Dirk
Hoeges, Inhaber einer Professur für
Romanistik, Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Hannover,
unternimmt in dem vorliegenden Buch, den vielzitierten, aber wohl nicht immer
wirklich gelesenen Gelehrten, Diplomaten, Politiker, Schriftsteller und
Humanisten Niccolò Macchiavelli aus einem anderen Blickwinkel als bisher üblich
zu verstehen und zu deuten. Im Gegensatz zu großen Teilen der bisherigen Literatur,
ob nun Forschungsliteratur oder allgemeine Publizistik, will er Leben und Werk
des großen Florentiners aus der politischen und geistigen Wirklichkeit der
Zeit, oder anders ausgedrückt, aus der Welt des italienischen Humanismus des
15. und 16. Jahrhundert erfassen und würdigen, wobei freilich – das sei schon
hier angemerkt – immer wieder auch gegenwartsbezogene Bemerkungen eingeflochten
werden.
Im
Mittelpunkt seiner Darstellung steht, wie könnte es anders sein, Macchiavellis
Hauptwerk „Il Principe“, das schon bei dessen Erscheinen die Geister schied und
seither in einer beispiellosen Weise mißverstanden, mißbraucht und geistig und
politisch ausgebeutet worden ist, gleichgültig ob es sich um Befürworter oder
Gegner des Werkes und seines Autors handelt. Diesem generellen Mißbrauch will
Hoeges entgegenwirken, indem er seine Darstellung in die Schilderung von
Situation und Zeit einbettet, in der das Werk entstanden ist und von der es
geprägt wurde.
Entsprechend
dieser Zielsetzung beginnt der Verfasser zunächst mit einer Beschreibung der
Lebenssituation Macchiavellis bei der Abfassung des „Principe“ während der
Verbannung auf seinem Landgut in der Nähe von Florenz. Es folgt eine
Darstellung der humanistischen Rhetorik und Ästhetik und deren Einwirkung auf die
Gedankenwelt Macchiavellis sowie des Einflusses der literarischen Tradition,
der sozialen Umgebung, namentlich des Freundes- und Korrespondentenkreises, auf
Macchiavellis Denk- und Empfindungswelt. Auch die Hinwendung Macchiavellis zur
Analyse der politischen Wirklichkeit in Italien unter Verwertung seiner
vielfältigen politischen Erfahrungen als Beamter, Diplomat und schließlich
Kanzler in Florenz bis zu seinem Sturz durch die Medici wird ausführlich
besprochen. Zugleich wird Macchiavellis literarische Tätigkeit wie seine
Beschäftigung mit ästhetischen Fragen in die Betrachtung miteinbezogen, bevor
sich der Verfasser ausführlich mit Macchiavellis Hauptwerk befaßt, das trotz
der vielfältigen Tätigkeiten Macchiavellis im Mittelpunkt jeder biographischen Darstellung
des großen Florentiners stehen muß.
Von
dieser Grundlage ausgehend gelangt Hoeges zu einer von den bisherigen
Darstellungen erheblich abweichenden Deutung von Macchiavelli und dessen
Hauptwerk. Anders als die herrschende Meinung ist für ihn der Florentiner
Staatsdenker nicht der Verfechter eines von allen moralischen Bindungen und
allen überlieferten Herrschertugenden emanzipierten Fürstentyps, sondern
vielmehr der Schöpfer einer Herrscherfigur, die ihre Stellung allein auf die
politische Macht und deren Behauptung stützt, weil in der politischen
Wirklichkeit weder die göttliche Legitimation noch andere Legitimationsformen
eine Herrschaft noch zu begründen vermögen. Eine solche Behauptung der
politischen Macht erfordert bei Macchiavelli vor allem die Fähigkeit des
Herrschers, den äußeren Schein einer umfassenden Inhaberschaft der politischen
Macht zu erwecken und zu bewahren, nachdem eine umfassende Ausübung der
politischen Macht praktisch nicht möglich erscheint. In dieser
Aufrechterhaltung des äußeren Scheins der umfassenden politischen Machtausübung
sieht Hoeges daher auch den eigentlichen Kern der von Macchiavelli entwickelten
Lehre vom „Principe nuovo“, vom neuen Fürsten oder besser vom neuen Herrscher,
bei der gerade diese Fähigkeit des Herrschers, den äußeren Schein umfassender
Machtausübung zu erhalten, dominiert. Ohne die Aufrechterhaltung des äußeren
Scheins sei für diesen Herrschertyp, in dem man den Prototyp des modernen
Herrschers erblicken könne, eine Behauptung der politischen Macht überhaupt
nicht möglich.
Aus
dieser Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des äußeren Scheins der Macht ergibt
sich auch der Zwang zu einer kontrollierten Selbstdarstellung des Herrschers,
bei der einzelne Elemente wie Mimik, Gestik und der gesamte Habitus eine
Schlüsselfunktion einnehmen, mit anderen Worten, der Zwang zu einer ständigen
öffentlichen Selbstinszenierung, wie sie im heutigen Medienzeitalter und der
medialen Präsentation der Politiker zu den wesentlichen Bestandteilen der
politischen Machtbehauptung gehört. Auch die von Macchiavelli betonte
Notwendigkeit, Literatur und Kunst zur Aufrechterhaltung dieses äußeren Scheins
der politischen Macht einzusetzen, überhaupt den äußeren Schein mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, müsse, so Hoeges, in diesem Kontext
gesehen werden. Als besonders wichtiges Element der Selbstdarstellung des
„Principe nuovo“ sei auch die von Macchiavelli geforderte Präsentation des
Herrschers als erfolgreicher Kriegsherr und seine Zuschaustellung als Inkarnation
einer ständigen Wachsamkeit und Bereitschaft anzusehen, Gefahren von den
Untertanen abzuwehren. Außerdem müsse sich der Herrscher stets als physisch und
psychisch leistungsfähig zeigen und überdies über Kenntnis von Geschichte und
Politik verfügen, die immer wieder zur Schau gestellt werden müßte.
Im
Ergebnis ist dieser neue, von Macchiavelli postulierte Prototyp eines
Herrschers für Hoeges ein Konstrukt, ein Produkt aus Technik und Kunst, aus
Rhetorik und Ästhetik, für das es in der geschichtlichen Wirklichkeit keine
Entsprechung gibt. Hoeges meint, daß Macchiavelli sich in diesem konstruierten
Fürstentyp letztendlich selbst habe spiegeln wollen und daß die ganze
Darstellung des „Principe“ als eine Art Reflex auf Macchiavellis Elinimierung
aus dem praktischen politischen Leben anzusehen sei. Der „Principe nuovo“ sei
jener Typ von Fürst, wie ihn sich Macchiavelli auf Grund seiner eigenen
Erfahrung und der Analyse der politischen Wirklichkeit seiner Zeit vorstelle
und wie er ihn selbst habe repräsentieren wollen.
Ob
man namentlich dieser letzteren, stark von den literaturwissenschaftlichen
Interessen des Verfassers bestimmten Deutung Macchiavellis und seines
Hauptwerkes folgen kann, sei hier dahingestellt. Die verschiedenen Widmungen,
die Macchiavelli seinem Hauptwerk vorangestellt hat, wie auch der Inhalt des
Werkes lassen durchaus auch andere Deutungen zu. Vielleicht war das Werk auch
der Versuch, sich mit einer politischen Handlungslehre den neuen Machthabern
als Berater oder gar für eine neue Verwendung Macchiavellis in Florenz zu
empfehlen. Auch andere Deutungen sind möglich. Dennoch wird man festhalten
können – und dies ist die wichtigste Folgerung, die vor allem der Rechts- und
Verfassungshistoriker aus der Lektüre des Buches von Hoeges ziehen muß -, daß
jede Beschäftigung mit Macchiavellis „Il principe“ im Zusammenahng des
Zeitalters, in dem dieses Werk entstanden ist, zu geschehen hat, sowohl die
biographische Situation des Autors wie die allgemeinen politischen und
geistigen Verhältnisse der Zeit ins Auge gefaßt werden müssen und insbesondere
die Zusammenhänge zwischen dem Hauptwerk und den übrigen gelehrten und
künstlerischen Neigungen Macchiavellis nicht außerachtgelassen werden dürfen.
„Il principe“ ist, wie könnte es anders sein, insgesamt ein Produkt des
humanistischen Denkens des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in dem
sich die durch den Humanismus eingeleitete Säkularisierung des Denkens ebenso
spiegelt wie die beginnende Emanzipation von den dominierenden religiösen
Bindungen der christlichen Welt des Mittelalters. Als solches muß es stets
verstanden und gedeutet werden, gleichgültig wie man zu den Ansichten und
Thesen des Werkes im einzelnen auch stehen mag. Seine bleibende Bedeutung
bezieht Macchiavellis Werk jedoch vor allem aus der Tatsache, daß sein Autor
aus einer intimen Kenntnis der politischen Wirklichkeit seiner Zeit in einer
zeitlosen Weise das Wesen der politischen Machtausübung in der Neuzeit
offengelegt hat, wobei die Einzelheiten ob der kaltschnäuzigen Rationalität der
Darstellung die Betrachter zu allen Zeiten beunruhigt haben und wohl immer
beunruhigen werden.
Salzburg
Arno
Buschmann