Van den Bergh, Govaert C. J.
J., Die
holländische elegante Schule. Ein Beitrag zur Geschichte von Humanismus und
Rechtswissenschaft in den Niederlanden 1500-1800 (= Ius
Commune Sonderheft 148) Klostermann, Frankfurt am
Main 2002. IX, 237 S.
Die vorliegende Monographie geht auf zwei vom Verfasser
auf dem Deutschen Rechtshistorikertag in Frankfurt am Nain
1986 und in Nimwegen 1990 gehaltene Vorträge zurück. Die damaligen Ausführungen
wurden umfassend überarbeitet und dokumentiert. Ein reichhaltiger
Fußnotenapparat belegt die niederländische juristische Rechtsliteratur des 17.
und 18. Jahrhunderts. Hinzu kommt ein bibliographischer Anhang (S. 161-218).
Hier werden nahezu sämtliche Autoren aus der holländischen „eleganten“ Zeit mit
kurzen bio-bibliographischen Nachweisen verzeichnet. Bereits in dieser Hinsicht
stellt die vorliegende Arbeit ein Meisterstück an bio-bibliographischer
Dokumentationsarbeit dar. Hinzu kommen ein umfangreicher bibliographischer Anhang,
ein Register der zitierten und besprochenen römischen Quellen (S. 229ff.), ein
Personenregister, ein Ortsregister sowie ein
Sachregister (S. 231-237). Grundanliegen des Verfassers und zentrale
Stoßrichtung der ganzen Schrift ist eine Aufwertung und Neubewertung der
rechtshistorischen und juristischen Bedeutung der niederländischen
romanistischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieses Grundanliegen
wird bereits im Vorwort (S. VII) deutlich formuliert. „Nachdem“ – schreibt der
Verfasser – „die holländische elegante Schule, die im 17. und 18. Jahrhundert
in ganz Europa berühmt war, von nicht Geringeren als Savigny und Jhering verdammt worden war, ist sie weitgehend in
Vergessenheit geraten und kaum noch systematisch untersucht worden. Dadurch gibt
es heute neben oberflächlichem Traditionswissen eine Menge von
Missverständnissen und Fehlurteilen.“ „Es scheint mir also“ – schreibt der
Verfasser weiter – „ausreichend Grund für den Versuch zu bestehen, der
holländischen eleganten Schule ihren gerechten Platz in der
Wissenschaftsgeschichte der Rechtswissenschaft wieder zu verschaffen“. Gerade
der Geschichte des europäischen Ansehens der holländischen eleganten Schule und
deren Niedergang am Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts im Urteil der
Nachwelt ist ein erster Abschnitt gewidmet (S. 1-26). Hier werden in einer gut
dokumentierten wissenschaftshistorischen Skizze umfassend Präsenz, Bewertung
und Heranziehung der niederländischen romanistischen Literatur in den Werken
der Romanisten des 19. und des 20. Jahrhunderts im einzelnen nachgewiesen. Nach
dieser wissenschaftshistorischen Einführung folgt ein zweiter Abschnitt „Was
heißt elegante Jurisprudenz?“ (S. 27-70). Hier werden insbesondere die
methodischen und äußeren Erscheinungsformen der niederländischen romanistischen
Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts beschrieben. Herausgestellt wird
insbesondere die von diesen Autoren herangezogene Technik der Interpretation
und Heranziehung der Stellen des Corpus Iuris.
Hervorgehoben wird zugleich die Verbindung zu der damaligen universitären
wissenschaftlichen Rechtsliteratur und der Praxis und zu der zeitgenössischen
Literatur des deutschen Usus modernus. Ein dritter
Abschnitt (S. 71-80) ist den „Anfängen der romanistischen Literatur in den
Niederlanden“ gewidmet. Ein vierter Abschnitt behandelt dann (S. 81-92) „die
holländische elegante Jurisprudenz“. Ein fünfter Abschnitt geht auf die
„eleganten Juristen“ (S. 93-108) ein. Ein sechster, sehr umfangreicher
Abschnitt (S. 109-150) behandelt anschließend die „humanistische
Rechtsgelehrtheit: Objekt und Methode“. Hier werden im einzelnen die von den
niederländischen Autoren besorgten Ausgaben des Corpus Iuris
und die dort betriebene Interpolationenforschung beschrieben, die philologische
Arbeit an den vorjustinianischen Fragmenten der
römischen Quellen und die damaligen zeitgenössischen philologischen Studien.
Ein letzter Abschnitt, der siebte, ist schließlich dem Verhältnis zwischen der
damaligen niederländischen Rechtsliteratur und der „französischen eleganten Schule“
gewidmet (S. 151-154).
Die bereits oben kurz wiedergegebene Grundthese des
Verfassers beherrscht alle seine danach folgenden Ausführungen. Lesenswert sind
hier bereits die z. T. polemisch formulierten Abgrenzungen im Vorwort.
„Mancher“ – schreibt er dort (S. VIII) – „hätte vielleicht auch in diesem Buche
… mehr Dogmengeschichte sehen wollen. Dazu möchte ich bemerken, dass die
übliche Dogmengeschichte, die, von der durch die Pandektisten
des 19. Jahrhunderts zur Vollendung gebrachten Dogmatik ausgehend, deren
„Wurzeln“ in der früheren Rechtswissenschaft nachgeht, oft wesentlich
anachronistisch, wenn nicht gar unhistorisch vorgeht.“ „Die Dogmatik des 19. Jahrhunderts“
– schreibt er fort – „ist ja nicht Telos der
Privatrechtsgeschichte. … Eine Rechtsgeschichte, die Zukunft haben will, sollte
nicht am 19. Jahrhundert als Ende der Geschichte festhalten, wie bequem das
bisweilen auch scheinen mag“. Insoweit kann man diese Monographie zugleich als
eine Abgrenzung und Ergänzung zu dem vor einigen Jahren von Robert Feenstra und Reinhard Zimmermann herausgegebenen Sammelband
„Das römisch-holländische Recht. Fortschritte des Zivilrechts im 17. und 18. Jahrhundert
(Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 7), Berlin
1992 sehen (vgl. dazu Hans Peter Benöhr, Rezension in dieser Zeitschrift, Rom. Abt.
116 [1999], S. 610-614). Die zitierten methodischen prinzipiellen Äußerungen
des Verfassers finden naturgemäß ihre ausführliche Begründung und Fortsetzung
in der wissenschaftshistorischen Skizze des ersten Kapitels. Zentraler
Ablehnungspunkt des Verfassers ist eine „Dogmengeschichte“, welche die
historischen Quellen für die Fragestellungen und die Bedürfnisse des modernen
geltenden Rechts heranzieht. „Koschakers“ – schreibt
er bezeichnenderweise (S. 22) – „unzeitgemäßes Ideal war eine Romanistik, die
auf eine enge Verbindung zur praxisbezogenen
Privatrechtswissenschaft und sogar zum praktischen Juristen abzielte. Er machte
an erster Stelle die ‚einseitige Historisierung der romanistischen Rechtswissenschaft’
des späteren 19. Jahrhunderts (die auch humanistische Themen wie
Interpolationenforschung und Palingenesie wiederaufnahm) für die Krise des römischen Rechts
verantwortlich.“ Dies habe nachhaltig einer angemessenen Würdigung und
Anerkennung der Leistungen der niederländischen romanistischen Literatur des
17. und 18. Jahrhunderts im Wege gestanden. Auf diese einseitig dogmatischen
Interessen geht auch die Missachtung der deutschen Historischen Rechtsschule
und vor allem der deutschen Pandektistik für diese
niederländische literarische Tradition zurück. Der Verfasser ist der Ansicht,
dass auch die humanistisch ausgerichtete Jurisprudenz des 16. und 17. Jahrhunderts
eine wesentliche Rolle bei der praktischen Anwendung des römischen Gemeinen
Rechts in der Judikatur der Hohen Gerichtshöfe
gespielt habe. Er verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf mehrere
Stellen der Sammlung von Cornelis van Bijnkershoek.
Die vom Verfasser aufgeworfenen Fragen lassen sich
naturgemäß nicht im Rahmen einer Rezension restlos erörtern. Inwieweit die
humanistische Neuentdeckung der Historizität der
römischen Quellen zugleich auch die praktische Anwendung des römischen Gemeinen
Rechts bedingt und beeinflusst hat, ist seit den ersten Untersuchungen Guido
Kischs und Domenico Maffeis bekanntlich mehr als umstritten. Hans Erich Troje hat in den 70er Jahren, vor allem in seiner
Habilitationsschrift, nachhaltig diese These vertreten, wenigstens für das 16. Jahrhundert.
In diesen Rahmen lassen sich insoweit die Ausführungen des Verfassers hier
einordnen. Der Rezensent hegt allerdings in diesem Zusammenhang auch einige
Bedenken. Eine unvoreingenommene Lektüre der Ausführungen des Verfassers selbst
nährt eine solch kritische Betrachtung der hier vertretenen Grundthese. Es ist
in der Tat fraglich, ob die niederländische elegante Jurisprudenz des 17.
Jahrhunderts wirklich Vorläuferin der modernen philologisch-historischen
Methode der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts gewesen ist. Der
Verfasser erwähnt hier (S. 42) z. B. eine Erörterung von Bijnkershoek
zu D.10.4.3 pr. Es ist bezeichnend, dass Mommsen in
seiner kritischen Digestenausgabe die philologischen
Argumente des niederländischen Autors noch nicht einmal der Erwähnung für wert
hielt. Der Verfasser selbst schreibt hier zum Wert der textkritischen
Ausführungen Bijnkershoeks bezeichnenderweise (S. 43):
„Damals aber dachte man offenbar nicht so. Der juristische Gesichtspunkt
bestimmte nicht nur die Frage, sondern auch die erwünschte Antwort, und das
textkritische Repertoire der klassischen Philologie lieferte die Lösung, ohne
dass gefragt wurde, ob der Text wirklich ein kritisches Problem im
philologischen Sinne darstellte, und ohne dass für die bevorzugte Lesung eine
Belegstelle angeführt werden musste. Wenn nur die Entscheidung durch eine Textlesung abgesichert zu sein schien, wurde offenbar nicht
weiter gefragt nach Sinn und Grund.“ Bei näherem Hinsehen handelt es sich also
auch hier doch noch um die schöpferische, z. T. ganz unhistorische
argumentative, topisch-rhetorische Heranziehung der
Stellen der römischen Quellen, die für die spätmittelalterliche und
neuzeitliche europäische gemeinrechtliche Wissenschaft typisch war. Gerade die
rein historische philologische Betrachtung der Überlieferung des Textes der
römischen Quellen, die für die deutsche Romanistik am Ende des 19. Jahrhunderts
typisch wurde, war also nach den Feststellungen des Verfassers selbst den
niederländischen Autoren des 17. Jahrhunderts fremd. Insoweit nahm die
niederländische romanistische Literatur jener Zeit keinesfalls eine
Sonderstellung im damaligen europäischen Kontext ein. Diese Bemerkungen, die
keinesfalls eine Kritik formulieren wollen, zeigen zugleich, mit welchem
Interesse und welcher Befruchtung man die Ausführungen des Verfassers
heranziehen kann. Der Rezensent hat jedenfalls bei der Lektüre eine ganze Menge
an neuen Einsichten gewonnen.
Saarbrücken Filippo
Ranieri