Van Caenegem, Raoul C., European Law in the Past and the Future. Unity and Diversity over Two Millenia. Cambridge University Press, Cambridge 2002. VIII, 175 S.

 

Dies ist ein Musterexemplar jener grundsätzlichen Betrachtungen, wie sie von Altmeistern ihres Faches als Summe ihres Gelehrtenlebens erwartet werden dürfen. Wenn es um das Recht Europas geht ist R. C. Van Caenegem mehr als jeder andere berufen, in die Geschichte zurück zu blicken um über dessen Gegenwart und mögliche Zukunft Sachkundiges zu sagen. Anlass zu diesen Betrachtungen waren Vorlesungen, die der Verfasser in Maastricht im Rahmen eines Magister iuris communis-Programms gehalten hat. Er konnte bei seinen Hörern rechtshistorische Kenntnisse voraussetzen und wurde, wie er wiederholt betont, durch deren Rückfragen in seinen Ausführungen bestimmt. So trägt er keine der sonst üblichen Einleitungen in die europäischen Rechtsgeschichte vor, sondern reiht Tatsachen, Gedanken und Beobachtungen aneinander, die er seinen Hörern und Lesern wie ein Puzzle zur selbständigen Ergänzung an die Hand gibt. Hier schreibt ein Mann, dem die Geschichte die der Gegenwart zu stellenden Fragen an die Hand gibt, der aber viel zu sehr Historiker ist, um nicht zu wissen, dass die Zukunft allemal offen ist und man sich vor eindeutigen Prognosen hüten muss. Entsprechend farbig und subjektiv gefärbt ist die Darstellung. Entsprechend häufig regen sich beim Leser Zustimmung, Gegenfragen und Kritik. Die Darstellung beginnt mit dem Kapitel „The national codes: A transient phase“ (S. 1–21), in welchem die Begrenztheit der Kodifikationsidee entfaltet wird. Danach folgt „Jus commune. The first unification of European law” (S. 22-37). Hier stellt der Verfasser auch die gegenwärtige Debatte um die Wiederbelebung des römischen Rechts als Baustein des kommenden europäischen Rechts dar. Insbesondere geht es dabei um die Verschmelzbarkeit des englischen common law mit dem kontinentalen Zivilrecht. Der Skepsis eines die Schwierigkeiten realistisch als fast unlösbar beschreibenden Kenners verbindet der Verfasser mit der Hoffnung auf ein Wunder, da man auch sonst erlebt habe, dass scheinbar Unmögliches in der Geschichte Europas wirklich geworden sei. Dieser Gegenstand wird vertieft im Abschnitt „Common law and civil law: Neighbours yet strangers“ (S. 38-53). Danach folgen Ausführungen über „Holy books of the law“ (S. 54-72), in denen neben Bibel und corpus iuris die amerikanische Verfassung und die Auslegungsgeschichte des Code civil behandelt werden. Ein eigenes Kapitel wird der Frage gewidmet „Why did the ius commune conquer Europe?“ (S. 73-88) und jener, wie die kontinentale Rechtsgeschichte wohl ohne die Rezeption des römischen Rechts verlaufen wäre. Im letzten Kapitel „Law is politics“ (S. 89-133) geht der Verfasser auf Wunsch seiner Hörer gründlich und kenntnisreich auf das Verhalten deutscher Rechtshistoriker im NS-Staat ein. Als Epilog folgt die Vorlesung anlässlich des Abschlusses des Kursee „A look into the twenty-first century“ (S. 134-143. Ein Literaturverzeichnis beschließt den Band. Kritik fällt angesichts der profunden Sachkenntnis des Verfassers schwer. Über Auswahl und Anordnung des Stoffs wie auch über einzelne Konsequenzen lässt sich zwar streiten, doch gehört dergleichen zu den Privilegien einer solchen Gesamtschau. Eher möchte man fragen, warum der Verfasser auf die aus der multikulturellen Gesellschaft auf das Recht zukommenden Probleme, etwa des Sprachen- und Minderheitenrechts und auf den Koran als holy book in Europe nicht eingegangen ist. Hier hätte dann auch unter Abgrenzung zu den außereuropäischen Rechten die Frage erörtert werden können, ob der Verfasser dem europäischen Recht als solchem einen eigenen Charakter zuerkennt und worin dieser besteht. Auch hätte er gewiss Geistvolles zu der mit dem Stichwort „Globalisierung“ beschriebenen Frage eines US-amerikanischen Strebens nach globaler Rechtshegemonie sagen können. Doch werden die Rechtshistoriker dazu gewiss noch die Gelegenheit finden.

 

Kiel                                                                                                      Hans Hattenhauer