Schoppmeyer, Heinrich, Juristische Methode als Lebensaufgabe. Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 29). Mohr (Siebeck), Tübingen 2001. XX, 326 S.
1. In der rechtswissenschaftlichen Forschung über die Methodenlehre des 20. Jahrhunderts klaffen noch breite Lücken. Diese Lücken hängen zum einen mit der tragischen Entwicklung der deutschen Rechtswissenschaft im sog. Dritten Reich zusammen. Zum anderen ist die Methodenlehre ein Fach, das allgemein an juristischen Fakultäten verschwindet; dementsprechend fehlt es an klugen Köpfen, die die historische Dimension der Methodenlehre wissenschaftlich er- und bearbeiten. Eine leuchtende Ausnahme bildete bislang Bernhard Rüthers, Hochschullehrer und späterer Rektor an der Universität Konstanz, der inzwischen allerdings auch emeritiert ist. Jedenfalls unter seiner Betreuung entstand eine Dissertation zum Wirken Philipp Hecks, die ihresgleichen sucht und Gegenstand der folgenden Besprechung sein soll.
2. Es beginnt mit einer Darstellung von Herkunft und Persönlichkeit Philipp Hecks (S. 3ff.). Deutlich hebt der Verfasser zu Beginn hervor, daß die Quellenlage zur Person Hecks unergiebig ist, da mehr als seine eigenen Angaben und die seiner Nachkommen nicht vorhanden seien (S. 3). Mit gebotener Vorsicht geht der Verfasser deshalb auf die Vita von Heck ein.
3. Der Verfasser beschreibt Heck als Sohn reicher Eltern, die zunächst in Petersburg, später in Wiesbaden lebten (S. 4f.). Aufgrund der Lektüre von Werken Iherings sei Heck auf die Idee gekommen, Rechtswissenschaften in Leipzig und Berlin zu studieren (S. 9f.). Nach der Referendarszeit in Wiesbaden und Frankfurt (S. 12) folgte Dissertation und Habilitation über das Recht der „Großen Havarie“ (S. 15), beeinflußt durch seinen Lehrer Goldschmidt, den er jedoch nicht als großen Geist angesehen habe (S. 15). Es folgten Professuren in Greifswald, Halle und Tübingen (S. 16ff.). Interessant und für das Weitere wichtig sind die Beschreibungen der politischen Einstellungen Hecks. Es habe sich um einen „Geist von 1914“ gehandelt (S. 23), der national eingestellt gewesen sei, vom Kolonialismus beseelt gewesen sei und Wilhelm I. als großes Vorbild angesehen habe (S. 25ff.). In der Weimarer Zeit sei er Anhänger der deutschen Volkspartei gewesen (S. 29). Nach Schoppmeyer handelt es sich bei Heck in der Nazizeit um einen typischen Mitläufer, der auf der einen Seite keine besonderen NS-Aktivitäten entfaltet habe (S. 30), aber auch nicht gerade durch Widerstand aufgefallen sei. Bei allem Wohlwollen schwankt Schoppmeyer hier zwischen Bewunderung und scharfer Kritik, etwa wenn er die antisemitischen Züge Hecks herausstellt (S. 31), dessen Verhalten aber auch als typisch „vernunftrepublikanisch“ ummäntelt ansieht (S. 33ff.); was der Verfasser damit meint, bleibt sein Geheimnis. Der Grundgedanke der Interessenjurisprudenz sei bei Heck ab 1905 nachzuweisen (S. 49). Als Quellen für diese Theorie habe Heck der Alltag (S. 51), das „Leben“ (S. 54 mit Verweis auf Simmel) und die Rationalität (S. 57) gedient. Im übrigen sei Heck von dem Grundgedanken ausgegangen, daß eine führende Schicht notwendig sei (S. 61). Als fester Topos galt Heck nach Auffassung Schoppmeyers die Gegnerschaft zur Begriffsjurisprudenz (S. 66), aber auch zur Freirechtsschule (S. 71).
4. Es folgt dann eine breitere Darstellung des Systems der Interessenjurisprudenz (S. 80). Kerngedanke sei die Vorstellung, daß der Gesetzgeber Interessenkonflikte entscheidet (S. 88). Daraus folge der Grundgedanke der Autonomie des Gesetzgebers (S. 88), wobei dem Gesetzgeber keine anderen Grenzen als die „Gesamtinteressen der Gemeinschaft“ gezogen seien (S. 95). Sehr stark betont werde von Heck auch die Bindung des Richters an das Gesetz (S. 98) bei gleichzeitiger Betonung der richterlichen Verantwortung für die Füllung von Lücken. Im Vordergrund der Auslegung von Gesetzen stehe die historische Auslegung (S. 104), womit gleichzeitig eine Absage an alle Formen objektiver Auslegung über den historischen Willen des Gesetzgebers hinaus gemacht sei. Die weiteren Konsequenzen für die Auslegungslehre (S. 102ff.) und die Frage der Lückenfüllung (S. 122ff.) werden ausführlich und sorgfältig herausgearbeitet.
Diesem eher deskriptiven Teil folgt dann noch die Frage nach den philosophischen Wurzeln der Interessenjurisprudenz (S. 145ff.). Dabei erweist es sich als Dilemma, daß Heck seinerseits die Interessenjurisprudenz als „philosophiefrei“ (S. 145) bezeichnet hat. Schoppmeyer setzt sich über dieses in der Tat nicht unproblematische Diktum hinweg und spürt einige philosophische Wurzeln, insbesondere im Rationalismus und der damit verbundenen Ablehnung jeglicher Metaphysik, auf (S. 149ff.) und benennt einzelne geistige Väter der Interessenjurisprudenz, insbesondere Heinrich Rickert (S. 156ff.) und Max Weber (S. 160ff.). Es folgt dann noch eine Abgrenzung zu utilitaristischen Denkansätzen (S. 166ff.) und eine differenzierte Darstellung der Unterschiede und Überschneidungen zum Positivismus (S. 169ff.).
5. Im dritten großen Block folgt dann eine Darstellung der Rezeptionsgeschichte, insbesondere in der NS-Zeit (S. 178ff.) und im Nachkriegsdeutschland (S. 221ff.). Die Nationalsozialisten haben nach Darstellung Schoppmeyers der Interessenjurisprudenz sehr frühzeitig ihren Kampf angesagt; Vorreiter waren vor allem Karl Larenz sowie Forsthoff und Binder. Heck habe sich gegen diese Vorwürfe durch einschränkende Aufsätze zur Wehr gesetzt, in der er die Richterfreiheit stärker betont (S. 210) und Erklärungen des Führers als Hilfsmittel der Auslegung akzeptiert habe (S. 211). Nach 1937 sei er dann allerdings in eine gewisse resignative Haltung verfallen und frühzeitig verstorben (S. 220). Im Nachkriegsdeutschland sei eine Renaissance der Interessenjurisprudenz durch die Gebrüder Dietrich Reinecke und Gerhard Reinecke sowie Theo Zimmermann erfolgt (S. 222). Auch der von Harry Westermann betonte Ansatz der Wertungsjurisprudenz stehe auf dem Fundament der Interessenjurisprudenz (S. 232 ff.). Darüber hinaus erwähnt Schoppmeyer ausführlicher Hans Brox, der in seinen Lehrbüchern sehr stark und als selbstverständlich von dem Grundgedanken der Interessenjurisprudenz ausgehe. Karl Larenz sei allerdings so geblieben, wie er bereits in der Nazizeit gewesen sei, und habe auch nach 1945 mit ähnlichen Denkansätzen die Interessenjurisprudenz abqualifiziert (ab S. 242f.).
6. All diese Überlegungen Schoppmeyers lesen sich gut. Ich kann mich insofern nur der Rezension Walter Grasnicks anschließen, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. September 2001 (Nr. 210, S. 54) darauf hingewiesen hat, daß es sich um ein durchweg hervorragend informierendes und stilistisches überzeugendes Buch „handele“. Lobenswert ist auch zu erwähnen, daß der Verfasser sich die Mühe macht, die sehr schwierige Quellenlage durch erstmalige Sichtung von Personalakten und handschriftlichen Aufzeichnungen im Nachlaß zu vertiefen. Man erfährt über persönliche Eigenarten und Zusammenhänge im Leben Philipp Hecks; darüber hinaus ist es einfach spannend, Skurrilitäten zu lesen, wie etwa die damals übliche Ernennung jedweden Rektors in den Adelsstand (S. 19). Wünsche bleiben natürlich übrig, ohne daß dies eine Kritik an der äußerst lesenswerten Studie wäre. So sollten die vom Verfasser zitierten Erinnerungen Philipp Hecks, die sich offensichtlich im Nachlaß befinden und auch nicht veröffentlicht sind, endlich einer breiteren Diskussion zugänglich gemacht werden. Einige wichtige Belege für Aussagen fehlen (so etwa in Anmerkung 28 auf S. 7 oder in Anmerkung 173 auf S. 32). Hintergrundinformationen werden nur zum Leben und Werk Philipp Hecks in den Text integriert, nicht aber zu anderen Autoren. Dies ist insofern schade, als man gerne die Zusammenhänge zwischen Philipp Heck und den Gebrüdern Reinecke oder Harry Westermann auch biographisch genauer verortet hätte. Das Lebensende Hecks wird zu schnell abgetan; man erfährt weder etwas über Todesdaten noch über die letzten Jahre Hecks (S. 220). Auch fehlt im Anhang ein Lebenslauf Philipp Hecks, der die Lektüre des Textes wohl etwas einfacher gemacht hätte. Irgendwie bleibt am späten Heck ein ungutes Gefühl; seine eigenartige Anbiederei an die Nationalsozialisten verweist darauf, daß er als konservativer Nationalist, Kolonialist und Antisemit doch zahlreiche Berührungspunkte in der nationalsozialistischen Ideologie hatte. Auch hierzu hätte man sich eine etwas distanziertere Haltung des Autors zu „seinem“ Philipp Heck gewünscht. All dies schmälert aber den Wert der vorliegenden Untersuchung nicht, die sowohl stilistisch als auch inhaltlich eine unbedingt lesenwerte Grundlagenarbeit darstellt. Gratulation auch an den Doktorvater, der es ermöglicht hat, daß viele bislang unbekannte Aspekte des Lebens und Wirkens Philipp Hecks nunmehr einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind.
7. Ein weiterer Aspekt der bereits erwähnten Rezension Walter Grasnicks macht mich am Ende jedoch noch einmal stutzig. Grasnick endet seine Rezension mit dem Verweis: „Zu fragen ist und bleibt, ob es jenseits des tradierten Streits nicht einen dritten Weg gibt. Darüber mit dem Autor zu diskutieren, müßte spannend sein“. Kann man wirklich heute noch über Rechtstheorie und Rechtsphilosophie diskutieren? Schoppmeyer selbst erwähnt nur einige „Eggheads“ der 70er Jahre als Beweis dafür, daß die Interessenjurisprudenz weiterlebe. In Wirklichkeit ist die Rechtstheorie jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg stehengeblieben. Einzelne Neuorientierungsversuche, wie etwa die Topik Viewegs oder die Rechtshermeneutik Essers sind Einzelfälle geblieben, die zwar brav in Lehrbüchern auftauchen, die Rechtswirklichkeit jedoch nie erreicht haben. Alle Auseinandersetzungen mit modernen philosophischen Theorien vermeidet die deutschsprachige Rechtsdogmatik gerne und mit dem Eifer der päpstlichen Inquisition. Dazu zählt beispielsweise die Auseinandersetzung mit der französischen Postmoderne, etwa Jacques Derrida. Die Hermeneutik-Diskussion ist in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert und hat dort im Rahmen der „Law and Literature-Diskussion“ zu einer breitgefächerten Diskussion geführt – die in Deutschland kaum jemand kennt. Daß dem so ist, liegt an mehreren Ursachen. Zum einen hat Karl Larenz sein unheilvolles Werk nicht nur in der nationalsozialistischen Zeit angerichtet. Vielmehr haben er und seine Schüler gerade nach 1945 verhindert, daß sich neue Entwicklungstendenzen in der Rechtstheorie und Rechtsphilosophie entwickeln konnten. Erschreckend ist hier gerade die Analyse Schoppmeyers, der Larenz nachweist, daß dieser nach 1945 nicht nur nichts dazu gelernt hat, sondern noch von den gleichen philosophischen Wurzeln wie in der NS-Zeit gezehrt hat. Daß seine Schüler ihren Meister heilig sprechen wollen, macht die Sache noch schlimmer, wie die Auseinandersetzungen um den berüchtigten Larenz-Brief in der Juristenzeitung vor einigen Jahren gezeigt haben. Doch selbst ein Mann wie Larenz kann nicht alleine den Niedergang der deutschen Rechtstheorie verschuldet haben. Dazu trägt vielmehr auch das allgemein gesellschaftliche Umfeld bei, das auf ein erschreckendes Desinteresse an der gesamten Fragestellung hinweist. Eine theoretische Fundierung der Jurisprudenz ist nicht mehr gefragt. Juristische Methode ist keine Lebensaufgabe mehr, sondern nur noch eine ars moriendi. Rechtsphilosophische und rechtstheoretische Lehrstühle werden im Jahrestempo eliminiert, um endlich das von ignoranten Ministerialbürokraten gewünschte Fachhochschulniveau an Universitäten zu erreichen. Die Klackeure einer solchen Verdummung finden sich in fast allen Riegen, sowohl in den sterilen Linoleum-Amtsstuben der Forschungsministerien wie bei den Studierenden, die ohnehin kaum noch Lust haben, Rechtswissenschaft als Wissenschaft kennen zu lernen, sondern möglichst schnell und billig ihren „Freischuß“ erleben wollen. In einer solchen wissenschaftsfeindlichen Welt erstaunt es, daß es noch solche Arbeiten wie die Schoppmeyers gibt. Um so wichtiger, daß sie in dieser Zeitschrift vorgestellt werden kann – vielleicht auch als Vorbild und mutmachendes Beispiel für die wenigen, die künftig noch Rechtsmethode als Lebensaufgabe verstehen.
Münster Thomas
Hoeren