Henselmeyer, Ulrich,
Ratsherren und andere Delinquenten. Die Rechtsprechungspraxis bei geringfügigen
Delikten im spätmittelalterlichen Nürnberg (= Konflikte und Kultur –
Historische Perspektiven 6). UVK, Konstanz 2002. 211 S.
In
seiner Bielefelder geschichtswissenschaftlichen Dissertation handelt Ulrich Henselmeyer einerseits – relativ knapp – verschiedene
Deliktsgruppen ab. Das sind „Wortdelikte“, „Tätlichkeiten“, Vergehen gegen die
Obrigkeit, solche im Amt, gegen die Ordnung und Wirtschaftsdelikte. Quasi
umrahmt sind diese Detailanalysen andererseits von der Untersuchung der
normativen Regelungen und gerichtlichen Praxis hinsichtlich Sanktion, Gnade und
der Begrenzung von Konflikten im Nürnberg des 15. Jahrhunderts.
Für die
Jahrhundertmitte bezeichnet der Autor den mittelalterlichen Friedensgedanken
geradezu als „Leitmotiv“ der Strafverfolgung (S. 176). Dies erklärt die
pragmatische Anwendung des Rechts, das Gewähren von Gnade oder Aufschub und die
Berücksichtigung individueller Verhältnisse bei der Zumessung von Fristen. In
den Genuss der Vergünstigung, den Zeitpunkt des Haftantritts innerhalb einer
gewissen Zeitspanne selbst zu bestimmen, kam immerhin jeder siebte Verurteilte.
Der Strafanspruch blieb jedoch bestehen. Eine Überziehung der eingeräumten
Frist wurde nicht geduldet.
Fürbitten
bewirkten in der Regel die Umwandlung der Sanktion von einer unehrenhaften in
eine ehrenhafte Strafe. Dabei war der soziale Status des Fürbitters ganz
entscheidend für den Erfolg. Und ohne die Wahrung der angemessenen Form bestand
keine Aussicht auf den erhofften Gnadenerweis. Henselmeyer
gelangt aber zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass Fürbitten „eher die Ausnahme“
waren (S. 144). Um das Gleichgewicht zwischen Gnade und Sanktion ausgewogen zu
erhalten, erließ der Rat 1482 gar eine Verordnung, in der Gnadengesuche für
Verurteilte unter Strafe gestellt wurden – ohne großen Erfolg.
Gnade
stand dabei nicht im Gegensatz zu Recht. Das Ausmaß möglicher Gnadenerweise war
ebenso in den Satzungen verankert – bzw. umgekehrt der Teil der Strafe, der auf
keinen Fall erlassen werden durfte – wie die Höhe der Strafen. Gnade wurde
gezielt zur Vermeidung von Härten oder Ungerechtigkeiten eingesetzt.
„Städtisches Satzungsrecht war aus diesem Blickwinkel eine Orientierungsmarke
der städtischen Gerichte, von der die Ratsherren kraft ihrer Strafgewalt
abweichen konnten“ (S. 154).
Hinsichtlich
der Sanktionsarten ist die Dominanz des Freiheitsentzugs mit einem Anteil von
76% in den 1430er Jahren bemerkenswert. Dabei waren Geldbußen bei geringfügigen
Delikten im Falle von Zahlungsunfähigkeit nicht durch Inhaftierung
substituierbar, allenfalls durch Körperstrafen. In den Satzungen dagegen
herrschten die Geldstrafen vor. Durch Geldzahlungen ablösbar wurde die
Inhaftierung erst in der zweiten Jahrhunderthälfte.
Eine
ebensolche Divergenz zwischen Norm und Praxis konstatiert der Verfasser
hinsichtlich der großen Vielfalt freiheitsentziehender
Sanktionen, die in den Satzungen keinen Niederschlag fanden. Diese
unterschieden nur zwischen Inhaftierung im Turm für Bürger und im Loch –
Kellerräumen unter dem Rathaus – für andere Delinquenten. In der Praxis wurden
zusätzlich die Kammer, der Gang, der Hausarrest und das Anketten an die Bank
verhängt; die beiden letztgenannten Formen galten als weniger streng und wurden
für Frauen ausgesprochen, an die Bank gekettet wurden aber nur Frauen, die kein
Bürgerrecht besaßen. Das „versperrte kemmerlein“ auf
dem Turm blieb der reichsstädtischen Elite vorbehalten (S. 51). Die härteren
Bedingungen der Lochhaft für die Nichtbürger unter
den Männern wurden dadurch aufgewogen, dass Bürger für dasselbe Delikt doppelt
so lang auf den Turm mussten.
Auch
aus obrigkeitlicher Sicht stellte nicht die Vollstreckung der Strafe den
Abschluss dar. Ziel war die Beilegung des zugrunde liegenden Konfliktes und
dazu gehörte „eine langfristig wirksame Komponente des Ausgleichs zwischen
allen Beteiligten“ (S. 153), sie mussten also gegenseitige Freundschaft
schwören. Und somit zeigt sich auch hier der Friede als das eigentlich
angestrebte Ziel.