Große jüdische
Gelehrte an der Münchener juristischen Fakultät, hg. v. Landau,
Peter/Nehlsen, Hermann (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen
Grundlagenforschung 84). Aktiv Druck & Verlag GmbH, Ebelsbach 2001. VIII,
111 S.
Das schön
aufgemachte Büchlein ist aus einer Vortragsreihe an der Universität München
hervorgegangen und enthält Überblicke über Leben und Werk von sieben Juristen
jüdischer Herkunft, die an der Münchener juristischen Fakultät tätig waren:
Hans Nawiasky, Erich Kaufmann, Karl Loewenstein, Theodor Loewenfeld, Leo
Rosenberg, Ernst Rabel und Karl Neumeyer. Fünf dieser Gelehrten (Nawiasky,
Kaufmann, Rosenberg, Rabel und Neumeyer) wurden auch in dem Sammelband
„Deutsche Juristen jüdischer Herkunft“ (München 1993) gewürdigt, zwei davon von
demselben Autor, von dem auch die hier veröffentlichte Skizze stammt. In der
Sache dient das Unternehmen daher weniger dem Zweck, neue Forschungsergebnisse
vorzustellen, als vielmehr dem, Erinnerungen zu pflegen, sich der eigenen Vergangenheit
zu vergewissern und die jüngere Generation mit der facettenreichen Geschichte
der Rechtswissenschaft vertraut zu machen.
Dazu ist gerade
die Biographie ein vorzügliches Mittel. „Nichts vermag den jungen Juristen
seiner Wissenschaft besser seelisch nahezubringen als die Lektüre der
Biographien großer Juristen“, schrieb Gustav Radbruch einmal. Der Einstieg in
eine Epoche über den subjektiven Erlebnishorizont einer Person läßt die
Geschichte in ganz anderer Weise lebendig werden als die objektive
Berichterstattung über tote Fakten. Wer aufgrund des Titels „Große jüdische
Gelehrte“ Einblicke in jüdische Milieus erwartet, wird allerdings überrascht
sein, wie wenig man hier davon findet. Von manchen der „jüdischen“ Gelehrten
wird berichtet, daß sie getauft waren (Nawiasky, Rosenberg, Rabel), von
Kaufmann heißt es, daß er sich zur „aristotelisch-christlichen
Naturrechtstradition“ bekannte (S. 26), andere waren dem Judentum zwar
traditionell verbunden, aber weit entfernt von jener Form des
Verbandsjudentums, das für spezifisch jüdische Interessen Politik zu machen
versucht. Zu Juden in einem vom Deutschtum trennenden Sinn dieses Wortes wurden
die hier Dargestellten alle erst dadurch, daß ihnen dieses Etikett aufgrund
ihrer Herkunft in nationalsozialistischer Zeit angeheftet wurde. Es ist daher
eine fatale Ironie der Geschichte, daß selbst noch das Gedenken an das Unrecht,
das diesen Männern angetan wurde, der Sprache des Unrechts verhaftet bleibt.
Als
Rechtswissenschaftler gehörten die in dem Band Versammelten sehr
unterschiedlichen Richtungen an. Von Nawiasky etwa erfährt man, daß er trotz
mancher Vorbehalte „der klärenden Kraft der Reinen Rechtslehre nicht entgangen
war“ (S. 16). Von Kaufmann dagegen heißt es, daß „das Nachwirken Hans Kelsens
bei ihm höchst kritischen Unwillen erregte“ und daß er sich in Grundfragen
„verschiedentlich in schroffen Gegensatz (auch) zu Nawiasky“ setzte, wobei es
selbst zum „Austausch echter Feindseligkeiten“ gekommen sein soll (S. 20,
30f.). Dem Leser erschließt sich daher zugleich ein Strauß unterschiedlicher
Meinungen, die ein lebendiges Bild der Wissenschaft entstehen lassen, in der
die Dargestellten zeitlebens tätig waren und die sie durch ihr Wirken
wesentlich beeinflußt haben.
Was die Vorträge
innerlich zusammenbindet, ist aber ungeachtet dessen vor allem die düstere
Hintergrundmusik des Nazitums, das seine Schatten von Anfang an auch auf die
Universitäten warf. Wie man aus der von Métall verfaßten Biographie Kelsens
weiß, waren es nicht zuletzt die fanatisierten Studenten, von denen der an den
Universitäten veranstaltete Terror ausging. Ähnliches liest man bei Nawiasky
(S. 7), ähnliches auch bei Neumeyer, dessen Vorlesungen die Studenten
boykottierten, noch bevor sie auf ministerielle Weisung hin eingestellt wurden.
Neumeyers Biograph (Vogel) gewinnt daher aus den Akten „den Eindruck, als seien
in jenen Monaten die hochschulpolitischen Entscheidungen in München von den
nationalsozialistischen Studentenfunktionären getroffen und von einer
verunsicherten Bürokratie nur noch ausgeführt worden“ (S. 106). Wer das Treiben
des studentischen Mobs im Jahre 1968 in Erinnerung hat, wird sich lebhaft
vorstellen können, wie sich der akademische Bodensatz im Jahr 1933 aufgeführt
hat.
Der ältere
Leser, der einen längeren Zeitraum deutscher Universitätsgeschichte zu überblicken
vermag, wird durch das Büchlein zu mancherlei Reflexionen angeregt, die weit
über das unmittelbare Thema hinausreichen. Jüngere Leser dagegen können
erfahren, wie schwankend der Boden beschaffen ist, auf den wir unsere Urteile
gründen, und wie groß die Verantwortung, die jede Generation vor den Augen der
nächstfolgenden trägt.
Passau Johann
Braun