Stürner,
Wolfgang, Friedrich II., Teil 2 Der
Kaiser 1220-1250 (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance).
Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Primus, Darmstadt 2000. XIV, 659 S., 2
Karten, 12 S. Abb.
Acht
Jahre nach dem ersten Teil seiner großangelegten Biographie Friedrichs II. von
Hohenstaufen legt Wolfgang Stürner nunmehr den zweiten und abschließenden Teil
seines Werkes vor. Die lange Zeitspanne zwischen dem Erscheinen des ersten und
des zweiten Teiles erklärt sich nicht nur durch die üblichen und
forschungsfeindlichen Belastungen, denen ein Universitätslehrer heutzutage
ausgesetzt ist, sondern auch durch die in der Zwischenzeit vom Verfasser
fertiggestellte Edition der Constitutiones regni Siciliae, deren
Erstellung gewiß einen nicht geringen Teil der Zeit und vor allem der
Arbeitskraft Stürners in Anspruch genommen hat.
Mehr als beim ersten Teil seiner Biographie hatte der Verfasser beim vorliegenden zweiten Teil mit der Fülle der Veröffentlichungen zu kämpfen, die gerade in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch den 800. Jahrestag der Geburt Friedrichs II. im Jahre 1994 veranlaßt, einen außerordentlichen und fast nicht mehr überschaubaren Umfang angenommen hat. Zugleich galt es für ihn erneut, wie schon beim ersten Teil, sich mit der inzwischen klassisch gewordenen Biographie des Staufers von Ernst Kantorowicz auseinanderzusetzen, deren erste Auflage in den Jahren 1927 bzw. 1931 (Ergänzungsband) erschienen ist und die seither immer wieder nachgedruckt wurde, zuletzt im Jubiläumsjahr 1994. Kantorowicz’ Werk, das bei seinem Erscheinen auf nicht geringen Widerstand namentlich der konservativen Historikergeneration stieß, wird vielfach auch heute noch als die Biographie des Stauferkaisers angesehen, auch wenn die Forschung inzwischen etliche Details korrigiert hat und den ihr zugrundeliegenden phänomenologischen Ansatz, die „Wesensschau“, wie es damals hieß, nicht mehr teilt; vor allem aber die das ganze Werk durchziehende heroisierende Adoration der Persönlichkeit des Herrschers längst aufgegeben hat. Dennoch ist und bleibt Kantorowicz’ Biographie ein noch immer unübertroffenes gelehrtes Kunstwerk, das im Umfeld Stefan Georges entstanden und als Zeugnis dieser Geisteswelt zu lesen und zu verstehen ist. Es auch nur annähernd nachahmen zu wollen, ist schon wegen dieser Entstehung von vorneherein zum Scheitern verurteilt, wie manche Versuche in der jüngsten Vergangenheit, sofern man sie überhaupt als nennenswert bezeichnen kann, zeigen.
Unter diesen Umständen stellte sich für den Verfasser von Anfang an die .schwierige Frage, von welchem Ansatz er bei seiner Biographie ausgehen sollte. Er hat sich, hierin übrigens an die ältere Literatur über Friedrich II. wie etwa Schirrmacher, Winkelmann, auch Friedrich von Raumer anknüpfend, für einen Ansatz entschieden, der im Kern darin besteht, die Biographie des Stauferkaisers unmittelbar aus den Quellen zu schreiben, also eine quellennahe Darstellung im Absehen von allen quellenfremden Vorgaben zu verfassen. An sich ist dies ein Ansatz, der innerhalb der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsschreibung als Selbstverständlichkeit angesehen werden muß, der jedoch gerade im Falle Friedrichs II. immer wieder beiseitegelassen wurde und übrigens auch heute noch nicht selten mißachtet wird. Stürner ist konsequent bemüht, die Geschichte des Staufers so quellengetreu wie möglich darzustellen, ohne freilich auf eine kritische Würdigung der überlieferten Nachrichten zu verzichten. Nur selten verläßt er diese Linie, etwa wenn er bei manchen Maßnahmen des Herrschers auf Parallelen zur Gegenwart hinweist und die Modernität dieser Maßnahmen im Sinne eines gegenwärtigen politischen Verständnisses hervorhebt.
Er beginnt mit einer ausführlichen Schilderung der Reorganisation des Königreiches Sizilien in den Jahren 1220-1225, namentlich der Maßnahmen, die auf dem Hoftag von Capua im Jahre 1220 verkündet wurden, und schildert eingehend deren Durchsetzung. Es folgt eine Darstellung der verwickelten Vorgeschichte und des Verlaufs des kaiserlichen Kreuzzuges sowie der Auseinandersetzungen mit dem Lombardenbund in den Jahren von 1220 bis 1229. Daran schließt sich die Schilderung der umfassenden Reformen im Königreich Sizilien an, die ihren Höhepunkt in der Verkündung der Constitutiones regni Siciliae auf dem Hoftag zu Melfi im Jahre 1231 fanden. Die folgenden Ausführungen betreffen Friedrichs Konflikt mit seinem Sohn König Heinrich (VII.) innerhalb des Reiches, die endgültige Beilegung des Streites zwischen den Staufern und den Welfen sowie die neuerliche Auseinandersetzung mit dem Lombardenbund, alles in den Jahren 1231-1238 geschehen. Der vorletzte Abschnitt behandelt den kaiserlichen Hof, die vielfältigen künstlerischen und gelehrten Interessen des Kaisers, die kaiserliche Bautätigkeit, den höfischen Gelehrtenkreis, die am Hof versammelten Literaten sowie vor allem die Leidenschaft des Kaisers für die Falkenjagd und die gelehrte Beschäftigung mit der Aufzucht, Haltung und Dressur der Falken in dem berühmten kaiserlichen Falkenbuch. Den Schluß bildet die Schilderung der Hegemonialkämpfe zwischen Kaiser und Papst, der Bekämpfung der politischen Gegner des Kaisers in Sizilien, des Verrats des engsten kaiserlichen Vertrauten Petrus de Vinea und schließlich des Tods des Kaisers sowie der letztwilligen Verfügungen des Kaisers für die Sicherung der Herrschaft nach dem Tod. In einem Epilog versucht der Verfasser eine Art Resümee der Herrschaft des Staufers zu geben, in der neben einer politischen Bilanz der kaiserlichen Herrschaft auch der Versuch einer Würdigung der Persönlichkeit des Kaisers und seiner Herrschaftsauffassung aus heutiger Sicht unternommen wird.
Für den Rechtshistoriker von besonderem Interesse sind die Ausführungen über die legislativen und administrativen Maßnahmen des Kaisers im Königreich Sizilien, beginnend mit den Assisen von Capua und deren Ergänzung in den Assisen von Messina und schließlich vor allem den Constitutiones regni Siciliae, die ausführlich und mit besonderer Präzision im Detail beschrieben werden. Aus dieser Schilderung läßt sich ein genaues Bild der Herrschaftsorganisation gewinnen, die Friedrich in seinem Königreich Schritt für Schritt eingeführt und durchgesetzt hat, wobei dem Verfasser namentlich bei seiner Darstellung der Constitutiones die Kenntnis, die ihm aus seiner Arbeit an der Edition dieses großen Gesetzeswerkes zugeflossen ist, zustatten kam. Besonders hervorzuheben ist, daß es dem Verfasser gelungen ist, dieses Gesetzeswerk als die Realisation der kaiserlichen Herrschaftsprinzipien zu erweisen und darüber hinaus zu zeigen, daß diese Prinzipien auch bei der Durchsetzung der kaiserlichen Gesetzgebung im einzelnen– jedenfalls in der Regel – befolgt wurden. Eindrucksvoll ist auch die Schilderung der kaiserlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die das ganze Ausmaß der kaiserlichen Fähigkeiten, aber auch der subtilen Kenntnis des Kaisers des Wirtschaftsgeschehens und vor allem der wirtschaftlichen Verhältnisse in Sizilien und ihrer Auswirkungen erkennen läßt.
Weniger intensiv hingegen ist die Darstellung des Verfassers von den legislativen Maßnahmen des Kaisers und deren Durchsetzung im Reich, namentlich der verfassungsrechtlichen Wirkungen, die von diesen Maßnahmen ausgingen. Auch der Zusammenhang zwischen den Maßnahmen, die der Kaiser in Sizilien und jenen, die er im Reich getroffen hat, wird nicht recht deutlich. Hier macht sich nachteilig bemerkbar, daß der Verfasser, soweit er die einschlägige Forschungsliteratur unmittelbar herangezogen hat, sich in erster Linie auf die historische, nicht hingegen auf die rechts- und verfassungshistorische Literatur gestützt hat. Dies gilt vor allem für die Landfriedensgesetzgebung, die gerade bei Friedrich II. weit über ihren unmittelbaren Zweck der Erhaltung und Sicherung des Friedens hinaus erkennbar der Reorganisation des Reiches dienen sollte und diese Funktion in der Folge, namentlich unter Rudolf von Habsburg und seinen Nachfolgern, auch tatsächlich erfüllt hat.
Doch sollen diese Bemerkungen die Leistung des Verfassers in keiner Weise schmälern. Es ist klar und angesichts der Dichte des Maßnahmen, die im Königreich Sizilien getroffen wurden, daß sich bei einer Gesamtbetrachtung der kaiserlichen Politik die Maßnahmen, die der Kaiser im Reich getroffen hat, möglicherweise in Umfang und Intensität geringer ausnehmen als jene, die im Königreich Sizilien getroffen wurden, doch sagt dies noch nichts über deren Bedeutung im Rahmen der gesamten kaiserlichen Herrschaft aus. Gewicht und Bedeutung dieser Maßnahmen können, so will es scheinen, für die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, namentlich dessen Verfassungsgeschichte, nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß Stürner mit seiner Biographie des großen Stauferkaisers nicht nur eine eindrucksvolle wissenschaftliche Leistung vollbracht hat, die durch die präzise Auswertung der zahlreich überlieferten Quellen besticht, sondern ihm bei aller Nüchternheit der Darstellung ein glänzendes Geschichtswerk gelungen ist, das Kennern wie Liebhabern der Geschichte des Mittelalters eine ebenso spannende wie faszinierende Lektüre vermittelt und sich überdies wohltuend von zahlreichen anderen Biographien oder biographischen Darstellungen abhebt, die gerade in den letzten Jahren in großer Zahl nicht nur im deutschen Sprachbereich erschienen sind.
Salzburg Arno Buschmann