Stadt und Handwerk in
Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Kaufhold, Karl Heinrich/Reininghaus,
Wilfried (= Städteforschung A 54). Böhlau, Köln 2000. X, 312 S.
Die Herausgeber dieses Bandes haben es unternommen, die Wechselwirkungen zwischen dem Handwerk und urbanen Siedlungen in Mitteleuropa und in benachbarten Regionen zu erhellen. Antwort auf ihre komplexe Fragestellung sollen Beiträge geben, die einen Zeithorizont vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert ausmessen. Erläuternd weist Wilfried Reininghaus darauf hin, dass die Handwerksgeschichtsforschung über „Konstanten und Variablen“ sowie „Kontinuitäten und Diskontunitäten“ in weiten zeitlichen Zusammenhängen diskutieren und deshalb in der Darstellung ihrer Ergebnisse auch Epochengrenzen überschreiten kann. Die ausgewählten Forschungsprobleme aus dem Bereich des Verhältnisses von Stadt und Handwerk, welche Reininghaus einleitend vorstellt, spiegeln im wesentlichen die „klassischen“ Forschungsfelder der Handwerksgeschichte des Mittelalters und der frühen Nordzeit wieder. Sehr zu Recht weist er darauf hin, dass sich Untersuchungen zur Geschichte der Gewerbe- und Zunftpolitik der frühneuzeitlichen Staaten stets mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob und wie die Normen zur Rechtswirklichkeit gerannen. Damit greift er Erkenntnisse auf, die für die Arbeit des Rechtshistorikers richtungweisend sind.
Da die gegenwärtigen
Forschungsschwerpunkte der Handwerksgeschichtsschreibung noch immer in der frühen
Neuzeit gesucht werden, befassen sich auch die meisten der hier versammelten
Beiträge mit dieser Epoche. Über das Verhältnis von Stadt und Handwerk in der
Phase der Industrialisierung ist dagegen bislang nur wenig bekannt. Die
Herausgeber konstatieren das; der Rechtshistoriker hat Anlass, diese Defizite
um so mehr zu bedauern, als sich im 19. Jahrhundert die rechtlichen
Voraussetzungen des Produzierens für das Kleingewerbe dramatisch veränderten
und für diese Epoche auch auf dem Forschungsfeld der Rechtsgeschichte die
größeren Wissenslücken festzustellen sind.
Leider wurden die
Forschungen zum Handwerk in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts
in Deutschland nicht wirklich weiter vorangetrieben. Dass selbst wichtige
Probleme bislang nicht zutreffend gelöst wurden, zeigt Reinhold Reith auf.
Dieser will sich nicht mit der allseits bekannten These zufrieden geben, das
Alte Handwerk habe Innovationen stets abgelehnt - eine Behauptung, für die es
keine empirischen Beweise gibt. Folgerichtig gelingt es Reith nachzuweisen,
dass „geräuschlose“ Neuerungen, welche sich aus der Arbeitserfahrung ergaben,
insbesondere durch die wandernden Gesellen schnell verbreitet wurden. Im
produzierenden Gewerbe standen, ganz im Gegensatz zur heutigen Situation, aber
nicht arbeits-, sondern ressourcensparende Verbesserungen im Vordergrund. Der
Beitrag macht deutlich, wie notwendig neue Bewertungen gerade im Bereich der
technischen Entwicklung des Handwerks der vorindustriellen Zeit sind.
Kathrin Keller wendet sich
am Beispiel Kursachsens der Frage zu, welchen Platz das kleinstädtische
Handwerk in der dortigen Städtelandschaft einnahm. Veränderungen der Handwerkerdichte
im 17. und 18. Jahrhundert lassen erkennen, dass das Exportgewerbe die
auffälligste Dynamik zeigte. Für den Bereich der Handwerksorganisation zeigt
die Autorin, dass die Zünfte in den sächsischen Städten spät gegründet wurden
und relativ schwach entwickelt waren, während sich die Zahl der Landmeister
auch dort schon im 18. Jahrhundert stark erhöhte. Zieht man die Summe der
Ergebnisse dieser Untersuchung, so fällt auf, dass sich die ökonomischen und
rechtlichen Bedingungen des Produzierens im frühneuzeitlichen Handwerk im Osten
und Westen des Reiches offenbar nicht allzu sehr voneinander unterschieden.
Dem sächsischen Handwerk des
ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts ist noch ein weiterer Beitrag des
Bandes gewidmet. Elke Schlenkrich und Helmut Bräuer gehen der wirtschaftlichen
Situation im Kleingewerbe jener Zeit nach. Aufgrund der Auswertung sächsischer
Quellen wagen sie die wenig spektakuläre These, „dass es im Verlaufe der frühen
Neuzeit innerhalb des Handwerks Verarmungstendenzen gab, die in ihren sozialen
Erscheinungsbildern aber gewerblich differenziert gesehen werden müssen“ (S.
99). Wer aber hat daran je gezweifelt? Noch unbefriedigender ist die Erklärung,
welche die Autoren für die unerfreulichen Verhältnisse bereithalten:
„Verarmungsprozesse wurden zu einem erheblichen Teil von der unzureichend
stabilen ökonomischen Grundvoraussetzung ausgelöst. Sie war vornehmlich ein
strukturelles, nicht durchgängig ein individuelles Problem (S. 99).“ Die
eigentlichen Ursachen der Verarmung, insbesondere das starke
Bevölkerungswachstum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, sind den Autoren aber
offenbar unbekannt geblieben. Dies nimmt auch nicht wunder, da sie - bis auf
wenige Ausnahmen - weder die einschlägige Handbuchliteratur noch vergleichbare
Untersuchungen zu anderen Regionen des Reiches zur Kenntnis zu nehmen für
notwendig befunden haben. Weitere Mängel kennzeichnen die Darstellung: Da sich
die Autoren im wesentlichen auf Quellen aus dem Bereich der vor allem für den
überregionalen Markt arbeitenden Textilhandwerke stützen, stellt sich die -
leider unbeantwortet gebliebene - Frage, inwieweit ihre Ergebnisse auch für die
auf den lokalen Markt ausgerichteten Handwerkssparten repräsentativ sind. Auch
fehlt es an der - wenigstens im Ansatz notwendigen - Klärung von
Detailproblemen wie etwa der rechtlichen Situation des Handwerks im
Untersuchungsgebiet. Enervierend wirken die schiefen Ausdrucksweisen, die
gelegentlich zur unfreiwilligen Komik geraten: Da „drohte die Zunft mit dem
Bettelstab“ (S. 100), das Handwerk wurde von „harten steuerpolitischen
Realitäten .... geschüttelt“ (S. 110) oder gar „Aus den steuerlichen
Belastungen sahen die Meister in erster Linie das Zusammenschmelzen ihrer
Finanzmittel hervorgehen“ (S. 111). Ebenso unpassend erscheint der inflationäre
Gebrauch des Adjektivs „sozial“: Da kommt es zum „sozialen Abdriften“ der
Handwerker (S. 100), zur „sozial tiefergreifenden Störerei“ (S. 100) und
„sozialen Deformation“ (S. 105), zu „sozialen Einbrüchen“ (S. 113) und gar zur
„sozialen Talfahrt“ (S. 117). Schwer verdauliche Kost ist dieser Beitrag,
fürwahr.
Die für das späte 18. und
frühe 19. Jahrhundert ungewöhnlich günstige Überlieferung von Statistiken für
das bayrische Handwerk nutzt Markus A. Denzel, um in einer vergleichenden
Studie der Frage nachzugehen, wieweit sich die wirtschaftliche Situation des
Kleingewerbes zwischen 1780 und 1810 geändert hat. Wie bei der Auswertung
historischer Statistiken grundsätzlich notwendig, klärt der Verfasser zunächst,
welcher Handwerkerbegriff bei der Erhebung der von ihm benutzten Quellen
verwandt wurde. Dann schafft er eine Datengrundlage, die vergleichende Aussagen
ermöglicht, um sich schließlich der Auswertung der Statistiken zuzuwenden. Im
Ergebnis stellt er fest, dass sich die Handwerksstruktur in Bayern im Untersuchungszeitrum
nur wenig veränderte. Das verbreitete Landhandwerk hatte geringe
Handwerkerdichten in den Städten zur Folge. Lediglich München nahm mit seinen
zahlreichen Spezialisten und Luxushandwerken eine für die Residenzstadt
typische Sonderstellung ein. So bestätigt die Detailuntersuchung in vielerlei
Hinsicht einen Befund, der auch schon für andere deutsche Regionen vorliegt,
dort für diesen Zeitraum zumeist aber der Fundierung durch statistische Quellen
entbehrt.
Ähnliches wie für Bayern
lässt sich auch für die norddeutschen Seestädte zeigen, wie die von Kersten
Krüger vorgelegte Studie zum Gewerbe in Altona, Kiel, Rostock und Wismar nachweist.
Der Autor analysiert nach den gleichen methodischen Grundsätzen wie Denzel Handwerkerstatistiken
aus den Jahren 1803 und 1819. Dabei stellt er fest, dass die Gewerbedichte
derjenigen in Bayern in etwa entsprach. Die Arbeitslosigkeit war, was ebenfalls
nicht überraschen kann, in den kleineren Orten größerer als in den bedeutenden
Städten – und naturgemäß waren die Luxusgewerbe in letzteren stärker vertreten
als in den Kleinstädten. Auch diese Ergebnisse bestätigen einmal mehr die für
andere Regionen bereits ermittelten Tatsachen.
Auf ein bislang kaum
beachtetes Segment der europäischen Handwerksgeschichte lenkt Dag Lindström die
Aufmerksamkeit, indem er sich mit dem Verhältnis von Stadt und Handwerk in Schweden,
und zwar für den weitgespannten Zeitraum vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert,
befasst. In den schwedischen Städten war das Kleingewerbe nur schwach
entwickelt. Lediglich in der Residenzstadt Stockholm zeigte es sich schon
frühzeitig reich differenziert. Wie im deutschsprachigen Raum existierte in dem
Land ein Zunftwesen, und auch die Bannmeile war im Norden bekannt. Trotz
einschränkender Regelungen war das Landhandwerk aber weit verbreitet.
Einerseits wurde schon 1621 durch den Staat eine alle Stadthandwerker
betreffende Zunftreform durchgeführt, anderseits stellt der Verfasser aber
fest, die meisten Zünfte seien erst im 18. Jahrhundert entstanden. Es
überrascht, dass bislang noch nicht untersucht worden ist, wie verbreitet das
Zunftwesen in Schweden im 17. und 18. Jahrhundert wirklich war. Hierzu fügt es
sich, dass Lindström viele Aspekte seines Sujets anspricht, sie dann aber nicht
wirklich vertieft. So vermittelt der Beitrag den Eindruck, dass bislang noch
keine differenzierten Darstellungen zur schwedischen Handwerksgeschichte
vorliegen.
Eine ganz andere Situation
findet der Forscher natürlich für die Kaiserstadt Wien vor, mit deren Handwerk
im 18. Jahrhundert sich Josef Ehmer befasst. Zunächst setzt er sich mit einzelnen
allgemeinen Aspekten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des hauptstädtischen
Kleingewerbes auseinander. So stellt er u. a. fest, dass sich die
Handwerkerdichte in Wien vom späten 17. bis in das frühe 19. Jahrhundert kaum
änderte; auch das erstaunlich weit gefasste Herkunftsgebiet der zuwandernden
Handwerker wird umrissen. Breiteren Raum nimmt die Darstellung typischer
Details der Zunftgeschichte ein. 1736 waren aufgrund des zahlreichen
Hofhandwerks und der ausufernden Pfuscherei weniger als ein Drittel der Wiener
Handels- und Gewerbetreibenden in Zünften organisiert. Im Laufe des 18.
Jahrhunderts wurden zahlreiche neue Korporationen in Wien gegründet, derer sich
der Staat rechtsetzend und administrierend annahm. Überraschend erscheint, dass
die Wiener Handwerker von der Mitwirkung im Stadtrat ausgeschlossen blieben,
die Zünfte gleichwohl aber öffentliche Funktionen übernahmen. Resümierend
stellt Ehmer fest, das Wiener Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts sei kein
verknöchertes Relikt einer fernen Vergangenheit gewesen, sondern habe das wirtschaftliche
Wachstum der Stadt in jener Zeit entscheidend befördert.
Auf in vielerlei Hinsicht
einzigartige Verhältnisse traf Michael Diefenbacher, der die ökonomische und
rechtliche Situation der Handwerker in der Reichsstadt Nürnberg untersucht. Singulär
war dort nicht nur der hohe Handwerkeranteil an der Bevölkerung, sondern auch
das Fehlen jeglicher Zunftorganisation. Die wohlhabenden Kaufmannsfamilien
dirigierten auch das Kleingewerbe. Ein planwirtschaftliches System hatte sich
etabliert, welches mittels des sogenannten Rugamtes als Gewerbepolizeibehörde
einerseits alle politische Bestrebungen der Handwerker unterdrückte, ihnen
andererseits aber Schutz vor Konkurrenz bot und hohe Qualitätsstandards der
Produkte gewährleistete. Die verschiedenen Einzelhandwerke wurden durch
gemeinsame Ordnungen, auf die man Meister und Gesellen vereidigte, zusammengehalten.
Ein hoher Spezialisierungsgrad und weit fortgeschrittene Arbeitsteilung sowie
die bemerkenswerte Flexibilität der Massenprodukte herstellenden Gewerbe
sicherten der Stadt im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit beträchtlichen
Wohlstand.
Mit einer einzelnen
Handwerkssparte, dem Leinengewerbe, befasst sich Christoph Jeggle am Beispiel
Münsters. Bis ins 17. Jahrhundert war die Stadt ein Zentrum des Leinenhandels.
Nach 1640 sank der Umsatz der Legge aber zur Bedeutungslosigkeit herab. Ihr
Monopol ließ sich nicht mehr durchsetzen. Nichtsdestoweniger blieb die zünftig
betriebene Leinenweberei aber auch noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
das wichtigste Gewerbe der Stadt; längerfristig war diese Profession der
Konkurrenz benachbarter Produktionsstandorte aber nicht gewachsen.
Einblicke in die Forschung
eines westlichen Nachbarlandes gewährt ein weiterer Beitrag: Im Gegensatz zur
deutschen Handwerksgeschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte ist der institutionelle
Rahmen des Kleingewerbes in der neueren Forschung Frankreichs, Italiens, Belgiens
oder Österreichs vorrangig berücksichtigt worden. In diesen Kontext stellt
Marten Prak seine Untersuchung zum Kleingewerbe der südniederländischen Stadt
s’Hertogenbosch im 18. Jahrhundert, wertet unter Hinweis auf die Annales-Schule
aber auch serielle Quellen wie Steuerakten aus. Er zeigt, dass die Handwerker
die städtischen Mittelschichten dominierten, wobei es zwischen den
verschiedenen Sparten des Gewerbes erhebliche Einkommensunterschiede gab.
Insbesondere die an Verleger gebundenen Textilhandwerker stellten einen wesentlichen
Teil der Armenhaushalte, während die Angehörigen der überwiegend für den lokalen
Markt arbeitenden, zünftig organisierten Handwerke deutlich besser gestellt
waren. Prak führt dies nicht zuletzt darauf zurück, dass die
Handwerkerkorporationen ihr Monopol im Herzogenbusch des 18. Jahrhunderts noch
erfolgreich verteidigen konnten und insofern eine effiziente Interessenvertretung
darstellten.
Eines bislang in der
sozialhistorischen Forschung vernachlässigten Themas, der Krankenversorgung
insbesondere der wandernden Handwerker, nimmt sich Reinhard Spree an. Angesichts
der Massenarmut im frühen 19. Jahrhundert waren die traditionellen
Institutionen der Armenfürsorge in den Städten völlig überfordert. Deshalb
wurden in den vierziger Jahren in den größeren deutschen Staaten die Gemeinden
verpflichtet, für die Armenkrankenpflege aufzukommen. Der Industrialisierungs-
und Urbanisierungsschub in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergrößerte
den Bedarf an stationärer Krankenpflege. Spree kann zeigen, dass vor allem aus
der Fremde zugewanderte Handwerksgesellen und mittellose Dienstboten die Patienten
in den Krankenhäusern stellten. Die Finanzierung der Krankenhausaufenthalte der
Handwerker entwickelte sich in Süd- und Norddeutschland unterschiedlich, wurde
vor allem aber durch die Selbsthilfeorganisationen der Gesellen getragen.
In einer abschließenden
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der in dem Band vorgestellten
Forschungen betont der Herausgeber Karl Heinrich Kaufhold, dass die Frage nach
dem Verhältnis von Handwerk und urbanen Siedlungen noch zahlreiche bislang ungeklärte
Probleme aufwirft. Die hier versammelten Beiträge zeigen, wie unterschiedlich
sich das Verhältnis von Stadt und Handwerk in verschiedenen Räumen gestaltete
und wie sehr es sich schon in der frühen Neuzeit gewandelt hat. Hierfür waren
die Einflüsse aus Wirtschaft, Gesellschaft und politischer Herrschaft
konstitutiv. Bei aller Differenziertheit blieb, wie Kaufhold herausstellt, das
städtische Kleingewerbe aber überall von der Zahl und dem Wohlstand der
Bürgerschaft, von der Wirtschaftsstruktur der Stadt, von ihrer Handwerkspolitik
und nicht zuletzt von der jeweiligen Stadtverfassung abhängig. Die
wirtschaftliche Lage und die soziale Stellung des Handwerks spiegelten in der
Regel dessen Bedeutung für die Städte nicht wieder. Gerade für die rechtsgeschichtliche
Forschung von Interesse ist Kaufholds Hinweis, das Zunftwesen habe geringeres
Gewicht besessen als früher angenommen.
Den Herausgebern des Bandes
kommt das Verdienst zu, die Aufmerksamkeit wieder auf das weite Forschungsfeld
der Handwerksgeschichte gelenkt zu haben, welches auch für den Rechtshistoriker
noch zahlreiche ungeklärte Fragen bereithält.
Berlin Gerhard
Deter