Wilcken, Christoph Alexander von, Die Reformbestrebungen zum Genossenschaftsgesetz in der Frühzeit der Bundesrepublik (= Rechtshistorische Reihe 219). Lang, Frankfurt am Main 2000. XIV, 219 S.

 

Die von Werner Schubert betreute Kieler rechtswissenschaftliche Dissertation will ausweislich ihres Vorwortes ein möglichst umfassendes Bild der Reformbestrebungen zum westdeutschen Genossenschaftsrecht bis 1962 wiedergeben. Sie greift dabei vornehmlich auf die bisher mit Rücksicht auf die Archivschutzfrist noch nicht im einzelnen ausgewerteten Protokolle der Sachverständigenkommission zur Überprüfung des Genossenschaftsrechts zurück, die von 1954 bis 1958 im Auftrag des Bundesjustizministeriums der Bundesrepublik Deutschland getagt hat. Damit soll eine Lücke in der Erforschung der Genossenschaftsrechtsentwicklung geschlossen werden. Diese Ziele erreicht die Schrift in hervorragender Weise. Sie tut das, weil sie weit über die sichtende Auswertung von Sitzungsprotokollen der 50er und 60er Jahre hinausgeht und diese dazu benutzt, um die wesentlichen Genossenschaftsrechtsprobleme aus der meist bis in das 19. Jahrhundert hineinreichenden Tiefe der Genossenschaftsgeschichte heraus zu erklären.

 

Die in drei Teile gegliederte Schrift beginnt mit einem kurzen Abriss der Genossenschaftsgesetzgebung seit 1867 (einschließlich der NS-Zeit), um so den historischen Rahmen aufzuzeigen, in dem die Reformarbeiten standen, die wenige Jahre später in den Referentenentwurf eines Genossenschaftsgesetzes von 1962 mündeten, der allerdings nicht Gesetz wurde. Die große Genossenschaftsgesetznovelle 1973 ist, weil deren Quellen noch nicht vollständig zugänglich sind, nicht mehr Gegenstand der Arbeit. Auf sie wird aber, wo es zum Verständnis der Genossenschaftsrechtsentwicklung not tut, bereits Bezug genommen. Das dient der Sache, ohne den Rahmen der Untersuchung zu sprengen.

 

Im zweiten Teil werden die einzelnen Reformgegenstände, mit denen sich die Sachverständigenkommission befasst hat und die zum Teil in den Referentenentwurf 1962 eingegangen sind, behandelt. Dabei konzentriert sich der Verfasser in weiser Beschränkung auf die wichtigsten Problemfelder, und zwar auf den Genossenschaftsbegriff, das Nichtmitgliedergeschäft, die Zentralgenossenschaften und den Erwerb genossenschaftlicher Beteiligungen, die Kapitalgrundlage der Genossenschaft, die Rückvergütung, die Haftung der Genossenschaftsmitglieder, die Verfassung der Genossenschaft (insbesondere die innergenossenschaftliche Kompetenzverteilung), die Vertreterversammlung und das genossenschaftliche Prüfungswesen. Jeweils werden in gedrängter Form die Rechtslage vor dem Referentenentwurf 1962, die Erörterung in der Sachverständigenkommission, der Referentenentwurf 1962 und die Reaktionen auf diesen Gesetzentwurf dargestellt. Bei den beiden Schwerpunktthemen (Genossenschaftsbegriff und genossenschaftliche Prüfung) wird noch weiter ausgeholt und auch auf die Reformbestrebungen der Akademie für Deutsches Recht und des Reichsjustizministeriums eingegangen. Das ist gerade hier dem rechtsgeschichtlichen Verständnis dienlich.

 

Bei der Auswertung des historischen Materials geht der Verfasser mit genossenschaftsrechtlichem Sachverstand, Umsicht und politischem Gespür vor. Er stellt die an der Genossenschaftsrechtsentwicklung beteiligten Personen nach sozialer Herkunft, beruflicher Funktion und politischer Überzeugung vor und ordnet damit deren fachliche Äußerungen dem jeweiligen politischen Umfeld zu. Aus den Diskussionsprotokollen wird meist nicht wörtlich zitiert, was zuviel Raum erfordert hätte. Vielmehr werden die Diskussionsbeiträge sachlich ausgewertet und äußerst gestrafft wiedergegeben, wobei stets das rechts- und interessenpolitisch Beachtliche klar hervortritt.

 

Mit einer abschließenden Würdigung endet die Arbeit. Hier wird noch einmal deutlich, dass sich das Erscheinungsbild der westdeutschen Genossenschaften schon zur Zeit der Überprüfung des Genossenschaftsrechts durch das Bundesjustizministerium im Vergleich zu ihren Ursprüngen in der Mitte des 19. Jahrhunderts wesentlich verändert hatte. Schon damals bahnte sich eine Zweiteilung des westdeutschen Genossenschaftswesens in Großgenossenschaften und zentrale Verbundeinheiten einerseits und traditionelle genossenschaftliche Selbsthilfeunternehmen andererseits an, auf die man genossenschaftsrechtlich zu reagieren hatte. Dabei galt es oft, die kluge Balance zwischen den eigennützigen Standpunkten der beteiligten Wirtschaftskreise und Interessenverbände zu halten. Das ist nicht immer vollends gelungen. So zeigt der Verfasser etwa auf, dass in der Reformdebatte in den 50er Jahren der durchsichtige Vorstoß des deutschen Groß- und Außenhandels, den genossenschaftlichen Großformen den Selbsthilfecharakter abzusprechen, zurückgewiesen werden konnte, dass aber bei der Genossenschaftsrechtsreform 1973 die genossenschaftliche Führungsstruktur mit der seitdem zwingenden eigenverantwortlichen Leitungsbefugnis des Genossenschaftsvorstandes auf Drängen der Genossenschaftsverbände ausschließlich auf die Bedürfnisse der sich als modern empfindenden Großgenossenschaft ausgerichtet wurde. Die Sachverständigenkommission hatte insoweit noch sachgerecht betont, dass es ausreiche, wenn die Großgenossenschaften die geschäftspolitische Weisungsfreiheit des Genossenschaftsvorstandes gegenüber der Generalversammlung und dem Aufsichtsrat kraft Satzung einführen könnten. Denn nur diese Satzungsfreiheit gewährleistet die für das Genossenschaftswesen unerlässliche Koexistenz von traditionellen und modernen Genossenschaften.

 

Insgesamt handelt es sich um eine übersichtlich aufgebaute, sorgfältig recherchierende, sachkundige Arbeit, die zudem in vorbildlich klarer und knapper Sprache verfasst ist und einleuchtend argumentiert. Das Buch enthält über eine wichtige Epoche der westdeutschen Genossenschaftsrechtsentwicklung alles Wesentliche. Gut gemacht und deshalb überaus nützlich.

 

Marburg                                                                                                               Volker Beuthien