1949“ reicht, ist unverständlich und nun ein weiterer Mangel des Buches. Außer
über die Gründung erfahren wir nichts über die DDR, „Gründung eines eigenen
ostdeutschen Staates“ verdunkelt dessen ursprünglich gesamtdeutschen Anspruch (RdZ 747).
Die
„Kleine deutsche Verfassungsgeschichte“ von Zippelius
stellt gleichfalls eine Neuauflage dar. Im Unterschied zu Frotscher/Pieroth
umfaßt sie gemäß des Untertitels „Vom frühen
Mittelalter bis zur Gegenwart“ auch die „Wiedergewinnung der staatlichen
Souveränität“ (167f.) und schließt mit „Grundlinien der gegenwärtigen Verfassungordnung“ (168ff.). Die Darstellung konzentriert
sich auf eine Verfassungsrechtsgeschichte, mit knappen Strichen, aber
ausreichend, ist der notwendige allgemein-politische Hintergrund gezeichnet.
Auf „Verfassungsinstitutionen der germanischen und fränkischen Zeit“ folgen
„Verfassungsinstitutionen des Heiligen Römischen Reichs“, nachgezeichnet sind
sodann „Verfassungsentwicklungen im 19. Jahrhundert“ (81ff.) sowie
„Verfassungsentwicklungen seit dem Ersten Weltkrieg“ (127ff.), so die
Überschriften der vier Kapitel. Tatsächlich konzentrieren sich die beiden
ersten Kapitel fast ausschließlich auf eine Institutionengeschichte.
Zum 19. Jahrhundert geht es nicht nur um Staatenbildungen, um die „steckengebliebene Revolution“ von 1848 (112ff.), auch der
Deutsche Zollverein mit seinen Vorläufern findet gebührende Berücksichtigung
(116f.), sondern es sind hier weiters Neuerungen wie die „Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung“ (106ff.) und die „Bindung an Grundrechte“ (109ff.) hervorgehoben.
Zu recht ist zur Reichsverfassung 1871 bemerkt, daß sie zwar keinen Grundrechtskatalog enthielt, aber durch
die Landesverfassungen und vor allem durch einfache (Reichs-)Gesetze
Grundrechte sehr wohl verbürgt waren (111). Hinzuzufügen wäre, daß einfachgesetzliche Grundrechte deshalb Bedeutung
beanspruchen konnten, weil der Vorrang der Verfassung noch nicht gesichert war.
Besonders hinzuweisen ist darauf, daß bei den
Entwicklungen bis in das 19. Jahrhundert Preußen nicht dominiert. So sind schon
„Ämter und Beamtentum in den Territorien“ des Alten Reiches am Beispiel Bayerns
dargestellt (64ff.) und sodann im 19. Jahrhundert den „preußischen Reformen“
(88ff.) auch jene in Bayern zur Seite gestellt (92ff.). Wenngleich nicht eigens
hervorgehoben, so fehlt doch die österreichische Entwicklung nicht. Allerdings vermißt man beispielsweise die Parallele zur preußischen
Verfassung von 1848, nämlich Österreichs Verfassung 1848, 1867 wurde für
Österreich nicht bloß „ein neues Staatsgrundgesetz“ (105) erlassen, sondern
neben anderen Verfassungsgesetzen insgesamt fünf, die alle zusammen eine
(nahezu) komplette konstitutionelle Verfassung ergaben. Zu 1848/49 sei
vermerkt, daß die österreichische Regierung nie an
eine Einbeziehung Österreichs „in den deutschen Staat“ dachte (114), sondern
von Anfang an den Deutschen Bund weiterhin als (reformierten) Staatenbund
aufrecht erhalten wollte, die österreichischen Abgeordneten in der Paulskirche
sahen das freilich überwiegend anders. Insbesondere für den Vormärz bleibt ein
Verfassungsmodell wesentlich unterbelichtet, nämlich die neuständisch-beschränkte
Monarchie. Artikel 13 Bundesakte 1815 sah nämlich bestenfalls diese vor und
kann nicht als „Programm des Konstitutionalismus“ (102) verstanden werden. Umfangmäßig liegt zwar eine „kleine“, aber höchst
detailreiche, präzise und in der Regel verläßliche
Verfassungsgeschichte vor, welche nicht nur ungebrochene Linien in das geltende
Verfassungsrecht herein verfolgt.
Von
ganz anderer Art ist Kippels Darstellung: Im
Gegensatz zu Zippelius steht wesentlich mehr die
Staats- als die Verfassungsgeschichte im Vordergrund. Der Leser erlebt die
Entwicklung der deutschen Staatlichkeit buchstäblich in ihren vielfältigsten
Aspekten – darunter auch die der Verfassung. Allgemein-Geschichtliches hat
einen wesentlich größeren Stellenwert als in den bisher besprochenen
Darstellungen, auch Wirtschaft- und Sozialgeschichtliches ist miteinbezogen.
Beispielsweise wird der von Honecker herbeigeführte Wirtschaftsaufschwung in
der DDR erklärt und als Kontrast dazu mit Daten belegt, daß
es „im Westen zu einer deutlichen Überschätzung der Leistungskraft dieses in
Wahrheit völlig maroden Staates“ gekommen war (111). Auch spart Kippels nicht mit Wertungen: Österreicher und
Sudetendeutsche waren 1938 „ebenso wenig die Opfer Hitlers wie zuvor die
Saarländer, die sich 1935 für eine Rückkehr zum Reich entschieden hatten, oder
wie die (alten) ,Reichsdeutschen’ des Jahres 1933“, was als eine „Lebens-,
besser eine Überlebenslüge, die in der Adenauer Ära gerne zitiert wurde“,
bewertet wird (67). Wichtige politische Details sind breit abgehandelt wie etwa
die Reaktionen auf die Stalinnoten von 1952 (101) oder die neue Ostpolitik
unter Willy Brandt bis hin zu Bundestagsdebatten (108). Manche Formulierungen
wirken drastisch: Die Entwicklung der Berlinfrage 1958/59 brachte schließlich
für UdSSR und DDR nur eine Möglichkeit: „West-Berlin muß
eingemauert werden“ (103). Vorgriffe auf den jüngeren Verfassungszustand heben
die Aktualität historischer Momente: Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts habe dem
katholischen „römischen Kaiser“ der Habsburger de facto mit Preußen in
Norddeutschland ein „deutscher (protestantischer) Kaiser“ gegenüber
beziehungsweise zur Seite gestanden, was dann tatsächlich mit dem Titel
„Deutscher Kaiser“ von 1871 realisiert worden sei (29: wenngleich dieser Titel
eine andere Wurzel hat); oder: Die Prägung des Begriffs „Deutsche“ durch die
Reichsgründung 1871 wie der durch sie bestimmte Bundesstaat (42f.) lebten
gegenwärtig weiter fort. – Eine knappe Einleitung (XIII–XV) enthält „Grundzüge
deutscher Staats- und Verfassungsgeschichte“, die auch deren jeweiligen
örtlichen Umfang erklären: Die nicht in das Deutsche Reich von 1871
eingegangenen „Staaten Luxemburg, Liechtenstein und die deutschen Länder der
Habsburger Monarchie“ „nehmen ab 1866 eine eigene (national-)staatliche
Entwicklung“ (XIV). Das Ausscheren der Schweiz schon zuvor gilt offenbar als
selbstverständlich. Ausgangspunkt der anschließenden Darstellung ist das
„Imperium Romanum“, sie schließt mit „Das Europäische
Deutschland“. In der Inhaltsangabe sind die einzelnen Abschnitte unterteilt,
wobei in auffallender Weise diese Unterteilung ab dem Abschnitt „Vom Deutschen
Bund zum Deutschen Reich“ immer detaillierter wird – dem entspricht auch die
Gewichtung des Buches. Schon auf Seite 26 sind wir bei den Westfälischen
Friedensschlüssen, besonders breiter Raum nimmt vor allem dann die Entwicklung
nach 1945 ein. Insgesamt bereichert Kippels
Darstellung jene der deutschen Verfassungsgeschichten um eine flüssig
geschriebene, facettenreiche und sehr instruktive Staatengeschichte. Sie leidet
an einem technischen Mangel: der fehlenden Strukturierung des Textes. Die
erwähnten Inhaltsangaben zu den einzelnen Abschnitten verweisen auf keinerlei
Seiten, und dies deshalb nicht, weil sie im Text nicht wiederkehren! Ein
Personen- oder Sachregister helfen, nämlich mangels
Existenz, gleichfalls nicht weiter; jeglicher Anmerkungsapparat fehlt – ein
Kuriosum!
Willoweits
„Deutsche Verfassungsgeschichte“ verfolgt – „Vom Frankenreich bis zur
Wiedervereinigung Deutschlands“ – ein wesentlich ambitionierteres
Konzept als die bisher beschriebenen Darstellungen. Sie beschränkt sich weder
auf die neuere Zeit wie Frotscher/Pieroth, noch ist
sie bloß eine „Kleine“ Verfassungsgeschichte wie Zippelius
und geht über „Grundzüge“ wie Kippels hinaus. Wie
etwa schon die „Deutsche Rechtsgeschichte“ von Mitteis-Lieberich
stellt sie vom Umfang her die Reihe „Juristische Kurz-Lehrbücher“ in Frage. Dem
Leser, denn das Buch ist wahrhaft lesbar-flüssig geschrieben, bietet sich eine
Darstellung des Gegenstandes dar, die mit einem gesamtkompositorisch
eindrucksvollen und vielfältigen barocken Deckengemälde vergleichbar ist.
Vertieft man sich in die Vielfalt, steigt sozusagen zur Decke empor, um die
Details in Augenschein zu nehmen, bleibt Ernüchterung nicht aus. Schon die
„Einleitung. Gegenstand und Methode“ gibt letztlich doch nicht klar zu
erkennen, wie Willoweit (seine) Verfassungsgeschichte
definiert. Einerseits versteht er unter Verfassung „diejenigen rechtlichen
Regeln und Strukturen, die das Gemeinwesen und damit die politische Ordnung
prägen“ und will sich gegenüber Kosellecks
„allgemeiner Rechts- und Sozialgeschichte“ damit abgrenzen, daß
er die nur hier zu berücksichtigende „Fülle lediglich individualrechtlicher
Beziehungen“ ausschließt (2), nennt aber andererseits sogleich (3) als eines
der „zwei Elemente“ seines Verfassungsbegriffes neben dem „Rechtscharakter der
zu untersuchenden Institutionen“ doch auch die „zwischenmenschlichen
Beziehungen“. Daß dabei „der Blick auf den sozialen
Körper insgesamt gerichtet bleibt“, modifiziert diese Aussage zwar, daß er sich „nicht in der Rechtswelt der Individuen (z. B.
ihrer Kaufverträge, Eheschließungen, Erbfälle) verliert“ (4), ist einerseits in
Hinblick auf die hier offenkundig angesprochene Privatrechtsgeschichte wohl
selbstverständlich, andererseits aber zählt Willoweit
selbst „Kauf- und Pfandgeschäfte, Heiraten und Erbschaften“ als
Herrschaftstitel auf (91)! Zum methodischen Verständnis Willoweits
tragen übrigens die Bemerkungen zu einzelnen Titeln des Schrifttums bei. Zur
„Verfassungsgeschichte in Werken der deutschen Rechtsgeschichte“ finden wir die
Rüge, es fehle hier „nicht selten an einer ausreichenden Offenheit für die
politische Dimension des Verfassungswesens, und daher wirkt hier und da immer noch
das starre Konzept der Staats- und Rechtsgeschichte nach, dem aus methodischen
Gründen nicht zu folgen ist“ (12). Trotz einer beigesetzten Relativierung
trifft diese Feststellung aber doch nicht zu: Etwa Mitteis/Lieberich schließen mit Abschnitten wie „Wirtschaft und
Gesellschaft im frühen Mittelalter“ oder ebenso für die Neuzeit das von Willoweit Vermisste ein, was von der Konzeption her für
alle „Werke der deutschen Rechtsgeschichte“ in ähnlicher Weise zutrifft. Eine
weitere wesentliche Aussage besteht darin, es bestünde Einigkeit in der
Verfassungsgeschichtsschreibung, „daß die
Beschränkung der Verfassungsgeschichte auf die Neuzeit als unsachgemäß zu
überwinden ist“, und zwar mit Hinweis auf Koselleck
und Kroeschell (14). Es wäre aber zum Teil ein Verkennen
derartiger Darstellungen, würde man ihnen ihr Einsetzen um etwa 1500 als bewußte Zäsur anlasten. Der zu diesen Darstellungen
aufgeführte Oestreich hält beispielsweise
ausdrücklich fest, es habe sich die Theorie vom frühen neuzeitlichen Staat „in
ihren Grundzügen im späten Mittelalter ausgebildet“. Mengers „Deutsche
Verfassungsgeschichte der Neuzeit“, die Willoweit
nicht anführt, setzt trotz des Titels mit einem Abschnitt „Das mittelalterliche
Reich“ ein.
Willoweits
„methodische Überlegungen zu einer ,deutschen Verfassungsgeschichte’“ lassen
den Leser in einem Punkte rat-, weil informationslos:
Über ein Sich-Abmühen um das „eigene Vorverständnis“,
um „eigene Erkenntnisvoraussetzungen“ etc. (8f.) hinaus wird man nämlich nicht
darüber belehrt, was eigentlich eine „deutsche“ Verfassungsgeschichte räumlich umfaßt – man erinnere sich an die präzise Umschreibung in Kippels Darstellung wie oben zitiert! Ein Indiz gibt das
Schrifttumsverzeichnis ab: „Literatur zur Österreichischen und Schweizerischen
Verfassungsgeschichte“ findet man im „Anhang: Ergänzende Literatur“, die
„Neuere Schweizerische Verfassungsgeschichte“ von Alfred Kölz
(Bern 1992) fehlt übrigens. Tatsächlich macht sich das Fehlen des
„territorialen Elements“ in der gesamten Darstellung auffallend bemerkbar. Dies
beginnt mit den fränkischen Reichsteilungen, wo hinsichtlich der einzelnen
Teile nur vage Andeutungen gemacht werden (42), späterhin erfahren wir nichts
über Burgund/Arelat und Reichsitalien
(dem Ortsregister sind beide daher fremd), von Reichskreisen
hören wir zwar mehrfach, nichts aber davon, welche es gab, das Gebiet des
Rheinbundes (232f.) bleibt ebenso im Dunkeln wie das des Deutschen Zollvereins
(257) und des Deutschen Bundes (252ff.). Gebietsmäßiges erfahren wir zu ihm nur
indirekt aus Anlaß der Paulskirchenwahlen, nämlich, daß in Ost- und Westpreußen, Schleswig und Holstein, „die
bis dahin nicht zum Deutschen Bunde gehört hatten“, auch gewählt wurde (262);
„die“ ist allerdings oberflächlich, denn Holstein gehörte doch zum Deutschen Bund!
Elsaß-Lothringen ist nur ganz am Rande erwähnt (298,
301, 312). Es als das „bis 1911 verfassungslose Reichsland’“ (301) zu
bezeichnen, erweckt einen unrichtigen Eindruck; hier galt schließlich die
Reichsverfassung, seit 1874 war es mit 15 Abgeordneten im Reichstag vertreten
und der Landesausschuß fungierte ab 1877 als
Gesetzgeber, um nur einige Momente vor 1911 zu erwähnen. Auch fehlen die
deutschen Kolonien, gemeinsam mit dem Reichsland waren sie schließlich jene
Territorien, in dem das Reich nicht mediatisiert war, man sich „direkt“ im
Reich und nicht etwa in Preußen oder Sachsen befand. Im Abschnitt „Der
Herrschaftsraum“ (82ff.) geht es auch nicht um die Frage der Beherrschung eines
konkreten territorialen Gebildes, sondern um die Beherrschung eines abstrakten
Raumes durch den König in den Kategorien Reichsgut, Hausgut und königsnahe
Landschaften sowie um das Verhältnis zu den Reichsfürsten. In Parallele dazu
sind später in Bezug auf die Landesherrschaft die „Strukturen des
Herrschaftsraumes“ (95) vorgeführt. In welcher historischen Abfolge aber die
Landesherrschaften entstanden sind, davon ist direkt keine Rede, auch hier
fehlt das territoriale Element. Konkrete Territorienbildungen sind dort
angesprochen, wo es um Beispiele für eine Dezentralisierung der Reichsgewalt
geht, zuerst unter Friedrich I. (unter anderem Österreich 1156, Würzburg 1168:
66), sodann etwa 100 Jahre später beginnend mit Hessen 1282 bis hin zu
Württemberg 1495 (85). Willoweit sieht diese Vorgänge
nicht unter dem Aspekt eines Niedergangs der Reichsgewalt, sondern als dessen
Dezentralisierung und damit auch Stärkung im Sinne einer Bindung der
Territorien an das Reich. Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Vorgang nicht derart
zersplittert darzustellen. Weitere Splitter dazu finden sich überdies noch
anderswo, etwa im Abschnitt „Entstehung der Landstände“ (93f.). Auch hier ist
die Darstellung nicht nur wenig konkret, sondern unscharf: Auf Bayern trifft
zwar zu, daß sich „das Territorium der
Landesherrschaft weitgehend mit einem alten Stammesgebiet deckt“, aber doch
nicht „im Alpenraum“ (93). Hier bilden sich ja just auf ehemals bayerischem
Boden neue Landesherrschaften aus, von Tirol über Salzburg nach den beiden
Österreich. Gerade hier hätte eine präzisere Darstellung erkennen lassen können,
daß es einen mehrschichtigen Prozeß
in der Ausbildung der Territorien gibt. Merkwürdig vernachläßigt
ist das territoriale Element auch in Hinblick auf den Vertrag von Versailles:
„Nicht nur erhebliche Gebietsabtretungen waren vorgesehen …“ (330) – sie erfolgten
bekanntlich tatsächlich. Welche diese aber waren und wie dies – mit oder ohne
Volksabstimmung – geschah, bleibt unerwähnt: keine Rede von Oberschlesien,
keine Erwähnung von Danzig oder des „polnischen Korridors“. Territoriale
Dürftigkeit belegt auch der Unterabschnitt „Das Reich und die Länder“ zur
Weimarer Verfassung (327f.): In den 13½ Zeilen lesen wir mehr über die
Bezeichnung „Reich“ als zum Thema, dazu eigentlich nur, daß
der „Reichsrat“ als Staatenhaus „zwingend (erschien)“; einen Hinweis über die
Möglichkeit einer Neugliederung des Reichsgebietes sucht man hier vergeblich
(Art. 18 WRV). Später hören wir unter „Projekt einer Reichsreform“ daß sich – durchaus kein Projekt – das Land Thüringen
gebildet und Waldeck Preußen angeschlossen habe (336).
Was
Willoweits Darstellung, besonders in der älteren
Zeit, von anderen Verfassungsgeschichten zum Teil unterscheidet, ist das
Bemühen, Rechtszustände beziehungsweise rechtserhebliche Akte aus der Zeit heraus
und nicht mit modernem Vokabular zu verstehen. Der Beispiele hiefür sind viele,
gleich zu Beginn etwa findet sich diese Methodik im Abschnitt „Die Königswahl“
(31f.). Wenn allerdings doch das neuzeitliche Vokabular gewählt wird, kann dies
widersprüchig wirken: „Reichseinheit und
Reichsteilung schließen sich in fränkischer Zeit nicht aus“ (42). Nach
zeitgenössischem Verständnis war wohl nicht das Reich geteilt, sondern die
Herrschaft im Reich, was Willoweit selbst mit seinen
mehrfachen Hinweisen auf abgestufte Herrschaften nahelegt
(32f., 53). Unnötig schwer macht es sich Willoweit, offenkundig in Hinblick auf ältere
Sekundärliteratur einer- und Quellentreue andererseits, mit der „Frage nach der ,Entstehung des deutschen Reiches’“ (42ff.). Die
Problematik liegt wohl nicht in der Antwort, sondern in der unhistorischen
Frage, denn sie lautet wohl besser: „Ab wann gab es ein eigenes, vom
(West-)Frankenreich abgespaltetes Gemeinwesen, welches späterhin als ,deutsch’ bezeichnet wurde?“ Trennt man, was die Quellen
ja nahelegen, die „Staats“-Gründung
vom „Staats“-Namen, fällt die Antwort leichter und
man kann für den erstgenannten Vorgang mit guten Gründen auf 911 verweisen.
Aus
der Nähe besehen enttäuschen also in Willoweits
Gemälde blasse Farben, verschwommene Konturen, Risse und Sprünge. Auch „Frühe
Formen territorialer Herrschaftsbildung“ verdeutlicht dies: Einerseits seien
die „politischen Ziele der Landesherrschaft … vorrangig auf Expansion und
Konsolidierung der gewonnenen Macht, noch nicht auf die politische Lenkung der
Untertanen gerichtet“ (91) gewesen, andererseits hören wir von den
„verschiedenen Abgabepflichten“ des Kammergutes (95) – es frägt
sich eben, wer die „Untertanen“ sind und überdies von wem! „Nur die Ausweitung
des Herrschaftsbereiches erlaubt in dieser Zeit eine nennenswerte Steigerung
der Einnahmen“ (91) wird durch das eben zum Kammergut zitierte relativiert. Die
„Ausweitung des Herrschaftsbereiches“ werde „durch Landesteilungen aber immer
wieder geschmälert“ (91): Ist dieser „Herrschaftsbereich“ mit der
„Landesherrschaft“ wegen dieser Überschrift von § 13 identisch, zumal auch von
„Landesteilungen“ gesprochen wird? Korrekter Weise sollte es nicht so sein:
Nicht nur mit Otto Brunner wissen wir, daß „Land und
Herrschaft“ zwei unterschiedliche Herrschaftsformen sind, es zeigen dies ja,
auch ohne Otto Brunner, die historischen Fakten ganz klar: Die Herrschaft eines
Landesfürsten oder einer landesfürstlichen Dynastie erstreckt sich über mehrere
Länder und oft andere, kleinräumigere Herrschaften. In diesen Fällen gibt es
auch nicht unbedingt „Landesteilungen“ – dagegen wehren sich die Landstände –,
sondern eben Herrschaftsteilungen entlang der Landesgrenzen. Freilich: Das Land
Bayern wird sehr wohl geteilt. Primogenitur-Regelungen
wollen den Teilungstendenzen entgegenwirken (91) – Konkretes aber erfahren wir
nicht: Wer teilt, wer führt die Primogenitur ein
beziehungsweise versucht dies? Nicht nur fehlt das eben erwähnte Bayern, es
fehlt auch die Habsburger-Dynastie oder das Haus Görz: Bei ihrer Beachtung wäre
Willoweit auf Begriffe wie „Herrschaft zu
Österreich“, „Haus Görz“ gestoßen und seine Darstellung wäre griffiger und
näher am historischen Ereignis. Sind Primogenitur-Regelungen
tatsächlich ein „Indiz für ein allmählich aufkommendes Staatsbewußtsein“
(91)? Noch in der Neuzeit weisen Großherrschaften mit Primogenitur
wie etwa die Habsburgermonarchie ab 1713 noch keineswegs staatlichen Charakter
auf, andererseits besitzen einen solchen Territorien auch ohne Primogeniturerbfolge wie natürlich die größeren geistlichen
Territorien.
Von
den Großherrschaften, welche unter anderem mehrere Landesherrschaften
verbinden, lesen wir nichts, obwohl die späteren Groß- und Mittelmächte aus
ihnen hervorgehen. Diese Lücke fällt besonders auf, da Willoweit
in verdienstvoller Weise auf Herrschaftsformen hinweist, die in manchen
Verfassungsgeschichten am Rande stehen. Neben der Landfriedenspolitik (66, 74,
86, 113) ist dies besonders der Abschnitt „Einungen und korporative
Verfassungsformen“ (118ff.), wo gezeigt wird, daß
bündische Formen nicht nur lokale und regionale Bedeutung hatten, sondern sich
auch in der Reichsverfassung wie etwa den Reichstagskurien (123) wieder finden.
Dafür, daß den Großherrschaften ein gewisses
Beharrungsvermögen überkommener Herrschaftsformen gegenübersteht, wäre die
Betonung des Einungswesens nutzbar zu machen gewesen: In den Großherrschaften
bewahren die Länder ihre Eigenständigkeit auch dann, wenn sie faktisch keinen
Landesfürsten zufolge einer Personalunion haben (typisch Oberösterreich)
beziehungsweise diese Position rechtlich gar nicht existiert wie im Falle
Vorarlbergs. Richtig ist daher die Beobachtung, daß
der frühneuzeitliche Territorialstaat „nicht nur als Gebilde fürstlichen
Herrschaftswillens“ aufzufassen ist. Allerdings wurde er oft mehr als nur
„akzeptiert und unterstützt auch von den wortführenden
Schichten des Volkes“ (130), ein zu moderner Ausdruck übrigens. Den Ständestaat
haben zum Teil ganz wesentlich die Stände aufgebaut und mitbestimmt. Den
„Begriff des ,Ständestaates’“ (131) „nur dort wirklich eine Berechtigung“
zuzuerkennen, „wo eine geregelte landständische Beteiligung am Rat zu
beobachten ist“, greift freilich zu kurz: Die Stände haben eben, gerade wo es
am Landesfürsten fehlte, selbst diesen „Staat“ aufgebaut und für das
Zusammenwirken mit dem Landesfürsten war neben dem Rat der Landtag ein
entscheidendes Gremium.
Die
Großherrschaften rücken erst spät unter „Aufstieg der deutschen Großmächte
unter dem Einfluß des absolutistischen
Politikverständnisses“ (178ff.) in die Betrachtung ein, und hier, was etwa die
„habsburgischen Staaten“ betrifft (180f.), mit einem chronologischen Rückgriff;
genaues darüber, wann etwa bestimmte Länder miteinander verbunden wurden,
erfahren wir nicht, auch nicht, warum es für Steiermark-Kärnten-Krain
die Bezeichnung „Innerösterreich“ gibt, wozu übrigens
sehr wohl auch Istrien, Triest und Görz gehören, die Willoweit
erst nach unter anderem Tirol auflistet (181). Gerade anknüpfend an „Innerösterreich“ erweist sich, daß
Willoweit zwei historische Fakten ignoriert:
Einerseits eben das nun schon oft genannte Entstehen von Großherrschaften,
andererseits deren Teilung, wodurch eben der Länderkomplex Innerösterreich
– und zwar schon im Mittelalter – entstand. Entscheidender aber ist dies:
Zeitweise gab es nicht nur „die monarchische Union der habsburgischen Staaten“
(180), sondern deren drei, eine dieser Unionen war eben Innerösterreich.
Jede dieser Unionen befand sich am Wege zum frühmodernen Staat beziehungsweise
war bereits ein solcher. Derartige Entwicklungen im Reich, die schließlich hin
zu den gewichtigeren Mitgliedern des Rheinbundes und sodann des Deutschen
Bundes als Grundlagen des heutigen deutschen Föderalismus führen, sind
unterbelichtet.
Bei
ungesichertem Forschungsstand ist Willoweit vorsichtig:
Wendungen wie „soweit es der heutige Forschungsstand erkennen oder vermuten läßt …“ (123) finden sich für die ältere Zeit häufig.
Mancherorts fehlt es aber daher auch an klaren Aussagen wie etwa hinsichtlich
der Ursprünge des Kurfürstenkollegs (76f.). Willoweit
scheint der Erzämtertheorie angeblich des Sachsenspiegels zu folgen, und zwar
mit dem ergänzenden Argument, für sie „spricht in der Tat die im Mittelalter
generell zu beobachtende Bedeutung der Königsnähe“. Doch von einer Königsnähe
kann bei den Erzämtern nur sehr beschränkt die Rede
sein, der König von Böhmen war nie „königsnah“, zudem gab es auch andere Erzämter wie königsnahe Reichsfürsten ohne Kurwürde. Die
alte Erzämtertheorie läßt sich mit einer Königsnähe
wohl nicht wiederbeleben. Willoweit
räumt freilich ein, es „haben neuere Forschungen auch einen ganz anderen
Ursachenzusammenhang wahrscheinlich gemacht“, worauf ein langes Zitat von Armin
Wolf hinsichtlich der Vererblichkeit des Königswahlrechts in den Tochterstämmen
„einer königlichen Dynastie“ (so Willoweit) folgt –
welche Dynastie dies aber ist, bleibt unerwähnt (77)! Hinsichtlich der
Fürstenprivilegien von 1220/1232 deute „alles“ darauf hin, „daß
es bis heute nicht gelungen ist, diese Privilegien aus dem Rechtsdenken ihrer
Zeit heraus zu begreifen“ (72), doch schließt daran eine Erörterung an, die
„wirkliche Bedeutung der höchsten Privilegien“ liege in einem „neuartigen
Herrschaftsdenken“ – ist es damit doch gelungen die Privilegien zu erklären
(73)?
Die
bloß skizzierten, aber unausgeführten Partien in Willoweits
Gemälde hinterlassen zahlreiche weiße Flecken unterschiedlichster Art. Die
gerade bemühten „Fürstenprivilegien“ (72f.) stehen merkwürdiger Weise in
keinerlei Zusammenhang mit dem Reichsweistum über die
domini terrae, das Willoweit erst später, aber auch hier ohne diesen
Zusammenhang, erwähnt (93): Das Gesetz zugunsten der weltlichen Reichsfürsten
wie das Reichsweistum stammen aber bezeichnender
Weise beide aus dem Jahr 1231! – Landständische Ideen im Bauernkrieg – es gab
deren allerdings mehrere – vorzuführen besticht als Neuheit: Das hiezu Gesagte
ist aber reichlich knapp (132), ein konkreter rechtlicher Niederschlag wie etwa
die Bauern-Landesordnung für Tirol fehlt. – Das Thema Gesetzgebung kann man
sich angesichts der Sekundärliteratur getrost präziser und vielfältiger
wünschen. Gesetzgebung sei der Landesherrschaft „bis zur Mitte des 15.
Jahrhunderts … noch fast gänzlich fremd“ (91); zuvor (87) hören wir aber vom
oberbayerischen Landrecht 1346, allerdings unter „Ansätze kaiserlicher
Gesetzgebung“ (87)! Von letzterer kann keine Rede sein, es handelt sich um
landesfürstliche Befehle wie sie auch in Salzburg oder Österreich zur gleichen Zeit auftreten. Das Befolgen und
Durchsetzen steht auf einem anderen Blatt, angesichts zahlreicher Handschriften
kann man aber wohl eine gewisse faktische Geltung nicht leugnen und dies
besonders dann, wenn man etwa in Rechnung stellt, daß
es zahlreiche Schwabenspiegel-Handschriften mit lokalen Modifikationen gibt,
eben zum Gebrauch bei Gericht. Überdies waren die „Landrechte des 14.
Jahrhunderts“ doch schon mehr als „eine Sammlung von Rechtsgewohnheiten“ (so
91). Im 15. und 16. Jahrhundert (134ff.) ist die Gesetzgebung keineswegs
überwiegend rechtsbewahrend, die Rechtsbesserung
tritt in den Vordergrund, vor allem aber die Rechtssicherheit. Es wird noch
darüber nachzudenken sein, ob manche Landrechte nicht gegen die Meinung stehen,
daß „die Stoffmasse des römischen Rechts niemand zu
ersetzen gedachte“ (134). Was mit „Ordnung“ bezeichnet wird, konkrete Materien
etwa als Vormundschafts-Ordnung oder auch das gesamte Landesrecht als
Landes-Ordnung, erwächst kaum aus der mündlichen Gebotspraxis als „ein
eigentümlicher Gesetzestypus“ (135), sondern rührt aus einem umfassenden Denken
in „Ordnungen“ und Teilordnungen her. Nicht nur „manifestiert sich ein neues
fürstliches Selbstbewußtsein“ (135) in derartigen
Ordnungen, sondern ein „Staats“-Verständnis, an dem
auch die Landstände gravierenden Anteil haben, ja, in vielen Fällen sogar als
Initiatoren auftreten. Zu kurz kommt übrigens auch die „städtische
Rechtsbildung“ (101f.), sie greift sehr wohl bereits in Erbrecht und Ehegüterrecht ein – auch hier steht der Erfolg auf einem
anderen Blatt; konkrete Stadtrechte sind nicht genannt. Als „Förderer
aufgeklärter Politik“ gelten „Fürsten“ (212f.) und „Beamte“ (213): Zu letzteren
wird aber wenig gesagt und es frägt sich, ob denn
„die Prinzenerzieher“, das einzige konkrete Beispiel, als „Beamte“ zu werten
sind. Zu ihnen lesen wir im wesentlichen nur in einem
Zitat von Vierhaus, die Beamtenschaft habe „zu einer sekundären Führungsschicht
aufsteigen können“ (213), wozu man Konkreteres gerne gehört hätte. Der weißen
Flecken sind aber mehr!
Pastellfarben
wenigstens charakterisieren den Abschnitt „Strukturelle Veränderungen durch
Säkularisierung und Mediatisierung“ (224f.). Zwar ist § 35 Reichsdeputationshauptschluß
im Auszug zitiert, allerlei über materielle Wohlfahrt statt Sorge um das
Seelenheil gesagt, hingewiesen auf die Vernichtung der „politischen Bastionen
des reichsunmittelbaren Adels“, der „Rittersturm“, der „über den Reichsadel
herein (brach)“, erwähnt und im Zusammenhang damit ist der ihn aufhaltende
Reichshofrat gelobt (225). Keinerlei konkrete Angaben sind jedoch über die
Veränderung der politischen Landkarte nach 1803 gemacht: Welche Territorien
haben wodurch und wie profitiert? Was geschah mit den säkularisierten
Territorien? Was war nun konkret anders? – Der Abschnitt „Politische Bewegungen
in der Zeit des Vormärz“ (258f.) bleibt gleichfalls merkwürdig unausgeführt: Im
„Frankfurter Wachensturm“ von 1833 sei der „Umsturz geprobt“ worden, aber: Mit
welchem Ziel? Wenig fängt man auch an mit dem Satz: „National gesonnene
Monarchisten mußten mit der monarchischen Legitimität
des Vielvölkerstaates Österreich in Konflikt geraten“ (259): Worauf zielten sie
ab, haben sie auch Namen? Wogegen wandten sich eigentlich konkret die
„Karlsbader Beschlüsse“, von denen wir zuvor hören (254)? „Nationale Bewegung
und bürgerliche Vereinsbildung“ stehen beziehungslos zwischen den eben
skizzierten Ausführungen (256ff.). Dieser Abschnitt rückt freilich einen
wichtigen Entwicklungsstrang ins Bewußtsein, und zwar
insbesondere die Bedeutung der Vereine. Auch hier bleibt es aber beim nahezu
unausgeführten Entwurf: Gerade für die Verfassungsentwicklung sind sowohl als
geistiger Nährboden samt entsprechenden Ressourcen (Bücher, Zeitschriften,
Erlebnisberichte der Mitglieder) wie der Organisation wegen (Statut,
Abstimmung, Mißtrauensvotum gegen den Vorstand) die
so zahlreichen Lesevereine von hervorragender Bedeutung – sie bleiben
unerwähnt.
Während
es in den bisher erläuterten Partien des Gemäldes von Willoweit
sozusagen an der exakten farblichen Ausführung des Skizzierten fehlt, stoßen
wir anderswo zwar auf Farben, aber in Dissonanz. Die Pragmatische Sanktion
Karls VI. von 1713 für die Habsburgermonarchie (183) bedurfte in den
nichtungarischen Ländern durchaus nicht der „Zustimmung der Stände“, ihnen
wurde sie zur Befolgung aufgetragen, ein rasches „Einverständnis des Reiches“
verschob der österreichische Erfolgekrieg und sie war
durchaus nicht „für 200 Jahre eine außerordentlich stabile Grundlage“: Ungarn
sah mehrfach wie etwa 1848/49 seine Stellung in der Habsburgermonarchie ganz
anders als die Wiener Zentrale und setzte schließlich 1867 nach zahlreichen
Verfassungskämpfen den Dualismus durch, der die beiden „Reichshälften“ als
Staaten immer mehr auseinander trieb. In § 24 „Das Reich, der Kaiser und der
gemeine Mann“ ist dem Reichshofrat ein eigener Unterabschnitt gewidmet (196f.),
seine Bedeutung damit gebührend hervorgehoben, nur: Warum ist hier nicht
parallel auch des Reichskammergerichts gedacht? Ähnlich prekär ist die
„Farbgebung“ im Umfeld und zum ALR, was an das zu Frotscher/Pieroth
Gesagte erinnert: Unbestritten ist das ALR das „umfassendste Gesetzeswerk“
seiner Zeit (214), damit aber keineswegs ein Unikat. Denn gerade als solches
steht es in der älteren Tradition der umfassenden Landesordnungen. Was aber
besagt es denn für die Rechtsanwendung, ob das Landesrecht in einem Gesetz vereinigt
oder in systematischer Verschränkung auf mehrere Gesetze verteilt ist, wie
letzteres etwa in der Habsburgermonarchie der Fall war? So „profiliert“ sich ja
nach Willoweit Joseph II. „als mutiger Gesetzgeber
mit Kodifikationen des Strafrechts und Prozeßrecht“ –
allerdings kann von „emanzipatorischen Reformgesetzen im Bereich des Familien-
und Erbrechts“ so keine Rede sein, denn das mit diesen Worten Gemeinte ist der
I. Teil des „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ von 1786, welches aber
schon auf Josephs Vorgängerin zurückgeht. Das vollständige ABGB Martinis und Zeillers ist daher keine „Neufassung des österreichischen
Zivilrechts“, sondern die Komplettierung dieses Teil-ABGB
1786, „in Kraft getreten“ ist es auch nicht 1811, sondern mit Jahresbeginn 1812
(alles 214). Für eine Verfassungsgeschichte von Bedeutung wäre der Hinweis
notwendig – siehe schon zu Frotscher/Pieroth –, daß die österreichischen Kodifikationen nicht subsidiär
galten und daher die unbedingte Rechtseinheit brachten, das ALR hingegen in
vielschichtigster Weise nur subsidiär, so daß von
einer Rechtsvereinheitlichung in der preußischen Monarchie im Vergleich mit der
Habsburgermonarchie keine Rede sein kann.
Fehlende
Farben – oder schon Kompositionsmängel? – auch anderswo: Zu sehr ins Detail
kann eine Darstellung wie die Willoweits natürlich
nicht gehen. Zu dem über die „Emser Depesche“ Gesagten müssen aber, weil eben
im Detail, weitere Pinselstriche aufgetragen werden: „Der Leser (der verkürzten
Depesche) gewinnt den Eindruck, Wilhelm I. habe den französischen Botschafter
gleichsam hinausgeworfen“. Nun war die Situation nicht einfach die, der „in Bad
Ems weilende König lehnt ab“ (290), sondern dieser wurde hier vom französischen
Botschafter Benedetti während eines Spazierganges, also in völlig
unkonventioneller Art, mit bestimmten Bedingungen bedrängt. Diese Vorgangsweise
galt damals als abseits jeder Konvention und eben dies war der „Emser Depesche“
zu entnehmen. Zum Ende des Deutschen Bundes lesen wir, abgesehen von der
Gründung des Norddeutschen Bundes, „Liechtenstein und Luxemburg wurden gänzlich
unabhängig“; inwiefern aber waren „Bayern, Württemberg, Baden und Hessen
Darmstadt südlich des Mains“ nicht eben so „gänzlich unabhängig“ geworden
(278)? Was war eigentlich mit Österreich? Die Antwort liegt so auf der Hand, daß man sie offenkundig nicht niederzuschreiben braucht,
unerwähnt ist übrigens das fortdauernde Eingebundensein Österreichs in die
„deutsche Frage“ durch sein Anhörungsrecht im Falle des Beitritts der
süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund. Und schließlich ein Beispiel für
einen unharmonischen Farbklecks zur neuesten Zeit: „Vordergründig betrachtet“
habe das Bonner Grundgesetz keine „Projektion der Zukunft“ entworfen (388).
Wieso eigentlich nicht? Erstens stand es dem Beitritt anderer deutscher Länder
doch offen, was damals eine erstrangige „Projektion“ war, zum zweiten eröffnete
sie sogar, sich selbst als Provisorium verstehend, den Weg zu einer neuen
gesamtdeutschen Verfassung. Willoweits Begründung
aber dürfte eine andere sein, denn nach ihm waren „Wiederherstellung, ,Restauration’ zerstörter Ordnungen“ die „vorrangige
Aufgabe“ des Grundgesetzes (388). War dem aber tatsächlich so? Von einer
Wiederherstellung der Weimarer Verfassungsordnung sollte und kann doch keine
Rede sein!
Werfen
derartige Feststellungen Fragen auf, so drängen andere zum Übermalen, zu
Gegenpositionen. Eine „charakteristische neue Form der Administration“ des
aufgeklärten Absolutismus stelle in Preußen wie in Österreich der „Staatsrat“
dar (218). Für Österreich ist dies wenig glaubhaft, und zwar schon an sich, vor
allem aber dadurch, daß diese „Form“ zweifellos das
Schaffen von bisher fehlenden landesfürstlichen Mittel- und Unterbehörden war;
erst mit ihnen erreichte man – nahezu – die Untertanen. Zu den „entscheidenden
Weichen auf dem Wege zum Verfassungsstaat“ zählt fraglos der in Süddeutschland
einsetzende Frühkonstitutionalismus; dies aber erst auf die Zeit des Deutschen
Bundes zu beziehen (243) vernachlässigt die voraufgehenden
Verfassungen der Rheinbundzeit, obwohl sie Willoweit
anführt (241f.), aber in keine Beziehung zu den späteren Verfassungen setzt.
Eine dort getroffene Äußerung scheint sehr wesentlich, wird aber nicht weiter
verfolgt: Die Rheinbundzeit-Verfassungen gaben einen „Ansatz zu
,neuständischen’ Strukturen vor, den spätere Verfassungen
weiterentwickelten“ (242). Dieses Erkennen des Typus der „neuständischen
Monarchie“ bleibt unausgeführt – er liegt in vielfältigen Formen späteren
anti-konstitutionellen Konzepten zugrunde. Zum „Ende des Reiches“ (226ff.)
bleibt in der Chronologie vorerst ein gewichtiger Schritt unerwähnt: Die
Annahme des erblichen Titels „Kaiser von Österreich“, eine Ereignis, welches
erst zur Reichsauflösung 1806 nachgetragen wird. Aber es bedeutete eben schon
zuvor eine Ungeheuerlichkeit, daß ein Reichsstand für
seinen Komplex auch an Reichsterritorien den gleichen Rang wie das
Reichsoberhaupt in Anspruch nahm! Einen Kaiser, nämlich den österreichischen,
in Unterordnung unter einen anderen, nämlich den römisch-deutschen, konnte es
sowohl begrifflich wie rangmäßig nicht geben, was zwar die Personalunion Franz
II. (I.) verschleierte, aber doch ein gewichtiges Indiz dafür abgab, sich mit
der eigenen Hausmacht nicht nur Rußland, Frankreich
und dem Osmanischen Reich als ebenbürtig anzusehen, sondern auch dem Reich; das
war als Zeichen eigener Souveränität zu werten. Als daher im Preßburger Frieden von 1805 den süddeutschen Reichsständen
ausdrücklich „volle Souveränität“ zuerkannt wurde, war dies also bereits ein
zweiter Schritt! Damit steht wohl im Zusammenhang, daß
in diesem Friedensschluß nicht mehr von einem „Empire
Germanique“ die Rede ist, sondern bereits von einer „Confédération Germanique“!
Wie
schon bei Frotscher/Pieroth kommt auch bei Willoweit der Deutsche Zollverein zu kurz, und dies trotz
der richtigen Feststellung: „Die wirksame Reform der Staatenintegration begann
mit der Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes“ (257, vgl. auch
259). Zu den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung hatte man in Österreich
entgegen Willoweit letztendlich doch nicht „alle in
einem untergeordneten Dienstverhältnis Stehenden“ vom Wahlrecht
ausgeschlossenen, offene Stimmabgabe gab es auch „außerhalb Österreichs“
(anders 261f.) wie etwa in Hannover oder in Schleswig-Holstein. Auch das zur
großdeutschen beziehungsweise kleindeutschen Lösung Gesagte steht auf schwachen
Füßen wie ähnlich schon bei Zippelius. Daß „nationalstaatliche Erwartungen“ verlangt hätten, „die
deutschen und nichtdeutschen Teile der österreichischen Monarchie“ zu trennen
(267) ist unzutreffend: Verhandlungen und Aktionen der Nationalversammlung
zeigen klar, daß der deutsche Nationalstaat ein
solcher mit zum Teil starken Minderheiten, vor allem in Böhmen und Mähren, und
entsprechenden Minderheitenrechten gewesen wäre. In Hinblick auf Österreich –
theoretisch auch auf Preußen –, geht es nicht um ethnische Probleme, sondern um
die Frage der bundeszugehörigen und der nicht bundeszugehörigen Gebiete. Dies
drückt schließlich auch § 2 der Reichsverfassung aus. Unrichtig ist, daß erst Österreichs Verfassung 1849 diesem § 2 eine Absage
erteilt habe, weil sie erstmals „den Gesamtstaat förmlich verklammerte“ (267).
Bereits Österreichs erste Verfassung vom April 1848 „verklammerte“
bundeszugehörige mit nicht bundeszugehörigen Gebieten zu einer Einheit, da
diese Verfassung zwar nicht Ungarn mit einschloß,
sehr wohl aber andere außerhalb des Bundes stehende Kronländer wie z. B.
Galizien und Dalmatien. Übrigens ist besagter § 2 kein theoretisches Ergebnis:
Mit der eben erwähnen Verfassung 1848 einerseits und der zuvor erlassenen
eigenen ungarischen Verfassung war, zumal im Sinne der letzteren, die
Habsburgermonarchie in zwei Staaten getrennt und nur mehr in Personalunion
verbunden: Insofern schrieb § 2 eine Folgerung fest.
Angemessen
kräftige Farben fehlen zum Thema Grundrechte: Daß die
frühkonstitutionellen Verfassungen „erstmals in der deutschen Geschichte ...
Kataloge von Staatsbürgerrechten“ enthalten (247), ist nur insofern zutreffend,
als hier „erstmals“ in eine Verfassung derartige Rechte aufgenommen sind.
Vorläufer freilich gibt es, Grundrechte sind bereits im Teil-ABGB
1786 und im BGB für Galizien 1797 enthalten. Daß die
frühkonstitutionellen Staatsbürgerrechte „jederzeit durch Gesetz eingeschränkt
werden“ konnten, liegt nicht an der fehlenden Qualität „als Menschenrechte“ –
mit der Aufnahme in einen Rechtstext verwandeln sie sich ohnedies in positives
Recht –, sondern daran, daß ein Vorrang der
Verfassung noch unbekannt war. Hinzuweisen wäre hier darauf, daß die Grundrechte mangels eines Verfassungsgerichts keine
subjektiven öffentlichen Rechte waren. Zu Recht, aber denn doch nicht deutlich
genug, ist dieser Charakter als Fortschritt zu den Frankfurter Grundrechten
hervorgehoben (266). Er ist späterhin aber nicht weiter aufgegriffen wie etwa
zu den Weimarer Grundrechten (327), die große Frage der Zwischenkriegszeit nach
dem „Hüter der Verfassung“ und damit auch der Grundrechte bleibt unerwähnt. Die
Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts (418f.) wird dann zwar heraus-, aber
doch nicht in den entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang dahingehend
gestellt, daß erst spät eine Forderung von 1848
verwirklicht wurde.
Kein
glücklicher Pinselstrich ist die Meinung, das ZGB/DDR 1975 habe als
„symbolträchtiger, wohl bedachter politischer Schritt“ die gesamtdeutsche
Rechtseinheit im bürgerlichen Recht beseitigt (456): Das geschah bereits mit
dem Familiengesetzbuch 1965, die Arbeiten zur Neugestaltung des Zivilrechts
hatten in der DDR bereits 1952 begonnen.
Zerrinnende
Farbkonturen, weiße Flecken, Sprünge und Risse beeinträchtigen nicht nur das
Gesamtgemälde, sie hinterlassen auch Zweifel an manchen Konzeptionen. So
erscheint es in Hinblick auf den Inhalt als fraglich, ob die getrennte
Behandlung von „Absolutismus und traditionale Herrschaftsformen“ (§ 23) von
„Förderern“ und „Zielen“ der sogenannten
„aufgeklärten Politik“ (212f.) und deren Subsumtion
unter „Die Spätzeit des Reiches“ (§ 26) sinnvoll waren. Zusammenhänge sind auch
im 19. Jahrhundert zerrissen: Unter „Preußens Siege: Die deutsche
Einigungspolitik und der Verfassungskonflikt“ (§ 32) folgt auf den Abschnitt
„Preußen als Verfassungsstaat“ als nächster jener über den Nordeutschen
Bund (278ff.). Dies mag noch angehen, wenn man nämlich den Norddeutschen Bund
als eine Art Groß-Preußen mit Satellitenstaaten
wertet. Der zitierten Überschrift von § 32 wie schlicht der Chronologie und des
Sachzusammenhangs wegen hätte man sich weiters die Reichsgründung von 1870/71
erwartet – es folgt aber mit § 33 ein ganz anderes Thema: „Gesellschaftsnahe
Verfassungsebenen“, wobei die hier mit behandelte „Kommunalverfassung“ schon
über 1871 hinausgreift. Erst § 34 bringt „Reichsgründung und Reichsverfassung“,
Rückgriffe auf 1866/67 sind hier natürlich notwendig und vor allem geht es nun
auch noch um „Preußen und die süddeutschen Staaten nach 1866“: Statt von
Preußen sollte eigentlich vom Norddeutschen Bund die Rede sein. Ein weiteres
konzeptionelles Fragezeichen ist zur Behandlung der „Kommunalverfassung“ unter
den eben genannten „gesellschaftsnahen Verfassungsebenen“ anzubringen: Die
(Orts-)Gemeinde ist hier zusammengespannt mit etwa „Relikte der Adels- und
Agrargesellschaft“ (281ff.) und „Organisationsformen der Arbeiterschaft“
(285f.). Nun sind aber doch wahrlich diese und die weiters behandelten
„Genossenschaften Schulze-Delitzsch“ (286) keine
„Verfassungsebenen“ und daher etwas ganz anderes als die kommunale
Selbstverwaltung. Das übrigens zu ihr Gesagte (287) betrifft inhaltlich nahezu
allein Preußen und ist jedenfalls zu knapp und unterschätzt die Bedeutung des
Gemeinderechts im Verfassungsgefüge. Ein Naheverhältnis zwischen Gemeinde und
„Relikte der Adels- und Agrargesellschaft“ gibt es freilich, wird aber nicht
erwähnt, nämlich der Gutsbezirk in Preußen und in
Österreich. Die „Bildung der westdeutschen Länder“ (370f.) von der „Entstehung
der Länderverfassungen“ (373f.) durch „Ahndung nationalsozialistischer
Verbrechen und Entnazifizierung“ (371f.) zu trennen und die „Entstehung der
Länderverfassungen“ am Boden der späteren DDR (377f.) eigens zu behandeln, ist
wenig glücklich. Letzteres fände eine formale Begründung in einem Umstand, den Willoweit verschweigt: Nahezu alle ostzonalen
Länderverfassungen schreiben fest, das jeweilige Land sei ein „Glied der
Deutschen Demokratischen Republik“, und dies 1946/47 vor der Gründung der DDR!
Offenkundig durch die vorschnelle Aufteilung der Länderentstehung auf Ost und
West blieben Entstehung und Problematik (Groß-)Berlins unbehandelt. Umso mehr
erhofft man sich Aufklärung vom Unterabschnitt „Die Rechtsstellung Berlins“
(396): Das hier Gebotene ist aber dürftig, die Rede im Prinzip nur von
West-Berlin. Unter „Bildung der westdeutschen Länder“ wird übrigens auch die
„Demokratisierungspolitik“ der USA und Großbritanniens thematisiert (371),
obwohl anderes, nämlich deren Gedanken über ein föderalistisches
beziehungsweise zentralistisches Deutschland behandelt ist. Dies hätte aber
seinen Platz besser zuvor im Unterabschnitt „Die verfassungspolitischen Ziele
der Alliierten“ (368f.) gehabt, die reichlich knapp skizziert sind und wozu ein
vorgeschalteter Unterabschnitt „Frankreichs Veto
gegen deutsche Zentralverwaltungen“ (367f.) gehört. Sachkonsequenz tritt in
diesen Fällen hinter Assoziation zurück; dies auch im Folgenden: Erst spät
erfährt man etwas über Kontinuität oder Diskontinuität des Deutschen Reiches
nach 1945, und zwar im Abschnitt „Europa und das Deutsche Reich“ – also nach
Gründung der Bundesrepublik und der DDR. Hier folgt erst nach dem
Unterabschnitt „Wiedergutmachung als Sühne für die Vergangenheit“ der weitere
„Die juristische Fortdauer des deutschen Gesamtstaates“ (403f.); und
tatsächlich ist dieser Unterabschnitt eine Art Fortführung des voraufgegangenen. – So irritiert streckenweise doch auch,
und zwar nicht unerheblich, die Konzeption des auf den ersten Blick
beeindruckend angelegten Deckengemäldes. Partiell erweist es sich als zu wenig
tiefgehend und in manchen Details als ergänzungsbedürftig.
Ein
technisches Negativum aller Beck’schen
Kurz-Lehrbücher sei nicht verschwiegen: Es ist dies die Verweisung im Text
sowie in den Registern auf Paragraphe / Abschnitte /
Unterabschnitte. Da in den Kopfzeilen nur der jeweilige Paragraph aufgeführt
ist, verlangt diese Art an Verweisung ein mehrfaches Hin- und Herblättern.
Insgesamt
befriedigt keine der hier vorgeführten Verfassungsgeschichten so recht. Wer
beispielsweise die von Willoweit ausgesparten
konkreten Entwicklungsergebnisse nachschlagen will, findet sich für die ältere
Zeit noch immer bestens gleichfalls von einem Kurz-Lehrbuch bedient, nämlich
der erwähnten Deutschen Rechtsgeschichte von Mitteis/Lieberich oder der zweibändigen Darstellung von Conrad,
auch deren Kurzfassung „Der deutsche Staat“, für die Zeit ab der Französischen
Revolution ist E. R. Hubers Darstellung unübertroffen.
Es
mag nun verwundern, mit einem Band des „neuen Gebhardt“ in den Kreis der
Verfassungsgeschichte-Titel ein historisches Handbuch gestellt zu sehen. Der
Grund liegt darin, daß vor allem Lanzinners
Darstellung auf weite Strecken eine umfassend verstandene Verfassungsgeschichte
darbietet. „Die Friedensordnung des Reiches 1555–1586“ informiert über die
Institutionen der Reichsverfassung, ihre Grundlagen, ihr Tätigsein und ihre
tatsächliche Bedeutung, ähnlich das abschließende Kapitel „Polarisierung und
Weg in den Krieg 1586–1618“ etwa mit einem Unterabschnitt, welcher den
„Verfall“ der Reichsinstitutionen beleuchtet (185ff.). „Territoriale
Staatlichkeit, Kultur und Konfession“ (79ff.) behandelt in eben dieser Weise
die Territorien und „Krisenhafter Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft“
(126ff.) beinhaltet auch eine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der
lokalen Bereiche. Lanzinners Darstellung besticht
durch die Fülle an konkreten Fakten, welche einmal ihren Selbstwert haben, vor
allem aber die großen Linien der Entwicklung und deren Ergebnisse
dokumentieren, diese eigentlich erst so richtig sichtbar machen. Auf diese
Weise erfolgt beispielsweise eine dichte Information über Reichstage,
Kurfürstentage, Reichskreistag, Reichsdeputationstage (68ff.), etwa über Organisation
und Tätigkeit der Reichskreise (72ff.) und ebenso über Reichskammergericht und
Reichshofrat (74ff.). Äußerst plastisch tritt zu tage, was das Reich ausmachte
und wie es funktionierte. Gleiches gilt für die Territorien: der Fürst als
Regent, festgemacht an konkreten Personen, unter nützlicher Einbeziehung der
Grundlagen der Fürstenerziehung (79f.), das Entstehen von Zentralbehörden und
ihr tatsächlicher Einsatz in der Politik (81ff.), wobei die konkrete Angaben
hier auch der territorialen Diffenzierung dienen.
Wege und Gewichtungen der Forschung verbinden sich zum Thema Landstände
unaufdringlich mit ihren Ergebnissen (87ff.), die „Systematisierung des
Ständewesens“ (88) wird gleichfalls den konkreten territorialen Unterschieden
gerecht. Treffend ist der große Anteil der Landstände in Hinblick auf die
„Konsolidierung der Landeseinheit“ betont (93f.), die starke Stellung der
Landstände in manchen habsburgischen Territorien auf „die relative Ferne des
Herrschers“, das oben erwähnte faktische Fehlen des Landesfürsten, mit
zurückgeführt. Von Schormann wird der starke
calvinistische Einfluß mancher Ständeführer
nachgetragen (200). Lanzinners Darstellung ist
flächendeckend, da er nicht bloß punktuell Beispiele heranzieht, sondern mit
ihnen allen die Gesamtentwicklung erfaßt. Besonders
gelungen ist in diesem Sinne auch seine Darstellung der Grund- beziehungsweise
Gutsherrschaft mit dem Vordringen der letzteren, den regional
verschiedenartigen Momenten der Entwicklung und vieles mehr (146ff.). Und es
sei nochmals betont: Die grundsätzliche Entwicklung wird durch derartige
Details nicht erdrückt. Lanzinner wie sodann für den
konkreten Fall des 30jährigen Krieges auch Schormann
lassen klar erkennen, wie sehr habsburgische Territorial- als Hausmachtpolitik,
Reichspolitik und darüber hinaus das Zusammenspiel mit den spanischen
Habsburgern ineinander greifen. Aber nicht nur dadurch ist bei Lanzinner die habsburgische Territorialgeschichte, etwa mit
der Herrschaftsteilung (nicht Landesteilung: 52) von 1564, stets präsent,
sondern es wäre ihm offenkundig eine Darstellung der Institutionen und des
Geschehens im Reich ebenso unvollständig, würde er beispielsweise die Pfalz
oder Sachsen nicht berücksichtigen.
Lanzinner und Schormann veranlassen die Frage, ob sich dem Historiker der
Zugang zu historischen Verfassungssituationen besser erschließt als dem durch
die geltende Verfassungsordnung mit ihren spezifischen Fragestellungen vorgebildeteten Vertreter des öffentlichen Rechts. Die
größere Quellen- beziehungsweise Politik-Nähe hat jedenfalls in Lanzinners Darstellung jene Lücken vermieden, welche zu den
Verfassungsgeschichte-Titeln aufzuführen waren. Anders betrachtet: Ein bloß
exemplarisches Heranziehen von Beispielen, ein Begnügen oder vielleicht gar
eine Flucht in „übergreifende Entwicklungslinien“ wirkt eben blasser, sie ist
hinsichtlich konkreter Fakten her jedenfalls unvollständig.
Schließlich
noch zu einer regionalen Verfassungsgeschichte. Sie sind eher selten, keines
der österreichischen oder deutschen Bundesländer verfügt über eine solche
(abgesehen etwa von der älteren Darstellung Mells für
die Steiermark von 1929), sehr wohl nun aber der Kanton Zürich. Zu dem von
dessen Staatsarchiv herausgegebenem Band haben mehrere Autoren beigetragen,
womit allerdings eine planvolle Gesamtdarstellung nicht verlassen ist, die sich
in die großen Abschnitte „Der Stadtstaat 1218–1278“ (13ff.), „Die
Kantonsverfassungen von 1803 bis 1865“ (39ff.), „Demokratische Totalrevision
1868/69“ (61ff.) und in „Verfassungsrevisionen seit 1869“ (82ff.) gliedert. Die
Darstellung reicht bis an die derzeit geplante Totalrevision heran, welche die
Initiative zum vorliegenden Band abgab (9). Die Darstellung konzentriert sich
auf die Abfolge von verfassungsrelevanten oder schließlich formellen Verfassungs-Urkunden,
dies in einem sehr weiten Umfeld, nämlich der Beweggründe zu
Verfassungsänderungen, der entsprechenden politischen Umwälzungen und auch
persönlichen Forderungen und Anstößen. Der weitere Rahmen, das Reich, die
Eidgenossenschaft in ihren frühen Formen bis hin zum Bundesstaat, bleibt eher
ausgespart. Auf sie ist etwa damit verwiesen, daß
„die Legitimation der Republik Zürich beim Reichsoberhaupt (und nicht etwa im
eidgenössischen Zweckbündnis)“ gelegen habe, nämlich bis ins 16. Jahrhundert
(15). Mit Privilegienbestätigungen oder der Zunftrevolution im 14. Jahrhundert
sehen wir in Zürich das Schicksal einer Reichsstadt widergespiegelt. Ähnlich
wie andere Reichsstädte auch betreibt Zürich eine „gezielte Territorialpolitik
durch Kauf und Pfandnahme von Herrschaftsrechten“ (22). In der Quantität
freilich geht diese Entwicklung über das Bemühen anderer Reichsstädte hinaus. Zuerworbene Herrschaften behielten im wesentlichen ihre
Rechtsstellung, die städtische Zunftverfassung ließ sich auch auf das flache Land
nicht ausdehnen, überdies erlaubte die meist als Pfandherrschaft ausgeübte
Obrigkeit keine gravierenden Änderungen (23): Statt etwa den habsburgischen
Grafen von Kyburg war die Stadt Obrigkeit am Land
geworden, die damit dort ihre Untertanen hatte. Welche Bedeutung das
Ausscheiden der Eidgenossenschaft aus dem Reichsverband 1648 hatte, bleibt
unerwähnt, man gewinnt nahezu den Eindruck, als brächte dies keinerlei Zäsur,
vielmehr eine solche erst die Entwicklung im Gefolge der Französischen
Revolution. Nun kam die Gleichheit für Stadt und Land, vorerst aber in der
zentralistischen Helvetischen Republik von 1798, der Kanton Zürich war nun „zu
einem bloßen administrativen Bezirk geworden“ (35). Hier und in der weiteren
Entwicklung der „Mediation“ wird deutlich, wie sehr
die Schweiz ähnlich am französischen Gängelband hing wie etwa der Rheinbund.
Nur kurz ist auch „der neue Bundesvertrag“ von 1815 erwähnt (43), abermals hat
man den Eindruck, als gäbe es von hier aus keinerlei Vorgaben für die immerhin
drei Kantonsverfassungen, die nun bis 1869 einander ablösten. Verglichen mit
der deutschen beziehungsweise österreichischen Verfassungsentwicklung erweist
sich immer wieder der große Einfluß des Volkes in
verschiedensten Aktionen, etwa in der Landesversammlung von Uster 1830, die zur
liberalen Verfassung 1831 führte (489). Vorerst scheint es auch, als hätte die
Bundesverfassung 1848 keinen Einfluß auf die
kantonale Verfassungssituation: Einerseits stellt der „Züriputsch“
von 1839 (51) eine Zäsur dar, andererseits die Verfassung 1869 (schon 57ff.).
Nur nebenbei hören wir, daß die Bundesverfassung 1848
dazu gezwungen hatte, 1865 die Möglichkeit einer Verfassungsrevision aufgrund
einer Volksabstimmung einzuräumen (60). Der überwiegende Teil der Darstellung
beschäftigt sich sodann mit der Verfassung 1869 und ihren Revisionen bis in das
Jahr 2000: Sie wird hier immer dichter. Ein interessantes Detail ist zum Jahre
1959 nachgetragen, nämlich das „Konfliktgesetz 1831“, welches den ordentlichen
Zivilgerichten eine Art von verwaltungsgerichtlichen Kompetenzen dadurch
zuschob, da „viele an sich öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zur ,Rechtssache’ erklärt“ wurden (125). Der Weg zu einer
eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit war lang, die konkreten Arbeiten begannen
1902, 1959 erst wurde das Verwaltungsgericht eingerichtet (126ff.). Eine
interessante Darstellung, der freilich der Bezug zu den erwähnten
Rahmenbedingungen durchgehend fehlt.
Ein
Problem sei abschließend zusammenfassend thematisiert: Was Österreich – die
Habsburgermonarchie, dann den Kaiserstaat und schließlich die
österreichisch-ungarische Realunion – betrifft, so sind hiezu sämtliche „Verfassungsgeschichte“-Titel unzuverlässig: ganz im
Gegensatz zu Lanzinner und Schormann!
Nicht nur die Hausmacht des Reichsoberhaupts bzw. die Bundes-Präsidialmacht ist
dadurch vernachlässigt, sondern es ist just Österreich jener Staat, der zum
Teil lange vor Deutschland die 1848/49 gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse
umsetzte. Willoweit zitiert § 184 der
Reichsverfassung 1849, wonach den Gemeinden ausdrücklich „Grundrechte“ gewährt
wurden, und fügt hinzu: „ Dieses Programm konnte niemals realisiert werden …“
(287): Tatsächlich übernahm die österreichische Verfassung 1849 den eben
zitierten § 184 fast wortwörtlich, setzte diese Bestimmung mit dem
Gemeindegesetz 1849 in die Praxis um und führte dies mit dem weiteren
Gemeindegesetz 1862 weiter aus und fort. Die 1848/49 erarbeiteten Grundrechte
traten 1867 in Österreich in Kraft, also lange bevor die Weimarer
Reichsverfassung einen gesamtdeutschen Grundrechtskatalog brachte, und das
1848/49 vorgesehene Reichsgericht als Verfassungsgerichtshof wurde aufgrund
eines eigenen Staatsgrundgesetzes 1867 im Jahr darauf verwirklicht, womit lange
vor dem Bundesverfassungsgericht Österreichs Grundrechte zu subjektiven
öffentlichen Rechten geworden waren. Das scheint offenkundig eine deutsche
Verfassungsgeschichte nicht zu interessieren – aber immerhin gab es, um nur ein
Moment zu nennen, im Deutschen Juristentag bis 1933 eine gemeinsame
wissenschaftliche und rechtspolitische Plattform und gegenseitige Einflußnahmen waren nicht gerade gering. Würden Fachautoren
die deutsche oder preußische Verfassungsentwicklung so dilatorisch behandeln
wie die vorgeführten Verfassungsgeschichten zum Teil die österreichische, könnte
man leicht ihre Fachqualifikation anzweifeln.
Wien Wilhelm
Brauneder