Gruchmann, Lothar, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. 3. Aufl. (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 28). Oldenbourg, München 2001. XL, 1309 S.

 

Die 1988 erstmals, 1990 in 2. Auflage erschienene, inzwischen zum Standardwerk gewordene Darstellung Gruchmanns über die Justiz unter dem Nationalsozialismus liegt nunmehr in 3. Auflage vor. Der Wert der Neuauflage - das Werk war seit geraumer Zeit vergriffen - ist vor allem in dem ausführlichen Literaturnachtrag für die Veröffentlichungen zu sehen, welche die im Werk behandelten Sachbereiche betreffen. Zu der neuen Literatur gehören neben einschlägigen Biographien auch die zahlreichen oft regionalen Untersuchungen zur Strafrechtsjudikatur. Mit Recht hat Gruchmann den Text des Werkes nicht revidiert bzw. grundlegend verändert. Einige Ergänzungen ergaben sich daraus, dass Gruchmann erst nach der Wiedervereinigung die Bestände des Reichsjustizministeriums aus dem ehemaligen Zentralen Staatsarchiv Potsdam (heute im Bundesarchiv Berlin) zugänglich wurden. Einige Textstellen, die Missdeutungen ausgesetzt waren, wurden neu formuliert. Auf neuere Arbeiten hat Gruchmann im wesentlichen nur in den Fußnoten hingewiesen. Sofern archivalische Quellen inzwischen veröffentlicht wurden, sind die entsprechenden Fundstellen nachgewiesen. Das Werk schildert primär aus der Sicht der fast vollständig erhaltenen Akten des Reichsjustizministeriums die nationalsozialistische Justiz von 1933 bis Anfang 1940. Nach einer ausführlichen Beschreibung des Werdegangs und der Persönlichkeit des Reichsjustizministers Franz Gürtner folgen Abschnitte über den Aufbau der zentralen Justizverwaltung, über die Personalpolitik bei der Rechtspflege und im Reichsjustizministerium sowie über die Verfolgung von Straftaten von Angehörigen der „Bewegung“ unter besonderer Berücksichtigung Preußens und Bayerns. Diese Problematik kommt dann auch im 5. Kapitel zur Sprache (Röhm-Aktion; Reichskristallnacht und Euthanasieaktion). Im 6. Kapitel ist das Verhalten der Justiz zur Polizei und SS (Schutzhaft; Konzentrationslager; Einwirkungen auf schwebende Verfahren; vorbeugende Verbrechensbekämpfung) behandelt.

 

Dem Ministerium gelang es zu keiner Zeit und seit Ende der 30er Jahre immer weniger, die Gestapo und SS einer strafrechtlichen Kontrolle zu unterstellen. Die beiden abschließenden Abschnitte beschreiben ausführlich die Gesetzgebung und umfassenden Reformpläne des Ministeriums auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrens. Bahnbrechend war seinerzeit die detaillierte Beschreibung der Arbeiten der beiden Strafprozesskommissionen und der amtlichen Strafrechtskommission, bei deren Analyse zunehmend auch wohl epochenübergreifende strafrechtliche Entwicklungen in das Blickfeld der strafrechtsdogmatischen Forschung gekommen sind. Die Probleme des materiellen Zivilrechts hat Gruchmann nur auf wenigen Seiten (S. 925-930) unter der Überschrift: „Die Pläne und Wege zur Umgestaltung des Bürgerlichen Rechts 1933-1940: Ausnutzung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches und Erlaß von Einzelgesetzen“ behandelt. Wie Gruchmann schon in der Einleitung von 1988 ausgeführt hat, würde die Behandlung allein schon des genannten Rechtsgebiets mit seinen verzweigten Gebieten - man denke nur an die Reformarbeiten für das Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Patentrecht), des Ehe-, Familien- und Erbrechts (hierzu hat Gruchmann Aufsätze in der ZNR 1985, S. 53ff.; 1989, S. 63ff. vorgelegt) und des Verschollenheitsrechts usw. - den Rahmen der Arbeit gesprengt haben. Es ist zu hoffen, dass die Arbeiten der Abteilungen des Reichsjustizministeriums für bürgerliches Recht und bürgerliche Rechtspflege sowie für Handelsrecht, Verkehrsrecht, Völkerrecht und öffentliches Recht demnächst noch eine ausführlichere Darstellung finden. Auf diesen Gebieten liegen wichtige gesetzgeberische Leistungen, die - wie z. B. das Aktienrecht - die Rechtspraxis und Gesetzgebung der frühen und mittleren Bundesrepublik maßgebend mitgeprägt haben. Im Anhang sind die detaillierten Geschäftsverteilungspläne des Reichsjustizministeriums vom Oktober 1934 und vom Frühjahr 1941 abgedruckt sowie die in der Ära Gürtner amtierenden Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte zusammengestellt. Das umfangreiche Personenregister - neben dem sehr detaillierten Sachregister - zeigt, dass das Werk auch zahlreiche Einzelheiten zur Biographie der in der NS-Justiz tätigen Juristen enthält. Insgesamt hat das Werk Gruchmanns wesentlich dazu beigetragen, dass - ungeachtet der im Vorwort angesprochenen Kontroverse über die Bewertung des Reichsjustizministers Gürtner - die Arbeiten des Reichsjustizministeriums sehr differenziert zu bewerten sind. Die erneute Lektüre des Werkes dreizehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen zeigt, dass die Monographie weiterhin in dem von ihr gesteckten Rahmen als die maßgebliche Monographie über das Reichsjustizministerium gelten kann. Ein Desiderat der rechtshistorischen Forschung bleibt eine Monographie über das Reichsjustizministerium unter Franz Schlegelberger und Thierack.

 

Kiel                                                                                                               Werner Schubert