Hardenberg, Karl August von, 1750–1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen, hg. v. Stamm-Kuhlmann, Thomas (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 59). Boldt, München 1999. 1108 S.

 

Der am 31. Mai 1750 im niedersächsischen Essenrode, dem Gut seines damals schon 49-jährigen Vaters Friedrich Karl, Oberst eines hannoverschen Infanterieregiments, geborene Karl August von Hardenberg gehört zu den bedeutendsten Gestalten der preußischen und deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Nach einer wechselreichen Amtslaufbahn im Kurfürstentum Hannover, in London und im Herzogtum Braunschweig trat er 1790 als Premierminister für die Exklaven Ansbach und Bayreuth in preußische Dienste. Die für beide Seiten schicksalhafte Bindung blieb, nur durch die von Napoleon erzwungenen Entlassungen unterbrochen, bis zu seinem Tod 1822 bestehen.

 

Als Staats- und Kabinettsminister, Innnen-, Finanz- wie Außenminister und schließlich auf dem Höhepunkt seiner Macht seit 1810 als Staatskanzler hat Hardenberg die preußische Außenpolitik vom Baseler Frieden über den Frieden von Tilsit, die Allianz von Chaumont, den Wiener Kongress bis hin zu den europäischen Restaurationskongressen nach 1815 wesentlich geprägt. Und zu Recht verbindet sich sein Name mit dem großen Umbau von Staatsverwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft nach der Katastrophe von 1806, da die meisten Reformdekrete von ihm konzipiert oder politisch durchgesetzt wurden. Wie kein anderer kämpfte er, letztlich vergeblich, darum, das Reformwerk durch eine adäquate Mitbestimmung des Volkes im Rahmen einer gesamtpreußische Verfassung zu krönen. Die Veröffentlichung der „Tagebücher und autobiographischen Aufzeichnungen“ dieses Politikers bedarf daher keiner weiteren Begründung, zumal immer noch eine wissenschaftliche Biografie fehlt.

 

Thomas Stamm-Kuhlmann leitet Hardenbergs Aufzeichnungen durch einen 50-seitigen Lebensabriss ein, der sich vorwiegend auf diese stützt. Daher tritt in der flüssig geschriebenen und auf die wichtigsten Stationen konzentrierten Darstellung auch das Persönliche stark hervor: die Beziehungen des Politikers zu seinen Mitarbeitern und das Ringen mit seinen Rivalen; die drei Ehen und zahlreichen Liebschaften; der adlige Lebensstil mit Jagden, Bällen und Kultur. Dessen materielle Grundlage waren die Güter, deren Pflege nach agrarwissenschaftlichen Erkenntnissen Hardenberg ein Anliegen war. Dazu kam das Einkommen aus dem Staatsdienst, das zu gelegentlichen Auseinandersetzungen führte. In der Außenpolitik skizziert ihn Stamm-Kuhlmann als gewieften Diplomaten, der Preußens Anlehnung an Russland förderte, dennoch die Fäden zu dem mächtigen Frankreich, gegen das er zugleich verdeckt arbeitete, nicht abreißen ließ. Ganz auf den Erhalt des europäischen Gleichgewichts fixiert, habe er auf dem Wiener Kongress ausgleichend gewirkt, in diesem Sinne auch schon den kommenden Deutschen Bund skizziert und schließlich die folgende Restaurationspolitik halb aus Überzeugung, halb aus Zwang mitgetragen.

 

Besonders lag ihm am Herzen - und auch davon gibt das vorliegende Tagebuch Zeugnis - seine Mitverantwortung am Niedergang Preußens herunterzuspielen. Das ist nicht ganz ohne Ironie, verdankte Hardenberg seine exzeptionelle Machtstellung als Staatskanzler, die Grundlage des Reformwerks war, allein dieser Katastrophe und insbesondere dem drohenden Staatsbankrott. Das betont der Herausgeber mit Nachdruck. Ebenso deutlich macht er, gestützt auf die Edition, dass Hardenberg und seine Mitarbeiter das Verfassungsprojekt niemals aufgegeben hätten und dass König wie Kronprinz für dessen Scheitern verantwortlich seien. In diesen aufschlussreichen Passagen ist die zu zurückhaltende Auseinandersetzung mit der Forschung besonders bedauerlich.

 

Der Text, der hier als „Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen“ ediert wird, weist einige Schwierigkeiten und Besonderheiten auf. Seine Einheit rührt nicht von seinem Verfasser her, sondern wurde durch die Anordnung der Archivare des Geheimen Staatsarchivs hergestellt. Von dem, was diese zur „Nachlassrepositur 92 Hardenberg“ zusammenfassten, wurden die Anlagen zu den Memoiren Hardenbergs (L 1-L 19) weggelassen, da diese bereits von Ranke 1877 zusammen mit den „Memoiren“ (von Hardenberg lediglich als Entwurf gedacht) veröffentlicht worden sind. Die verbliebenen 24 Faszikel (L 20-L 44) sind Aufzeichnungen Hardenbergs, die sein ganzes Leben umfassen, einschließlich einiger von Stamm-Kuhlmann im Brandenburgischen Landeshauptarchiv gefundener Splitter über Geburt und Kindheit. Diese Notate sind teils lapidare Tagebucheintragungen, teils nachträgliche Zusammenfassungen mehrerer Tage („autobiographische Aufzeichnungen“); das meiste davon ist später nochmals überarbeitet und korrigiert worden. Daraus zieht Stamm-Kuhlmann den naheliegenden Schluss, dass es sich um Vorarbeiten Hardenbergs zu seiner wohl seit 1807 geplanten Autobiografie zur Rechtfertigung seiner Politik handelt; davon hat er aber wohl nach seiner Berufung zum Staatskanzler Abstand genommen. Aus den „Tagebüchern“ hat unter anderem auch schon Ranke für seine Edition geschöpft, nach Ansicht des Herausgebers aber unzulänglich und nur sporadisch. Dafür vergleicht dieser jetzt die von ihm edierten Tagebucheintragungen mit den zeitgleichen Abschnitten der von Ranke herausgebrachten „Memoiren“ und „Denkwürdigkeiten“, da er vermutet, dass jene Vorarbeiten zu diesen waren und sich dabei aufschlussreiche Differenzen zeigen.

 

In der Textgestaltung folgt Stamm-Kuhlmann weitgehend den Richtlinien von Johannes Schultze aus dem Jahre 1962, die für die Herausgabe neuzeitlicher Quellen inzwischen normbildend geworden sind. Er gestattet sich allerdings einige Eigenheiten, welche die Lektüre nicht erleichtern. Zum einen wird der Fluss des Textes dadurch gestört, dass in ihn immer wieder die Nachträge, Verbesserungen und Markierungen Hardenbergs in spitzer Klammer eingefügt werden. Die Hinweise auf Streichungen und Unterstreichungen sind hingegen zusammen mit dem Kommentar in die Anmerkungen gepackt, was ein ständiges Auf und Ab bei der Lektüre verlangt. Durch die Benutzung von unterscheidenden Drucktypen wäre das Problem leicht lösbar gewesen. Dennoch muss die große Mühe, die in die Textwiedergabe gesteckt wurde, hervorgehoben werden. Denn zusätzlich wird jedes Faszikel ausführlich beschrieben und der Beginn jeder neuen Seite vermerkt, so dass sich der Benutzer ein Bild von deren Aussehen machen kann. Erfreulich wäre es gewesen, wenn einige Faksimiles beigegeben worden wären.

 

Die meist in Deutsch oder Französisch, selten auch mal in Lateinisch, gemachten Eintragungen sind von recht unterschiedlichem Wert. Bis etwa 1806 sind sie so lapidar und teils apokryph, dass ihnen wenig zu entnehmen ist. Danach werden sie, von gelegentlichen Rückfällen abgesehen, deutlich umfangreicher und zusammenhängender, so dass ihr Quellenwert für den historisch wichtigsten Lebensabschnitt steigt; nicht zuletzt durch die in den Anmerkungen angeführten Parallelen aus den „Memoiren“. Von diesen in ansprechender Form veröffentlichten autobiografischen Notizen werden also vor allem Ergänzungen zum bisherigen Bild Hardenbergs zu erwarten sein; gewiss mehr zur Person und ihrem Umfeld als zur Politik.

 

Die Kommentierung beschränkt sich fast ganz auf die Erläuterung von Personen und Orte. Angesichts der Tatsache, dass Komponisten und Librettisten jeder Oper, die Hardenberg besucht hat, ermittelt wurden, fällt umso mehr auf, dass sonst jeglicher Sachkommentar - wie auch ein Sachregister - fehlt und über manche schwer verständliche Stelle, die wohl auch einem so guten Kenner wie dem Herausgeber unverständlich geblieben ist, wird mit Stillschweigen hinweg gegangen. Unverständlich ist, dass ein Abkürzungsverzeichnis fehlt.

 

Eichstätt                                                                                             Karsten Ruppert