Westfälische
Jurisprudenz. Beiträge zur deutschen und europäischen Rechtskultur. Festschrift
aus Anlass des 50jährigen Bestehens der Juristischen Studiengesellschaft
Münster, hg. v. Großfeld, Bernhard/Pottmeyer, Ernst/Michel, Klaus/Beckmann,
Martin. Waxmann, Münster 2000. 554 S.
Die „Juristische
Studiengesellschaft in Münster“ wurde 1949 als Verein gegründet (genauer:
„wiedergegründet“) mit dem in § 2 Abs. 2 der Statuten genannten Zweck, „ihre
Mitglieder und die Rechtspraxis in wissenschaftlichen Vorträgen und
Erörterungen mit der Fortentwicklung auf allen Gebieten der Wissenschaften
vertraut zu machen, die für das Rechtsleben von Bedeutung sein können“. Es wird
in ihr von bedeutenden Persönlichkeiten über vielfältige Themen diskutiert und
Gewicht darauf gelegt, dass auch Jungakademiker zu Wort kommen.
An der 28 Beiträge umfassenden
Festschrift haben außer Professoren der Juristischen Fakultät von Münster und
hier wirkenden Richtern auch Professoren anderer Fakultäten sowie hohe Beamte -
auch solche im Ruhestand - mitgewirkt, ferner tüchtige Nachwuchskräfte. Die
behandelten Themen betreffen teils bedeutende Persönlichkeiten, teils bestimmte
Institutionen. Bei fast allen aber besteht eine starke Beziehung zu Westfalen,
entweder als Landschaft der Herkunft oder des Wirkens einer Persönlichkeit oder
durch die besonders starke Bedeutung bestimmter Regelungen im westfälischen
Gebiet.
Die Festschrift ist
gegliedert in drei Teile: „Historische Dimensionen“ (4 Beiträge),
„Persönlichkeiten“ (16 Beiträge) und „Übergreifende Aspekte“ (8 Beiträge). In
meiner Besprechung ziehe ich eine chronologische Reihenfolge vor.
Der somit als erster zu skizzierende
Beitrag betrifft „Johannes Althusius“ (S. 95-110) und stammt vom Vorsitzenden
der Althusius-Gesellschaft, Dieter Wyduckel, der sich dauernd und
erfolgreich mit jenem bedeutenden Gelehrten und Praktiker befasst hat. Aufgrund
neuer Erkenntnisse stellte er verschiedene Ungenauigkeiten des früheren
Wissensstandes richtig. Althusius, der entgegen der bisherigen Annahme kaum 1557,
sondern erst 1563 geboren wurde und wohl aus einer bäuerlichen Familie stammte,
wurde schon als 25jähriger in Herborn Professor. 1603 wurde er Syndikus in der
ostfriesischen Stadt Emden, wo er nach niederländischem Vorbild eine reiche
praktische Tätigkeit im Kampf um Wahrung der Autonomie Emdens gegenüber dem
lutherischen Grafenhaus führte. Er stützte sich vor allem auf den unmittelbaren
Bibeltext. In seinem wissenschaftlichen Hauptwerk „Politica, methodice
digesta“ verband er rein juristische mit politischen Grundsätzen. Er setzte
sich ein für eine mehr aristokratische als demokratische Gestaltung des Staates
unter Betonung der ständischen Interessen sowohl der Bauern als auch der
Städte, nicht nur gegenüber dem Grafenhaus, sondern auch gegenüber dem Landadel.
Die Gesamtheit des in Ständen gegliederten Volkes sei souverän, während sein
Zeitgenosse Bodinus von einer streng monarchischen Verfassung ausging. Die
Lehren des Althusius lebten wieder auf durch Otto von Gierke, der aber deren
rein juristischen Aspekte überbetont habe.
Fast gleichzeitig mit Althusius lebte
Friedrich von Spee (1591-1635), Jesuit, Professor der Logik und Metaphysik in
Paderborn, wo sein berühmtes Buch „Cautio criminalis“ 1631 am selben Ort
erschien, an dem 785 eine Synode mit Billigung Karls des Großen den Hexenwahn
verdammt hatte. Großfeld skizziert (S. 123-128) die Entwicklung, die zum
Wiederaufleben des Hexenwahns geführt hat. Um 1250 sei die Folter als ein
Produkt des Rationalismus aufgekommen. Die Erfindung der Druckkunst mit beweglichen
Lettern habe im 15. Jahrhundert zu einer Verschriftlichung der Gesellschaft
geführt. Sprengers berüchtigter „Hexenhammer“, der in unzähligen Exemplaren
vervielfältigt wurde, zeuge von der Macht des Buchstabens, der die praktische
Erfahrung außer Acht gelassen habe.
Zu seinen Erkenntnissen
war Spee als Beichtvater vieler wegen Hexerei zum Feuertod verurteilter Frauen
gekommen. Er war überzeugt, dass sie sich alle nur unter dem Druck unerträglich
qualvoller Folter schuldig bekannt hatten und dass von keiner einzigen
feststand, dass sie wirklich schuldig war. Scharf kritisiert er nicht
schlechthin den Hexenwahn, wohl aber das Verfahren, in dem die der Hexerei
Beschuldigten mit schriftlich festgehaltenen Worten als schuldig überführt
wurden: Sein Kampf gegen die Folter konnte nicht verhindern, dass während des
Dreißigjährigen Krieges die Hexenverfolgungen auf eine noch nie erreichte Höhe
stiegen. Aber er schuf die Grundlage dafür, dass der Naturrechtler Christian
Thomasius in seinen 1701 erschienenen Werk „Vom Laster der Zauberei“ die Folter
und damit auch Verurteilungen gegen Hexerei erfolgreich bekämpfte.
Drei Beiträge befassen sich mit dem
Westfälischen Frieden von 1648. Gundo Guy Kroh aus Bonn analysiert dessen
völkerrechtlichen Aspekte (S. 21-26), der Münsteraner Öffentlichrechtler Stefan
Ulrich Pieper seine „Staatsverfassung“ (S. 27-48). Beide Aufsätze dringen
tief in die vielen Probleme ein, die sich sowohl historisch als auch juristisch
aus der Vorgeschichte, dem Inhalt und den Auswirkungen des großen, in seiner
Komplexität erstmaligen Friedenswerks ergaben. Beachtet wird auch das Problem,
ob die aus dem Westfälischen Frieden hervorgegangene Ordnung nicht ein Vorbild
für die angestrebte europäische Ordnung sein könnte, was von Kroh (S. 26)
freilich verneint wird, da der Westfälische Frieden einen weiteren Schritt zum
totalen Zerfall des Reiches bedeutete, was im Gegensatz zum heutigen Ziel
steht, ein festgefügtes Europa zu schaffen.
Horst Lademacher, Gründer und langjähriger Leiter des
Niederlande-Instituts in Münster, berichtet in seinem Aufsatz „Von der der
Rebellion zur Unabhängigkeit“ (S. 49-65), wie die Niederlande aus bescheidenen
Anfängen in achtzigjährigem Ringen im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges in den
Rang einer Großmacht aufstiegen. Ausgangspunkte dafür waren einerseits die
calvinistische Glaubensüberzeugung und andererseits kaufmännische Interessen:
Mittel dazu waren Bündnisse mit Großmächten, vor allem Frankreich, das man sich
aber nicht als Nachbar wünschte. Skizziert wird die recht verworrene Politik
Frankreichs, Spaniens und der Niederlande, die schließlich dazu führte, dass
diese in Münster sogar als Vermittler zwischen Frankreich und Spanien
aufzutreten vermochten.
Christian Gellinek, der bis zu seiner Emeritierung das
Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster leitete, behandelt in
seinem Beitrag das Thema „Hugo Grotius und die Sprache der westfälischen
Friedensschlüsse von 1648“ (S. 111-121). Grotius, der fließend lateinisch,
griechisch, französisch, niederländisch und deutsch sprach, habe nicht nur auf
die Wahl der Kleinstädte Münster und Osnabrück statt etwa der Großstädte Köln
oder Frankfurt als Orte der Friedensverhandlungen, sondern auch auf die Sprache
bei den Friedensverhandlungen Einfluss genommen. Aber schließlich habe man
unabhängig von Grotius die lateinische Sprache zur Abfassung der Vertragstexte
gewählt, da sie zwar trocken, aber durch begriffliche Schärfe ausgezeichnet
war.
Der Beitrag der emeritierten
Professorin für Didaktik der Geschichte in Münster, Rudolfine Freiin von Oer
über „Beobachtungen westfälischer Parteienvertreter an den Gerichten des Alten
Reiches“ (S. 405-416) betrifft den in Münster bestens bekannten
„Erbmänner-Prozess“, der 1597 in Speyer begann und 1709 durch kaiserliche
Entscheidung in Wien beendet wurde. In ihm ging es um die Anerkennung der
Angehörigen patrizischer Münsteraner Familien als stiftsfähig und damit würdig,
Mitglieder des münsterischen Domkapitels zu werden. Die Verfasserin behandelt
aber nicht den Verlauf des langen Prozesses, da sie ihn schon vor kurzem
ausführlich besprochen hat („Der münsterische Erbmänner-Streit“, 1998).
Vielmehr zeigt sie, wie langatmig das Verfahren war, da viele Parteivertreter
für bestimmte Verhandlungen nach Speyer oder Wetzlar gehen und dort tagelang
warten mussten, bis die Verhandlung wirklich stattfand, ebenso, wie es üblich
war, den Richtern vor oder nach der Urteilsverkündung Besuche zu machen und sie
zu einer Mahlzeit einzuladen und wie manchmal Bestechungen eine Rolle spielten.
Ungemein lebendig wirkt der Aufsatz
von Johannes-Ansgar Hasenkamp, der jahrelang das Kulturressort der
„Westfälischen Nachrichten“ leitete, über „Antonius Matthias Sprickmann“
(1749-1833, S. 145-160). Er schildert den anfänglich recht wilden Charakter und
die vielseitigen Leistungen des ehemaligen Professors, Anwalts, Politikers,
Musikers und Dichters, dessen Lustspiel „Der Schmuck“ 1800 von Goethe in Weimar
aufgeführt wurde. Sprickmann hielt seit 1778 in Münster Vorlesungen über Staatsrecht
und gründete im selben Jahr eine Freimaurer-Loge. 1814-1817 wirkte er als
Professor in Breslau auf einem neugeschaffenen Lehrstuhl für deutsches Recht
und 1817-1829 in Berlin als Nachfolger Eichhorns auf einem germanistischen
Lehrstuhl. In seinen letzten Jahren arbeitete er an einer deutschen Reichs- und
Rechtsgeschichte, kehrte aber 1829 nach Münster zurück, wo er 1833 starb. Er
hat relativ wenig Gedrucktes hinterlassen, wohl aber ungemein viele
handschriftliche Notizen, die von der münsterischen Universitätsbibliothek
erworben wurden und eine reiche Quelle für weitere Forschungen bilden.
Christian Hattenhauer, Sohn des Kieler Rechtshistorikers Hans
Hattenhauer, vor kurzem in Münster habilitiert, hat „Das Königreich
Westphalen 1807-1813“ als von Napoleon für seinen jüngsten Bruder, Jérôme,
geschaffenen Vasallenstaat Frankreichs überaus lebendig und vielseitig
dargestellt (S. 67-91). Im kleinen Königreich, zu dem das Münsterland nie
gehörte, mit der Hauptstadt Kassel, wurden französische Institutionen, vor
allem die französische Justizorganisation und der Code civil erfolgreich
eingeführt mit der Folge, dass die nun mündlich geführten Prozesse viel rascher
als die früher schriftlichen erledigt wurden. Der König „Lustigk“ liebte
verschwenderisch-luxuriöse Festlichkeiten und war sexuell ausschweifend, aber
doch pflichtbewusst und leitete trotz Unkenntnis der deutschen Sprache mit
Geschick viele Verhandlungen seiner Ratskollegen. Bedenklich war es, dass
Napoleon soviel aus dem Land an finanziellen Mitteln und Truppen herauszog,
dass es trotz höchsten Steuerdrucks ständig von Bankrott bedroht war und 28000
Mann in Russland fielen. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig musste Jérôme
schmählich fliehen, und die alten Institutionen lebten wieder auf, ohne dass das
Volk den vielen zum Teil trefflichen Neuerungen nachtrauerte.
In ihrem Beitrag „Freiherr vom Stein
in Westfalen“ (S. 181-192) schildern Hans W. Jarass, Leiter des
Instituts für Umwelt und Planungsrecht, und Oliver Engsterhold, Richter
am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das Wirken des 1757 geborenen Staatsmanns
in Westfalen. Er wurde 1780 Referendar beim Bergwerks- und Hüttendepartement,
1782 Oberbergrat, 1784 Direktor mehrerer westfälischer Bergämter, 1793
Präsident der Kriegs- und Domänenkammer in Hamm, 1796 Oberpräsident sämtlicher
Kammern in den rheinisch-westfälischen Provinzen; 1803 suchte er im Auftrag
König Friedrich Wilhelms III. die Verbindung zwischen den altpreußischen
Gebieten und den neuerworbenen westfälischen, deren katholische Bevölkerung dem
König an sich fremd war, herzustellen. Nach kurzer Ministertätigkeit in Berlin
und Entlassung auf Napoleons Verlangen sowie Beratertätigkeit für Alexander I.
von Russland, kehrte Stein 1826 nach Westfalen zurück und nahm seinen
Alterssitz in der säkularisierten Prämonstratenserabtei Kappenberg. Im selben
Jahr wurde er Landtagsmarschall. Die Autoren betonen, dass in Westfalen
ständestaatliche Elemente eine starke Rolle spielten und die Bauern, obwohl
großenteils eigenbehörig, meist wohlhabend und von drückenden Zinslasten frei
waren. Beides habe Wesentliches dazu beigetragen, Friedrich Wilhelm III. zu
bewegen, den Stein-Hardenbergschen Reformen und damit der Befreiung der
preußischen Bauern aus der Erbuntertänigkeit zuzustimmen und die berühmte
Steinsche Städteordnung zu bewilligen. 1831 starb Stein 93jährig.
Mit dem Nachfolger Steins in vielen
westfälischen Ämtern, „Ludwig Freiherr Vincke - Ein Leben für Westfalen“ (S.
193-218), befasst sich Erwin Schneeberger . Vincke, 1774 in Minden
geboren, entstammte einer alten freiherrlichen Familie und hatte, gleich wie
Stein, neun Geschwister, legte aber, anders als dieser, keinen Wert auf seine
adlige Herkunft. Er befasste sich u.a. mit vielfältigen Problemen der
Landwirtschaft, der Errichtung von Pflichtversicherungen für Feuerschäden und
der Ersetzung der früher merkantilistischen Wirtschaft durch eine
bürgerlich-kapitalistische nach englischem Vorbild, aber ohne Aufhebung der
Zünfte. Auch wurde er in den 1817 gebildeten Staatsrat berufen, was viele
Aufenthalte in Berlin nötig machte, ihm aber kein internationales Ansehen
verschaffte. Vincke befasste sich oft mit kirchlichen Fragen. Mit gewichtigen
Bedenken gegen die vom König als Summus Episcopus der evangelischen Kirche
verfasste Agende, die in allen Provinzen als einheitliche Gottesdienstordnung
eingeführt werden sollte, erlangte er beim König einen Teilerfolg. Noch
schwieriger war sein Verhältnis zur katholischen Kirche, nachdem Preußen das
Fürstbistum Münster in Besitz genommen hatte. Es kam hier zu jahrelangen
Streitigkeiten zwischen Vincke und dem Generalvikar Clemens August Droste zu
Vischering, z. B. über Auswahl und Anstellung der Geistlichen,
Berufung von Theologieprofessoren und Studium von Theologiestudenten Nach Vinckes
Tod 1844 wurden seine hervorragenden Leistungen für Westfalen nur zurückhaltend
anerkannt, obwohl er bei den meisten und besonders bei seinen untergebenen
Beamten beliebt war. Er war ein Beispiel eines trefflichen Beamten, der nicht
nach äußerem Erfolg und Anerkennung, wohl aber nach treuer Pflichterfüllung für
das Wohl des Landes strebte.
Der offenbar auch
allgemein-literarisch interessierte Öffentlichrechtler Bodo Pieroth hat
einen Beitrag verfasst über das Thema „Karl Immermann in und über Münster“ (S.
219-227). Der 1796 in Magdeburg geborene Dichter hatte nach juristischen
Studien in Halle verschiedene Richterstellen inne und war bis zu seinem Tod
(1840) Landgerichtsrat in Düsseldorf, wo er Intendant des Düsseldorfer Theaters
wurde. Mehrere- Jahre lebte er in Münster, wo es ihm aber nicht
gefiel. Er fand, dass das viele in Münster stationierte Militär jeder
Allgemeinbildung ermangelte und dass die Münsteraner allen Nichtkatholiken und
aus Preußen Stammenden unzugänglich waren. Obwohl Immermann das Münsterland
lange nicht besonders schätzte, hat er doch in seinem berühmten Roman „Der
Oberhof“ dem westfälischen Bauerntum ein bleibendes Denkmal gesetzt. Schauplatz
des Romans ist allerdings die Soester Börde. Gleichwohl wird allgemein
angenommen, dass Immermanns Münsterzeit „wesentlich zu den im Roman zum
Ausdruck gekommenen Anschauungen beigetragen hat“.
Karl Eugen Schlief, langjähriger Justiziar des
bischöflichen Generalvikariats in Münster, schreibt über „Bischof Ketteler und die
Freiheit der Kirchen (S. 160-179). Ketteler, 1812 als Sohn eines Landrats und
Freiherrn geboren, in der St. Lamberti-Kirche in Münster getauft, studierte
nach einem in Münster abgelegten Maturitätsexamen an mehreren deutschen
Universitäten Rechtswissenschaft und trat dann in den Staatsdienst bei der
Regierung in Münster ein. Die Kölner Wirren als erster großer Konflikt zwischen
der preußischen Regierung und der katholischen Kirche, bei dem Erzbischof
Clemens August Droste zu Vischering auf Befehl Friedrich Wilhelms III.
gefangengenommen und auf die Festung Minden gebracht wurde, löste bei Ketteler
helle Empörung aus und veranlasste ihn, 1841-1844 Theologie zu studieren und
Geistlicher zu werden. In der Frankfurter Nationalversammlung wurde er durch
seine Ansprachen in ganz Deutschland bekannt. Seine Rede vor der ersten
Versammlung des katholischen Vereines Deutschlands vom 4. Oktober 1848 und die
sechs den großen sozialen Fragen seiner Zeit gewidmeten Adventspredigten im Dom
zu Mainz wurden mit Begeisterung aufgenommen. Als Bischof von Mainz trat er
immer wieder als Vorkämpfer in sozialen Fragen, aber auch als Kämpfer für die
Freiheit von staatlicher Bevormundung auf. Die Kirche könne auch dann ihrer
Sendung gerecht werden, wenn sie in einem Staat wirken müsse, der, wie z. B.
Nordamerika, kirchlich völlig indifferent sei, aber eine unbedingte allgemeine
Freiheit gewähre. Kettelers erste umfangreiche Schrift erschien 1862 mit dem
Titel „Friede und Freiheit der Kirche“. Sein „großes Anliegen war es, Kirche und
Christentum als Lebensprinzip der menschlichen Gesellschaft im öffentlichen
Leben fruchtbar zu machen“ (S. 172). Er forderte vor allem Klarheit über alle
Begriffe, die in der katholischen Tagespresse verwendet zu werden pflegten. Er
war gegen staatskirchliche Anmaßungen des Staates, der sich Beamte nicht nur
protestantischer, sondern auch katholischer Fürsten schuldig machten.
Andererseits sprach sich Ketteler
gegen die Verkündung der Unfehlbarkeit des Papstes aus. Er starb 1872 als einer
der bedeutendsten Kämpfer für katholische wie allgemein-kirchliche Freiheit
gegenüber der unbeschränkt souveränen Staatsgewalt.
Der Beitrag Manfred Scholles,
der mehrere Jahre als erster Landrat beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe in
Münster wirkte und jetzt in der Elektrizitätswirtschaft eine bedeutende
Stellung einnimmt, über „Rechtsgrundlagen des Kulturkampfes“ (S. 417-434) zählt
die 1872-1876 erlassenen Gesetze auf, welche infolge der Ängste Bismarcks und
vieler Zeitgenossen vor den in der Unfehlbarkeitserklärung manifestierten
Machtanmaßung des Papstes, Abwehrmaßnahmen zu rechtfertigen schienen; aber es
fehlt ihnen an einer näheren Beziehung zu Westfalen, für die jene Gesetze wegen
des großen Prozentsatzes von Katholiken in diesem Gebiet allerdings besonders
bedeutungsvoll waren. Auch äußert sich der Verfasser zwar über den Anlass und
die Gründe für die einzelnen Regelungen,
nicht aber über deren praktischen
Erfolg oder Misserfolg.
Es fehlen auch Ausführungen über das
allmähliche Abflauen der nach einer Rede des Gesundheitspolitikers Virchow
„Kulturkampf“ genannten Maßnahmen und deren Gesamtbedeutung.
Mit Heinrich Eduard Pape, der 1816 in Brilon im Sauerland, also im
südlichsten Teil Westfalens, geboren wurde, befasst sich der emeritierte
Handels- und Zivilrechtler Otto Sandrock (S. 229-237). Pape war seit
1857 Mitglied der von der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 eingesetzten
Kommission zur Schaffung eines einheitlichen allgemeinen deutschen
Handelsgesetzbuchs (ADHGB). 1870 wurde er Präsident des
Bundesoberhandelsgerichts in Leipzig, das 1871 in das Reichsoberhandelsgericht
umgewandelt wurde. Die Jahre 1870-1879 betrachtete er als die fruchtbarste Zeit
seines Lebens, doch muss sein Anteil an den konkret getroffenen
Gerichtsentscheiden infolge der Tradition, die einzelnen Votanten in den
Gerichtsprotokollen nicht zu nennen, offen bleiben.
Seit 1874 wirkte Pape zuerst
nebenamtlich und seit 1879 als Vorsitzender an der Schaffung des ersten
Entwurfs für ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch mit, einer Aufgabe, die ihm
im vorgerückten Alter schwer fiel, zumal sie ihn zur Befassung mit ihm bis
dahin nicht geläufigen Materien nötigte. Die daher beschlossenen sehr
abstrakten Regelungen gaben denn auch nach der 1887 erfolgten Veröffentlichung
des Entwurfs zu berechtigten Kritiken Anlass. Papes Verdienst an diesem in
einen zweiten umgearbeiteten Entwurf kann dennoch kaum bestritten werden. Er
starb 1888.
Über „Johannes von Miquel und die
preußische Steuerreform“ äußern sich der Leiter des münsterischen Instituts für
Steuerrecht, Dieter Birk, und seine Mitarbeiterin Nadine Zengerle
(S. 129-144). Miquel, 1828 im hannoverschen Neuenhaus geboren, war in seiner
Studentenzeit revolutionär gesinnt und begeisterter Anhänger marxistischer
Lehren, wurde aber schrittweise realistischer und suchte soziale Fortschritte
durch Zusammenwirken von Bürgertum und Proletariat zu erreichen, was ihm durch
Kompromisse weitgehend gelang. 1865 wurde er Oberbürgermeister von Osnabrück.
Nach der Einverleibung Hannovers in den preußischen Staat war er 1867-1882 als
einer der führenden Männer der national-liberalen Partei Mitglied des
preußischen Abgeordnetenhauses. 1876 übernahm er erneut das Amt des
Oberbürgermeisters von Osnabrück; 1880-1890 wurde er Oberbürgermeister in
Frankfurt, wo er sich vor allem der Sanierung der städtischen Finanzen
zuwandte.
Miquel erkannte die grosse Bedeutung
gesicherter Finanzhaushalte. Das bewog ihn gelegentlich, von seinen
freiheitlich-demokratischen Forderungen abzurücken; denn „Politiker haben heute
weniger als je zu fragen, was wünschenswert als was erreichbar ist“ (S. 133)
1890, nach Bismarcks Entlassung, wurde Miquel preußischer Finanzminister und
war ein Jahrzehnt lang die bestimmende Figur der preußischen und deutschen
Innen- und Finanzpolitik. 1897 wurde er zum Vizepräsidenten im
Staatsministerium ernannt und in den erblichen Adelsstand erhoben. Kurz nach
einem von ihm gestellten, bewilligten Entlassungsgesuch erlag er 1901 in
Frankfurt einem Herzschlag.
Grundlegend wurde das
Einkommensteuergesetz von 1891, das das Ziel verfolgte, den einzelnen
entsprechend seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit einer progressiven
Einkommensteuer zu belasten. Diese wurde als direkte Steuer mit
Deklarationspflicht zur wichtigsten Einnahmequelle für den preußischen Staat
ausgestaltet. Neu war u. a. die Steuerpflicht der Kapitalgesellschaften, ebenso
die Besteuerung von Spekulationsgewinnen.
Miquel selbst hatte einen
Höchststeuersatz von 3% für Einkommen von 9500 Mark vorgesehen, bewog aber das
Herrenhaus zum Einverständnis mit dem vom Abgeordnetenhaus verlangten
Höchststeuersatz von 4%, um das Zustandekommen des Gesetzes nicht zu gefährden.
- Die Einführung einer Vermögensteuer als Ergänzungssteuer zur Einkommensteuer
wurde vom Parlament nur in der gemilderten Form angenommen, dass entgegen dem
Antrag von Miquel keine Deklarationspflicht für das Vermögen bestand.
Das Einkommensteuergesetz von 1891
ist in seiner Grundlage bis heute erhalten geblieben. Es verfolgte aber rein
fiskalische Zwecke und war im Gegensatz zum heutigen Recht praktisch frei von
Ausnahmetatbeständen, die Lenkungscharakter hatten. Miquels Grundprinzipien
könnten noch heute erfolgreich wirken, wenn es darum geht, das Steuerrecht zu
vereinfachen und von einem Übermaß von reinen Zweckbestimmungen zu befreien.
Mit „Erich Klausener - Patriot und
Christ“ befasst sich der frühere Oberstadtdirektor von Münster Tilmann
Pünder (S. 289-328). Klausener wurde 1885 in Düsseldorf als Sohn eines
angesehenen katholischen Juristen geboren. Nach den mit „gut“ bestandenen
juristischen Examina und beim westfälischen Ulanenregiment geleisteten
Militärdienst heiratete er 1914, nahm dann, seit 1915 als Offizier, am
Weltkrieg teil und lernte dort viele Leute des „vierten Standes“ kennen und
schätzen. Noch vor Kriegsende wurde er 1918 zum Regierungsrat ernannt und bald
darauf Landrat zunächst im kleinsten und ärmsten Kreis der Monarchie, Adenau,
bald aber in der Hocheifel und 1919 im großen Landkreis Recklinghausen in
Westfalen, wo er bis 1924 unter den äußerst misslichen Verhältnissen der ersten
Nachkriegszeit wirkte. Er stand auf der Seite der rechtmäßigen republikanischen
Regierung im Reich und in Preußen, war also gegen die rechtsgerichteten
Anhänger des Kapp-Putsches und ebenso gegen die von manchen als „rote Truppe“
bezeichneten Linkskräfte und die im Ruhrgebiet herrschenden Plünderungen und
Gewalttätigkeiten.
Schlimm waren die Besetzung des
Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen im Januar 1921 und der
darauf von der deutschen Regierung ausgerufene passive Widerstand, der das
wirtschaftliche Leben völlig zusammenbrechen und die seit 1922 im Gang
befindliche Geldentwertung zu einem traurigen Höhepunkt gelangen ließ. Der
Abbruch des passiven Widerstandes im September 1923 beendete den Ruhrkampf und führte
auch zur Beendigung der Inflation und schließlich zum Abzug der fremden Truppen
aus dem Ruhrgebiet.
Klausener hatte während seiner
Landratszeit Bedeutendes vor allem in der Wohlfahrtspflege, im Verkehrswesen und
im Wirtschaftsleben, geleistet. 1924 wurde er ins preußische Ministerium
berufen, wo die Zentrumspartei, die Sozialdemokraten und die Linksliberalen in
einem Dauerbündnis immer wieder die Regierung stellten. Dass Klausener nach der
Machtergreifung Hitlers (1933) nicht ganz aus den ministeriellen
Angelegenheiten ausgeschlossen wurde, hing mit seiner Stellung als Leiter der
1922 von Papst Pius XI. angeregten „Katholischen Aktion“ zusammen, der der
spätere Papst Pius XII. 1928 auf einem weiteren Katholikentag im Kampf gegen
den Verband der Proletarischen Freidenker Deutschlands und ihrer aus der
Sowjetunion übernommenen „Gottlosenpropaganda“ sowie in dem 1929 mit Preußen
abgeschlossenen Konkordat entscheidendes Gewicht gab. Klauseners zwar
regierungstreuer, aber regierungskritischer katholischer Standpunkt führte
schließlich dazu, dass er bei der Niederschlagung des Röhm-Putsches (1934),
gleich andern, den Nationalsozialisten Ungenehmen als angeblicher Verschwörer
auf obrigkeitlichen Befehl ermordet wurde, was in christlichen Kreisen
Entrüstung auslöste.
Über das typische Schicksal des 1884 als
katholischer Jude in Schlesien geborenen und später mit einer evangelischen
Jüdin verheirateten „Georg Fröhlich - Landgerichtspräsident in Münster“
berichtet in fesselnder Weise der jetzige Vizepräsident dieses Landgerichts, Peter
Schröder (S. 350-391). Nach mit Auszeichnung bestandenen juristischen
Examina war Fröhlich abwechselnd Beamter in verschiedenen Stellungen und Notar
sowie Anwalt am Oberlandesgericht in Breslau mit großen beruflichen Erfolgen
und Mitgliedschaft bei der deutschen demokratischen Partei, der auch Hugo
Preuß, Max Weber, Theodor Heuss und andere bürgerlich-liberal Gesinnte
angehörten. 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurde er
als Notar entlassen und als Anwalt nichtarischer Abstammung schwer schikaniert.
Nach einem misslungenen Attentat auf sein Leben exilierte er in die
Niederlande, wo er, auch nach der Besetzung des Landes durch die Deutschen, von
Freunden geschützt, mit seiner Frau und seiner Tochter bis Kriegsende blieb,
während sein Sohn grundlos verhaftet und erschossen wurde. Trotz der ihm von
Deutschen zugefügten Schicksalsschläge blieb Fröhlich in seiner Gesinnung
Deutschland verbunden und nahm nach Kriegsende eine ihm aufgrund seines hohen
Ansehens angebotene Stelle zunächst beim Oberlandesgericht Hamm und dann als
Präsident des Landgerichts Münster und schließlich als Mitglied des erstmals zu
besetzenden Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe an, aus dem er 1956, häufig
durch Krankheit behindert, im Alter von 72 Jahren ausschied. Trotz seiner
Tätigkeit in Karlsruhe wurde ihm Münster allmählich zur zweiten Heimat.
Verdienstvoll war seine maßgebende Beteiligung bei der Gründung der
deutsch-niederländischen Juristenkonferenz, die seit 1949 abwechselnd in
Deutschland und in den Niederlanden fruchtbare Tagungen hielt und dem jungen
deutschen Staat die Möglichkeit gab, sein Bekenntnis zu Recht und Gerechtigkeit
öffentlich kundzutun. Ebenso wirkte Fröhlich mit beider Wiedergründung der
Juristischen Studiengesellschaft, die 1933 vom damaligen Präsidenten des
Landgerichts, Dr. Münster, aufgelöst worden war, um einer
nationalsozialistischen Gleichschaltung zuvorzukommen.
Fröhlich ist 1971 im Alter von 87 Jahren
in seinem Ferienhaus im Schwarzwald gestorben. „Ein Leben reich an Leistung,
Leid und Liebe“ (S. 390) hatte damit sein Ende gefunden, wirkt aber bis heute
nach.
Über Kardinal von Galen (1878-1946), der
durch seine im Dom zu Münster geäußerten Proteste gegen die Tötung anscheinend
unheilbar Geisteskranker weit über Münster hinaus berühmt wurde, äußert sich
Prof. Joachim Kuropka vom Institut für Geschichte und historische
Landesforschung der Universität Vechta (S. 273-287). Er führt aus, dass Galen
nicht nur Theologie, sondern auch Rechtswissenschaft studiert hatte und sich
immer wieder auf das Reichskonkordat berief, ebenso dass er häufig Prozesse für
seine Rechtsüberzeugung führte und seinerseits immer wieder Angeklagter in
Prozessen war, die aber zu keinem Ziel führten, da man es nicht wagte, den beim
Volk beliebten Bischof zu verurteilen oder ihn gar seines Amtes zu entheben. Es
treffe auch nicht zu, dass Galen 1933 nach Hitlers Machtergreifung dem neuen
Regime anfänglich nahegestanden habe. Jede Obrigkeit, auch eine christliche,
habe die menschliche Freiheit als höchstes von Gott verliehenes Gut zu achten.
Katholiken sei zwar jede Beteiligung an Revolutionen verboten. Aber seit jeher
habe er die Wahl der Zentrumspartei empfohlen, allerdings nicht von der Kanzel
aus, sondern aus seelsorgerlichen Gründen, und viele seiner Confratres habe er
kritisiert, weil sie nur reproduzierten, was ihre Zeitungen ihnen vorgekaut
haben. Die Omnipotenz der Masse fand er ebenso bedenklich wie die
Alleinherrschaft eines Monarchen. Er sah, wie die liberale Demokratie
schrittweise zur totalen Diktatur führte.
Ebenso fesselnd und reichhaltig sind
die Ausführungen Hermann Pünders, Leiter des
Freiherr-vom-Stein-Instituts in Münster, über „Carl Schmitt - Skizze eines
unruhigen Lebens“ (S. 239-272). Schmitt wurde 1888 im sauerländischen
Plettenberg geboren und starb daselbst, fast hundertjährig, 1985. Er war ein
vorzüglicher Schüler einer katholischen Knabenerziehungsanstalt, die er aber
verlassen musste, weil sein allgemeines Betragen nicht seinem Wissen entspreche.
Im Jurastudium in Berlin empfand er die weltberühmten Professoren als
wilhelminisch-aufgeblasen, ohne höhere Geistigkeit. In Strassburg promovierte
er „summa cum laude“. 1914 erschien seine Habilitationsschrift, „Der Wert des
Staates und die Bedeutung des Einzelnen“. Nicht der Mensch, weil er Mensch ist,
sondern der Mensch, der gut und achtungswürdig ist, verdiene Achtung. Den
Ersten Weltkrieg erlebte er als Kriegsfreiwilliger. Nach einer Reitverletzung
wurde er Referatsleiter im bayerischen Kriegsministerium.
Nach dem verlorenen Krieg wurde er
beamteter Dozent der Handelshochschule in München und veröffentlichte dort ein
auch ins Französische übersetztes Werk über „Politische Romantik“, das
vielseitige Resonanz fand. Schmitt verabscheute die bürgerliche Beliebigkeit
seiner Zeit, deren Wurzeln er in den Romantikern sah. Deren Hauptbeschäftigung
sei es, „ewige Gespräche“ zu führen. Inzwischen war er ordentlicher Professor
des öffentlichen Rechts in Greifswald geworden. Der Kapp-Putsch (1920), die
Morde an Erzberger (1921) und Rathenau (1922) und dann die Besetzung des
Ruhrgebiets durch Franzosen und Belgier (1923) mit der sich anschließenden
extremen Inflation sowie die Aktivitäten der Nationalsozialisten in Bayern und
der Kommunisten in Mitteldeutschland machten ein Denken über Souveränität
dringend. Schmitt erklärte dazu, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand
entscheidet“. Der Souverän entscheide sowohl darüber, ob ein Ausnahmezustand
besteht, also auch darüber, wie er zu beseitigen sei. Er bewunderte den
römischen „Katholizismus“, der voll des intellektuellen, ästhetischen und
künstlerischen Gesetzes sei und darin den herrschenden Gruppen überlegen, die
zum Kulturkampf gegen den Katholizismus geblasen hatten.
1926 wurde er Professor an der
Handelshochschule in Berlin. Damals erschien sein für das Staatsrecht bis heute
wichtigstes Werk, „Die Verfassungslehre“. Er erklärte, die Grundentscheidungen
der Weimarer Verfassung seien „Entscheidung für die Demokratie, für die
Republik, die Beibehaltung der Länder, also eine bundesstaatliche Struktur des
Reiches, ferner die Entscheidung für den bürgerlichen Rechtsstaat mit seinen
Prinzipien: Grundrechte und Gewaltenunterscheidung“. Entgegen der damals
herrschenden Lehre erklärte er, dass verfassungsändernde Gesetze die
grundlegenden politischen Entscheidungen, welche die Verfassung ausmachen,
nicht beseitigen dürfen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes von 1949 sind
dem gefolgt. Sie haben aus der Weimarer Erfahrung gelernt, dass die Aufstellung
von formal legal zustande gekommenen Gesetzen Grundprinzipien der Verfassung
nicht ändern dürfen. 1927 erschien Schmitts bekannteste Schrift,
„Der Begriff des Politischen“. Dessen Wesen sah Schmitt darin, dass er die
Menschen in „Freunde“ und „Feinde“ einteilt. Den Kompromiss, den die Weimarer
Republik so dringend benötigte, blendete er aus.
1930 zerbrach die große Koalition von
SPD, DVP, Zentrum, DDF und BVP wegen mangelnder Kompromissbereitschaft der
tragenden Fraktionen. Die Regierung konnte sich schließlich nur noch über das
Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten über Wasser halten. Schmitt, der zum
Anhänger einer starken Staatsautorität geworden war, hielt in „Hüter der
Verfassung“ nicht den Staatsgerichtshof mit der Folge einer Politisierung der
Justiz, sondern ein handelndes Organ, den Reichspräsidenten, zum Hüter berufen.
Nachdem General von Schleicher bei seinem Versuch, die NSDAP zu spalten,
gescheitert war, wurde am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler
bestellt. Schmitt, seit Dezember 1932 Ordinarius in Köln, trat sogleich der
NSDAP bei und wurde Lehrstuhlinhaber in Berlin. Für ihn war nun Hitler der
Souverän, der über den Ausnahmezustand entscheidet. Das Massaker des 30 .Juli
1934 rechtfertigte er in der Deutschen Juristenzeitung: „Der Führer schützt das
Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, indem er im Augenblick der Gefahr kraft
seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. „Alten
Kämpfern“ unter Schmitts Kollegen war aber sein steiler Aufstieg ein Dorn im
Auge. Es hieß, Schmitt sei kein Nationalsozialist, sondern ein katholischer
Denker und Opportunist mit zahlreichen jüdischen Verbindungen. Er mache Witze
über die GESTAPO. Alle Rechtfertigungen gegen solche Angriffe nützten ihm
nichts. Nach schweren Angriffen im SS-Organ „Schwarzes Korps“ ließ die NSDAP
ihn fallen. Zum 1. Januar 1937 wurde er aller nationalsozialistischen Ämter
enthoben. Den Titel „preußischer Staatsrat“ durfte er auf Intervention Görings
behalten. Er schrieb nun noch ein Buch über „Leviathan als Staatslehre des
Thomas Hobbes - Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols“, ein
sprachgewaltiges, Werk, gegen das keine noch so klare
Gedankenführung aufkam.
Auf dem Feld der Innenpolitik war
Schmitt zum Schweigen verurteilt. Er wandte sich nun dem Völkerrecht zu. Am
Vorabend des Kriegsausbruchs entwickelte er in einem Vortrag, ein neues
Völkerrecht, das auf einer Großraumordnung mit Interventionsverbot für
raumfremde Mächte basiert. Damit kam Schmitt den imperialen Wünschen des Volkes
entgegen. Etwaige Interventionen Nichtdeutscher gegen die Neuordnung des Ostens
(Österreich, Tschechoslowakei, Memelland) waren danach völkerrechtswidrig.
Nach dem Attentat auf Hitler gehörte Schmitt zu denen, die das Dritte
Reich und seine Exponenten hassten. Nach Kriegsende wurde er verhaftet, ohne zu
verstehen, warum man ihn behelligte. Von Anschuldigungen wegen Vorbereitung des
Krieges sah man ab; denn er habe sich keiner Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Er verbrachte seine letzten Jahre in
Plettenberg, wo ihn Freunde wiederholt besuchten und ihm zum 80. Geburtstag
eine zweibändige Festschrift überbrachten, an der sich sogar Angehörige ehemals
linker Gruppen beteiligten. Im Alter von 96 Jahren starb er verbittert und zerbrochen.
Vom Ökonomen Alfred Müller-Armack
(1901-1978) handelt dessen von ihm habilitierter Schüler Heinz Großekettler
(S. 329-348). Müller-Armack stand unter starkem Einfluss, den Max Weber und
dessen Überlegungen zur Entstehung des Geistes des Kapitalismus aus der
protestantischen Ethik auf ihn ausübten. 1934 wurde er a.o. Professor in Köln.
In der Zeit des Dritten Reiches (1933-1945) machte er bewusst das
unpolitisierte Gebiet der Kultur- und Religionssoziologie zu seinem
Hauptarbeitsgebiet. 1940 wurde er ordentlicher Professor in Münster. Von Ludwig
Erhard wurde er zur Teilnahme an den Arbeiten der Sonderstelle „Geld und
Kredit“ herangezogen und widmete dann seine ganze Kraft der Fundierung der
„sozialen Marktwirtschaft“. Diesen Begriff prägte er in einem 1947 erschienenen
Buch „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“. 1950 nahm er einen Ruf nach Köln
an. Sein Münsteraner Lehrstuhl wurde - seit 1960 in das Institut für
Finanzwissenschaft integriert - der Reihe nach mit den Professoren H. Jecht,
H. Timm sowie dem Verfasser dieses Artikels besetzt.
1952 wurde Müller-Armack Leiter einer
Abteilung im „Ordnungsministerium“ Erhards, behielt aber seine Lehrtätigkeit in
Köln bei, und stieg auf zum Staatssekretär, speziell für Europafragen (1958). Verdient
machte er sich vor allem durch erfolgreiche Bemühungen um die Einführung der
Konvertierbarkeit der europäischen Währungen, die 1958 durch das Europäische
Währungsabkommen vollendet wurde. 1963 gab er sein Amt auf, hielt aber seine
Lehrtätigkeit aufrecht. Theorie und Praxis der sozialen Marktwirtschaft waren
sein Hauptarbeitsgebiet. Mitstreiter für diese Wirtschaftsverfassung waren
besonders F. Böhm, Ludwig Erhard und W. Eucken. Sie nahmen eine mittlere
Stellung ein zwischen den Altliberalen, die eine freie Marktwirtschaft
anstrebten, und den Sozialliberalen, besonders Karl Schiller, die Anhänger
einer gesteuerten Marktwirtschaft waren. Die Glanzzeit der sozialen
Marktwirtschaft reichte von 1948 bis zur Rezession von 1966/67. Dann wurden
Theorie und Praxis wieder stärker konjunkturpolitisch ausgerichtet und der
Staat zu einem Sozialstaat ausgestaltet.
Aus vornehmem, katholischem Hause
stammend, schildert der 1917 geborene, später Rechtsanwalt gewordene Philipp
Freiherr von Boeselager ungemein fesselnd seinen „Weg zum 20. Juli 1944“
(S. 435-459). Er skizziert den Niedergang Deutschlands nach seiner Niederlage
im Ersten Weltkrieg, die Besetzung des Ruhrgebiets durch Franzosen und Belgier
und die ins Ungeheure gesteigerte Geldinflation, dann die Wirtschaftskrise nach
1929 und die außen- und innenpolitischen glänzenden ersten Erfolge der
Nationalsozialisten, von denen sich der größte Teil des Volkes blenden ließ. Er
zeigt, wie nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (1933), der Niederschlagung
des angeblichen Röhm-Putsches (1934) und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1939)
erst der Russlandfeldzug Hitlers (1941) zu größten Schwierigkeiten führte.
Boeselager wurde vor Moskau schwer verwundet und als noch nicht wieder
„frontverwendungsfähig“ 1942 dem Kommandanten des Heeresabschnitts Mitte,
Feldmarschall von Kluge, als persönliche Ordonnanz zugeteilt. Er hörte viele
Telefongespräche zwischen Hitler und Kluge. Auch stellte er fest, dass schon
damals unzählige Juden und Zigeuner als Feinde des Reiches ohne
Gerichtsverfahren erschossen wurden, was bei Kluge und andern hochgestellten
Offizieren Abscheu erregte. Er lernte viele von diesen kennen, die, aus alten
Familien stammend, wie ihre Vorfahren, streng preußisch und zugleich christlich
dachten und schon lange vor dem 20. Juli 1944 ein Attentat gegen Hitler als
Massenmörder und Deutschland einer Katastrophe entgegentreibend planten und ein
solches nur unterließen, weil zur Vermeidung eines Bürgerkrieges zwischen Heer
und SS gleichzeitig auch Himmler als SS-Führer hätte umgebracht werden müssen
und dieser am vorgesehenen Tag nicht zu Hitler gekommen war. Auch der
misslungene Attentatsversuch am 20. Juli 1944 wird skizziert, von dem
Boeselager sich noch rechtzeitig zurückziehen konnte.
Über „Harry Westermann - vom Ethos
des Professors“ hat Bernhard Großfeld einen eindrucksvollen Bericht
erstattet (S. 392-401). Westermann, der als Sohn eines calvinistischen Pfarrers
1909 in Leer (Ostfriesland) geboren wurde, erlebte alle Schwierigkeiten, welche
die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die Herrschaft der Nationalsozialisten und
der Zweite Weltkrieg mit sich brachten. 1945 wurde er Ordinarius für Zivilrecht
in Münster, bald darauf Rektor der Universität. Er gründete das Zentralinstitut
für Raumplanung und, zusammen mit dem Volkswirt Seraphim, das Institut für
Genossenschaftsrecht. Der Universität verschaffte er das Landhaus Rothenberge,
in dem viele Seminarveranstaltungen abgehalten werden. 1986, zwölf Jahre nach
seiner Emeritierung, ist er auf einer Geschäftsreise nach Kanada in Vancouver
gestorben. Er betrachtete die handwerkliche Beherrschung des Rechts als
unentbehrlich, fasste das Recht aber auch als Kunsthandwerk auf und verfasste
viele bedeutende Bücher, so über Sachenrecht. Vor allem aber wirkte er als
Professor seinen Studenten gegenüber vorbildlich, indem er sie „Rechtsfreunde“
nannte und in ihnen Verständnis und Liebe für das Recht erweckte, dies im
Gegensatz zu manchen heutigen Professoren, die gar nicht am Universitätsort
wohnen und ihre Vorlesungspflichten auf einen Tag in der Woche zusammendrängen.
Landgerichtspräsident von Münster a. D. Dr. h.c. Helmut Proppe
berichtet auf S. 461-472 aufschlussreich über „Die deutschniederländische
Juristenkonferenz“, die 1949 mit einigen zeitbedingten Schwierigkeiten
gegründet wurde, aber viel zur Versöhnung der 1940 von den Deutschen
überfallenen Niederländer beigetragen hat. Jährlich abwechselnd werden in
Deutschland und in den Niederlanden Tagungen durchgeführt mit drei, ab 1959 nur
noch zwei, Vorträgen, von denen jeweilen einer von einem Mitglied des
Gastgeberlandes und einer von einem Mitglied des Gästelandes gehalten wird. Die
erste Tagung fand in Burgsteinfurt in der Nähe der deutsch-holländischen Grenze
statt. Der Juristenkonferenz gehören heute noch hochrangige Richter,
Staatsanwälte, Anwälte und Professoren an, die auch die Vorträge halten.
Führend in der Konferenz wären auf deutscher Seite der Landgerichtspräsident
von Münster, Dr. Fröhlich, der 1971 starb, ferner der mit einer Niederländerin
verheiratete Prof. Harry Westermann. Heute sind es Prof. Bernhard Großfeld und
auf niederländischer Seite u.a. Prof. Langemeijer. Starkes
Interesse an der Konferenz bekundete auch das niederländische Königshaus;
anlässlich der 30. Tagung empfing Königin Juliana die niederländischen und
deutschen Vorstandsmitglieder in ihrem Stadtpalais in Den Haag.
Helmut Kollhosser erörtert in
juristisch ausgefeilter Weise den „Wandel der westfälischen Landschaft“ (S.
473-487). Die westfälische Landschaft (WL) ist ein traditionsreiches
Bodenkreditinstitut in Münster, das gemäß einer Verfügung des Königs von
Preußen als öffentlichrechtliche Körperschaft gegründet wurde. Diese Rechtsform
machte es aber unmöglich, die Kreditbedürfnisse der Kunden durch Vergrößerung
des Kapitals oder durch Beiträge der Mitglieder zu befriedigen. Daher wurde die
WL aufgrund eines von Kollhosser erstellten Gutachtens durch
Generalversammlungsbeschluss in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren
alleiniger Aktionär eine von der WL gegründete Stiftung mit demselben Namen
ist. Das Stiftungsvermögen ist weiterhin für die bisherigen Zwecke der WL
(Förderung der Belange der Landschaft) zu verwenden. Außerdem wurde
sichergestellt, dass weder die Pfandbriefgläubiger der WL noch deren Personal
durch die Umwandlung geschädigt werden, Nach der Umwandlung wurde planmäßig
eine Erhöhung des Kapitals der neuen Hypothekenbank durchgeführt, wobei die
neuen Aktien von der deutschen Genossenschaftsbank übernommen wurden. Die WL
verkaufte einen Teil ihrer Umwandlung geschaffenen Aktien und legte den Erlös
so an, dass er verfügbar bleibt und die Erträge dem Stiftungszweck zugute
kommen.
Rudolf Vosskühler, Kreisdirektor von Borken, und sein
Mitarbeiter Ansgar Scheipers besprechen in einem Aufsatz über den „Kampf
um das Europarecht auf westfälischem Boden“ (S. 489-504) ein 1988 gefälltes Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, das für die Freiheit des
Warenmarktes in der gesamten Europäischen Gemeinschaft erhebliche Bedeutung
hat. Es ging um Geflügelfleisch, das von den Niederlanden in den ihnen
benachbarten westfälischen Kreis Borken eingeführt und von dort meistens nach
Süden weitergeführt wird. Verschiedene Urteile von Verwaltungsgerichten waren
vorausgegangen. Fraglich war stets, inwieweit Gesundheitskontrollen des
Fleisches zulässig sind; das wurde schließlich weitgehend verneint, was der
Verwirklichung des Binnenmarktes der EU-Länder förderlich, aber gesundheitspolitisch
nicht unbedenklich ist. Die verschiedenen vorangegangenen Urteile und das
unmittelbar besprochene werden von den Autoren sorgfältig, aber für Nichtkenner
der Materie nicht durchweg leichtverständlich dargestellt.
Ebenfalls mit Tieren im Kreis Bocholt
befasst sich unter dem Titel „Hormonkälber im Münsterland - Ein Skandal und
seine juristischen Konsequenzen“ der Vorsitzende Richter am
Oberverwaltungsgericht Münster Erhard Ostermann (S. 504-519). Mit
Hormonen behandelte Tiere waren auf rechtlich einwandfreie Weisungen hin
geschlachtet worden. Verfahren vor Verwaltungsgerichten und zivilrechtliche
Schadensersatzanklagen endeten für die Mäster praktisch erfolglos. Ein
Strafverfahren führte zur Verurteilung eines Großmästers zu drei Jahren
Freiheitsstrafe. Die Urteile erregten Aufsehen. Laut den „Westfälischen
Nachrichten“ hat der renommierte Pharmakologe Prof. Kemper erklärt, der Verzehr
von mit Hormonen behandeltem Fleisch sei praktisch ungefährlich; die einen
Skandal bewirkenden Regelungen seien bedenklich. Inzwischen ist im gesamten
Raum der EU der Einsatz von Wachstumshormonen ausnahmslos verboten worden.
Lieselotte Steveling, Verfasserin einer 1999 publizierten
großen Dissertation über „Juristen in Münster“, legt einiges daraus unter dem
Titel „Aus der Geschichte der juristischen Fakultät Münster“ sehr ansprechend
vor (S. 521-554). Sie behandelt zuerst die 1780 für die katholischen
Landeskinder errichtete juristische Fakultät. Diese sollte nach der Konzeption
des ersten Universitätskurators, von Fürstenberg, durch einen auf die Praxis
ausgerichteten Unterricht Juristen heranbilden, die die landesspezifischen
Rechtsverhältnisse vertreten konnten. Im Zuge der Neuordnung des Unterrichts
wurde die Universität 1818 aufgehoben. Es blieb immerhin eine theologische und
philosophische Akademie, die 1902 durch Gründung einer juristischen Fakultät zu
einer neuen Universität wurde. Bei Auswahl der Professoren sollte Parität
zwischen Katholiken und Protestanten gewahrt werden, was aber nicht immer
möglich war. Der Erste Weltkrieg (1914-1918) führte zu keinen besonderen
Problemen, ebenso die Revolution von 1918. Die Professoren trachteten danach,
eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft und Universität zu
verhindern, ohne sich an politischen Aktionen zu beteiligen. Nicht gegen das
Kaiserreich eingestellt zu sein, empfanden viele als selbstverständlich. Trotz
der Erschütterungen erwies sich die Universität Münster als solide
Arbeitsstätte wissenschaftlicher Forschung und Lehre und als Hort nationaler
Bildung, der sich den großen Ideen des deutschen Geisteslebens unbeirrbar
verbunden fühlte. Probleme ergaben sich bei der Berufung oder Nichtberufung von
Professoren, die als Freunde oder Gegner des Nationalsozialismus galten. Im
Zweiten Weltkrieg wurde Münster durch Fliegerangriffe schwer getroffen und
manche Universitätseinrichtungen in Mitleidenschaft gezogen. Nach Kriegsende
befanden sich manche Hochschullehrer noch in Kriegsgefangenschaft. Nicht wenige
Parteimitglieder wurden bis zu ihrer „Entnazifizierung“ ihres Amtes enthoben.
Anschließend wird nur noch die Besetzung und Neueinrichtung von
Lehrstühlen in Münster aufgezählt. Bemerkenswert ist, dass der große
Römischrechtler Max Kaser, der seit 1932 in Münster wirkte, in amerikanische
Kriegsgefangenschaft geraten war und erst 1946 seine Lehrtätigkeit wieder
aufnahm.
Bern Rudolf
Gmür