Martschukat, Jürgen, Inszeniertes Töten. Eine Geschichte
der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Böhlau,
Köln 2000. VIII, 365 S., 20 Abb.
Evans, Richard J., Rituale der Vergeltung. Die
Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532-1987, aus dem Englischen übersetzt
v. Fliessbach, Holger. Kindler, Hamburg 2001. 1312 S. 15 Abb.
I. Das Buch von Jürgen Martschukat - eine Hamburger Habilitationsschrift im
Fachbereich Geschichtswissenschaft - beginnt mit der Erzählung von der Räderung
des Raubmörders Valentin Hobold in Hamburg am 4. 2. 1726
und endet mit der Erzählung von der Enthauptung durch Fallbeil des Raubmörders
Johann Arnold Wilhelm Timm in Hamburg am 10. 4. 1856. In diesen 130 Jahren
hatte sich also der Vollzug der Todesstrafe der Todesstrafe in der Hansestadt
grundlegend geändert (abgesehen davon, dass hier zwischen 1822 und 1856
überhaupt keine Todesstrafe vollstreckt wurde). Hobolds
Tötung wurde als Theater des Schreckens und Fest des Marterns öffentlich vor
dem zusammengeströmten Volk zelebriert; Timm wurde im abgeschiedenen Hof des
Zucht- und Spinnhauses so schnell und schmerzlos wie möglich getötet und nur
das Protokoll der ausgesuchten (nur männlichen) Pflichtzeugen vom ordentlichen
Ablauf der Hinrichtung veröffentlicht. Dem Verfasser geht es darum, diese
Veränderung auf das kulturelle Selbstverständnis des 18. und 19. Jahrhunderts
zurückzuführen, das er für vier Elemente thematisiert: Konzeption des
Gemeinwesens, Definition des Menschen, Bestimmung des „Publikums” und Akt des
inszenierten Tötens selbst (S.4). Abgelehnt wird die Zivilisationstheorie von
Norbert Elias: denn „Zivilisierung” sei nur eine kulturelle Selbstdeutung, ein
„diskursives Konstrukt”, das sich auf diese Abschiebung der
körperlich-physischen Gewalt in die Unsichtbarkeit gestützt habe, ohne dass die
wirkliche Gewalt des staatlichen Tötens dadurch aufgehört habe; im Gegenteil -
so die These - habe sich das Fortbestehen der Todesstrafe (hin bis heute)
letztlich gerade auf diese Zivilisierung gestützt, habe durch diese Deutung
ihre Legitimation behalten (S.6, 240f.). „Insoferne
ist wirkliche, physische Gewalt in Form von Tötungsakten diskursiv produziert
worden” (S.241) (was der Verfasser noch an einem Fall der Hinrichtung eines
Raubmörders im Jahre 1860 veranschaulicht). Untersucht werden deshalb - in
ausdrücklicher Anknüpfung an Michel Foucault - die Diskurse als offene
Wissensfelder, die sich aus vielfältigen, miteinander verknüpften Aussagen
konstituieren und durch ihre Dichte und Dynamik auch Wirkungsmöglichkeiten
entfalten, wodurch sie zu einer gestaltenden Kraft werden, die sich der
Kontrolle der rationalen Subjekte entzieht (S. 6f.). Der Verfasser stützt seine
diskursive Geschichte der (staatlich tötenden) Gewalt - die er auf die
abgegrenzte, politisch und sozial als Einheit aufzufassende Hansestadt Hamburg
beschränkt (weshalb der Untertitel eigentlich zu viel verspricht) - auf ein
einschlägiges Korpus von Rechtskommentaren, Dissertationen, Fachzeitschriftenartikel,
Aufklärungsschriften, Flugschriften und Presseberichten, aber auch von
Hamburger Kriminal- und Senatsakten, Anklage- und Verteidigungsschriften,
Gutachten und Zeugenaussagen in einzelnen Strafverfahren.
Zunächst allerdings stellt das Buch -
entgegen der zeitlichen Themenstellung (1726-1856) - das „Theatrum
Poenarum” vom 16. bis 18. Jahrhundert dar und dabei
Benedikt Carpzov als „Synonym einer transzendental
[gemeint selbstverständlich: transzendent, W. S.] begründeten Justiz” vor (S. 12-53).
Betont wird die Einheit dieser früheren Epoche, die auf der Begründung eines
Strafwesens beruhte, „das auf der Untrennbarkeit von weltlicher und göttlicher
Gerechtigkeit, auf Sinnlichkeit, Schmerz und Abschreckung basierte.
Strafrechtstheorie, Rechtsordnungen und Justizpraxis hatten seit dem
beginnenden 16. Jahrhundert ein peinliches Strafwesen modelliert, dessen ,redlichkeit’, ,billichkeit’ und
,gute vernunfft’ aus der Beschwichtigung Gottes sowie
der abschreckenden und reinigenden Wirkung präsentierten Leids herrührten und
das dergestalt eine transzendental [s. o., W. S.] hergeleitete
gesellschaftliche Ordnung verfestigte. Auf der Basis dieser Prämissen schien es
einer durchaus schon im 16. Jahrhundert eingeforderten ,ratio’
zu unterliegen, den Körper durch das Zufügen kalkulierter Schmerzen und
Verstümmelungen zum Maß der Schuld zu erheben, den Körper unter Umständen auf
dem Rad oder am Galgen auszustellen, bis er verrottet war. Die hier
angesprochene Rationalität sollte jedoch nicht als wissenschaftliches Erkenntnisideal
moderner Prägung übersetzt werden, da hiermit allzuhäufig
eine Bedingungslosigkeit und ,objektive’ Schlüssigkeit
von Argumenten assoziiert wird. Vielmehr sollte ... deutlich geworden sein,
dass Begriffe wie ,vernünftig’oder
auch ,rational’ Attribute von Äußerungen und Deutungen sind, die auf der Basis
diskursiv vermittelter Wahrheits- und Wirklichkeitskonstruktionen innerhalb
einer kulturellen Ordnung nachvollziehbar sind und Sinn ergeben oder zu ergeben
scheinen. Diese Wahrheitskonstruktionen bilden das Fundament für die Welt- und
Lebensweisheiten ... Insofern kann auch von einer ... ,performativen’
Rechtskonstruktion des 16. bis 18. Jahrhunderts gesprochen werden, die erst
dann den Charakter der Irrationalität annehmen konnte, als die ihr zu Grunde
liegende Ordnung aufzuweichen begann. Mit der zunehmenden Akzentuierung
menschlicher Individualität und der Rededefinition menschlicher
Wahrnehmungsstrukturen ist die transzendental [s. o.,
W. S.] hergeleitete Ordnung ins Wanken geraten. Untrennbar damit verwoben waren
die Erörterungen zur Vertragsgesellschaft seit dem 17. Jahrhundert, durch die
eine gottgegebene Macht der Obrigkeiten letztendlich ebenso fragwürdig
erscheinen sollte wie die theokratische Begründung der Todesstrafe. Etwa in der
Mitte des 18. Jahrhunderts berührten sich die Zweifel an der Todesstrafe als
Ausdruck göttlichen Willens und an deren abschreckendem Charakter, und die
Skepsis begann, eine intensivere Wirkungsmacht zu entfalten” (S. 52f.); und Carpzov wurde nun zum Synonym für eine blutrünstige und
irrationale Tyrannei.
Der Verfasser stellt im nächsten
Kapitel diesen Gesellschaftsvertrag als neue Begründungsfigur staatlicher Macht
in den Mittelpunkt (S. 54-112), erneut beginnend mit einer Erzählung: nämlich
von der Enthauptung der Giftmörderin Deborah Traub in Hamburg im Februar 1793.
Die Theorien von Cranz - in Diskussion dieses Falles
-, Hommel, Beccaria, v.
Sonnenfels, Bergk werden vorgestellt: als Ausdruck
der sich nun durchsetzenden Säkularisierung und Vernunftgeleitetheit des
Strafrechts in einem Gemeinwesen, das sich jetzt auf den Gesellschaftsvertrag
der Bürger beruhend verstand und verstehen sollte. Doch zeigt der Verfasser,
dass dieser „Diskurs um die Todesstrafe ... verästelt und heterogen [war].
Einerseits profilierte sich der Gesellschaftsvertrag als entscheidendes
Instrumentarium, die Todesstrafe als Unrecht zu verstehen. Andererseits
schienen ein Vertragsbruch [durch das Verbrechen, W. S.] sowie die Konzeption
des kollektiven Selbstschutzes die Tötung von ,Kinderfressern’,
,Meuchelmördern’ und anderen Menschen, die ,schädlichen Tieren’ gleichkamen, zu
legitimieren. ... Auch Sinn und Nutzen von Strafe erschienen in einer
Gesellschaft sich selbst gehörender Menschen, die sich aus freien Stücken
vereint hatten, um ihr Glück zu optimieren, in einem neuen Licht.
Rechtmäßigkeit und Nutzen einer Strafe waren [nicht mehr, W. S.] voneinander zu
trennen” (S. 69). Deshalb trat die Diskussion um die Verbrechensprävention in
den Vordergrund. Aber auch dieser Diskurs erwies sich „als äußerst komplexes
und verworrenes Geflecht” (S. 71), traf sich aber dann doch in der Forderung,
dass die strafende Macht in einer solchen Vertragsgesellschaft „weise, rational
und menschenfreundlich” handeln müsse (welche Forderung im übrigen - worauf der
Verfasser nicht eingeht - immer schon an den Herrscher gerichtet worden war,
wie z. B. die Fürstenspiegel oder Tugendkataloge zeigen würden). Was nun im einzelnen darunter zu verstehen sei, war erneut in Theorie
und Justizpraxis uneinheitlich und uneindeutig. Um 1800 allerdings
vereinheitlichten sich die Aussagen in den neu erscheinenden strafrechtlichen
und philosophischen Lehrbüchern (Klein, Feuerbach, Tittmann,
Kleinschrod, Heydenreich). Der Verfasser stellt dafür
auch auf ein neues Selbstverständnis des Menschen „als empfindsamem wie
gleichermaßen rationalem und sich selbst gestaltendem Wesen” (S. 110) ab (so
als hätten sich die früher lebenden Menschen anders selbst-verstanden,
obwohl - wie oben zitiert - ausdrücklich die innere Rationalität des religiös-theokratischen Weltbildes anerkannt worden war: es
müssen sich also [nur] die Kriterien von Rationalität verändert haben).
Die Konsequenzen dieser neuen Sicht
werden sodann in drei Kapiteln mit teilweisen Überschneidungen und
Wiederholungen entfaltet, in den Worten der Einleitung (S. 10): „Erstens mußte eine Tötungstechnik gefunden werden, die einer sich
selbst als aufgeklärt und zivilisiert empfindenden Gesellschaft adäquat erschien.
Das paradoxe Bestreben, ,human’ zu töten, vermengte
sich mit dem Postulat bürgerlicher Gleichheit und dem Streben nach
Rationalität, Effizienz sowie nach einem Tötungsakt, dessen Gewalthaftigkeit
unsichtbar war. Diese Aussagen materialisierten sich im ausgehenden 18. und der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im mechanischen Fallbeil” (dargestellt S.
113-148). Allerdings verlief die Entwicklung nicht so linear, weil dieses
Fallbeil auch als Zeichen einer politisierten und automatisierten
Tötungsmaschinerie und für unkontrollierte Gewalthaftigkeit
gesehen und (gemeinsam mit der Französischen Revolution) abgelehnt wurde,
weshalb es im Jahre 1822 zu einer Einstellung der Hinrichtungspraxis kam (die
dann erst 1856 erneut begann). Dieser Verzicht auf „inszeniertes Töten” paßt eigentlich nicht zum Titel der Arbeit und fällt aus
der Geschichte der Todesstrafe (nämlich: als ihr Ende) heraus. „Zweitens mußte die Schuld der zum Tode Verurteilten zweifelsfrei und
vor allem im Hinblick auf deren individuelle Verstandes- und Gemütsbeherrschung
erwiesen sein. Im Einklang mit der ,Erfindung der
Psychiatrie’ rückten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert an Stelle der Tat
die Täterinnen und Täter in das Zentrum des Interesses. In nahezu jedem
Mordverfahren wurde nunmehr die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit gestellt
und in zunehmendem Maße verneint. Gewalt bekam die Qualität des Abnormen
zugeschrieben, und Gewalttaten galten unter bestimmten Umständen sogar als
Symptom einer ,Verstandesverrückung’” (S. 149-184).
Dabei wurde der durchaus strittige (und Machtpositionen betreffende) Diskurs
zwischen Jurisprudenz und Psychiatrie (vor allem über „verborgene”, also nicht
mehr sichtbare Geisteskrankheiten) durch sich verwissenschaftlichende Anwälte
in den Gerichtssaal gebracht, auch von Gelehrten in „Merkwürdigen
Kriminalfällen” einer interessierten Öffentlichkeit nahegebracht;
stets aber auch abgelehnt und als „falsche Humanität” (zugunsten der „echten”)
bekämpft. „Drittens mußte die Darbietung einer
Todesstrafe kompatibel mit dem veränderten kulturellen Selbstentwurf sein. Es
galt tunlichst zu vermeiden, dass die Strafvollstreckungen von den Zuschauenden
als Belustigung oder auch nur als gespannte Unterhaltung empfunden wurden. Ein amüsierter ,Pöbel’ am Schafott, der zudem im Zweifelsfall
eine wahrhaft massen-hafte Dynamik zu entfalten
drohte, war ein Schreckgespenst, das sich seit der Wende zum 19. Jahrhundert im
strafrechtlichen Diskurs etablierte. Letztlich wurden die Hinrichtungen den
Blicken eines unbeschränkten Publikums entzogen” (S. 185-234). Diese „Erfindung”
des Pöbels - als der schmutzigen, ungebildeten, verbrechensanfälligen Masse,
die aus primitiver Lust an brutaler Gewalt und am Blut zu den Hinrichtungen
strömen würde - diente dabei der Selbstabhebung der eigentlichen „zivilisierten”
Bürger und näherhin der Konzentration auf die zur
Rationalität allein für fähig erklärten Männer; und führte damit zu einer
schicht- und geschlechtsspezifischen Differenzierung innerhalb der
Vertragsgesellschaft, letztlich zum Ende dieser gesamten
Gesellschaftsvertragslehre zugunsten der absoluten Staatsmacht. Diese erkannte
die ihr drohende Gefahr durch ein solches inszeniertes
Töten, das zu neuer, dadurch motivierter Gewalt oder zur Kritik aus Mitleid
führen konnte.
Der Verfasser kommt zum Ergebnis:
diese von ihm dargestellte Geschichte der Todesstrafe in Hamburg 1726 bis 1856
verdeutliche, „wie sich die Ausübung physischer Gewalt und ein kultiviertes
Selbstverständnis in einem Zusammenspiel von Diskursen und Praktiken kompatibel
gestaltet haben ... und wie Diskurse historisch spezifische Wahrnehmungs- und Denkmöglichkeiten
konstituieren, wenn sich deren Aussagen entsprechend verdichten” (S. 235). Die
kulturelle Veränderung des Selbstverständnisses der „zivilisierten” Menschheit
habe nicht zur Abschaffung der Todesstrafe - wobei der Verfasser auf die Zeit
von 1822 bis 1856 in Hamburg offensichtlich vergißt
-, sondern nur zu ihrer Verschiebung in unsichtbare und der Öffentlichkeit
nicht zugängliche Räume geführt, zu „Inseln der Gewalt”, auf denen die
staatliche Gewalt nun als legitimiert weiterhin habe angesehen werden können
und auch sollen; bis heute, wie die Hinrichtung durch Giftinjektion in den Vereinigten
Staaten von Amerika zeige; die Zivilisierung der Gesellschaft sei - wie gegen
Elias wiederholt wird - also nicht weit gekommen. Zugleich habe sich die Gewalt
auch in den Raum des Privaten abgesetzt, wo sie als „Pornographie des
Schreckens” (und in der Phantasie) faszinierend weiterlebe; auch bis heute,
wofür das Internet Zeugnis abgebe (S. 244).
Wofür im übrigen
auch der Titel der Arbeit steht, der den Lesern und Leserinnen eine historische
Darstellung des „inszenierten Tötens” verspricht; was aber zum Inhalt nicht paßt, der eigentlich den Diskurs über die Todesstrafe
darstellt. Für diese Themenstellung reicht nach meiner Einschätzung das
herangezogene Material - das der Verfasser sicherlich mit viel Fleiß
ausgewertet und für seine Thesen fruchtbar gemacht hat - nicht aus. Die
Auseinandersetzung über die Todesstrafe kann nur verstanden werden, wenn sie in
die allgemeine Diskussion um Wesen und Aufgabe von staatlicher Strafe überhaupt
gestellt wird (und diese in die noch allgemeinere
Diskussion um Wesen und Aufgabe von Staat und Recht selbst - da es niemals um
Gewalt als solche, sondern immer um eine sich als rechtlich verstehende [und
sich damit von unrechter verbrecherischer Gewalt strikt unterscheidende] Macht
geht -), wofür ein juristisches, rechtsphilosophisch vertieftes Grundwissen
jedenfalls nicht schaden würde. Die Nennung des Gesellschaftsvertrages reicht
für den Diskurs der Staatstheorie - den der Verfasser darzustellen beansprucht
(vgl. S. 235) – nicht aus, da es zahlreiche Varianten dieses auch schon vor dem
18. Jahrhundert diskutierten Argumentationsmodells gibt (bis hin zur Konzeption
des Notstaates, dem sich alle in einer Art Zwangsvertrag unterwerfen müssen). Der
Verfasser neigt ferner dazu, die Diskussion auf die Bestrafung von Mördern zu
konzentrieren, ohne zu untersuchen, für welche Delikte sonst die Todesstrafe
angedroht und auch vollstreckt wurde. Es hätte auch eine Berücksichtigung des
Diskurses über „peinliche” Strafen überhaupt (also an Leib bzw. Haut und Haar)
interessante Parallelen gebracht. Auch zeitlich ist der Rahmen sehr eng
gestreckt. Diskussionen über die Zurechnungsfähigkeit gab es bereits in
vielfältiger Gestalt (und durchaus auf hohem Niveau) während der
Hexereiverfahren; sie wurden auch nach 1856 in dem Schulenstreit innerhalb der
Strafrechtswissenschaft weiter und schärfer geführt (von der Situation während
des NS-Regimes ganz abgesehen). Es gab sogar Theorien (bereits um 1790 - wie
die des Königsberger Juristen Morgenbesser -, dann aber vor allem im 19.
Jahrhundert im „Schulenstreit” innerhalb der Strafrechtswissenschaft), die die
Abschaffung eines Strafrechts verlangten zugunsten eines bloßen
Präventionsrechts, dessen Maßnahmen eigentlich nicht mehr als „Strafen”
bezeichnet werden können. Es scheint mir, als müßte
auch eine historische Arbeit über Strafrechtsgeschichte einen angemessenen, der
heutigen Diskussion in der Strafrechtswissenschaft und -philosophie adäquaten
Strafbegriff (in seinen unterschiedlichen Momenten) zugrunde legen, also
wissen, worüber eigentlich berichtet wird; denn nur unter dieser Voraussetzung
kann auch die historische Darstellung eines darauf bezogenen Diskurses
gelingen. Auch die Beschränkung auf Hamburg erscheint nicht unproblematisch, da
z. B. die herangezogenen Lehrbücher sich auf die deutschen Rechtsordnungen
überhaupt bezogen, weshalb die neuen Gesetze (wie das Allgemeine Landrecht
Preußens) von großer Bedeutung auch für die Diskussion in Hamburg sein mußten. Darüber hinaus ist die Konzentration auf die
Diskurse in Staatstheorie, Medizin, Psychologie und Ästhetik - so die eigene
Charakterisierung S. 235 - zu hinterfragen, da der Zusammenhang zur
Justizpraxis - die erst einen Diskurs dazu macht, „die Dinge hervor[zubringen],
die er verhandelt” (S. 7) - nicht wirklich aufgedeckt werden kann (auch wenn „eine
klare Zuordnung von Wirkung und Ursache, von Diskurs und Handlung grob
vereinfachend” wäre, wie der Verfasser auf S. 7 angibt). Aber wie soll man bei
einer Beschränkung auf die Diskursebene verständlich machen, dass viele alte
(und auch bereits im 17. Jahrhundert und noch früher gebrachte) Argumente nun
plötzlich zu „greifen” und andere ihre lange andauernde Durchschlagskraft zu
verlieren scheinen? wobei dazukommt, dass der Diskurs als solcher weiter
vielgestaltig und widersprüchlich - in echten Schulenstreitigkeiten - geführt
wird (bis heute, ja gerade heute, wo alles zu gehen scheint)? Der Verfasser
räumt selbst ein, dass er auf wirtschaftliche Entwicklungen und auf den
pädagogischen Diskurs - der gerade für die Verbrechensprävention unverzichtbar
ist, wenn man die Entwicklung in der Strafrechtswissenschaft (z. B. der
soziologischen Richtung) bedenkt - nicht eingegangen ist (S. 235). Auch der
theologische Diskurs wäre wichtig, wenn es um die Säkularisierungsthese geht:
denn es ist fraglich, von welcher Disziplin diese Entwicklung eigentlich ihren
Ausgang genommen hat. Darüber hinaus bleibt - was allerdings bei der
Fragestellung des Verfassers konsequent ist - für mich (als veralteten
Geistesgeschichtler) diese Grundfrage offen: wie es überhaupt zu dieser
Säkularisierung - die doch nicht vom Himmel gefallen ist - gekommen ist, wobei
zu berücksichtigen ist, dass sie sich bereits vor der Aufklärung in vielem
durchgesetzt hatte, wenn man an die Trennung von staatlicher Hinrichtung und
kirchlicher Betreuung und Versöhnung, an die Rezeption des römischen Rechts, an
die Herausbildung des an Prävention orientierten Carpzov-„Polizeystaates” denkt, von der Zwei-Reiche-Lehre
Luthers oder gar schon vom Investiturstreit ganz abgesehen. Schließlich bleibt die
Frage, warum die Masse des „Pöbels” diese Abschiebung und damit Beendigung der
begehrten blutigen Marter- und Hinrichtungsinszenierungen hinnahm und sich mit
Presseberichten begnügte; oder dieses ihr Begehren nach sinnlicher Erregung und
Abreaktion durch Gewaltspektakel in Filmen, Fernsehsendungen, im Internet oder
sonst in gewaltbrünstigen Phantasien befriedigt(e). Denn der Unterschied
zwischen wirklich erlebter oder nur phantasierter Gewalt ist vielleicht doch
größer, als der Verfasser es in seiner Konzentration auf die Diskursdimension
würdigen kann; oder ist auch die Wirklichkeit selbst nur eine phantasierte
Konstruktion von Diskursen?
II. Einem Werk, das wie das 1996 in
Englisch, 2001 in deutscher Übersetzung erschienene Buch des 1947 geborenen Richard
J. Evans - Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität
Cambridge - einen Umfang von über 1300 Seiten hat, kann man nicht in einer
kurzen Besprechung gerecht werden. Deshalb kann und soll nur ein informierender
Überblick über den Inhalt gegeben werden.
Der Verfasser will nach der
Formulierung des Untertitels die Geschichte der Todesstrafe in Theorie
(Diskurs) und Praxis (Rechtsleben) von 1600 bis 1987 - dem Jahr der offiziellen
Aufhebung der Todesstrafe in der Deutschen Demokratischen Republik - darstellen
(so zumindest der englische Originaltitel; warum die deutsche Übersetzung den
Zeitraum auf 1532 - dem Erscheinen der Carolina - vordatiert, bleibt
unerklärt). Der Titel „Rituals of Retribution” soll
anzeigen, dass „sich die Todesstrafe von anderen Formen staatlich
sanktionierten Tötens - auf dem Schlachtfeld, in Konzentrationslagern, durch
,Todesschwadronen’ oder ,Verschwindenlassen’ - in
zwei Punkten unterscheidet: Zum einen setzt sie stets ein wie immer auch
entleertes rechtlich vorgeschriebenes Ritual voraus; für gewöhnlich ist die mit
der Vollstreckung der Todesstrafe verbundene Zeremonie sehr ausgeklügelt, um
dem Vorgang eine nachdrückliche Aura der Legitimität zu verleihen. Das Ritual
der Hinrichtung ist fast immer irgendwie öffentlich gewesen, und sei es nur
dadurch, dass es in Verfahrensordnungen schriftlich fixiert war oder durch das
Medium der Presse bekannt gegeben wurde. ... Das andere gemeinsame Merkmal
jeder Form von Todesstrafe ist ihr Vergeltungscharakter. ... Im Wesentlichen
ist das stärkste und dauerhafteste Motiv der Hinrichtung zu allen Zeiten die
Vergeltung gewesen, die Ansicht, dass nur der Tod die einzig adäquate Sühne für
gewisse Verbrechen sein kann, das Gefühl, dass mildere Strafen unzureichend
sind, die Überzeugung, dass, wer die schwersten Verbrechen begeht, dafür die
äußerste Strafe erleiden muss: den Tod” (S. 13). Schon auf den ersten Blick
drängt sich die Frage auf, ob diese Themenstellung mit einer solchen Begründung
wirklich stimmen kann. Denn in den letzten Jahren vor 1987, nämlich zumindest
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war eben die Todesstrafe gerade nicht mehr
öffentlich (vgl. selbst S. 379ff.); es erscheint fraglich oder zumindest mißverständlich, auch für die maschinelle Tötung hinter
abschließenden Mauern von „Ritualen” zu sprechen, nur weil es dafür
schriftliche Verfahrensregeln oder Pressemitteilungen gab (vgl. dazu auch die
These von der bloßen Anpassung an eine nur veränderte Öffentlichkeit S.1080).
Noch mehr: gerade der Diskurs der streitenden „Schulen” in der
Strafrechtswissenschaft (bis heute) zeigt, dass die Tötung eines Verbrechers
durchaus nicht als Vergeltung gedacht wurde (und werden muß),
sondern als Präventionsmaßnahme zur Abschreckung der anderen konzipiert wurde
(und werden kann). Dabei scheint dem Verfasser ein Vergeltungsbegriff im Sinne
eines unmittelbaren Talionsprinzips (Auge um Auge,
also: Tod dem Mörder) vorzuschweben (vgl. S. 1084f.), der so in der Geschichte
der Strafrechtsdiskussion (zumindest der dargestellten Zeit) nicht vertreten
wurde, zumal die Todesstrafe nicht nur Mördern galt. Der Verfasser selbst
erwähnt Theorien bereits des späten 19. Jahrhunderts (wie z. B. Ernst Haeckels),
für die „Strafe als Instrument der Rassehygiene” aufzufassen war, und nennt
auch die Konsequenz: „Was letzten Endes vorgeschlagen wurde, war nicht mehr
Strafe, sondern die biologische Ausmerzung” (S. 539). Daher paßt
die - im übrigen sehr lesenswerte - Darstellung der
Tötungen im NS-Regime nicht zum Titel, ging es doch um ein „Strafrecht” als
politische Waffe gegen Feinde (vgl. S. 781) und später nur mehr als „Akt der
biologischen Ausrottung” (so der Verfasser selbst S. 782, 817ff., 834ff.,
869ff.) (wobei anzumerken ist, dass der Verfasser selbst erkennt, dass in den
1940er Jahren die Grenzen verschwinden, vgl. S. 13). Eigentlich müßte der Titel das „Verschwinden der Rituale der
Vergeltung” - wenn nicht gar: „Verschwinden der Strafe” (wie es z. B. die Arbeit
von Werle für das NS-Regime gezeigt hat) - heißen (was aber einen
rechtsphilosophisch begründeten Begriff der Strafe - z. B. im Gegensatz zu
einer Verwaltungsmaßnahme - voraussetzen würde). Für einen so geänderten Titel
würde auch sprechen, dass der Verfasser sich umfangmäßig
eindeutig auf die Zeit nach diesem Verschwinden konzentriert. Ab S. 241 wird
die Geschichte seit 1800 dargestellt; nur der erste Teil behandelt ab S. 59 auf
rund 180 Seiten die Todesstrafe von 1600 bis 1800, wobei die Ausführungen ab S.
106 im wesentlichen von dem erzählen, was der Verfasser eigentlich als unter
NS-Verdacht stehende Volkskunde ablehnt (vgl. S. 33; und vgl. auch S. 1094 Anm.
14 mit einer mir nicht nachvollziehbaren und von der Sache auch nicht
begründbaren Ablehnung meines Buchs „Alte Gerichtsbarkeit”): nämlich
volkstümliche Gebräuche bei Hinrichtungen, religiöse und abergläubische
Vorstellungen etwa an das Blut des Hingerichteten oder an sein Wiedergehen, Moritaten, Volkslieder und Theaterdramen.
Besonders deutlich wird dabei der religiöse Hintergrund dieser frühen Zeit, für
den der Verfasser sogar zu folgenden Wendungen findet: „Wie aus alldem
hervorgeht, war der Zweck der Exekution nicht, Schmerzen oder Leiden um ihrer
selbst willen zu verursachen, sondern vielmehr das Hinübergehen des Verbrechers
in das jenseitige Leben zu erleichtern” (S.115); „das Drama der Todesstrafe im
Deutschen Reich war also nicht zuletzt ein religiöses Drama” (S. 119); „das
Bedürfnis nach solcher Vergewisserung [nämlich: dass auch ein Verbrecher des
ewigen Lebens teilhaftig werden könne, W. S.] erklärt zu einem erheblichen Teil
die Faszination, welche die letzten Augenblicke des Übeltäters auf die
Zuschauer ausübte” (S.120); „Blut und Leib des verurteilten Verbrechers
stellten eine geminderte, aber noch immer symbolisch mächtige Version der
Kommunionsfeier dar, einer Feier, die ... für eine magisch-religiöse
Volkskultur noch immer Verwendung hatte” (S. 132); „die Zeremonie der
Hinrichtung wird im Volk unter anderem als Variante der normalen Zeremonie von
Tod und Begräbnis verstanden worden sein” (S. 135); „in dem hingerichteten
Verbrecher sah man ... eine Inkarnation Christi selber: im Leib gedemütigt,
aber im Geiste siegend” (S. 141). Dies alles ist ja völlig richtig; aber paßt es zu der Themenstellung, wonach die Todesstrafe immer
einen „Vergeltungscharakter” hatte? oder müßte dann
nicht zwischen göttlicher (vgl. S. 139: Ausdruck göttlicher Gerechtigkeit) und
menschlicher Vergeltung unterschieden werden, was einen viel allgemeineren Begriff von „Vergeltung” bedeuten würde, der
den Unterschied zur Zeit nach 1800 (aber wohl auch
schon für die Zwei-Reiche-Lehre und andere frühere
Konzepte) sicherlich qualitativ gestalten müßte.
Jedenfalls paßt
der Titel nach meinem Verständnis nicht. Der Inhalt ist ein anderer, nämlich in
den Worten des Verfassers: „Dieses Buch erzählt, welchen Gebrauch der Staat in
Deutschland seit dem 16. Jahrhundert bis heute von dieser Gewalt [des Tötens
seiner Bürger, W. S.] gemacht hat. Es besteht aus sechs etwa gleich langen
Teilen, die sich in insgesamt achtzehn Kapitel gliedern. Der erste Teil [S. 59-237,
W. S.] entwirft den Schauplatz der Handlung und untersucht die
,traditionellen’ öffentlichen Todesstrafen in der frühen Neuzeit und die
mit ihnen verbundenen Rituale und kulturellen Deutungen. Er berücksichtigt den
historischen Wandel, besonders im Hinblick auf die Reformen des
,aufgeklärten’ 18. Jahrhunderts, verfolgt aber primär einen thematischen
Ansatz. Der zweite Teil [S. 241-431, W. S.] behandelt das 19. Jahrhundert bis
zur Einigung Deutschlands 1870/ 71. Er erzählt, wie die öffentlichen Strafen
reformiert und dann nach und nach abgeschafft wurden, und versucht, den Gründen
hierfür nachzugehen. Als die Todesstrafe in eine Krise geriet, fanden, vor
allem 1848 und 1870, große Grundsatzdebatten über sie statt. Das Buch
betrachtet die unterschiedlichen Ideen und Theorien, die diese Debatten
leiteten, berichtet von den persönlichen Erfahrungen und Motiven der Männer,
die die Todesstrafe vollstreckten, und versucht zu erklären, warum zu
bestimmten Zeiten und in bestimmten Gegenden Deutschlands mehr Menschen
hingerichtet wurden als zu anderen Zeiten und in anderen Gegenden. Der dritte
Teil [S. 435-591, W. S.] führt diese Themen in einer Mischung aus Erzählung und
Analyse in die Zeit des Kaiserreichs von 1871 bis 1918 weiter. Der vierte Teil
[S. 595-736, W. S.] behandelt die Weimarer Republik und verfolgt in Politik und
Kultur dieser Zeit das Geschick der Todesstrafe und die Kämpfe um ihre
Abschaffung. Mit Hitlers ,Drittem Reich’ erfuhren
Prinzip und Praxis der Todesstrafe eine ungeheure Ausweitung: Der fünfte Teil [S.
739-880, W. S.] beschreibt die Gründe dafür und nimmt den historischen Vorgang
unter die Lupe. Schließlich untersucht der sechste Teil [S. 883-1039, W. S.],
welches Vermächtnis die Todesstrafe im Dritten Reich der Nachkriegsgeschichte
der Bundesrepublik hinterlassen hat [dargestellt werden die Praxis der
Todesstrafe unter den Besatzungsmächten bis 1951, deren Wiedereinführung im
deutschen Strafrecht und dann die lebhafte Diskussion zu ihrer Abschaffung im
Grundgesetz, W. S.] und inwiefern sich die mörderische Praxis des
Nationalsozialismus von der einer jüngeren Diktatur unterschied oder nicht
unterschied, nämlich der des kommunistischen Regimes in der DDR [bis zur Abschaffung
1987], das mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 zusammenbrach” (S. 14). Eine
längere Einführung (S. 29-56) und eine Schlußbetrachtung
(S. 1040-1090) stellen das Thema in einen größeren theoretischen Rahmen und
leiten einige Lehren aus ihm ab; auch für das zentrale Thema, das zugleich der
Grund dafür ist, sich auf Deutschland zu beschränken: die Frage nach dem „deutschen
Sonderweg” und zum Zusammenhang der früheren Entwicklung zum NS-Regime (vgl. S.
53).
Es liegt auf der Hand, dass die
Lektüre dieser umfangreichen Ausführungen viel Interessantes und
selbstverständlich auch ein Übermaß an neuen Informationen bringt, vor allem
für das 20. Jahrhundert (dem nahezu die Hälfte des Buches gilt) und für
außerrechtswissenschaftliche Bereiche (wie Presseberichte über aufsehenerregende Prozesse und Darstellung dieser Fälle,
Leitartikel, Parteiprogramme, Parlamentsdebatten, politische
Auseinandersetzungen, selbst Privatbriefe; von den auf S. 1223-1234 genannten Archivquellen
einmal abgesehen); viel Platz gewährt der Verfasser der Figur des
Scharfrichters (im Laufe der Zeit und der Veränderungen), die für ihn - zu
recht - mit der Todesstrafe in einer untrennbaren Verbindung steht. Nähere
(auch kritische) Würdigung dieser zahlreichen Hinweise und Thesen - auch etwa
zur politischen Bedeutung der Todesstrafe (in Verbindung mit dem Gnadenrecht
des Herrschers und überhaupt mit der Herausbildung des absoluten Staates) oder
zu diesem Problem eines damit in Verbindung gesetzten deutschen „Sonderwegs”
(vgl. S. 1067-1074) - kann nur eine genaue und detaillierte Auseinandersetzung
bringen. Nur angemerkt sei, dass für die Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert
dieses Buch die Ergebnisse der unter I. vorgestellten Arbeit für Hamburg von Martschukat bestätigt und vertieft. Ob die oben
vorgebrachte Kritik auch hier gelten kann, mögen die interessierten Leser und
Leserinnen selbst feststellen.
Abschließend soll kurz auf die zugrunde liegenden Methode und auf ein wesentliches
Ergebnis hingewiesen werden. Der Verfasser sieht den „generellen
Interpretationsrahmen” für sein Werk in drei übergreifenden Theorien (S. 53):
in der Diskurstheorie Michel Foucaults - die aber nicht thematisiere, wie und
warum die Verlagerungen der Diskurse stattgefunden hätten (vgl. S. 36-42) -,
der kulturbezogenen Zivilisationsprozeßtheorie
von Norbert Elias (vor allem in der Weiterführung durch Pieter Spierenburg) -
die aber nicht zu erklären versuche, wie und warum genau die beschriebenen
Veränderungen zu Stande gekommen seien (vgl. S. 42-49) - und der Geschichte des
Todes/des Sterbens von Philippe Ariès - die aber in
vielem obskure Kategorien verwende und Zusammenhänge nicht genügend erkläre
(vgl. S. 49-53) -. Der Verfasser versucht also eine Verbindung aller drei
methodischen Ansätze. Sein Fazit ist allerdings ernüchternd. Foucaults Theorie
sei zwar anregend, aber ohne Wissen um die wirklichen historischen Vorgänge
aufgestellt, daher in vieler Hinsicht vereinfachend und willkürlich, eine
Verkennung der positiven Bedeutung der Aufklärung, letztlich beruhend auf einer
halb maoistischen, halb anarchistischen Grundhaltung (vgl. S. 1049-1063); die
Theorie von Elias/Spierenburg sei ebenfalls nicht mit dem Belegmaterial in
Einklang zu bringen, meist spekulativ und reine Vermutung, da vor allem nicht
die Mühe gemacht werde, die Prozesse im Detail zu beschreiben und den „Prozeß der Zivilisation” mit der politischen Geschichte in
Zusammenhang zu bringen (was auch für die nur politisch zu verstehende These
vom deutschen „Sonderweg” gelte) (vgl. S. 1063-1074); die Ergebnisse von Ariès schließlich seien (ebenfalls) insofern fehlerhaft,
als ein literarisches (und zudem faschistisch interpretiertes) Ideal für
soziale Wirklichkeit genommen werde (vgl. S. 1074-1078). Doch hält der
Verfasser in einer Art kurzer Zusammenfassung (S. 1077-1083) den Zusammenhang
der Einstellung zum Tod (in Verbindung mit der Sicht auf Körper und Seele) und
zur Todesstrafe für relevant, sofern man sie mit der Säkularisierung (als der Entsakralisierung des Sterbens [wie auch des Lebens]) zusammendenke. Diese Ablösung der alten religiösen
Vorstellungen auch von der Hinrichtung sei von den aufgeklärten Gesetzgebern im
späten 18. und frühen 19. Jahrhundert vorangetrieben worden, um das neue Modell
menschlichen Zusammenlebens hervorzubringen: eine rational gesteuerte und
kontrollierte Ordnung, für die die (Todes-) Strafe als Mittel der Prävention
eingesetzt werden sollte, wodurch zugleich der Kritik an der Geeignetheit der
Strafe als eines solchen Mittels Tür und Tor geöffnet wurde. Der zweite
wesentliche Prozeß war für den Verfasser der
Niedergang einer feudalen oder neofeudalen, auf ererbtem Status basierenden und
durch Leibeigenschaft, in den Zünften und im Recht institutionalisierten
Ständegesellschaft. Das Eindringen der kapitalististischen
Wirtschaftsweise habe die Durchsetzung von regelgeleiteten,
berechenbaren und planmäßigen Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen verlangt,
der Bürokratismus der Staats- und Strafgewalt habe zugenommen. Die alten
blutigen Strafen seien zunehmend als unwirksam und unnütz verstanden, die
Todesstrafe auf die Bestrafung mit dem Tod reduziert worden. Die Furcht vor
einer Störung der öffentlichen Ordnung durch Exzesse bei der öffentlichen
Tötung (auch wegen der mangels Übung zunehmenden Inkompetenz der Scharfrichter)
habe zu einer neuen Form von Öffentlichkeit geführt, nämlich in Gestalt der
männlichen, bürgerlichen Zeugen, vor denen hinter sonst abschließenden Mauern
der Verbrecher schnell und schmerzlos vom Leben zum Tod gebracht worden sei.
Schließlich habe sich die Todesstrafe zunehmend als anfällig gegen
rationalistische Argumente, die auf neue Prinzipien der Rechte des Individuums
(vor allem auf das Recht auf innerweltliche Erlösung) abgehoben hätten,
erwiesen: denn vor diesem Hintergrund habe die Todesstrafe als eine erschreckende
Anomalie abgestochen, die der Besserungsdiskurs der Reformer bald als
anachronistisch gebrandmarkt habe. Ihre Legitimität habe sie sie erst zurück gewonnen,
als jener Diskurs an der Wende zum 20. Jahrhundert von einem Vererbungs- und
Eugenikdiskurs abgelöst worden sei. Doch - so schließt die Arbeit mit einem
Plädoyer gegen die Todesstrafe ab (S. 1083ff.) - sei ein Recht des Staates,
seine eigenen Bürger zu töten, nicht zu begründen; entscheidendes Argument
müsse sein, dass es den Staat und damit uns alle herabsetzt und entwürdigt,
wenn er seine Macht dazu gebraucht, das Leben eines Menschen zu beenden. Aber
ob diese Argumentation sich politisch durchsetzt, könne nicht gesagt werden; „der
passendste Mythos für unsere Zeit ist der von
Sisyphos” (S. 1082). Aber jedenfalls „könnten andere Länder von Deutschland
lernen. Es ist zu hoffen, dass sie es auch tun!”
Bielefeld Wolfgang Schild