Schlick, Jutta, König, Fürsten und Reich 1056-1159 (= Mittelalter-Forschungen 7). Thorbecke, Stuttgart 2001. VIII, 218 S.

 

Die Verfasserin dieser Münchener Dissertation möchte, angeregt durch die aktuelle Diskussion über das Phänomen „konsensualer Herrschaft“, der Frage des Selbstverständnisses von König und Fürsten, deren Handlungsmotivationen und Herrschaftsverständnis nachgehen. Dafür scheinen ihr Königswahlen und Hoftage das geeignete Untersuchungsfeld zu sein, weil sich hier die Interaktion von Herrscher und Großen besonders deutlich erkennen lasse. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung erstreckt sich vom Herrschaftsantritt Heinrichs IV. bis in die ersten Jahre der Regierung Friedrich Barbarossas. Durchmustert werden im einzelnen die Umstände, unter denen der junge Heinrich IV. die Regierung des Reiches übernahm, die Etablierung des Gegenkönigtums Rudolfs von Rheinfelden durch eine fürstliche Opposition, der Abfall Heinrichs V. von seinem Vater und seine Anerkennung durch die Fürstenwahl von 1106, die Wahlen Lothars III., Konrads III. und Friedrich Barbarossas sowie das sich auf den Hoftagen abzeichnende Zusammenwirken von Königtum und Großen. Gefragt wird dabei stets auch nach den die Handlungsträger leitenden Motiven. Dabei gelangt die Verfasserin zu dem Ergebnis, daß sich im Verhältnis von Königrum und Fürsten ein tiefgreifender Wandel vollzogen hat. Während der Regierungszeit Heinrichs IV., insbesondere in der Zeit der Sachsenkriege, habe das fürstliche Selbstbewußtsein einen spürbaren Auftrieb erfahren. Dies habe sich nicht nur darin geäußert, daß die Großen ihren Anspruch auf Teilhabe an der Herrschaft energisch gegenüber dem Königtum artikulierten und im Falle der Verweigerung zur Selbsthilfe schritten, sondern auch im Vordringen des dem kirchlichen Amtsgedanken entlehnten Prinzips der Idoneität im Bereich der Königswahl, wie es erstmals bei der Erhebung Rudolfs von Rheinfelden zur Anwendung gelangte. Der auf zeitweiliger Interessenidentität beruhende Konsens zwischen Heinrich V. und den Fürsten sei jedoch bei dessen Versuch zerbrochen, eine Lösung des Investiturproblems auf Kosten der Reichsbischöfe (Vorvertrag von S. Maria in Turri 1111) herbeizuführen. Einen Höhepunkt königlich-fürstlichen Einvernehmens, das sich vom Gedanken der concordia regni et eeclesiae leiten ließ, verzeichnet die Verfasserin während der Regierungszeit Lothars III., die in ihrer Abhandlung gleichsam die ideelle Mitte bildet. Die „verantwortungsvolle“ Regierung dieses Herrschers habe ein korrigierendes Eingreifen der Fürsten überflüssig gemacht. Infolge der zögerlichen Haltung, mit der Konrad III. den Problemen seiner Zeit gegenübertrat, sei es wieder zu einem verstärkten Einsatz der Fürsten für die Belange des Reiches gekommen. Im Unterschied zu seinem Vorgänger habe Friedrich Barbarossa den Ausgleich mit den Fürsten gesucht und dieselben durch seine Praxis, politische Entscheidungen durch Fürstenspruch absichern zu lassen, stärker in seine Regierung eingebunden. Durch das besondere Gewicht, das der fürstlichen Wahl für das Kaisertum eingeräumt wurde, sei eine neue Form der Herrschaftslegitimation unter Einbeziehung der Großen gefunden worden. Während jedoch das Königtum infolge des Wiederanknüpfens an die traditionelle Vorstellung vom Sakralkönigtum eine „rückwärtsgewandt“ Position einnahm, habe das Fürstentum nach Meinung der Verfasserin „eine dynamische, vorwärtsgewandte Entwicklung hinsichtlich seines Selbstverständnisses wie auch bezüglich seiner Stellung im Reich zu verzeichnen.

 

Hinsichtlich ihrer Einschätzung der Entwicklung des Fürstentums wird man der Verfasserin sicherlich zustimmen können. Freilich ist diese Erkenntnis nicht gerade neu. Daß die Großen seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert zunehmend als politische Kraft in Erscheinung traten und besonders in den Auseinandersetzungen mit dem salischen Königtum eine spezifische Gruppenidentität entwickelten, ist hinreichend bekannt. Dies belegen auch die vielen, z. T. wörtlich zitierten Literaturverweise. Auch auf die Bedeutung, die einem Geschichtsschreiber wie Lampert von Hersfeld als „Sprachrohr“ fürstlicher Interessen zukommt, ist bereits hingewiesen worden. Wenn den Großen von der Verfasserin als dominantes Handlungsmotiv Verantwortung für das Reich unterstellt wird, dann wird hier allzu leichtgläubig von derartigen Quellenaussagen auf die Intentionen der beteiligten Personen oder Personengruppen geschlossen. Bei diesem Vorgehen bleibt völlig außer Betracht, daß die Großen nicht zuletzt auch eigene Ziele verfolgten, die Berufung auf ihre „Sorge für das Reich“ häufig nur ein vorgeschobenes Argument zur Verschleierung ihrer tatsächlichen Interessen war. Hier besteht in der Tat ein methodisches Problem. Infolge dieses gleichsam naiven Umgangs mit der Überlieferung wird dem Raub Heinrichs IV. zu Kaiserswerth fürstliches Verantwortungsbewußtsein für das Reich als Motiv unterlegt oder das allein von Lampert von Hersfeld erwähnte bischöfliche Gesamtregiment als Realität dargestellt, obwohl es nur die Machtverhältnisse unter der Regentschaft Annos von Köln kaschieren sollte. Ein Blick in die Regesten Heinrichs IV. (von denen immerhin ein erster Teil vorliegt RI III, 2 Nr. 255) hätte hier die Verfasserin vor einer Fehleinschätzung bewahrt. Wie ein roter Faden lassen sich in der Darstellung fürstlichen Handelns die Hinweise auf die Sorge oder Verantwortung für das Reich (S. 15, 40, 85, 95, 154) verfolgen. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als seien die Fürsten allesamt „Gutmenschen“ fernab von persönlichen Interessen oder Leidenschaften gewesen. Hier wäre eine differenziertere, die Interessenlage der Beteiligten wie auch die Motivation der jeweiligen Überlieferung berücksichtigende Betrachtungsweise angebracht gewesen.

 

Wenn die Verfasserin auf seiten des Königtums nach dem Investiturstreit ein Wiederaufleben des dynastischen Gedankens bemerkt, dann war dies aus dessen Interessenlage nur konsequent. Besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang der Krönung Lothars III. am Epiphaniasfest 1130 in Speyer zu: Dieselbe ist nicht nur als Triumph über die staufischen Gegner seines Königtums zu werten, sondern als ein Akt bewußter Anknüpfung an die sich in der Kaisergrablege manifestierende salische Tradition. Nicht reflektiert wurde von der Verfasserin, daß sich während des von ihr betrachteten Zeitraums auch der Begriff des ,Reiches’ selbst gewandelt hat. So hat die Vorstellung vom sacrum imperium, die unter Konrad III. und Friedrich Barbarossa zunehmend Verwendung findet, durch den Verweis auf die Rechtsnachfolge des römischen Imperiums dem Reich zu einem neuen, von geistlicher Vermittlung unabhängigen Fundament verholfen. In ihrer akribisch belegten Studie hat die Verfasserin eine Fülle von interessanten Beobachtungen zusammengetragen; die Folgerungen, die sie daraus zieht, bedürfen im Einzelfall jedoch einer kritischen Überprüfung.

 

Köln                                                                                                              Tilman Struve