Volckart, Oliver, Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung im vormodernen Deutschland, 1000-1800 (= Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 122). Mohr (Siebeck), Tübingen 2002. X, 269 S.

Wettbewerb stellt für die Wirtschaft eine Funktion dar, die ihre Lebensfähigkeit und ihren Wert für die Marktteilnehmer sowohl auf der Seite der Warenanbieter als auch der Warenabnehmer garantieren soll. Er kann diese Aufgabe nur unter vielfachen ökonomischen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen erfüllen; als Grundbedingung erscheint vor allem die Wahlmöglichkeit sowohl der Nachfrager zwischen verschiedenen Anbietern als auch der Anbieter unter Angebotsparametern von besonderer Bedeutung. Im vorliegenden Buch wird die Entwicklung der Rahmenbedingungen für die Existenz eines wirtschaftlichen Wettbewerbs untersucht, wobei wettbewerbstheoretische Ansätze auch auf die Entwicklung der „staatlichen“ Institutionen angewendet werden, um schlussendlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass marktwirtschaftliche Institutionen die Existenz „moderner“ Staaten voraussetzen. Ausgangspunkt des Verfassers ist die These, dass in der vorstaatlichen Zeit keine Sicherheitsmonopole mangels eines „Staates“ vorlagen, woraus er die Schlussfolgerung zieht, es seien Wettbewerbsverhältnisse gegeben gewesen auf einem Markt für Sicherheit. Hieraus entwickelt er die verschiedenen Typen von Schutzverträgen mit einer Analyse der Anbieter und Nachfrager des knappen Gutes Sicherheit. Die Entstehung von Grundherrschaften, Lehnswesen und Städten werden auf diese Weise erklärt. Wettbewerb mit der Möglichkeit des Ausweichens auf andere Anbieter sieht er dadurch gegeben, dass für die Nachfrager nach Sicherheit eine Abwanderungsmöglichkeit im Hochmittelalter infolge der dünnen Besiedelung gegeben war mit der Folge, dass sich die Anbieter um den Erhalt der Arbeitskräfte bemühen und entsprechende „Bleibensangebote“ machen mussten. Die Entstehung der hochmittelalterlichen ständischen Korporationen wird ebenfalls über einen ökonomietheoretischen Ansatz erklärt, schließlich auch die Staatsbildung. Letztlich führt die Konkurrenz unter den Staaten zum Beginn einer Marktwirtschaft, die vorher in der Zeit der Korporationen mehr oder minder eingeschränkt war infolge deren Drangs zur Monopolisierung der Tätigkeiten ihrer Mitglieder.

 

Diese auf den Kernbereich der Aussagen des Verfassers reduzierte Darstellung mag der Tiefe der Argumentation zwar nicht in ihrer Dimension gerecht werden, soll aber dazu dienen, die theoretischen Grundlagen unter Zuhilfenahme einzelner herausgegriffener Argumentationsketten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Es geht dem Verfasser sicher nicht darum, den Einfluss ökonomischer Verhältnisse auf die staatliche Entwicklung im Sinne von Karl Marx erneut zu diskutieren. Er versucht hingegen, die vorgefundene gesellschaftliche Entwicklung anhand ökonomischer und konkret wettbewerbstheoretischer Lehrmeinungen zu erklären. Dies ist ein Vorhaben, das zwar zunächst fasziniert, beim zweiten Blick aber doch eher stutzen lässt als überzeugt. Denn schon in der Gegenwart erweist sich, dass sich das ureigenste Gebiet dieser Meinungen, nämlich die Volkswirtschaft als solche, den theoretischen Erklärungsmustern schlicht entzieht. Ob man die wirtschaftlichen Prognosen, Handlungsweisen, Vorschläge und Gutachten betrachtet, das „wirkliche“ Leben richtet sich nicht danach, was im nachhinein zu wiederum neuen Erklärungsversuchen der Wirtschaftstheoretiker fuhrt.

 

Ausgehend von dieser erfahrungsbedingten Skepsis sollen nun einzelne Begründungsmerkmale näher beleuchtet werden. Durchweg in allen Kapiteln wird die vorgenommene bzw. unterlassene Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten (auch) im Hinblick auf die sog. Transaktionskosten begründet, ohne diese Kosten näher zu spezifizieren. Hierfür genügt es nicht, in der Einleitung auf die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung derartiger Kosten im Hochmittelalter hinzuweisen (S. 15 mit Fußnote 47). Diese Schwierigkeiten mögen zwar gegeben sein; ohne eine nachvollziehbare Quantifizierung der Kosten kann aber mit ihnen nicht argumentiert werden; die entsprechende Schlussfolgerung verliert ihre Grundlage und stellt sich als unüberprüfbare Behauptung dar. Auf alle Fälle wäre es erforderlich gewesen, die Kosten in ihrem jeweiligen Zusammenhang zumindest zu spezifizieren, damit das wettbewerbliche Verhalten der untersuchten Funktionsträger verständlich wird. Auch erscheint der argumentative Ansatz hinsichtlich einzelner Punkte hinterfragungsbedürftig: war militärische Sicherheit wirklich ein marktfähiges Gut, wenn man bedenkt, dass eine derartige Sicherheit auch im Hochmittelalter kaum von einem einzelnen Anbieter geboten werden konnte, sondern dass vielmehr ein Kollektiv erforderlich war, welches vom sog. „Anbieter“ organisiert werden musste. Die Individualisierung eines Anbieters geht wohl an den Realitäten vorbei: Anbieter und Nachfrager nach Sicherheit mussten zu ihrer Herstellung zusammenwirken. Auch das Argument mit dem Wettbewerb um Arbeitskräfte erscheint nicht schlüssig: gerade wenn das „Haus“ als Kern aller Herrschaft angenommen wird (so S. 36 unter Verweis auf Brunner, was aber nicht unstreitig ist), bleibt das wettbewerbliche Alternativverhalten der „Nachfrager“, also der der Hausgewalt Unterworfenen, fraglich; die der Munt unterliegenden Personen durften nicht, das Gesinde (s. z. B. Otto Könnecke, Rechtsgeschichte des Gesindes, 1912, S. 324ff.) konnte nicht. Ähnliche Zweifelsfragen tauchen beim Lehnsmann auf; ihm war jedenfalls der Wechsel zu einem entfernteren Sicherheitsanbieter aus tatsächlichen Gründen der Grundstücksbindung nicht möglich. Die Erklärung der Bildung von kartellartigen Korporation mit deren Streben nach Monopolrenten mag zwar im Hinblick auf die einzelne Organisation genügen, lässt aber die Frage offen, wieso die anderen „Markt“-Teilnehmer diese ihre Nachfrageposition schwächende Neuerung hingenommen haben. Auch die sich in diesem Zusammenhang stellende Außenseiterproblematik wird nur sehr kursorisch behandelt. Bei der Staatsbildung schließlich werden bereits Territorialherren als bestehend vorausgesetzt, deren Herrschaft dann aber nicht durch das öffentliche Recht konstituiert, sondern allenfalls legitimiert worden ist. Die schwache Stellung des Kaisers im Heiligen Römischen Reich auf seine geringen Angebote an die Reichsfürsten im Hinblick auf „Sicherheit“ zurückzuführen, greift wohl auch zu kurz: wodurch hatten diese Fürsten ihre starke Stellung, wenn nicht durch mehr oder minder usurpierte ursprüngliche Lehen des Kaisers? Und schließlich die Schlussfolgerung der Entwicklung einer Marktwirtschaft aus der Konkurrenz der Staaten um Investoren: dies gerade mit den Hugenotten zu begründen, widerspricht eigentlich der gesamten wettbewerbstheoretischen Konzeption des Buches; denn die Hugenotten hatten als Nachfrager nach staatlichem Schutz gerade keine realistische Alternative zwischen Bleiben und Auswandern, wie überhaupt die Abwanderungsproblematik bei Investoren etwas widersprüchlich behandelt erscheint: auf der einen Seite wird die Notwendigkeit der physischen Abwanderung verneint (S. 186), auf der anderen Seite der Institutionenwettbewerb gerade auch mit Abwanderungsgefahren seitens Investoren begründet (S. 201, 202). Die letztliche Schlussfolgerung, dass die Wettbewerbsfreiheit durch Zurückdrängung ständischer, insbesondere zünftlerischer Schranken, nicht auf einem Plan, einer bürgerlichen Emanzipation, liberalem Gedankengut beruhte, sondern auf der Eigendynamik eines einmal in Gang gesetzten Entwicklungsprozesses, verwundert doch sehr. Sie kann nur gezogen werden auf Grund der sehr eklektizistischen Auswahl der Beispiele: schließlich gab es durchaus Territorien, in denen die Zunftorganisationen bis zur Einführung der Gewerbefreiheit Bestand hatten und die Entwicklung eines zunftfreien Fabrikwesens zu verhindern wussten. Von einer wirtschaftlichen Eigendynamik zu versprechen, verkennt m. E., dass auch deren Ingangsetzung eine bewusste Entscheidung auf der Grundlage neuer wirtschafts- und gesellschaftstheoretischer Erkenntnisse darstellte.

 

 

Diese im Ganzen gesehen sehr kritische Beurteilung des Buches soll seinen Wert aber nicht schmälern. Schließlich zeigt diese Auseinandersetzung mit den Thesen des Verfassers, dass er Gelegenheit bietet zur geistigen Kontroverse; nur auf diese Weise wird Wissenschaft gefördert, und sei es durch Herausarbeitung einer Gegenposition zu den dargestellten Überlegungen.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Siegbert Lammel