Die von
Hans-Jürgen Becker betreute Regensburger juristische Dissertation stellt
systematisch die komplizierten Gerichtsverhältnisse der niederbayrischen Stadt
Straubing dar, in der die Rechte und Interessen des Augsburger Domkapitels als
Grundherr, der bayerischen Herzöge und schließlich der Stadtgemeinde
aufeinander treffen. Bei ihren Untersuchungen stützt sich die Verfasserin auf
bereits veröffentlichte Quellen des untersuchten Zeitraumes sowie auf Vorarbeiten
des 19. und 20. Jahrhunderts.
Im
ersten Teil erhält der Leser zunächst einen kurzen Überblick über die
Geschichte Straubings, das seit 1255 Sitz des unteren niederbayrischen Vitztumsamtes und damit Regierungsstadt war. Dabei ist für
das zu behandelnde Thema von Bedeutung, dass das Augsburger Domkapitel bis 1536
die Grundherrschaft über die Altstadt und die 1218 gegründete Neustadt
innehatte, während den bayerischen Herzögen als Landsherren die Stadtherrschaft
zukam. Die daneben nach mehr Selbständigkeit strebende Stadtgemeinde erwarb
erst 1536 die Rechte des Domkapitels. An diese historische Einführung schließt
die Verfasserin eine Beschreibung der benutzten Quellen an, darunter das
Salbuch des Hochstifts Augsburg von 1444, das Rote Buch der Stadt Straubing
(eine Stadtrechtsaufzeichnung um 1472 mit späteren Zusätzen) sowie in einem
Urkundenbuch von Fridolin Solleder (1911–1918)
zusammengestellte Einzelurkunden. Fortlaufende Aufzeichnungen über die
gerichtliche Tätigkeit sind 1780 durch einen Stadtbrand weitgehend vernichtet
worden und für den untersuchten Zeitraum nur noch aus den Jahren 1556 bis 1559
vorhanden. Nicht erhalten ist auch eine vermutlich 1280 erlassene Handfeste
Herzog Heinrichs I.
Im
zweiten Teil ihrer Arbeit behandelt Forster zunächst das domkapitularische
Propsteigericht: Es wurde vom Oberpropst, meist aber von einem Unterpropst, der
Straubinger Bürger war, geleitet. Die Urteilsfindung oblag Beisitzern, deren
Zusammensetzung und Zahl nach den Ermittlungen der Verfasserin variierte, wobei
sie die Auffassung vertritt, dass nur ein einstimmiges Urteil die erstrebten
Rechtswirkungen entfalten konnte. Weitere Funktionsträger des Propsteigerichts
waren der Fronbote, der Vogt sowie der sogenannte Simonkastner, der als Treuhänder bei der Übertragung domkapitularischer Grundstücke tätig wurde. Aufgrund dieser
Aufgabe bevorzugt die Verfasserin zutreffend die Herleitung des Wortes „Simon“
von (mhd.) salman. Zuständig war das Propsteigericht für
zivilrechtliche Klagen aller Art, wenn der Beklagte Insasse des
Propsteigebietes war, sowie für Streitigkeiten über dort belegene
Grundstücke. Die Verfasserin verneint die Möglichkeit, die Zuständigkeit des
Propsteigerichtes durch Parteivereinbarung zu begründen, da dies dem
mittelalterlichen deutschen Recht fremd gewesen sei. Wenn die Verfasserin auch
keine Prorogationsfälle für das Propsteigericht vorgefunden
hat, so ist ihre Begründung in dieser Allgemeinheit dennoch nicht überzeugend,
da im Spätmittelalter genügend Beispiele derartiger Vereinbarungen vorliegen.
Im strafrechtlichen Bereich stand dem Propsteigericht die niedere
Bußgerichtsbarkeit zu, in Fällen der hohen Gerichtsbarkeit, die von den
landesherrlichen Gerichten zu richten waren, war dem Propst eine Geldbuße
verfallen, sofern der Täter Insasse der Propstei war.
Danach
beschreibt Forster die landesherrlichen Gerichte. Deren oberstes war das
Hofgericht, das in der Regel in Straubing tagte. Ihm saß als Vertreter des
Herzogs der Vitztum (lat. vicedominus) vor,
während das Urteil von Beisitzern gefunden wurde. Auch hier kommt die
Verfasserin zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Beisitzer wechselte. Das
Hofgericht war in zivilrechtlichen Streitigkeiten wegen des Grundsatzes der
Standesgleichheit erstinstanzlich zuständig für Klagen gegen Adlige, ferner für
Klagen gegen einige privilegierte Klöster, landesherrliche Beamte sowie die
Stadt Straubing selbst. In zweiter Instanz stand das Hofgericht über den niederen
Gerichten wie dem Landgericht und dem Stadtgericht. Wie anhand eines Falles aus
dem Jahre 1424 zu belegen ist, verwies das Hofgericht dabei die Sache mit
bindender Weisung an das untere Gericht zurück. Im 15. Jahrhundert konnten
ferner sowohl die Parteien als auch das Untergericht vor der erstinstanzlichen
Entscheidung beim Hofgericht eine Unterweisung einholen, eine Parallele zu den
mittel- und norddeutschen Oberhofzügen derselben Epoche. Auf strafrechtlichem
Gebiet übte das Hofgericht die Hochgerichtsbarkeit in Malefizsachen
aus, für die die Verfasserin eine interessante beispielhafte Aufzählung in
einer Urkunde Herzog Albrechts IV. von 1497 vorfindet.
Unter
dem Hofgericht stand das Landgericht, in dem der Oberrichter den Vorsitz
führte. Aufgrund eines Privilegs aus dem Jahre 1307 hatte die Stadt Straubing
bei der Einsetzung des Richters durch den Herzog ein Vorschlagsrecht, das
allerdings dadurch relativiert wurde, dass die Herzöge wiederholt der
Bürgerschaft die Benennung eines bestimmten Kandidaten nahelegten.
Der Oberrichter teilte sich seine Aufgaben mit einem Unterrichter. Die
Urteilsfindung oblag wiederum Beisitzern. Forster weist aber auch aus dem Jahre
1568 einen Fall nach, in dem der Vitztum dem
Oberrichter und den Beisitzern die Entscheidung einer Malefizsache
anwies. Daneben gehörten zum Landgericht noch der Gerichtsschreiber und ein
Fronbote. Das Landgericht war u. a. zuständig für Auflassungen im
Landgerichtsbezirk belegener Grundstücke und übte die
hohe und niedere Zivilgerichtsbarkeit sowie die strafgerichtliche
Hochgerichtsbarkeit aus.
Seit
dem Ende des 15. Jahrhunderts stand unter dem Landgericht auf den
landesherrlichen Gütern das Kastengericht unter dem Vorsitz des Kastners, das Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit
erfüllte sowie für die Ahndung niedergerichtlicher Delikte und offenbar für
Streitigkeiten geringerer Bedeutung zuständig war. Daneben bestand eine
niedergerichtliche Zuständigkeit grundherrlicher Hofmarksgerichte, in deren
Bereich das Landgericht ausgeschlossen war.
Die
Verfasserin widmet sich sodann ausführlich dem landesherrlichen Stadtgericht,
dessen Gerichtsbarkeit im Bereich des sogenannten
Burgfriedens bestand. Dieser Behörde stand der auf Vorschlag der Bürgerschaft
vom Herzog eingesetzte Oberrichter vor, der zugleich den Vorsitz im Landgericht
innehatte. Dadurch war das Gericht zugleich landesherrlich und städtisch. Der
Oberrichter wurde auch hier häufig von einem Unterrichter vertreten. Die
Urteilsfindung oblag einer wechselnden Zahl von Beisitzern, die sich meist aus
dem inneren oder äußeren Rat der Stadt rekrutierten. Vor dem Stadtgericht fand
die Aufgabe von Grundstücken im Burgfrieden statt, wobei hier ebenfalls der Simonkastner als Treuhänder fungierte. Im Bereich der streitentscheidenden Zivilgerichtsbarkeit war dem
Stadtgericht die hohe und niedere Gerichtsbarkeit zugewiesen. Die persönliche
Zuständigkeit erfasste die Bürger und sonstigen Einwohner des Burgfriedens,
ansonsten galt auch hier die Regel des forum rei sitae für im Burgfrieden
gelegene Grundstücke. Die strafrechtliche Blutgerichtsbarkeit wurde sowohl vom
Oberrichter als auch vom Unterrichter ausgeübt. Die Verfasserin erkennt bei der
Aburteilung der mit dem Tod bedrohten Malefizsachen ein
Vorverfahren mit peinlicher Befragung des Verdächtigten, anschließend zwei
heimliche Verfahrensabschnitte und schließlich den endlichen Rechtstag. Das
Urteil wurde im zweiten heimlichen Verfahren, also schon vor dem endlichen
Rechtstag gefunden. Die Verfasserin stützt ihre Ansicht, dass bei der
Urteilsfindung der städtische Rat und der Oberrichter zusammenwirken mussten,
auf einen Gerichtsbucheintrag von 1557, in dem das Urteil mitgeteilt wird mit ainhellig stim Zum Stranng. Dass der Oberrichter dabei mitgestimmt
hatte, lässt sich daraus zwar nicht zwingend ableiten, immerhin spricht aber
für die vertretene Ansicht, dass der Oberrichter als zugleich landesherrlicher
Beamter den Blutbann nicht vollends den städtischen Beisitzern überlassen haben
wird. Bei mit Leibesstrafen bedrohten Delikten ist zudem klar belegt, dass der
Unterrichter zusammen mit den Beisitzern abstimmte, so dass bei den schwereren,
todeswürdigen Taten nichts anderes gegolten haben kann. Dieser Befund
entspricht im Übrigen Art. 81 der Constitutio Criminalis Carolina.
Abschließend
befasst sich Forster mit den Rechtspflegeaufgaben des Rates, der aus einem
inneren und einem Anfang des 15. Jahrhunderts entstandenen äußeren Gremium
bestand. Den Ratsvorsitz führte der Kammerer, den die
Gemeinde aus dem Kreis der inneren Räte wählte. Die gerichtlichen Funktionen
des Rates lagen einerseits in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, etwa der
Genehmigung von Grundstücksveräußerungen an Juden, in der Nachlassregelung, dem
Vormundschaftswesen oder in der Erteilung von Heiratsbewilligungen. Auf dem
Gebiet der streitigen Gerichtsbarkeit hebt die Verfasserin den Erlaß von Zahlungsbefehlen hervor, die ergehen konnten,
wenn der Schuldner die Schuld außergerichtlich anerkannt hatte. Daneben erwähnt
sie das Verfahren vor dem Rat als Schiedsgericht. Die strafrechtliche
Zuständigkeit des Rates beschränkte sich auf die Niedergerichtsbarkeit.
Im
Verhältnis zur Gerichtsverfassung behandelt die Autorin im dritten Teil das
Zivilprozessverfahren nur knapp und unter Beschränkung auf das Stadtgericht.
Aus dem Roten Buch geht hervor, dass der Beklagte die Ladung zum ersten Termin
folgenlos unbeachtet lassen konnte, dass jedoch bei Säumnis im zweiten Termin
der Klage stattgegeben wurde. Dies weicht von der in anderen Teilen des Reiches
herrschenden Rechtslage ab, nach der dem Beklagten erst die Versäumung eines
dritten Termins schadete. Immerhin konnte der auf die zweite Ladung erschienene
Beklagte eine Vertagung auf einen dritten Termin beantragen. Forster entnimmt
dem Roten Buch ferner, dass der Kläger bei Geldschuldklagen trotz Säumnis des
Beklagten noch einen Behaltenseid zu leisten hatte.
Im Übrigen trugen die Parteien mündlich vor, wobei sie dies durch Vorsprecher
vornehmen lassen konnten. Die Verfasserin führt sodann die Beweismittel Parteieid, Zeugen und Urkunden auf. Erwähnenswert ist, dass
zur Überführung eines jüdischen Beklagten zwei christliche und zwei jüdische
Zeugen erforderlich waren, was den bereits 1090 durch Kaiser Heinrich IV.
gewährten Judenprivilegien für Worms und Speyer entspricht. Das Urteil wurde
vermutlich nur auf Antrag urkundlich ausgefertigt. Eine Appellation an das
Hofgericht war möglich, im 16. Jahrhundert wahrscheinlich innerhalb einer Frist
von 14 Tagen. Anschließend beschreibt die Arbeit die Vollstreckung aus
Urteilen, Zahlungsbefehlen und schiedsrichterlichen Abschieden, wobei die
Verfasserin eingehend die Immobiliarvollstreckung (Gantprozess) aufgreift.
In
einer Schlussbemerkung weist Forster noch auf die Tradition Straubings als
Gerichtsstadt hin und erwähnt insbesondere die gerichtsverfassungsrechtlichen
Veränderungen im 19. Jahrhundert. In einem umfänglichen Anhang präsentiert sie
dem Leser Abbildungen von Siegeln, Stadtansichten und Grenzsteinen sowie eines
wegen der Verkleinerung der Kopie allerdings kaum noch lesbaren Übergabebriefs
von 1494.
Insgesamt
zeichnet die Verfasserin überzeugend das Bild einer teils auf Traditionen
gewachsenen, teils bewusst geplanten Gerichtsverfassung dreier
Gerichtshoheiten, wobei sich diejenige der Stadtgemeinde von der herzoglichen
ableitete und mit jener durch die Person des gemeinsamen Oberrichters
verschränkt war. Im Verfahrensrecht treten Auswirkungen der Rezeption des
römischen Rechts – sieht man von der Möglichkeit der Appellation ab - noch
nicht deutlich hervor. Immerhin aber findet die Autorin im Hofgericht für das
Jahr 1484 zwei gelehrte Beisitzer. Die Verfasserin trifft auf eine im Ganzen
gesehen recht ungünstige Quellenlage. Namentlich die gerichtliche Tätigkeit ist
nur sehr bruchstückhaft überliefert. Dies beeinträchtigt vor allem die
Darstellung des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens,
wo die Verfasserin sich auf lediglich drei Verfahrensurkunden stützt und
daneben - wie auch sonst häufig – allgemeine Erkenntnisse anderer Autoren
heranzieht, vor allem das Standardwerk Hans Schlossers , Spätmittelalterlicher
Zivilprozess nach bayerischen Quellen, 1971. Die rezensierte Arbeit zeichnet
sich durch eine sorgfältige und sachkundige Auswertung der verfügbaren Quellen
und eine detailreiche Aufbereitung des Materials aus. Hilfreich sind zudem die
wiederholt eingefügten materiell-rechtlichen Erläuterungen, vor allem zum Straubinger
Liegenschaftsrecht.
Bad Nauheim Reinhard Schartl