Lohaus, Marianne, Recht und Sprache in Österreich und Deutschland. Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten als Folge geschichtlicher Entwicklungen. Untersuchung zur juristischen Fachterminologie in Österreich und Deutschland. Köhler, Gießen 2000. XXV, 321 S.

 

Österreich büßte 1995 mit dem Beitritt zur Europäischen Union nicht nur Teile seiner Souveränität ein, sondern es verlor zugleich seine bisherige Rechtssprache. Verpflichtete Österreich sich doch, die europäischen Rechtsnormen zu übernehmen und damit ebenfalls die deutsche Amtssprache zu akzeptieren, wie sie von dem Gründungsmitglied Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte gestaltet worden war. Diese sprachliche Vorgabe zeigt sich nicht allein bei den Verordnungen der Europäischen Union, die unmittelbar geltendes Recht werden. Sie wird ebenso offensichtlich bei den Richtlinien, die zwar von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, aber amtssprachlich geprägt sind und damit bei den Durchführungsgesetzen faktisch nur wenig Freiraum für eine andere Wortwahl lassen. Wie groß die Sprachdominanz ist, verdeutlicht jenes Zusatzprotokoll, in dem 23 Austriazismen aufgenommen wurden, die jedoch ausschließlich landwirtschaftliche Produkte bezeichnen. Über den Vorrang der Amtssprache bundesdeutscher Provenienz kann auch nicht das von dem Übersetzungsdienst der Europäischen Union erarbeitete Glossar hinwegtäuschen, das über tausend Ausdrücke enthält, allerdings keinerlei Rechtsverbindlichkeit besitzt. Damit scheint letztlich das rund zweihundertjährige Nebeneinander von deutscher und österreichischer Rechtssprache beendet.

 

Aus diesem Grund ist es konsequent, daß Marianne Lohaus in ihrer Innsbrucker rechtshistorischen Dissertation die juristischen Fachterminologien in beiden Ländern vergleicht und deren Abweichen aufzeigt. Wie es zu den begrifflichen Unterschieden kam, schildert sie im ersten Teil ihrer Studie. In acht Kapiteln widmet sich die Autorin neben der deutschen Sprache in Österreich (S. 5-61) den Juristen (S. 63-72) sowie den einzelnen Rechtsgebieten, nämlich Zivilrecht (S. 73-106), Zivilprozeßrecht (S. 107-125), Strafrecht (S. 127-152), Verwaltungsrecht (S. 153-182) und Verfassungsrecht (S. 183-210). Die juristischen Abschnitte baut die Verfasserin jeweils ähnlich auf, indem sie den geschichtlichen Abrissen zum österreichischen und zum deutschen Recht einen Sprachvergleich der gegenwärtigen Fachterminologie folgen läßt. Daß dieser umfassende Anspruch angesichts des begrenzten Buchumfangs allein in der Form rechtshistorischer Leitlinien erfüllt werden kann, überrascht keineswegs. So bleiben unter anderem nur rund zwanzig Seiten, um die Geschichte des Zivilrechts in beiden Ländern in den vergangenen zwei Jahrhunderten zu schildern. Bedingt durch diese Knappheit muß beispielsweise das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins beim Abfassen des Bürgerlichen Gesetzbuches in einem Halbsatz zusammengefaßt werden (S. 98), wie auch die terminologischen Mühen der Gesetzgebungskommission sich in der Notiz erschöpfen: „verbesserte die Sprache“ (S. 91). Gerade an diesem Punkt wäre es jedoch angebracht gewesen, die damalige Diskussion um die unterschiedlichen Ansprüche von Juristen und Allgemeinheit an die sprachliche Gestalt von Gesetzen darzustellen, die schließlich teilweise zum Kreieren neuer Rechtswörter beitrug. Wie sehr die neue Sprachform und die Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches den österreichischen Zivilgesetzgeber beeinflußten, vermerkt Lohaus ebenfalls nur am Rande (S. 98). Genauso beiläufig erwähnt die Verfasserin die Ereignisse der Jahre 1938 bis 1945 und ihre Folgen für das österreichische Recht. So berichtet sie kurz, daß das deutsche Eherecht selbst nach 1945 in Österreich noch in Kraft geblieben sei (S. 82), geht jedoch nicht darauf ein, ob und in welchem Ausmaß es sich auf spätere Gesetze auswirkte. Nur im Strafrecht ließen sich die ideologisch belasteten Rechtstexte wohl so einfach aufheben und die vorherigen wiederherstellen, wie es die Verfasserin beschreibt (S. 132). Für das Verwaltungs- und das Verwaltungsverfahrensrecht fehlt in ihrer chronologischen Gesetzesgeschichte sogar jeglicher Hinweis auf die Jahre 1938 bis 1945, obwohl in diesen Rechtsmaterien vermutlich das eine oder andere deutsche Rechtswort eingefügt und später beibehalten wurde.

 

Solche Gemeinsamkeiten der Rechtssprachen Deutschlands und Österreichs interessieren Lohaus allerdings kaum; sie konzentriert sich hauptsächlich darauf, die Differenzen herauszustellen. Nach der Wichtigkeit dieser Unterschiede fragt sie ebenso wenig, wie sie auch den Umstand vernachlässigt, daß jeder Sprachgebrauch der Identifikation dient, nämlich um andere als zugehörig zu erkennen oder sich von ihnen abzugrenzen. Zwar spricht die Verfasserin knapp die Debatte um die sprachliche Eigenständigkeit Österreichs vor dem Beitritt zur Europäischen Union an (S. 11), sie versucht aber nicht, den Zusammenhang der Konzepte „Hochsprache“ und „Nation“ in beiden Ländern im 19. und 20. Jahrhundert zu erörtern. Daß nationale Ideale sprachliche Konstruktionen beeinflussen können, wird zwar von der Verfasserin erkannt, denn ihrer Ansicht nach hängen Austriazismen „besonders mit der staatlichen Organisation, den historisch-politischen Verhältnissen, der Verwaltung und dem gesellschaftlichen Leben zusammen“ (S. 48). Als Konsequenz ergibt sich für sie aber nur, daß das „Recht als Kern des politisch-administrativen Bereichs [...] also einen besonders hohen Anteil an den sprachlichen Besonderheiten in Österreich“ habe (S. 212).

 

Ergebnis ihrer Bestandsaufnahme sind ein Verzeichnis mit österreichischen Rechtswörtern (S. 220-292) und ein Verzeichnis mit deutschen Rechtswörtern (S. 293-321), wobei Lohaus bewußt auf Wörter verzichtet, denen nur gelegentlich juristischer Sinn zukommt (S. 59f.). Für jeden Eintrag versucht sie, dem jeweiligen Begriff ein adäquates Pendant aus der anderen Sprache gegenüberzustellen oder ihn kurz zu erläutern und mit einer Gesetzesnorm zu belegen. Während sie sich bei den Definitionen der Fachtermini auf die Nachschlagewerke von Heinz G. Russwurm und Alexander P. Schoeller (Österreichisches Rechtswörterbuch) sowie Gerhard Köbler (Juristisches Wörterbuch) stützt, läßt sie hingegen in den anderen Fällen offen, welcher Hilfsmittel sie sich bedient hat. Daß es sich dabei vermutlich um gängige Lexika handelte, müßte keineswegs verschwiegen werden, die Zitate hätten indessen eine kritische Durchsicht erleichtert. Gleichermaßen fällt auf, daß jegliche Verweise von den Rechtswörtern aus den Verzeichnissen auf die historischen Abschnitte der Arbeit fehlen, mit denen ein darstellerischer Zusammenhang zwischen beiden Teilen und darüber hinaus ein benutzerfreundliches Register entstanden wäre.

 

Frankfurt am Main                                                                              Michael Wieczorrek