Hinrichs, Ernst, Fürsten und Mächte. Zum Problem des europäischen Absolutismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000. 279 S., 10 Abb.

 

Dieses Buch ist deswegen so schwer zu beurteilen, weil es vom Absolutismus als bestimmendem Faktor der europäischen Geschichte handelt, aber nie bereit ist, zu definieren, was unter Absolutismus als Staatsform zu verstehen ist. Das Buch gehört daher in die Reihe einer internationalen Diskussion, die sich aus verschiedensten Beweggründen am Begriff Absolutismus reibt, ohne sich jemals die Mühe zu machen darzulegen, wie man sich eine absolutistische Herrschaft vorzustellen hat. Absolutismus ist ein Begriff, der im 19. Jahrhundert aufkam und lange Zeit als eine einleuchtende Erklärung für das Herrschaftssystem des 17. und 18. Jahrhunderts galt. Wie eine solche Herrschaft konkret aussah, das ist offenbar nie definiert worden. Selbst das Werk von Conze und Koselleck „Geschichtliche Grundbegriffe“ lässt einen da im Stich: Es fehlt ein Artikel „Absolutismus“.

 

Der Absolutismus ging aus von bedeutenden Herrschern, die entscheidend die Entwicklung von Beamtenschaft, stehendem Heer, einer als Merkantilismus bzw. Kameralismus bezeichneten Wirtschaftsordnung und die Domestizierung des Adels vorantrieben. Hinrichs belässt es bei einer Aufzählung bedeutender Herrscher, ohne daß er die Besonderheiten ihrer Reformen hervorhebt. Von den Persönlichkeiten, die als Schöpfer oder Vorbild des Absolutismus zu nennen wären und der Regierungsform Absolutismus ihren Namen gaben, ist nur ganz am Rande die Rede. Auch greift Hinrichs zeitlich mit Heinrich IV. von Frankreich und Philipp II. von Spanien zu weit in das 16. Jahrhundert aus, um den besonderen Anteil absolutistischer Herrschaft klar abzugrenzen, die man mit Ludwig XIV. als Begründer absolutistischer Regierung beginnen lassen sollte.

 

Hinrichs schildert dann die Entwicklung der vier oben genannten Einrichtungen. In dieser klar gegliederten und präzise formulierten Darstellung liegt der Vorteil dieses Buches. Man wird sie in dieser Kürze und Prägnanz sonst nirgends finden. Hinrichs will das, was bisher mit Absolutismus bezeichnet wurde, frühneuzeitlichen Fürstenstaat nennen. Er übersieht aber, daß eine Bürokratie, das stehende Heer und eine moderne Wirtschaftspolitik von Fürsten initiiert und verwirklicht wurden, die diese Reformen in eigener Verantwortlichkeit durchführten. Um eine solche Regierungsart vorzustellen, eignet sich der Begriff Absolutismus besser als der des frühneuzeitlichen Fürstenstaates. Denn es geht nun einmal um die Leistung eines in seinen Entscheidungen freien Herrschers, der sich nur sich selbst und Gott gegenüber verantwortlich fühlte. Diese Tatsache wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß neuere Forschungen, die sich mit den Unterschichten beschäftigen, auf ständische Relikte gestoßen sind, die den Staat in den Augen der Untertanen weniger absolutistisch erscheinen ließ. Das Weiterexistieren ständischer Einrichtungen bei der Verwaltung im unteren Bereich, z. B. in dem riesigen Flächenstaat Frankreich, ist kein Argument gegen den Begriff Absolutismus, denn - von England abgesehen - ist es den Ständen nirgends gelungen, die Entscheidungen des Herrschers in einem absolutistischen Staat mitzubestimmen. Dass der Absolutismus in der zweiten Generation häufig eine Fiktion blieb und die Personen, die für Bürokratie und Wirtschaft zuständig waren, die eigentlich Regierenden waren, ändert nichts daran, daß nach außen der absolute Herrscher die Macht ausübte. Dass die enorm gestiegenen Kosten eines solchen Staates nicht von den Ständen bewilligt, sondern von oben bestimmt und eingetrieben wurden, sodass Hinrichs von einem Steuerstaat spricht, war sicher die Schwäche dieser Einrichtung, ob man sie nun Absolutismus oder frühneuzeitlichen Fürstenstaat nennt.

 

Gewinnt man eigentlich viel, wenn man etwas, was hundertundfünfzig Jahre lang Absolutismus genannt wurde, mit frühzeitlichem Fürstenstaat bezeichnet? Gerade beim aufgeklärten Absolutismus zeigte sich, wie stark das absolutistische Element ausgeprägt war. Die Reformen wurden nach den Ideen der Aufklärer von oben vom Herrscher dekretiert. Daß einige Herrscher, wie Joseph II., mit ihren Reformen zu weit gingen, und sie dann wieder zum überwiegenden Teil zurücknehmen mußten, weil die Gesellschaft sie ablehnte, ist kein Argument gegen den Absolutismus. Alle Fürsten des aufgeklärten Absolutismus, einschließlich Josephs II., verzichteten dann auf ihre Reformen, wenn ihre absolute Herrschaft in Gefahr geriet. Sie allein bestimmten, welche Reformen eingeführt wurden. Als Ludwig XVI. dasselbe versuchte, machten ihm die französischen Aufklärer schnell klar, daß ihnen die vom König in Angriff genommenen Reformen nicht genügten. In Frankreich drängten die Menschen zur Revolution.

 

So ist am Ende der Eindruck dieses Buches zwiespältig. Hinrichs gibt einen guten, ganz Europa erfassenden Überblick über die Entwicklung zum modernen Staat in der frühen Neuzeit. Sein Plädoyer, den Begriff Absolutismus gegen den noch weniger aussagekräftigen Begriff frühneuzeitlichen Fürsten- oder Dynastenstaat auszutauschen, überzeugt nicht, auch wenn einzuräumen ist, daß die Bezeichnung Absolutismus präziser gefasst werden sollte.

 

München                                                                                        Karl Otmar Freiherr von Aretin