Fuchs,
Bengt Christian, Die Sollicitatur am
Reichskammergericht (= Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im
Alten Reich 40). Böhlau, Köln 2002. XIII, 259 S.
Der
Verfasser, ein Schüler von Wolfgang Sellert,
untersucht eine Einrichtung, die in der Praxis der beiden Höchstgerichte des
Reiches, des Reichskammergerichts und des Reichshofrates, eine wichtige Rolle
gespielt hat, die sogenannte Sollicitatur[1].
Darunter versteht man die durch eine Prozesspartei selbst oder einen
Bevollmächtigten vorgebrachte Bitte um eine rasche Erledigung eines anhängigen
Verfahrens (Verf. S. 2). Als Rechtsquellen werden die RKG-Ordnungen,
das Concept einer RKG-Ordnung
von 1613, ferner Canzleiordnungen,
Visitationsabschiede und -memorialien der
Visitationsdeputationen sowie Gemeine Bescheide des RKG-Plenums
herangezogen. Eine wichtige Quelle stellen die „Sollicitaturzettel“
dar. „Von der Sollicitatur am kayserlichen
und Reichs-Cammergerichte“ handelt eine Schrift
(Göttingen 1768) des Göttinger Staatsrechtslehrers Johann Stephan Pütter.
Der
zweite, umfangreiche Abschnitt (S. 28-221) behandelt Rechtsprobleme der Sollicitatur. Diese war in allen Verfahrensarten des Reichskammergerichts
zulässig; sie findet sich im Citations-, Mandats- und
Appellationsverfahren, ohne dass sich ein Schwergewicht in einer Verfahrensart
feststellen ließe (Verf. S. 39). Innerhalb der jeweiligen Verfahrensart wurde
die Sollicitatur hauptsächlich im Judicialabschnitt[2] und
hier nach Abschluss des Terminverfahrens von den
Parteien betrieben (S. 40). Verzögerungen des Verfahrens traten vor allem nach
Aktenschluss ein (S. 44). Die Sollicitatur war je
nach Stand des Verfahrens auf Kompilierung der Akte, Ernennung des Referenten,
Erstellung der Relation oder Vornahme der Sache und Urteilsfindung in dem zuständigen
Senat gerichtet (S. 52). Nach Beginn der Relationsarbeit durch den ernannten
Referenten sollte eine Sollicitatur nach herrschender
Auffassung im Reichskammergerichtsplenum nicht mehr zulässig sein (S. 46f.);
ein gesetzliches Verbot bestand aber nicht. In der Praxis wurde die Sollicitatur auch nach Beginn der Relation noch geduldet
(S. 48f.).
Der
Jüngste Reichsabschied von 1654, § 152 sah vor, dass die Parteien „gleich nach
diesem Reichstagsschluß wenigst
innerhalb Jahrsfrist durch ihre procuratores bei dem
Kammergericht sich anmelden und dann nach ein, zwei oder drei Monat öfters
wieder anmahnen, die assessores aber alsdann schuldig
sein, solche acta vor allen andern zu expedieren und den interessierten
Parteien zu schleunigen Rechten zu verhelfen“. Die Sollicitatur
wurde damit für die Durchführung des Verfahrens zur Voraussetzung (S. 72ff.).
Einfluss hatte sie auch auf den ordo distribuendi vel referendi, das heißt auf die Reihenfolge der Bearbeitung
der Verfahren (S. 74ff.).
Eingehend
behandelt wird der an der Sollicitatur beteiligte
Personenkreis (S. 88ff.). In erster Linie gehörte das Sollicitieren
zu den Aufgaben der Advokaten und Procuratoren (S.
101). Daneben gab es die „Sollicitanten“ im engeren
Sinne. Die RKG-Ordnung von 1500 (I, XVII), die
Ordnung von 1555 (I, XIII, § 14) und der JRA 1654, § 153 unterscheiden zwischen
Parteien, Procuratoren, Advokaten und Sollicitatoren. Diese letzteren waren nur zur
außergerichtlichen Betreibung der Prozesse befugt (S. 103). Oft standen sie in
ständigen Diensten der von ihnen vertretenen Parteien. Der Verfasser (S. 108ff., 115) sieht Wurzeln des Sollicitaturamtes
am Reichskammergericht im Gesandtschaftsrecht und im Hofzeremoniell am
kaiserlichen Hof und am Reichstag. Nach Ansicht des Verfassers (S. 17, S. 102
Anm. 505, S. 222) findet sich die Sollicitatur ausschließlich
bei Prozessen vor den höchsten Reichsgerichten. Sollicitatoren
finden sich aber auch bei territorialen Gerichten. Die österreichische
Advokatenordnung von 1638 (Codex Austriacus I, S. 19ff.)
wendet sich in der Einleitung an die beim Landmarschallischen
Gericht praktizierenden Advokaten, Procuratoren und Sollicitatoren, ohne eine Abgrenzung zwischen diesen
Berufsständen vorzunehmen. Die Sollicitatoren waren
aber wohl den Advokaten und Procuratoren
untergeordnet[3]; sie waren in den
österreichischen Ländern deren Hilfsorgane. Nikolaus Beckmann (1634-1689)[4] gibt
in seiner Idea juris statutarii et consuetudinarii Stiriaci et Austriaci cum jure
Romano collati (Graz 1688) p. 446 folgende Definition
der Sollicitatoren: Sollicitatores in Tribunalibus Stiriacis et Austriacis sunt Advocatorum adjuncti, et ministri, quorum opera Advocati, in causarum controversarum tractatione, quoad leviores expeditiones utuntur, ne Advocati alias nimium
a suis meditationibus abstrahantur, vel impediantur. Die Steirische Gerichtsordnung von 1622
bestimmte, dass ebensoviele Sollicitatoren
wie Procuratoren an der Landschranne
gehalten werden sollen[5]. In
Österreich verschwanden die Sollicitatoren in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; mit der besseren Ausbildung des
staatlichen Unterbeamtentums wurden sie wohl überflüssig[6].
Die Sollicitatur am Reichskammergericht ist durch häufige
missbräuchliche Anwendung, durch mehrere Korruptionsaffären, in Verruf gekommen
(dazu Verf. S. 177ff.).
Der
dritte Abschnitt (S. 222-236) umfasst neben den Schlussbemerkungen mehrere
Urteile gegen bestochene Assessoren. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis,
Verzeichnisse der gedruckten Quellen, der verwendeten Archivalien und Repertorien beschließen die Arbeit.
Dem
Verfasser ist es gelungen, ein Institut von großer praktischer Bedeutung für
das reichskammergerichtliche Verfahren in fundierter und zugleich anschaulicher
Weise aufzuzeigen und darzustellen.
Graz Gunter Wesener
[1]W. Sellert,
Sollizitieren, HRG IV (1990) S. 1699ff.; zur Sollicitatur am Reichshofrat Sellert,
Prozessgrundsätze und Stilus Curiae
am Reichshofrat ( 1973) 332ff.
[2]Dazu B. Dick, Die Entwicklung des
Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555
(1981) 148ff.
[3]F. Kübl,
Geschichte der österreichischen Advokatur (Graz 1925; 2. Aufl. Wien 1967) 53,
55; vgl. G. Wesener, Das innerösterreichische Landschrannenverfahren im 16. und 17. Jh. (Graz 1963) 37ff.
[4]Zu diesem G. Wesener,
in: W. Brauneder (Hg.), Juristen in Österreich
1200-1980 (1987) 49ff., 311f.
[5]Wesener, Landschrannenverfahren
(o. Anm. 3) 39.
[6]Kübl, Geschichte der österreichischen
Advokatur (o. Anm. 3) 78.