Fesser, Gerd, Von der Napoleonzeit zum Bismarckreich. Streiflichter zur deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert. Donat, Bremen 2001. 215 S.

 

Was schreibt man über ein Buch, von dem man einfach nur begeistert ist! Gerd Fesser bietet mit diesem Band nicht den mindesten Ansatz zur Kritik, aber viel Grund zur Anerkennung. Denn auf rund 200 Seiten die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts darzustellen, ohne wichtige Ereignisse zu übergehen, das grenzt schon an Akrobatik. Vor allem, wenn dabei sowohl ein breiteres Publikum wie auch Fachleute auf ihre Kosten kommen. Zugunsten einer von der ersten bis zur letzten Zeile geradezu fesselnden Darstellung hat sich der Autor für Ereignisgeschichte entschieden, doch findet er immer wieder Zeit, auch auf wissenschaftliche Kontroversen hinzuweisen. Wirtschaftsgeschichte bleibt außen vor, Sozialgeschichte wird gestreift, so in den Kapiteln über den Weberaufstand oder die Sozialdemokratie.

 

Den großen Schlachten räumt Fesser breiten Raum ein. Besonders lebendig sind die Bilder aber vor allem, weil die beteiligten Persönlichkeiten äußerst plastisch gezeichnet werden: Königin Luise, Kaiser Friedrich III.; Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha wird als liberaler Fürst in einem eigenen Kapitel portraitiert; genauso Friedrich Naumann und Bernhard von Bülow; schließlich Bismarck, dieser Staatsmann mit „Größe und Weitblick“ (S. 129). Der Verfasser wird ihnen allen gerecht, würdigt Leistungen, wahrt aber immer die nötige Distanz. Gelegentlich ist Bedauern über das Ergebnis eines Ringens verschiedener Kräfte, über die Entscheidungen Einzelner zu spüren. Hätte Kronprinz Friedrich Wilhelm 1862, als Wilhelm I. Abdankungspläne hegte, die Chance ergriffen, „eine jener Chancen, die das Leben nur einmal anzubieten pflegt“ (S. 140), Deutschland hätte vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen. Wäre nicht sein Vater, sondern Friedrich steinalt geworden: „Ein friedfertiger, lernfähiger und human denkender Kaiser [...] wäre in der weltpolitischen Umbruchzeit der 1880er Jahre [...] ein Segen gewesen“ (S. 146). So hebt Fesser – ohne dies explizit zu formulieren – die Bedeutung von Persönlichkeit und taktischem Geschick Einzelner, von strategischen Fehlern, aber auch Zufälligkeiten gegenüber den Strukturen hervor. Am Ende weist er darauf hin, dass durchaus Möglichkeiten vertan wurden, aus der Geschichte zu lernen, z. B. durch „jene alldeutschen Stammtischstrategen und politisierenden Militärs, die in der Regierungszeit Wilhelms II. den Namen Bismarcks so oft im Munde führten“ (S. 183). Sie waren nicht Anhänger des realen Bismarck, sondern eines „mythische[n] Bismarck nach ihrer Fasson“ (S. 182). Denn Bismarck führte nicht leichtfertig Krieg, er analysierte das europäische Kräfteverhältnis sorgsam, „visierte ein klar umrissenes politisches Ziel an und beendete den Krieg so bald wie möglich“, ohne unnötige Triumphrituale.

Anstatt in der Euphorie auszuufern, möchte die Rezensentin es bei dieser kurzen Anzeige belassen und statt dessen so gut wie jedem die Lektüre ans Herz legen.

 

Anschau                                                                                                                    Eva Lacour