Weber,
Matthias, Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577.
Historische Einführung und Edition (= Ius Commune Sonderheft 146). Klostermann,
Frankfurt am Main 2002. 304 S. 14 Abb.
Mit Grund erfährt das frühneuzeitliche Polizeirecht des
Reiches und der Territorien in jüngster Zeit erhöhte Aufmerksamkeit von
Historikern und Rechtshistorikern. Das am Max-Planck-Institut für Europäische
Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main laufende Dokumentations-Großprojekt „Repertorium der Policeyordnungen
der Frühen Neuzeit“ umgreift das Alte Reich zur Gänze wie dessen einzelne
Territorien unter Einschluß auch der städtischen
Polizeigesetzgebung. Dieses Repertorium erfaßt die normativen Texte inhaltlich und schlüsselt sie
auf, ohne damit eine kritische Edition von Satzungen überregionalen Ranges
überflüssig zu machen. Auch die digitale Herausgabetechnik wird die
konventionelle, kommentierte Edition nicht verdrängen können, weil die
historische Quellenkritik die beste Textvariante als Grundlage auszuwählen
vermag, auch die erforderlichen Begleittexte heranziehen und die zu edierende
Vorlage in den Zusammenhang anderer Zeitzeugen einordnen kann. Die herkömmliche
Transkription bietet eindeutige Vorteile nicht nur gegenüber der digitalen
Reproduktion, sondern mehr noch im Vergleich zum reprographischen Nachdruck
eines Originals. Unter diesen allgemeinen Gesichtspunkten verdient die
vorliegende Edition das Interesse der Fachwelt. Sie verdient es auch ihrer
vorzüglichen fachmännischen Qualität wegen.
Das mit zahlreichen Abbildungen, meist faksimilierten
Titelblättern, ausgestattete Werk enthält in seinem ersten, umfänglichen Teil
(S. 13-117) eine historische Einführung in die Geschichte und Bedeutung der
Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts und zu den Erstdrucken und
Sammeleditionen. Der zweite Teil des Buches bietet die Neuedition, wobei der
Herausgeber die jeweiligen zeitgenössischen Erstdrucke
der Reichspolizeiordnungen zugrunde legte. Diese können wegen der Beteiligung
des Reichserzkanzlers an der Drucklegung und der kaiserlichen Privilegierung
für die Druckausgaben als authentisch gelten. Die drei Texte präsentieren sich
mit hochgestellten Fußnotenziffern, die auf Varianten aufmerksam machen,
insbesondere im Vergleich mit der durchaus verdienstvollen „Neuen und vollständigeren
Sammlung der Reichs-Abschiede“ von Senckenberg, Schmauss
und Olenschlager (1747 bei Ernst August Koch
erschienen). Gleichfalls hochgestellte Asteriske
verweisen auf die Worterklärungen im Anhang. Seine weiteren Zusätze markiert
der Editor durch eckige Klemmern und Kursivsatz. Das gilt vornehmlich für die
nützlichen Kurzinhaltsangaben, die jedem einzelnen Paragraphen voranstehen und auf inhaltsgleiche Stellen der jeweils
anderen Ordnung hinweisen. Richtigerweise bleiben Zeichenwahl und
Interpunktionen der Erstdrucke unverändert.
Die Reichspolizeiordnungen wollen den „gemeinen Nutzen“, die
allgemeine Wohlfahrt fördern, Unordnung und Mißbräuchen
entgegenwirken, eine „Sozialdisziplinierung“ (Gerhard Oestreich)
erreichen. Der Bogen der Gebote und Verbote ist weitgespannt
und oft strafbewehrt. Die „Ordnungen“ richten sich an
die Landesherren, denen sie die Pflicht auferlegen, als Obrigkeiten ihre
Untertanen zur Befolgung aller reichsrechtlichen Vorschriften anzuhalten.
Insofern erscheinen also auch die landesherrlichen Untertanen in den
Territorien als Adressaten der Maßgaben des Reichstages. Zutreffend konstatiert
der Herausgeber die „umfassende, reichsweite Rezeption“ und die langwährende Wirksamkeit des Reichspolizeirechts. Er
erklärt diesen Erfolg mit dem „Konsenscharakter“ der Ordnungen. Hier hätte sich
ein Hinweis auf Wilhelm Ebels „Geschichte der
Gesetzgebung in Deutschland“ empfohlen, der die legislativen Hervorbringungen
der Reichsversammlung überzeugend als „Satzungsrecht“ charakterisiert hat, auf
das sich der Kaiser und die drei Kurien nach Art der Einungen verständigten und
gemeinsam festlegten. Nach Zustandekommen und Wirksamkeit haben die
Reichpolizeiordnungen ihre Parallele etwa in der Carolina von 1532. Indem die
Landesherren das Reichssatzungsrecht in ihren Territorien einführten und
durchsetzten, entfalteten sie eine Tätigkeit, die wesentlich zum Aufbau
frühmoderner Staatlichkeit beitrug.
Die rechts- wie die sozialgeschichtliche Aussagekraft der
Reichspolizeiordnungen läßt sich kaum überschätzen.
Diese Quellen spiegeln die sittlichen und rechtlichen Maßstäbe ihrer Zeit nach
dem Stand der christlichen Lehren; sie erlauben Einblicke in die ständische
Wirklichkeit etwa nach den Kleiderordnungen; sie dokumentieren das
Wirtschaftsleben beispielsweise durch ihre Regeln zu Zins, Wucher und Vorkauf;
sie zeigen uns das Verhältnis der Gesellschaft zu Minderheiten wie den Juden;
sie führen das Vormundschaftswesen vor Augen, die öffentliche Unsicherheit in
Krieg und Frieden und vieles mehr. Daß der
Herausgeber seinen Lesern diese Welt des alten Reiches durch einen gut
lesbaren, kritisch gehärteten und sorgsam gedruckten Text erschloß,
verdient Dank und Anerkennung.
Heidelberg Adolf
Laufs