Schlosser,
Hans, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte.
Rechtsentwicklungen im europäischen Kontext (=UTB für Wissenschaft 882), 9.
Aufl. C. F. Müller, Heidelberg 2001. XII, 315 S.
Hans
Schlossers vorzügliches, bewährtes Lehrbuch der Neueren Privatrechtsgeschichte
ist nunmehr in 9. Auflage erschienen[1].
Durch den Untertitel des Buches „Rechtsentwicklungen im europäischen Kontext“
wird die europäische Dimension der Darstellung noch stärker unterstrichen. Im
Mittelpunkt steht weiterhin „die Entwicklung des Privatrechts in den
europäischen Ländern im Kontext mit dem römisch-kanonischen Recht“ (Vorwort, p.
V). Die völlig neu bearbeitete und erweiterte Fassung hat durch eine stärkere
Gliederung noch gewonnen.
Der
bisherige § 1 („Die Renaissance des Römischen Rechts in Europa“) ist nun auf
drei Paragraphen aufgeteilt. § 1 behandelt die „Anfänge und Grundlagen einer
europäischen Rechtskultur“. Die praktische Bedeutung des Verhältnisses zwischen
dem ius commune und dem ius proprium wird hervorgehoben (S. 2f.).
Im § 2
(„Die Renaissance des Römischen Rechts in Europa“) werden die Schulen der
Glossatoren und Kommentatoren sowie der Doctores
ultramontani (S. 51f.) behandelt. Die Einheit des utrumque ius, des kanonischen und des römischen Rechts, wird
betont. Der Verfasser (S. 59) versteht die Rezeption des gelehrten Rechts
primär als „kulturgeschichtlichen und soziologischen Bildungsvorgang“. Dieser
Auffassung der Rezeption als eines bildungsgeschichtlichen Vorgangs, einer
Verwissenschaftlichung des Rechtswesens (so F. Wieacker und W. Trusen),
ist prinzipiell durchaus zuzustimmen, doch darf die Rezeption des materiellen
Rechts dabei nicht unterschätzt werden. Hans Thieme[2]
stellte treffend fest: Die Rezeption bedeutet „für die deutsche
Rechtsgeschichte eine neue Rechtsordnung und nicht nur einen Methodenwandel“.
§ 3 hat
die Zeit des juristischen Humanismus sowie des Usus modernus zum Gegenstand,
wobei je ein eigener Abschnitt dem juristischen Humanismus in Österreich sowie
der Holländischen Schule gewidmet ist. Als typisch für den Usus modernus, den
„modernen“ Rechtsstil, sieht der Verf. (S. 77) „die Abkehr vom scholastischen
Grundansatz und die Hinkehr zum forensisch Praktischen“.
Im § 4
(„Vom Naturrecht zum Vernunftrecht der Aufklärung“) werden zunächst antike naturphilosophische
Lehren, christlich-scholastische Naturrechtslehren sowie die „Secunda
Scholastica“, das Naturrecht der Spätscholastik, behandelt. Erst dann wird auf
die Naturrechtslehren des Rationalismus (Grotius, Mevius, Pufendorf, Althusius,
Leibniz) sowie auf das Vernunftrecht der Aufklärung (Ch. Thomasius, Ch. Wolff)
eingegangen. Im Abschnitt „Naturrecht, Ius proprium, Usus modernus“ (S.
102-105) wäre beim Schrifttum auf die Arbeit von R. Voppel, Der Einfluß
des Naturrechts auf den Usus modernus (1996) hinzuweisen.[3].
Über die
naturrechtlichen Kodifikationen gibt § 5 einen instruktiven Überblick. Der
Zusammenhang zwischen Kodifikationsidee und fürstlichem Gesetzgebungsmonopol
wird betont (S. 111f.).
Im § 6
(„Die Historische Schule der Rechtswissenschaft“) weist der Verfasser auf die
Rolle J. G. Herders bei der Entwicklung des geschichtlichen Denkens hin (S.
145). Die Verbindung der historischen mit der systematischen Methode durch
Savigny wird aufgezeigt (S. 149f.). Diese historisch-systematische Methode wird
zur theoretischen Grundlage der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts (S.
150f.).
Der
Kodifikation des Privatrechts in Deutschland ist § 7 gewidmet. Nicht nur die
Entstehungsgeschichte des BGB, sondern auch Stil und „Sozialmodell“ des Gesetzes
werden anschaulich behandelt. Sehr verdienstvoll ist die Darstellung der
Entwicklungstendenzen des Privatrechts in der Bonner Republik (S. 200ff.)[4].
Im § 8
(„Neuere Privatrechtskodifikationen in Europa“) geht der Verfasser von der
„Theorie der Rechtskreise“ (Zweigert/Kötz) aus (S. 208f.). Behandelt
werden der mitteleuropäische Rechtskreis (deutschsprachige Rechtsgruppe), der
romanische Rechtskreis, der nordische Rechtskreis und der sozialistische
Rechtskreis (sowjetrussische Privatrechtsentwicklung und DDR-Zivilgesetzbuch
von 1976).
Mit dem
angloamerikanischen Rechtssystem befaßt sich § 9. Common Law und Equity,
Präjudizien und die „doctrine of stare decisis“ werden dem Leser nahe gebracht.
§ 10
schließlich hat die Rechtsgeschichte und Zivilrechtswissenschaft im 20.
Jahrhundert zum Gegenstand. Ausgehend von der Krise der Spätpandektistik und
der Emanzipation der Rechtsgeschichte von der Zivilrechtsdogmatik (S. 265ff.)
werden die verschiedenen Strömungen und Richtungen der Privatrechtswissenschaft
des letzten Jahrhunderts vorgestellt: Rechts- und Gesetzespositivismus,
Freirechtsschule, Interessen- und Wertjurisprudenz, aber auch verschiedene
institutionelle Rechtslehren (M. E. Hauriou, Santi Romano, Carl
Schmitt). Abschließend wird auf die Bedeutung der Rechtsgeschichte und der
rechtsgeschichtlichen Forschungsergebnisse bei der Kodifikation eines
gemeineuropäischen Rechts eingegangen.
Höchst
verdienstvoll sind auch die Literaturangaben zu den einzelnen Abschnitten, die
den letzten Stand der Forschung wiedergeben. Wir sind dem Verfasser für die
stetige Aktualisierung seiner Privatrechtsgeschichte zu Dank verpflichtet.
Graz Gunter
Wesener
[1]Zur 8. Auflage (1996) vgl. R. C. van Caenegem, ZRG Germ. Abt. 115 (1998) 619 ff.
[2]Savigny und das deutsche Recht, ZRG Germ. Abt. 80
(1963) 9 Anm. 28.
[3]Vgl. nun auch G. Wesener, Zur Verflechtung
von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, in: Im Dienste der
Gerechtigkeit. FS f. F. Bydlinski (Wien - New York 2002) 473 ff.
[4]Für die Epoche der Weimarer Republik wäre hinzuweisen auf die wichtige Untersuchung von K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen. Eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Republik (Tübingen1988).