Rosenbusch,
Ute, Der Weg zum
Frauenwahlrecht in Deutschland (= Schriften zur Gleichstellung der Frau 20). Nomos, Baden-Baden 1998. 535 S.
Um es gleich
vorauszuschicken: die posthum erschienene Erlangen-Nürnberger Dissertation Ute
Rosenbuschs (1963-1997) kann und muß als eines der
zentralen und wegweisenden Werke zur deutschen Frauenrechtsgeschichte überhaupt
eingestuft werden, auch über die Wahlrechtsfrage hinaus. Ihr gelingt in
hervorragender Weise die Bearbeitung eines der wichtigsten Entwicklungsprozesse
auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter, des Weges zum Recht der
Frau auf formal gleiche bürgerliche und staatsbürgerliche Mitbestimmung. Es ist
zu hoffen, daß sie über lange Zeit als eines der
Standardwerke zur Frauenrechtsgeschichte Aufnahme findet.
In ihrem
ersten Abschnitt „Die Stellung der Frau im Wahlrecht“ (S. 35-136) behandelt sie
die Rechtsnormengeschichte des deutschen Frauenwahlrechts mit Schwerpunkt im
19. und frühen 20. Jahrhundert. Dies umfaßt nicht nur
das Wahlrecht zu den Parlamenten (S. 44-85), sondern auch eine Reihe anderer
Formen der öffentlich-rechtlichen Mitbestimmung (S. 85-132), also nicht nur die
staatsbürgerlichen Wahlrechte im engeren Sinne, sondern auch die
Mitbestimmungsrechte als Gemeindebürgerin und in einer Reihe weiterer
Selbstverwaltungskörperschaften.
Die
einschlägigen Wahlrechtsnormen werden dabei aus ihren
verfassungsgeschichtlichen Grundlagen heraus erörtert. Zu diesen Grundlagen
gehören die teils noch anfangs des 19. Jahrhunderts vorfindbaren politischen Rechte
von Frauen in ancien régime
(S. 35-43): Rechte der Frau als politische Herrscherin, Fürstin, Thronfolgerin,
Regentin und Reichsäbtissin, ferner die (sehr eingeschränkten) Rechte der
Landfrauen und städtischen Bürgerinnen, auch die Stellung der Ehefrau als Frau
eines mit politischen Rechten ausgestatteten Mannes. Zu den Grundlagen gehört
weiterhin die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsrechts und damit verknüpfter
Staatsbürgerrechte (S. 48-60), welche als Aktivbürgerrechte zusätzliche
Voraussetzungen verlangten, zu denen im 19. Jahrhundert auch das männliche
Geschlecht zählte. Und bereits in der bloßen Bestimmung der Staatsangehörigkeit
wurden die Geschlechter ungleich behandelt: Rosenbusch charakterisiert dies
treffend mit den Worten (S. 59), daß zwar
grundsätzlich eine unmittelbare Angehörigkeitsbeziehung zwischen dem weiblichen
Individuum und dem Staat bestand, die Frau aber dann nicht mehr selbständige
Angehörige war, wenn sie als Ehefrau oder als eine der väterlichen Gewalt
unterworfene Tochter einem Familienverband angehörte. Dann war ihr Recht dem
des Familienoberhaupts akzessorisch: eine
öffentlich-rechtliche Folge der primär zivilrechtlichen Familienverfassung.
Helene Lange prägte hierzu anläßlich des Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 das Schlagwort „Frauen haben kein
Vaterland“: die Frau gehöre nach diesem Recht eigentlich nur über den Mann
vermittelt einem Staate an.
Sodann (S.
60-85) werden die verfassungsrechtlichen und sonstigen wahlgesetzlichen Normen
deutscher Territorien im einzelnen analysiert. In
dieser prägnanten und äußerst detailreichen Darstellung werden eine Reihe
bislang kaum berücksichtigter regionaler Entwicklungen für die
rechtshistorische Forschung nutzbar gemacht: verwiesen sei hierzu beispielhaft
auf die Erörterungen zum Recht der thüringischen Staaten vor 1848, wo zu diesem
Zeitpunkt Ansätze eines aktiven, aber nicht passiven Wahlrechts der Frauen
bestanden (S. 64/65), und zwar primär als Auswirkung ständischer Vorrechte des ancien régime, so daß ausgerechnet mit der Demokratisierung des Wahlrechts
und Erweiterung des (Männer-)Wahlrechts um 1848 der völlige Ausschluß
der weiblichen Wähler einherging. Symptomatisch für die Einstufung der Frau
sind die Debatten um das sog. allgemeine Wahlrecht im Parlament von 1848 und
auch nach 1870: trotz erregter Auseinandersetzungen um die Gleichheit und
Allgemeinheit des Männerwahlrechts wird ein Wahlrecht für Frauen nicht
ernsthaft angestrebt und als schädliche, monströse Entwicklung gesehen, wenn es
denn überhaupt angesprochen wird, wie 1848 vom Abgeordneten Edlauer
(S. 70), der auf die „aus der Eigenthümlichkeit des
Geistes hervorgehende Bestimmung des Weibes“ hinwies und davor warnte, die
„Tummelplätze politischer Fehden“ könnten „in das Gebiet des inneren
Familienlebens“ eindringen. In vielen Wahlgesetzen dieser Zeit wurde „der
Wähler“ als grammatikalisch maskuline Person aufgeführt, ohne daß aber beim Ausschluß
bestimmter Personengruppen von der Wahl eine ausdrückliche Erwähnung von Frauen
erfolgte (beispielhaft erörtert am Wahlrecht des Norddeutschen Bundes, S.
77/78). Im allgemeinen gilt und galt die rechtssprachliche Verwendung des Maskulinums als
geschlechtsneutral, hätte also an sich nicht zum Ausschluß
der Frau geführt. Dieser Ausschluß aber galt im
Sonderfall des Wahlrechts dennoch als selbstverständlich und auch ohne
gesetzliche Klarstellung gleichsam in der Natur der Sache liegend, selbst dann,
als er in der Zeit nach 1900 nun auch in Deutschland von
Stimmrechtsaktivistinnen in Frage gestellt wurde.
Parallel untersucht
Rosenbusch das Wahlrecht in Gemeinden und Kommunalverbänden (S. 85-123),
ausgehend vom Begriff der Gemeinde und von Entwicklungen der allgemeinen
Gemeindeverfassung (Angehörigkeitsstatus, Bürger- und Einwohnergemeinde). Auch
hier waren in den Städten Frauen (mit wenigen zeitlich begrenzten Ausnahmen,
wie Hildesheim und Travemünde) vom Wahlrecht ausgeschlossen, Aktivbürger einer
Gemeinde konnte nur ein Mann sein. Ob Frauen überhaupt den Status eines
„Bürgers“ erlangen konnten, war uneinheitlich bestimmt. Etwas anders war die
Lage in Landgemeinden: hier knüpfte die Mitbestimmung oft an den Grundbesitz
an, dabei konnten in einer Reihe deutscher Territorien die unverheirateten und
gelegentlich auch die verheirateten Grundbesitzerinnen ihre Stimme in eigener
Person abgeben, an einigen anderen Orten, die ihr ein indirektes Stimmrecht
zugestanden, wurden sie durch ihre Ehemänner oder andere männliche Personen
vertreten.
Hinsichtlich
sonstiger Wahlrechte (zur Sozialversicherung, zur berufsständischen Selbstverwaltung,
S. 123-132) fällt auf, daß die direkten oder
indirekten Beteiligungsmöglichkeiten der Frauen hier alles in allem etwas
umfangreicher waren als in Staat und Gemeinde. Dies ließ sich damit begründen, daß man die Mitwirkung hier lediglich als Ausübung
wirtschaftlicher, nicht politischer Rechte betrachtete (anders bei richterlichen
Tätigkeiten in Kaufmannsgerichten und Gewerbegerichten, bei denen dann der Frau
die Beteiligung auch konsequent verweigert wurde).
Wie wurde
nun der Ausschluß der Frauen von politischer
Beteiligung begründet? Dieser Frage geht Rosenbusch im zweiten Teil ihrer
Arbeit nach („Begründungszusammenhänge - Frau, Familie, Staat“; S. 137-280).
Ihr äußerst fruchtbarer Interpretationsansatz besteht darin, eine
Vergleichsebene zwischen der Rolle der Frau in Ehe und Familie einerseits und
der politischen Rechtsstellung der Frau andererseits zu bilden. Die dabei
geäußerte Vermutung, daß die Familienrolle der Frau
auch deren politische Stellung bestimme (S. 137), bestätigt sich im Lauf der
Untersuchung und ist Teil der Quintessenz dieser Arbeit (S. 499). Danach - so
Rosenbusch - wird die Beziehung einer Frau zum Staat nicht als eine direkte
Verbindung gesehen, sondern als Teil eines durch das männliche
Familienoberhaupt vermittelten Verhältnisses der Familie zum Staat. Dieses Bild
habe auf einer in der Realität des späten 19. Jahrhunderts nicht erfüllbaren
Idealvorstellung beruht, nach welcher fast alle Frauen im Schutz einer Familie
lebten und zudem eine scharfe sachliche Trennung zwischen „weiblichen“ Aufgaben
in der Familie und „männlichen“ Aufgaben im Staat möglich sei.
Nach einem
kurzen Rückblick auf Staats- und Familienlehre der frühen Neuzeit (S. 138-147)
wird im Detail der Diskurs über politische Rechte der Frauen kurz vor 1800 untersucht
(Kant, früh-„feministische“ Stimmen wie Schlözer und Hippel, Unterordnung der Frau nach Fichte). Im
Hauptabschnitt dieses zweiten Teils der Arbeit (S. 190-276) behandelt
Rosenbusch Familien- und Staatslehren des 19. Jahrhunderts unter Beschränkung auf
deutschsprachige Autoren (ergänzt durch Mill, dessen
Schrift gegen die Unterordnung der Frau in Deutschland zwar gelesen, aber
abgelehnt wurde). Als grundlegend für das 19. Jahrhundert wird dabei die Ehe-
und Staatslehre Hegels geschildert. Diesen Quellen des 19. Jahrhunderts ist
eines gemein: es sind Auffassungen von Männern über die Natur der Frau, wobei
sie mit großer Mehrheit von einer seinsgesetzlichen Verschiedenheit der
Geschlechter ausgingen, aus welcher eine übergeordnete Stellung des Mannes folge.
Dieses quellenbedingte Ungleichgewicht ist auch in
rechtshistorischen Arbeiten der Gegenwart unvermeidbar: es ist so nun einmal in
den vorfindbaren und überlieferten schriftlichen Quellen angelegt, die den
Diskurs über „Wesen“ und Rechte der Geschlechter lange Zeit monopolisiert
hatten. Zu den Aufgaben gegenwärtiger Frauenrechtsgeschichte gehört zweifellos
die Suche nach Wegen zur Kompensation der Überlieferungslücke: nach
Möglichkeiten, Standpunkte der Frauen aus der damaligen Zeit heraus zu entwickeln,
aber eben auch nur aus der damaligen Zeit heraus, aus der durch Quellen
überlieferten Realität der historisch vorfindbaren sozialen Verhältnisse, ohne
in abstrakte ahistorische Spekulationen zu verfallen,
welche einen „fortschrittlichen“ Standpunkt der Gegenwart für die Ideallösung
aller Probleme halten.
Und gerade
hier liegt eine besondere Stärke der Arbeit Rosenbuschs. Sie ist eine der
bisher wenigen Arbeiten, die diese Kompensation anhand historisch vorfindbarer
Quellen versucht haben und denen dieser Versuch auch hervorragend gelungen ist.
Wenn Rosenbusch im dritten Teil ihrer Arbeit die rechtspolitischen
Auseinandersetzungen um das Frauenwahlrecht behandelt (S. 281-498), welche im
wesentlichen erst nach der Reichsgründung einsetzten, dann wird der wohl
wichtigste Teil dieser Auseinandersetzung von Frauenseite geführt, zunächst von
individuell handelnden Autorinnen wie Hedwig Dohm
(1873 und erneut 1876), aber zunehmend auch von Frauenverbänden und in
politischen Frauenzeitschriften. Auf diese Weise entsteht eine vielfältig durch
Quellen belegte „weibliche“ Gegendiskussion zum „männlich“ dominierten
Hauptstrom der damaligen Staats- und Familienlehre.
Doch
selbstverständlich beschränkt sich die Darstellung der rechtspolitischen
Auseinandersetzungen nicht auf die Reformvorschläge von Frauenseite. Rosenbusch
berücksichtigt die gesamte Bandbreite des damaligen (partei-)politischen
Spektrums in einer Reihe von Einzelabschnitten, und zwar nicht nur zum
parlamentarischen Wahlrecht im engeren Sinne, sondern auch zu benachbarten
Rechtsgebieten wie Gemeindewahlrecht, Gemeindeamt und Vereinsrecht. Unter dem
Eindruck des ersten Weltkrieges und der zunehmenden Beteiligung von Frauen am
öffentlichen Leben kommt es in der Revolution von 1918/19 schließlich zur
Einführung des Frauenwahlrechts: wie Rosenbusch kritisch anmerkt, nicht
unbedingt aufgrund neu gewachsener Überzeugung oder aus Argumenten gewonnener
Einsicht der politischen Entscheidungsträger, sondern weil diese nicht die
Kraft gehabt hätten, sich den revolutionären Forderungen zu widersetzen: so
seien Teile der Mehrheits-SPD eher Getriebene als
Triebkräfte gewesen (S. 497), die unvermittelt die Wahlrechtsforderungen ihres
eigenen Parteiprogramms hätten umsetzen müssen. Sobald aber das Frauenwahlrecht
eingeführt war, wagte keine Partei mehr, dessen Abschaffung zu fordern. Wie
Rosenbusch überzeugend am Beispiel der bürgerlichen Parteien erläutert (S.
467-470), heißen die Parteien ihre potentiellen Wählerinnen willkommen,
vermeiden es tunlichst, ihnen einen geschlechtsbedingten
Mangel an politischer Beteiligungsfähigkeit zu unterstellen, und beginnen den
Wahlkampf um die Stimmen der Frauen, wobei nahezu alle Parteien auch Frauen als
Kandidatinnen aufstellen. Die Wählerinnen stimmen dann im übrigen in den 1920er
Jahren überproportional stark ausgerechnet für diejenigen Parteien, die sich
zuvor lange gegen das Wahlrecht der Frauen gewehrt hatten.
Gleußner/Lege
kann zugestimmt werden, wenn sie in ihrem Geleitwort zur Arbeit Rosenbuschs (S.
8/9) betonen, daß dieses Werk „durchaus für drei
Dissertationen gereicht“ hätte: „eine verfassungsgeschichtliche (Teil 1), eine
rechtsphilosophisch-geistesgeschichtliche (Teil 2), eine
politisch-rechtsgeschichtliche (Teil 3)“. Die hervorragende Arbeit setzt, wie
eingangs dargelegt, neue Maßstäbe im Bereich der deutschen
Frauenrechtsgeschichte. Ich halte sie für eine der bedeutendsten
rechtshistorischen Neuerscheinungen der letzten Jahre.
Hannover Arne Dirk Duncker