Matrimoni in dubbio. Unioni
controverse e nozze clandestine in Italia dal XIV al
XVIII secolo, a cura di Seidel-Menchi,
Silvana/Quaglioni, Diego (= I processi
matrimoniali degli archivi ecclesiastici italiani 2 = Annali dell’Istituto
storico italo-germanico in Trento 57). Società
editrice il Mulino, Bologna 2001. 592 S.
Im vorliegenden Band werden einige Ergebnisse aus
einer Reihe von historischen Forschungsseminaren publiziert, die zwischen den
Jahren 1990 und 2000 vom Centro per gli studi storici
italo-germanici di Trento
in Zusammenarbeit mit der Universität von Trient veranstaltet wurden. Es
handelt sich dabei um ein breites Forschungsprojekt unter dem Titel „I processi matrimoniali degli archivi ecclesiastici
italiani“, das im wesentlichen vom italienischen
Forschungsrat finanziert und von den beiden Herausgebern maßgeblich organisiert
und vorangetrieben wurde. Diego Quaglioni ist
Professor für italienische Rechts- und Institutionengeschichte
an der Juristischen Fakultät der Universität von Trient, Silvana Seidel-Menchi ist Historikerin an der Universität Florenz.
Die bereits genannten Forschungsseminare fanden alternierend in Trient und in
Florenz statt. Daran beteiligt war eine ganze Reihe von Archivaren und Rechts-
und Sozialhistorikern aus italienischen, deutschen und schweizerischen
Universitäten. Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die italienische
Gerichts- und Justizpraxis in Ehesachen zwischen dem 14. und dem 18.
Jahrhundert. Privilegiertes Objekt der Forschungen waren die Gerichtsarchive
der bischöflichen Ordinariate zahlreicher italienischer Städte und einige große
Gerichtsarchive italienischer Territorien. Der vorliegende Band ist nicht das
erste Ergebnis des genannten Projekts. Ein Jahr zuvor war bereits der
Sammelband „Coniugi nemici.
La separazione in Italia dal XII al
XVIII secolo (Annali dell’Istituto storico italo-germanico
in Trento. Quaderni 53, Bologna 2000)
erschienen. Im selben Rahmen wurde gleichzeitig die Monographie von Daniela Lombardi, Matrimoni di antico regime (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Monografie 34, Bologna 2001) veröffentlicht.
Im Zentrum der hier publizierten zahlreichen Referate
und Forschungsberichte steht die Auswertung von bischöflichen und zivilen
Gerichtsarchiven unter Berücksichtigung von Ehestreitigkeiten. Das Projekt und
insoweit auch dieser Sammelband wollen insbesondere den Übergang zwischen der vortridentinischen Tradition und der Einführung und
Durchsetzung in der kirchlichen Ehepraxis der Ehekanones
des Trientiner Konzils verdeutlichen. Die
Einführungen beleuchten diese Fragestellung sehr ausführlich und mit einer
reichhaltigen bibliographischen Dokumentation: Silvana Seidel-Menchi,
„Percorsi variegati, percorsi obbligati. Elogio del matrimonio pre-tridentino“ (S. 17-60) sowie Diego Quaglioni, „,Sacramenti detestabili’. La forma del matrimonio prima e dopo Trento (S. 61-79). Quaglioni
konzentriert sein Interesse auf die Analyse der zeitgenössischen juristischen Konsiliarliteratur. Frau Seidel-Menchi
analysiert, z. T. sehr ausführlich, die beträchtlichen Schwierigkeiten der
Durchsetzung der Regel des Trientiner Konzils zur Eheform in der Rechtspraxis. Im Zentrum der Diskussionen
und der Aufnahmeschwierigkeiten stand hier die Überwindung der
mittelalterlichen Vorstellung, dass die „copula carnalis“ konstitutiv sei für die Annahme einer wirksamen
Eheschließung. Der zweite, wesentliche Teil des Sammelbandes enthält kurze, z.T .
aber auch relativ ausführliche Forschungsberichte zu einzelnen Gerichtsfällen. Hier sei in etwa
auf folgende Beiträge verwiesen: Giuliano
Marchetto, „Matrimoni incerti tra dottrina e prassi. Un „consilium sapientis iudiciale” di Baldo degli Ubaldi
(1327-1400)” (S. 83-105); Christine Meek, „Un’unione incerta: la vicenda di Neria, figlia
dell’organista, e di Baldassino, merciaio pistoiese (Lucca 1396-1397)” (S. 107-121). Ein Eheprozeß ist
Gegenstand von drei Beiträgen: Cecilia Cristellon, „La sposa in convento (Padova e Venezia
1455-1458)” (S. 123-148); Paola Benussi, „Oltre il
processo: itinerari di ricerca intorno al matrimonio controverso di Giorgio Zaccarotto e Maddalena di Sicilia (Padova e Venezia
(1455-1458)” (S. 149-173); Giovanni Minnucci, „,Simpliciter et
de plano, ac sine strepitu et figura iudicii’. Il proceso
di nullità matrimoniale vertente fra Giorgio Zaccarotto
e Maddalena di Sicilia (Padova e Venezia 1455-1458): una lettura storico-giuridica” (S. 175-197).
Es folgen Stanley Chojnacki, „Valori
patrizi nel tribunale patriarcale: Girolamo da Mula e Marietta
Soranzo (Venezia 1460)” (S. 199-245); Giuliano
Marchetto, „Il ,matrimonium meticulosum’ in un ,consilium’ di
Bartolomeo Cipolla (ca. 1420-1475)” (S. 247-278); Cecilia Cristellon,
„Ursina Basso contro Alvise Soncin:
il ,consilium’ respinto di Bartolomeo Cipolla e gli
atti del processo (Padova e Venezia 1461-1462)” (S. 279-303), die wiederum einen
einzigen Eheprozeß in zwei Beiträgen analysieren; Anna Maria Lazzeri und Silvana Seidel-Menchi,
„,Evidentemente gravida’. ,Fides oculata’, voce pubblica e matrimonio controverso in
Valsugana (1539-1544)” (S. 305-327); Lucia Ferrante, „Gli sposi contesi.
Una vicenda bolognese di metà Cinquecento” (S. 329-362); Sara Luperini, „La promessa sotto accusa (Pisa 1584)” (S.
363-394); Daniela Hacke, „La promessa disattesa: il
caso di Perina Gabrieli
(Venezia 1620)” (S. 395-413); Dea Moscarda, „Il
cardinale Giovan Battista De Luca giudice rotale e la
causa matrimoniale tra Michele De Vaez e Giovanna Maria De Sciart (Napoli 1650)”
(S. 415-429); Luca Faoro, „,Nefandum dogma’. Seduzione e promessa di matrimonio in una comparsa trentina del
XVII secolo” (S. 431-528); Chiara La Rocca, „Interessi famigliari e libero consenso
nella Livorno del Settecento” (S. 529-550).
Will man einen Gesamteindruck aus der Lektüre
sämtlicher Beiträge wiedergeben, so kann man hier festhalten, dass die Autoren
sich in den genannten Untersuchungen ausschließlich auf eine qualitative
Analyse einzelner Gerichtsvorgänge beschränkt haben. Es fällt deutlich auf,
dass keiner der Forschungsberichte die herangezogenen Archivmaterialien
quantitativ-seriell ausgewertet hat. Aus der Analyse eines einzigen
Gerichtsfalles wird allgemein extrapoliert auf die Rechtszustände und
Wahrnehmungen in der Zeit. Hier zeigt sich auffallend die „mikrohistorische“
Perspektive, welche noch heute traditionell das sozialhistorische italienische
Schrifttum charakterisiert. In Anbetracht der imposanten anglo-amerikanischen
und französischen Literatur zum Thema, die systematisch die Gerichtsarchive
auch als statistisch-serielle Forschungsquelle ansieht, bleibt man von der hier
zu beobachtenden Selbstbeschränkung überrascht. Die meisten Beiträge sehen
keine dokumentarische Anlage vor. Eine Ausnahme stellt etwa der sehr
umfangreiche Beitrag von Luca Faoro dar, wo auf S. 515-528
die schriftlichen Allegationen im besprochenen Eheprozeß
aus dem bischöflichen Diözesanarchiv von Trient vollständig ediert werden. Die
herangezogenen und besprochenen Gerichtsakten werden allerdings auf einer dem
Band beigefügten CD-ROM vollständig elektronisch publiziert. Hier kann der
Leser bequem die vollständige Fassung der herangezogenen Archivalien
elektronisch konsultieren. Der Band wird ferner durch eine sehr ausführliche
italienische und ausländische Bibliographie zur Geschichte des Eherechts im
Spätmittelalter und in der Neuzeit abgeschlossen (S. 553-565). Dem schließt
sich ein Register der zitierten Namen und der erwähnten Ortschaften, Städte und
sonstigen Institutionen an. Für die Geschichte des Eherechts in der vortridentinischen und vor allem in der nachtridentinischen
Zeit nicht nur in Italien, stellt dieser Sammelband zweifellos einen
grundlegenden Meilenstein dar. Nicht nur Rechtshistoriker, sondern auch Sozial-
und Verfassungshistoriker werden an diesen Beiträgen künftig nicht vorbeigehen
können. Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse der übrigen Seminare
baldmöglichst ebenfalls in derselben sorgfältigen Weise der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden.
Saarbrücken Filippo
Ranieri