Merz, Johannes, Fürst und Herrschaft. Der Herzog von Franken und seine Nachbarn 1470-1519. Oldenbourg, München 2000. 267 S.
Der Verfasser
hat sich mit seiner Untersuchung vorgenommen, das Selbstverständnis fürstlicher Herrschaftsübung sichtbar zu machen:
Wie legitimiert sich fürstliche Herrschaft? Wie wird sie rechtlich begründet?
Mit welchen Mitteln wird die eigene Herrschaft im Konfliktfall mit anderen
Fürsten durchgesetzt? Es kommt ihm dabei vor allem auf die Perspektive der
Herrschaftsinhaber selbst und deren leitenden Stäben an, auf die Sicht und die
Argumentationsweise der landesherrlichen Räte, Kanzler und Justitiare, die im
Konfliktfall die Verhandlungen führten und die Argumente formulierten. Es sind
Konflikte zwischen fürstlichen Herrschaftsträgern um die Reichweite der
beiderseitigen Herrschaftssphären, die dem Autor als Untersuchungsfeld dienen.
Denn solche Konflikte gaben Anlaß zum Austausch der Argumente und zur Darlegung
der rechtlichen Fundierung fürstlicher Herrschaft.
Im Mittelpunkt der Analyse steht die Herrschaft der Würzburger Bischöfe, wie sie sich in den Jahrzehnten vor und nach 1500 darstellt. Auch diese Reichsfürsten hatten sich bei ihrem Bestreben nach Ausbildung territorialer Herrschaft nicht nur mit Niederadel, Klöstern und Städten innerhalb des von ihnen prätendierten Territoriums auseinanderzusetzen, sondern gleichermaßen mit benachbarten fürstlichen Herrschaftsträgern, denen gegenüber es die Reichweite der eigenen Territorialgewalt abzugrenzen galt. Im Falle Würzburgs waren es drei: Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach im Osten des Würzburger Hochstiftes, die Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz im Westen und die Fürstäbte von Fulda im Norden. Die Formung des Territoriums in Gestalt einigermaßen fixierbarer Außengrenzen war naturgemäß ein sehr konfliktträchtiger Vorgang, weil die mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen gerade nicht in territorialer Ausschließlichkeit an festen Grenzen entlang aufeinanderstießen, sondern sich im Gegenteil vielfach überlagerten. Das war im Prinzip überall so – im Fränkischen mag freilich die Überlagerung und Verschränkung unterschiedlicher Herrschaftssphären auf engem Raum besonders ausgeprägt gewesen sein; die Darstellungen der historischen Atlanten zeigen sich hier jedenfalls so farbenfroh und buntscheckig gesprengselt wie kaum sonst im Reich. Der Verfasser bewegt sich mit seiner Untersuchung in einem Zeitraum, in dem der Verdichtungs- und Abgrenzungsprozeß territorialer Herrschaft in Gang kam und in dem vor allem erstmals die dadurch verursachten und ihn begleitenden Konflikte in schriftlicher Form ausgetragen wurden, so daß das jeweilige Herrschaftsverständnis und die beiderseits vertretenen Rechtsstandpunkte erkennbar werden. Gegen 1520 ließ der Würzburger Bischof zudem die „Spänne“, die er mit seinen fürstlichen Nachbarn auszutragen hatte, in einem sog. „Gebrechenbuch“ zusammenstellen, so daß dem Verfasser hier eine vielversprechende Quellengrundlage zur Verfügung stand, in der sich die Herrschaftskonflikte der geistlichen Fürsten des Würzburger Hochstiftes seit der Mitte des 15. Jahrhunderts im einzelnen dokumentiert finden.
Die Darstellung beginnt mit einem recht breit
angelegten Überblick zur spätmittelalterlichen „Verfassungsentwicklung in
Franken“ (Kap. I. 3), in dem die verschiedenen Kräfte der Herrschaftsbildung in
dieser Region und deren Auseinandersetzungen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
dargelegt werden. Auf diese Weise wird das Umfeld der dann im zweiten Teil
geschilderten Herrschaftskonflikte der Würzburger Bischöfe abgesteckt; dieser
Überblick beruht auf einer Auswertung der vorliegenden landesgeschichtlichen
Literatur zum fränkischen Raum. Der zweite Teil des Buches ist dann aus den
eigenen Quellenstudien des Verfasser hervorgegangen. Es ist eine Auswahl von
Streitfällen um einzelne Herrschaftsrechte, die vom Bischof von Würzburg und
einem seiner drei Kontrahenten gleichermaßen in Anspruch genommen wurden. Der
äußere Verlauf dieser in der Regel viele Jahrzehnte hindurch dauernden
Auseinandersetzungen, der eigentliche Streitgegenstand und vor allem die in den
zahllosen Verhandlungen und Schiedsterminen ausgetauschten und in einem
archivfüllenden Schriftwechsel niedergelegten Argumente werden hier im
einzelnen geschildert: Man kann dabei erfahren, wie die Inhaberschaft des
umstrittenen Herrschaftsrechtes von den Kontrahenten jeweils begründet wird und
wie sie ihre Herrschaft rechtlich und faktisch jeweils qualifizieren. Es geht
dabei sehr häufig um die Reichweite unterschiedlicher Jurisdiktionsrechte,
ebenso aber um die generelle Abgrenzung der beiderseitigen Herrschaftssphären
innerhalb eines einzelnen Dorfes, vor allem, wenn dort die Ortsherrschaft
geteilt war und beide Kontrahenten mit unterschiedlichen Herrschaftsrechten im
Dorfe vertreten waren. Wer konnte dann von sich sagen, „Herr“ des Dorfes zu
sein? Im Anschluß an die einzelnen Konfliktanalysen sucht der Verfasser hieraus
auf allgemeinerer Ebene die „Grundpositionen fürstlicher
Herrschaftsvorstellungen“ und die Praxis ihrer Durchsetzung und Behauptung im
Konfliktfall herauszuarbeiten. Die hierbei im fränkischen Raum gewonnenen
Resultate werden sodann den Ergebnissen der landesgeschichtlichen Forschung zur
Herrschafts- und Territorienbildung in anderen Gegenden des Reiches
vergleichend gegenübergestellt.
In seinem methodischen und programmatischen
Vorspann ist es dem Verfasser ersichtlich darum zu tun, sein Buch nicht einfach
als ein Beitrag zur Entstehung, Entwicklung und inneren Struktur von
Territorialherrschaft in Franken erscheinen zu lassen. Statt einer
„Binnenanalyse“ einzelner Territorien, wie sie bislang für die Forschung in
diesem Bereich typisch gewesen sei, möchte sich der Verfasser stärker den
„Beziehungen zwischen den Herrschaftsträgern im Alten Reich“ zuwenden (S.
18f.). „Analyse von Herrschaftskonflikten zwischen Fürsten“ also, statt dem
„gängigen Forschungsansatz“ einer Untersuchung territorialer „Binnenstrukturen“
(S. 23). Aber im Verlauf der Untersuchung wird doch bald klar, daß es hier auch
um nicht viel mehr als eine Strukturanalyse territorialer Herrschaft geht, die
sich methodisch eigentlich kaum von den zahlreichen anderen derartigen
Strukturanalysen unterscheidet. Es bleibt im Grunde nur die Besonderheit, daß
der Verfasser hier keine Untersuchung eines einzelnen Territoriums über einen
längeren Zeitraum hinweg, sondern eine vergleichende Darstellung von vier
Territorien innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens vorlegt. Untersucht
werden diese vier Territorialherrschaften auch nicht zur Gänze, sondern nur
punktuell in ihren konfliktträchtigen Überschneidungsbereichen. Dies sagt
selbstverständlich noch nichts über die Qualität dieser Darstellung, nur hätte
man vielleicht die Originalität des eigenen Forschungsansatzes etwas
zurückhaltender formulieren können.
Gravierender erscheinen mir indessen zwei
Einwände. Zum einen: Erlaubt es der vom Verfasser gewählte Ansatz wirklich,
generelle Aussagen über die „Herrschaftskonzeption“ der vier ausgewählten
Reichsfürsten zu machen? Denn im zweiten Teil (Kap. 5 a) beschreibt der
Verfasser auf der Grundlage der vorangehenden Konfliktanalysen das „Würzburger
Programm“ (S. 142), die „Fuldaer Vorstellungen (S. 145), die „markgräflichen
Positionen“ (S. 146) und schließlich die „mainzische Interpretation“ (S. 148),
beschreibt also, wie die vier Reichsfürsten in Würzburg, in Ansbach, in Mainz
und in Fulda ihre eigene Herrschaft strukturiert und rechtlich fundiert sehen
und zwar generell und nicht nur in bezug auf die einzelnen umstrittenen
Herrschaftsrechte und Dörfer. Diese Verallgemeinerung erscheint mir aber
problematisch. Denn wenn etwa der Fürstabt von Fulda an der Fränkischen Saale
im Dorfe Westheim mit dem ihm angeblich im ganzen Dorfe zustehenden Recht der
„Atzung“ (eine typisch vogteiliche Abgabenform) und der Schutzkompetenz „als
wesentliche Elemente der Obrigkeit“ über das Dorf argumentiert (S. 121), so ist
es an einer anderen Stelle des von Fulda beanspruchten Territoriums, in der
Hohen Rhön, der geschlossene Grundbesitz des Klosters kombiniert mit dem ihm
dort zustehenden Wildbann, dem Geleit und anderen Regalien, aus denen die
„furstlich Obrigkeit“ über das umstrittene Gebiet hergeleitet wird (S. 131).
Von einer einheitlichen Argumentationslinie, die sich in allen territorialen
Konfliktbereichen mit gleichem Inhalt wiederholen würde, kann da kaum die Rede
sein. Und demgemäß erscheint mir auch die Vorstellung einer einheitlichen, auf
„geschlossenes Grundeigentum“ (S. 145) abgestützten Herrschaftskonzeption der
Fürstäbte für das ganze
Territorium wenig plausibel. In dem vom Verfasser eingehend untersuchten
beispielhaften Konfliktfall des Dorfes Westheim an der Fränkischen Saale kann
das schon deshalb nicht der Fall sein, weil hier nach seinen eigenen Angaben
gar kein geschlossenes fuldisches Grundeigentum bestand. Vielmehr waren hier
„der Bischof von Würzburg und verschiedene mediate Gewalten“ mit „zahlreichen
Gütern“ vertreten (S. 145). Folgerichtig argumentierte Fulda zur Begründung
seiner Landesherrschaft hier denn auch gerade nicht mit seinem Grundeigentum, sondern mit „Schutz und Schirm“
und der „Atzung“, Kompetenzen also, die mit Sicherheit nichts mit dem
Grundeigentum zu tun haben. Gleiches gilt für die kurmainzische
Argumentationslinie: Wenn das Erzstift an seinem südöstlichsten Vorposten an
der Tauber seine „furstlich Oberkeyt“ auf die ihm dort zustehenden Regalien
stützt (S. 148f.), so sagt dies überhaupt nichts über die kurmainzische
Argumentationsstrategie in anderen Konfliktfällen aus. Mit anderen Worten: Die
herrschaftsrechtlichen Argumentationsweisen sind viel weniger davon bestimmt, wer sie vorträgt. Vielmehr
entscheidet die jeweilige lokale Kompetenzverteilung und Machtkonstellation
über die im Konfliktfall vorgetragenen Argumente. Hier begründet man die
„landesfürstliche Obrigkeit“ mit „Atzung, Schutz und Schirm“, dort hingegen mit
dem Grundeigentum, je nachdem, welche Einzelrechte man für sich in dem umstrittenen
Gebiet oder Dorf jeweils in Anspruch nehmen kann. Was immer gleich bleibt, ist
der Anspruch, der begründet
werden soll, nämlich das, was in den Quellen mit der „landesfürstlichen
Obrigkeit“ bezeichnet wird, modern ausgedrückt also „territoriale Landeshoheit“,
die alle übrigen Herrschaftsträger zu mediatisieren sucht.
Die lokalen Herrschaftskonstellationen, auf die
es bei der jeweils gewählten Argumentationslinie entscheidend ankommt, werden
nach meinem Eindruck vom Verfasser aber nicht deutlich genug erfaßt; damit wäre
der zweite Einwand genannt: Der Leser kann sich kein wirklich scharfes Bild von
den Verhältnissen „vor Ort“ machen. Eben dies ist aber unumgänglich, um die
jeweils vorgebrachten Argumente in ihrer Bedeutung richtig einordnen zu können.
Der Verfasser ist sich hier verschiedentlich selbst unsicher: Das Dorf Westheim
etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, soll seiner Besitzstruktur einerseits „mit
seiner ganzen Gemarkung fuldisches Eigentum“ sein, andererseits sollen dort
aber auch andere Herrschaftsträger begütert sein (S. 145). Das paßt nicht
zusammen. Und wenn der lokale Repräsentant des Würzburger Bischofs in diesem
Ort von den Bewohnern als „Hühnervogt“ bezeichnet wird, so ist dies
selbstverständlich beileibe kein Spottname, mit dem dieser Amtsträger
„lächerlich“ gemacht werden sollte, wie der Verfasser S. 123 vermutet, sondern
eine allgemein übliche Funktions- und Amtsbezeichnung, die allerdings
Rückschlüsse auf die Position Würzburgs im Dorfe Westheim zugelassen hätte.
Hier zeigen sich gewisse Unsicherheiten im Verständnis lokaler
Herrschaftsstrukturen.
Frankfurt am Main Thomas
Simon