Fischer, Hans-Jörg, Die deutschen Kolonien. Die
koloniale Rechtsordnung und ihre Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg (=
Schriften zur Rechtsgeschichte 85). Duncker & Humblot, Berlin 2001. 328 S.
Die Heidelberger Dissertation schätzt
ihren Gegenstand selbst als „heute nur wenig geläufiges und selten beleuchtetes
Kapitel deutscher Rechtsgeschichte“ ein (S. 16) und leistet auf diese Weise
vielleicht ungewollt einen wertvollen Beitrag zu einer u. a. im internationalen
Recht sehr verbreiteten Diskussion. Diese hatte seit einigen Jahrzehnten den Prozeß der Entkolonialisierung in den Mittelpunkt
geschoben, wobei nicht selten vergessen wurde, daß
Deutschland nicht nur seit dem ersten Weltkrieg nicht mehr zum Kreis der
Kolonialmächte zählte, sondern daß es erst sehr spät
(nach der Herstellung der staatlichen Einheit, 1871) dieser Gruppierung
angehörte.
Ins Gewicht fällt vor allem der
engere Inhalt der Arbeit, die in sehr verdienstvoller Weise mit einem geographischen
Überblick ansetzt (S. 17ff.) und im Anhang wertvolles Kartenmaterial enthält
(S. 283ff.). Es hätte dem Buch wohl gutgetan, wenn
dort die geographische Lage deutlicher herausgehoben worden wäre. Naheliegenderweise bildet Afrika einen gewissen Schwerpunkt
der Arbeit, doch ist es dem Autor hoch anzurechnen, daß
er die übrigen Gebiete mit einbezieht.
Das Buch behandelt in einem Teil A
zunächst das Thema im engeren Sinne (S. 17ff.), bevor es in einem Teil B auf
die Zeit nach dem ersten Weltkrieg eingeht (S. 194ff.). Auf diese Weise
entflieht der Autor der zeitlichen Enge der deutschen Kolonialzeit und hält Anschluß an die Probleme der Gegenwart. Eine nicht geringe
Rolle spielt der Prozeß des Erwerbs der Kolonien.
Ausführlich geht der Autor auf die „Wegbereiter“, nämlich Missionare und
Handelsgesellschaften ein, die in einzelnen Regionen des Reichs, wie z. B.
Brandenburg, besondere Unterstützung fanden. Aufschlußreich
ist auch die anfangs recht reservierte Haltung der Reichsregierung, die erst in
den späten achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein stärkeres Engagement
entwickelte (S. 32ff.). Dabei kamen nicht selten Rechtsfiguren des Zivilrechts zum Zuge, wie der „mittelbare“ Erwerb oder
die „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (S. 35ff.) bis hin zur sachangemessenen
Gestaltung des Gesellschaftsrechts unter besonderer Betonung des Rechts der
Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die auf koloniale Überlegungen
zurückgehe (S. 37). Insgesamt fällt auf, daß der
Autor stets die innerstaatliche Entwicklung der Gesetzeslage verfolgt und
konsequent etwa das Schicksal des Schutzgebietsgesetzes (SGG) in seinen
verschiedenen Fassungen nachzeichnet. Der wohl wesentlichste Gewinn, den die
Studie bringt, liegt in der Darstellung des kolonialen Rechts in bestimmten
Kernbereichen des Zivilrechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts (S.
106ff.), wobei die unterschiedliche Behandlung von „Europäern“ und
Einheimischen historisch zeitgerecht eingestuft wird. Diese Unaufgeregtheit
macht sich später auch in den Schlußthesen bemerkbar
(S. 272ff.), in denen er mit großer Nüchternheit bilanziert, daß in den deutschen Kolonien nur das geschah, „was in
jeder Kolonie der damaligen Zeit an der Tagesordnung war“ (S. 273).
Der Nüchternheit der abschließenden
Thesen entspricht es auch, daß der Autor gelegentlich
auf den häufig festzustellenden Schleier verbaler Besänftigung verzichtet, wie
bei der Beschreibung der Mandatsverwaltung nach dem ersten Weltkrieg, wenn er
vom „Deckmantel“ der Mandatsherrschaft“ spricht. (S. 273).
Die sachliche und sprachliche
Ausgewogenheit macht die Arbeit zu einem Standardwerk, das neben den üblichen
Verzeichnissen auch ein „Sachwortverzeichnis“ (S. 325ff.) enthält. Ein
gelungener Wurf!
Saarbrücken Wilfried
Fiedler