Fisahn, Andreas, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung (= Jus Publicum 84). Mohr (Siebeck), Tübingen 2002. XI, 396 S.
Die Einbeziehung von Öffentlichkeit im Rahmen administrativer Entscheidungsprozesse diente nach überkommenem verwaltungsrechtlichem Verständnis ausschließlich der behördlichen Informationsbeschaffung. Nach gegenwärtiger Auffassung geht es überdies um einen verfahrensrechtlich vorverlagerten Schutz betroffener Rechtspositionen. Die anzuzeigende Bremer Habilitationsschrift möchte die Funktion von Öffentlichkeitsbeteiligung zudem „demokratisch“ bestimmen (S. 335) und sieht in Anhörungsverfahren, wie sie insbesondere in Planfeststellungsverfahren mit Mitwirkungsrechten weit über den Kreis der Rechtsbetroffenen hinaus vorgesehen sind, einen Akt zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Zu diesem Zweck erstrebt Fisahn eine „moderne Fassung des Demokratieprinzips“ (S. 378), die im Widerspruch zur herrschenden Sichtweise steht. Ihrzufolge kann demokratische Legitimation nicht über die Beteiligung interessierter Öffentlichkeit, sondern nur über Legitimationsketten erreicht werden, die ihren Ausgang beim (Wahl)Volk nehmen und über die Parlamente und Regierungen bis zu den zuständigen Verwaltungsdienststellen reichen. Mit diesem fiktiven Demokratiekonzept, das auf Personalketten etwa vom Bundeskanzler zum Sachbearbeiter des Zollamtes Cuxhaven setzt (S. 232), bricht Fisahn zugunsten eines mehrdimensionalen Legitimationskonzepts, demzufolge sich die Gesellschaft mittels der staatlichen Institutionen- und Verfahrensordnung in vielfältiger Weise „selbst organisiert und programmiert“ (319). Dies lässt dann eben auch Raum für eine demokratische Beteiligung aller derjenigen an staatlichen Entscheidungen, die von diesen in ihren Interessen berührt werden, vorausgesetzt die Teilhabe steht unter der Bedingung gleichen Zugangs (S. 331). Für Fisahn verfügen von daher die staatlichen Institutionen auch nicht von Amts wegen über eine zutreffende Kenntnis des Gemeinwohls, das sich vielmehr als Resultante verschiedenster partikularer Belange und Interessen in einem pluralistischen Vermittlungsprozess einstellt. Verabschiedet wird schließlich auch die auf Hobbes zurückreichende Vorstellung eines legitimatorischen Selbstwertes von „abstrakter“ Staatlichkeit, weil diese immerhin Frieden stifte. Demokratische Legitimation tritt hiernach nicht zu einer schon vorhandenen basalen Legitimation jedweder staatlichen Ordnungsleistung als bloße Frage näherer Staatsformbestimmung hinzu, sondern Demokratie soll Fisahn zufolge gerade auf eine „Aufhebung der Besonderung des Staates“ gegenüber der Gesellschaft ausgehen (S. 319).
Im Zuge der Entwicklung der geschilderten programmatischen Thesen, die am Ende des Buches in eine Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Verfahrens- und Verfahrensfehlerfolgerechts umgesetzt werden, durchmustert Fisahn die Verwaltungs- und Theoriegeschichte nach Vorläufern und kritikwürdigen Gegenpositionen. Im ersten Abschnitt, der die Spanne von den 1770er Jahren bis zu den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts umgreift, findet Fisahn in den §§ 235 ff. II 15 Preuß. ALR (1794) Regelungen, die für den Bau, die Wiederherstellung, Verlegung und Veränderung von Mühlen einen vom Mühlenberechtigten einzureichenden „Plan“, Anhörungs- und Widerspruchsrechte der Nachbarn und schließlich eine behördliche Approbation vorsahen. Das sich hieran anschließende „Gesetz wegen des Wasserstaus bei Mühlen und Verschaffung der Vorflut“ aus dem Jahre 1811 kannte einen zu genehmigenden „Entwässerungsplan“, wobei Fragen der Plandurchführung und -entschädigung einem dreiköpfigen Kollegium oblagen, das sich aus zwei von den beteiligten Interessengruppen gewählten „Schiedsrichtern“ und einem „Obmann“ der Provinzial-Polizeibehörden zusammensetzte. Angesichts der Entscheidung nach Stimmenmehrheit ergab sich somit die Möglichkeit zu einer autonomem Konfliktlösung der Beteiligten und lediglich subsidiär ein Letztentscheidungsrecht des Staates (S. 19). Diese auf den Bereich des Mühlen-, Stau- und Entwässerungsrechts begrenzten Beteiligungsrechte führt Fisahn auf Nachwirkungen des Falles des Müller Arnold einerseits und das Aufkeimen der Selbstverwaltungsidee im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen zurück, wobei die Restaurationsphase dann wieder Infrastrukturerweiterungen, etwa im preußischen Eisenbahngesetz von 1838, ohne Beteiligungsrechte gebracht habe. Erst der bürgerliche Liberalismus nach 1850 hätte eine Ausweitung der Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung bewirkt, allerdings als eine Art Ersatz für die versagte Demokratisierung von Staatlichkeit (S. 31). Im zweiten Abschnitt beschreibt Fisahn einen im deutschen Kaiserreich einsetzenden Vorgang „autoritärer Vergemeinschaftung“, der verbunden mit dem Niedergang des Liberalismus die Vorstellung staatlich-administrativer Gemeinwohldefinition jenseits von Gesellschaft und Öffentlichkeit hervorgebracht habe. Begrenzte Beteiligungsrechte wurden, wie Fisahn am Beispiel des preußischen Wassergesetzes aufzeigt, nur auf kräftiges Drängen der Parlamente im Kompromiss mit der monarchischen Exekutive gesetzlich anerkannt, die Verwaltungsentscheidung allerdings auf ein öffentliches, von privaten Interessen abgekoppeltes Allgemeinwohl fixiert (S. 87). Der Abschnitt endet mit einer Negativbilanz auch für die Weimarer Republik. Obschon im Nationalsozialismus die Führerideologie keinen Raum für echte Öffentlichkeitsbeteiligung gelassen habe, schildert Fisahn selbst für den Autobahnbau Auslegungs- und Einwendungsvorschriften auf Erlassebene (S. 133); im Personenbeförderungsrecht vermag er sogar anhand einer Verordnung von 1935 noch „rechtsstaatlichen Geist“ auszumachen, möglicherweise eine Form rechtsstaatlichen Widerstandes der Verwaltung (S. 115f.). Die drei letzten Abschnitte gelten der bundesrepublikanischen Entwicklung, die bis Anfang der 70er Jahre die verwaltungsrechtliche Lage unter dem Kaiserreich fortgeschrieben habe, um dann in einer Demokratisierungsphase Beteiligungsrechte auszubauen, die dann wiederum im Zuge der Wiedervereinigung und einer Sicherung des „Standortes Deutschland“ weitgehend geopfert worden seien. Die Abschnitte über die Bundesrepublik erreichen dabei weit mehr als den doppelten Umfang im Vergleich zur vorangehenden Geschichte. So entfallen etwa auf die Weimarer Republik knapp 13 Seiten, wovon gut 11 Seiten dem historischen Kontext im allgemeinen gelten und der Leser etwa über die „ungleiche Aburteilung politisch motivierter Straftäter aus dem linken und rechten Lager“ (S. 103), die „Position der Reichswehr“ (S. 104) oder „Kautskys Version des Klassengleichgewichts“ (S. 108) informiert wird. Nicht nur an dieser Stelle hätte sich der Leser eine dichtere und präzisere Beschreibung der eigentlichen Verwaltungsgeschichte unter Einbeziehung von mehr zeitgenössischer verwaltungsrechtlicher Literatur gewünscht. Aber auch wenn Fisahns Buch unverkennbar auf ein bestimmtes politisch-rechtliches Konzept hin geschrieben ist, für dessen Abstützung archäologische Funde aus der Rechtsgeschichte herangezogen werden, weckt das Werk historisches Interesse an seinem Thema und bietet einen nützlichen Einstieg.
Jena Walter Pauly