The moral world of the law , hg. v. Coss, Peter. Cambridge University Press, Cambridge 2000. XI, 262 S.

 

Die Beiträge dieses Konferenzbandes beschäftigen sich mit den Beziehungen zwischen der Gesellschaft und dem in ihr angewandten Recht: War die Justiz autonom, oder ließ sie sich von politischen wie gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflussen? Nach den einleitenden Worten von Peter Coss (Introduction, S. 1-16) untersucht S. C. Todd (The language of law in Classical Athens, S. 17-36) diese Fragestellung vornehmlich anhand der Rechtssprache im Athen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. und kommt zu dem Schluss, dass zwar durchaus juristische Fachbegriffe benutzt wurden, jedoch keine juristische Fachsprache existierte. Den Grund hierfür sieht er in der Struktur des Gerichtswesens, das u. a. keine Anwälte und urteilenden Richter kannte, sondern sich auf Teile der juristisch nicht gebildeten Bevölkerung stützte. Zudem wurden politische wie juristische Funktionen von demselben Personenkreis ausgeübt, ohne dass hieran Kritik geübt wurde, was zeigt, dass eine autonome Justiz den gesellschaftlichen Strukturen nicht entsprochen hätte. Soziale wie politische Kriterien beeinflussten vielmehr das Geschehen im Gericht. Im Gegensatz dazu betont Andrew D. E. Lewis die autonomy of Roman law (S. 37-47). Er sieht diese durch die Spezialisierung innerhalb der Rechtsgelehrtenschaft (Trennung der Rolle von advocat and jurist) sowie durch die strengen Verfahrensregeln ermöglicht, denn nach seiner Auffassung ist es the capacity to separate the discussion of legal rules from their possible application in actual circumstances that characterises autonomy (S. 40). Die folgenden vier Aufsätze beschäftigen sich mit dem Mittelalter. Wendy Davies untersucht local participation and legal ritual in early medieval law courts (S. 48-61), wobei ihr Augenmerk zeitlich auf die Jahre 650-950 und geographisch auf Westeuropa (ohne Skandinavien) liegt. Sie geht die Frage auf zwei Ebenen (rulers´ courts und local courts) an. Während im ersten Fall der Schwerpunkt auf der Einhaltung von Verfahrensregeln lag und das Gericht als politisches Instrument gebraucht wurde, zeichneten sich die lokalen Gerichte durch weniger Formalität aus und legten mehr Wert auf die gütliche Einigung. Die lokalen Gerichte waren nicht isoliert: at this level the world of the law does not seem to have been so morally distinct vom everyday life (S. 61). Paul Hyams (Due process versus the maintenance of order in European law: the contribution of the ius commune, S. 62-90) verfolgt einen grundsätzlich anderen Ansatz. Anhand ausgesuchter Rechtsmaximen (Unschuldsvermutung, due process etc.) demonstriert er, dass es keine Patentlösung bei der Abwägung von individueller Freiheit und persönlicher Sicherheit gab, die mittelalterlichen Rechtsmaximen vielmehr zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich interpretiert werden konnten, wodurch ihr Überleben gesichert wurde, und those that reached a general public must have contributed in many ways of which we currently know very little to inform ordinary folk (those whom lawyers call laymen) what law was about (S. 90). Paul Brand nimmt den Leser mit in die Westminster Hall, in der der Court of Common Pleas tagte, und erläutert Rolle und Funktion der Sergeants, Richter, Gerichtsschreiber und Anwälte (Inside the courtroom: lawyers, litigants and justices in England in the later middle ages, S. 91-112). Die in Law French abgehaltenen juristischen Debatten machten das Recht für die Laien weitgehend unverständlich, und so ist es nicht überraschend, dass Symbolhandlungen während des Prozesses vorgenommen wurden, die selbsterklärend waren. Zudem war der Gerichtssaal zugleich Schulungsraum für angehende Juristen. Thomas Kuehn (,Nemo mortalis cognitus vivit in evo’: moral and legal conflicts in a Florentine inheritance case of 1442, S. 113-133) widmet sich einer Fallstudie, nämlich den Streitigkeiten, die aus dem Testament von Lodovico di ser Viviano erwuchsen und die die Spannungen in the moral and legal life of Florence (S. 130) veranschaulichen. Martin Ingram betrachtet dagegen die moral world of the law anhand von Verleumdungsprozessen im frühneuzeitlichen England (Law, litigants and the construction of ,honour’: slander suits in early modern England, S. 134-160), Mit den Aufsätzen von Caroline Ford (Story-telling and the social imagery of religious conflict in nineteenth-century French law courts, S. 161-177), Diana Jeater (,Their idea of justice is so peculiar’: Southern Rhodesia 1890-1910, S. 178-195) und John Lonsdale (Kenyatta´s trials: breaking and making an African nationalist, S. 196-239) wird der Bogen zeitlich und geographisch noch weiter gespannt. In seiner Conclusion (S. 240-249) versucht Chris Wickham, die Ergebnisse der in ihrer Vorgehensweise doch sehr unterschiedlichen Beiträge zu strukturieren: in relativ unprofessionellen Rechtssystemen (Athen, frühmittelalterliches Westeuropa) ist eine größere Nähe zu den Moralvorstellungen der Gesellschaft zu erkennen als in den professionellen (antikes Rom, mittelalterliches England) oder importierten Rechtssystemen, die in der Gesellschaft nicht verwurzelt sind. Der Band wird durch einen Index erschlossen. Erstaunlich scheint, dass zwar für den Schutzumschlag eine Gerichtsszene aus dem Sachsenspiegel verwendet wurde, der geographische Bereich dieses Rechts allerdings ansonsten unberücksichtigt blieb.

Fürth                                                                                                             Susanne Jenks