Grass, Nikolaus, Wissenschaftsgeschichte in Lebensläufen, hg. v. Carlen, Louis/Faußner Hans Constantin. Weidmann, Hildesheim 2001. 504 S.
Der 1946 unter Hermann Wopfner und Otto Stolz in der philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck für österreichische Geschichte und allgemeine Wirtschafts- und Rechtsgeschichte habilitierte und bis 5. Oktober 1999 in Innsbruck wirkende Rechtshistoriker Nikolaus Grass hat für sein Fach eine Reihe ungewöhnlicher Schüler der fast sprichwörtlich gewordenen Innsbrucker Schule für Almwirtschaft gewonnen, die ihm die fürsorgliche Betreuung durch über den Tod hinausreichende Anhänglichkeit danken. Nach – Festschriften zum 60. Geburtstag und zum 70. Geburtstag sowie - Königskirche und Staatssymbolik (1983), Österreichs Kirchenrechtslehrer der Neuzeit (1988), Alm und Wein (1990) und ausgewählten Aufsätzen zum 80. Geburtstag (1993) hat Hans Constantin Faußner in der ihm verbundenen Weidmannschen Verlagsbuchhandlung nunmehr zusammen mit Louis Carlen 51 seit 1954 anlässlich von Ehrungen, Geburtstagen oder Sterbedaten verfasste Lebensläufe von Gelehrten verschiedener Wissenszweige herausgegeben. Einigendes Band ist die geschickte Feder des geehrten Meisters.
Den Beginn macht ein beeindruckendes Geleitwort Louis Carlens, das den von freundschaftlicher Erinnerung und kollegialem Dank bestimmten Rahmen einleuchtend beschreibt. Dem schließt sich der zusätzliche Abdruck des einfühlsamen Nachrufs für die Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte an. Um ihn hatte Nikolaus Grass seinen Kollegen auf dem Familiensitz im Volderwald gebeten, „wenn es einmal so weit sei“.
In dieser Untersuchung ist die Breite der in fast 500 Arbeiten widergespiegelten Interessen des Gelehrten eindrucksvoll und ausführlich beschrieben. Deswegen genügt es hier, auf die im Sammelband vereinten biographischen Studien einzugehen. Auch dies kann aber nur summarisch geschehen, weil die meisterlichen Fähigkeiten vom Leser am besten unmittelbar am Stoff selbst erlebt werden können.
Im Vordergrund stehen dabei deutsche und österreichische Rechtsgeschichte. Deswegen haben die Herausgeber die Beziehungen der Geschichtswissenschaft wie der historischen Jurisprudenz zwischen der Steiermark und Tirol (Festrede anlässlich der Ehrenpromotion in Graz am 8. November 1979) an die Spitze gestellt, gefolgt von den Anfängen der historischen Schule germanistischer Richtung an der Grazer Juristenfakultät (u. a. österreichische Rechtshistoriker im Konkurrenzkampf gegen auswärtige Bewerber [1865] mit Hinweis des Grazer Rektors auf den ungünstigen Einfluss der hiesigen ausländischen Professoren und sein dadurch bedingtes – erfolgreiches - Eintreten gegen eine etwaige Verstärkung des reichsdeutschen Elements im Lehrkörper). Als einzelne Rechtshistoriker schließen sich dem Josef von Würth, Francesco Schupfer und Tullius von Sartori-Montecroce, Karl Haff, Max Rintelen, Heinrich Mitteis, Hans Lentze, Hermann Conrad, Franz Klein-Bruckschwaiger, Gustaf Klemens Schmelzeisen und Friedrich Merzbacher an.
Von der germanistischen Rechtsgeschichte aus greift Grass biographisch auf die kirchliche Rechtsgeschichte und das Kirchenrecht aus (Le Bras, Georg Schreiber, Arthur Schönegger, Gottfried Heinzel, Walter Ullmann, Ulrich Stutz und Rudolf Köstler). Von dort aus gelangt er zur Kirchengeschichte (L. A. Muratori, Andreas Posch, Georg Schreiber, J. A. Jungmann, Ferdinand Maass und Hubert Jedin). Der weitere Weg führt ihn einerseits in die Geschichte (Benediktinische Geschichtswissenschaft, Joseph Görres, Albert Jäger, Ignaz Philipp Dengel, Hermann Wopfner, Otto Stolz, Leo Santifaller, Oswald von Gschließer, Anton Haidacher, Heinrich Appelt, Hermann Wiesflecker und Max Schrott), andererseits in das geltende bürgerliche und öffentliche Recht (Heinrich Klang, Franz Gschnitzer, Adolf Julius Merkl und Franz Novak). Einen noch offeneren Kreis erschließen Landes- und Volkskunde (Matthias Mayer von Going, Hans Hochenegg, Hermann Holzmann, Anton Dörrer, Richard Weiss, Karl Finsterwalder und Georg Mutschlechner) sowie Naturwissenschaft und Medizin (Peter Anich und Claudius Martin Ritter von Scherer).
Insgesamt eröffnet sich ein weitgespanntes Spektrum, in dem sich Nikolaus Grass und verschiedenste Wissenschaften gegenseitig bereicherten. Vorbildlich zeigt der Band, welche Männer Nikolaus Grass besonders beeindruckten und mittels welcher Darstellungsweisen er seine Mitwelt besonders gefördert hat. Durch die Vereinigung der verstreut erstveröffentlichten Studien in einem auch äußerlich sehr ansprechenden Sammelband haben sich Freunde und Schüler um Nikolaus Grass und die Tiroler Rechtsgeschichte ein weiteres Mal verdient gemacht.
Innsbruck Gerhard Köbler