Fata, Márta, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und
Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und
Konfession 1500 bis 1700, hg. v. Brendle,
Franz/Schindling, Anton (= Katholisches Leben und
Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60). Aschendorff,
Münster 2000. 361 S.
Im Anschluß
an die sieben Bände über die Territorien im Reich während der der Gesamtreihe
gewidmeten Epoche eröffnet das vorliegende Werk nun eine Folge über weitere
europäische Länder mit Reformations- und Konfessionsgeschichte, wobei
insbesondere auch die Multiethnizität als besonderes
Phänomen hervorgehoben wird. Auf den ersten zwanzig Seiten werden in prägnanter
Kürze Staatsgeschichte, Verfassung und Verwaltung des Reiches der Stephanskrone zusammengefaßt und
durch Übersichtskarten, Tabellen der Regenten, Bischöfe und Bane
sowie einer Zeittafel verdichtet, wodurch die etwa 175 Jahre währende Dreiteilung
in das habsburgische Ober- und Westungarn (einschließlich Kroatien und
Slawonien), das osmanisch besetzte Mittelungarn und das osmanische
Vasallenfürstentum Siebenbürgen als entscheidender Grundtatbestand
hervorgehoben wird. Die Entstehung und Ausgestaltung der kirchlichen Strukturen
von König Stephan bis zu Matthias Corvinus sowie die
von letzterem auf Grund des königlichen Oberpatronates vorgenommene
Bevormundung der katholischen Kirche durch Anwendung des Kommendatarsystems
leiten über zur Darstellung des religiösen Lebens um 1500, das ebenso wie im
Reich von bedeutenden Klöstern (z. B. neben den Benediktinern vor allem der
ungarische Paulinerorden), Reliquienverehrung,
ausgeprägtem Wallfahrtswesen und auch religiösen Laienbewegungen
(Bruderschaften) gekennzeichnet war. Insgesamt erscheint die Zeit bis Matthias Corvinus geprägt von engstem Zusammenwirken zwischen
Königsherrschaft und kirchlichen Institutionen, das unter den Jagiellonenkönigen zugunsten der Stände aufgegeben wurde,
worin auch eine Ursache der Niederlagen von Belgrad (1521) und Mohács (1526) gesehen wird, ebenso wie für die folgende
Dreiteilung des Landes (36f.). Diese Spaltung zog aber auch einen ruinösen
wirtschaftlichen Niedergang der kirchlichen Institutionen nach sich, einerseits
da im Streit zwischen Ferdinand I. und Johann Szapolyai
der Papst sich durch Nichtnachbesetzung der freien Bischofsstühle neutral
verhielt, zum anderen weil die Einkünfte aus den Kirchengütern nunmehr von der
Hofkammer oder von habgierigen Magnaten eingezogen wurden. Besonders drastisch
wirkte sich aber der Substanzverlust beim niederen Klerus aus, der großteils
innerhalb von etwa 50 Jahren auf oft unter 10 Prozent sank. In gleicher Weise verfielen eine Reihe von Klöstern verschiedener Orden.
Im zweiten Kapitel umreißt die
Autorin Renaissance und Humanismus am Königshof und in der Kirche u. a. mit dem
Hinweis auf die nicht sehr erfolgreiche Gründung der Universität Fünfkirchen/Pecz (1367) und die Verschwörung der Humanisten Vitéz, Janus usw. gegen König Matthias Corvinus,
der selbst Renaissance und Humanismus „bewußter und
vorbehaltsloser” als andere Fürsten seiner Zeit förderte, auch „um die brüchige
Legitimation seines Herrschaftsanspruches zu überspielen”. (46). Durch den
Buchdruck sowie die Beziehungen zur Jagiellonenuniversität
Krakau verbreitete sich der Zeitgeist erstaunlich rasch in der ungarischen
Oberschicht, aber auch im Bürgertum, insbesondere nachdem in Nachfolge von
Erasmus von Rotterdam ungarische Bibelübersetzungen erschienen und
gesellschaftskritische Gedanken auf fruchtbaren Boden gefallen waren, nicht
zuletzt, da Erasmus - im Gegensatz zu Luther, der das Vordringen der Türken als
Strafe Gottes ansah - für einen (europäischen) Kampf gegen das osmanische Reich
eintrat.
Trotz der 1523 angedrohten
Todesstrafe für Lutheraner wandelte sich das habsburgische Ungarn entgegen den
Bemühungen Ferdinands I. (z. B auf dem Preßburger
Reichstag von 1548) bis etwa 1570 zu einer protestantischen Hochburg, in der
rund 50 Prozent den Calvinisten, 25 % den Lutheranern zuzuzählen waren, während
sich der Rest der Bevölkerung auf Katholiken und Orthodoxe verteilte. Die 1548
angeordneten Visitationen führten zu einem offenen Auftreten der Protestanten
insbesondere in den ungarischen Städten, was letztlich auch vom habsburgischen
König in Anschluß an den Augsburger Religionsfrieden
1558/1560 anerkannt werden mußte. Als bedeutendster
ungarischer Reformator wirkte Mátyás Biró Dévai, ein ehemaliger
Franziskanermönch, der mehrmals in Wittenberg weilte, und durch seine Predigten
und Schriften wesentlich – auch mit eigenen Thesen – zur Verbreitung beitrug.
Immerhin gelang es 1553/58 dem in Tyrnau
residierenden Erzbischof von Gran, Nikolaus Oláh,
eine (bis 1608 wirkende) Jurisdiktion der katholischen Bischöfe über die
reformatorischen Geistlichen gesetzlich zu verankern, woran erste
gegenreformatorische Maßnahmen anknüpften. Mit dem Regierungsantritt von König
Matthias (1564) schlug die Stimmung zugunsten der Reformation um, wenngleich
weitere gegenreformatorische Schritte (u. a. Hochverratsprozesse gegen
lutherische Magnaten) unter Rudolf II. (ab 1576) eine offene Spaltung zwischen
Lutheranern und Kryptocalvinisten in Oberungarn bis
1610/1614 verhinderten. Von auch sprachlich dem lutherischen Vorbild analoger
Wirkung war die 1590 erschienene Bibelübersetzung des calvinistischen Pfarrers Gáspár Károlyi von Visoly, die bis heute rund 120 Ausgaben und Bearbeitungen
erfuhr (81). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts festigte sich endgültig die
Stellung der Lutheraner und Calvinisten, ohne deswegen die katholischen
Prälaten aus ihrer bevorzugten Stellung im politischen und gesellschaftlichen
Leben zu verdrängen. Nicht selten gingen mit den religiösen Gegensätzen ethnische,
soziale, wirtschaftliche und politische Rivalitäten einher, etwa in Kaschau, wo die ehemals überwiegende Zahl der Deutschen
durch Ansiedlungen aus dem türkisch besetzten Teil Ungarns rasch in die
Minderheit geriet und oft unter Druck die Stadt verließ.
In gleich ausführlicher und fundierter
Darlegung wird die calvinistisch und/oder lutherisch geprägte Reformation in Debreczin und im Partium (Gebiet
zwischen Siebenbürgen und der Theiß) sowie in Siebenbürgen dargelegt, wobei die
siebenbürgische Besonderheit der 1568 festgelegten individuellen
Religionsfreiheit hervorzuheben ist, die allerdings zwei Jahre später zurückgenommen
werden mußte (108). Letztlich führte diese
Entwicklung zur Gleichstellung der vier Bekenntnisgemeinschaften (Katholiken,
Lutheraner, Calvinisten, Unitarier) im religiösen und öffentlich-rechtlichen
Bereich, doch blieben die orthodoxen Rumänen, Griechen und Ruthenen wie auch
Juden von der religiösen Gesetzgebung ausgeschlossen. In den von den Türken
besetzten Teilen nahm der Katholizismus rapid ab, trotz und gegen die
befürchtete Islamisierung konnten sich jedoch die reformatorischen Richtungen allgemein
durchsetzen (124). In Kroatien wurde die Reformation im wesentlichen
von den Magnaten getragen, doch blieb der niedere Adel katholisch und die vom Agramer Bischof Draskovich durch
Diözesansynoden eingeleitete Gegenreformation gipfelte in der 1604 erfolgten
Berufung der Jesuiten nach Agram.
Im königlichen Ungarn beendete der
Friede von Wien (1606) nicht nur den Bocskai-Aufstand
sondern brachte auch die auf dem Preßburger Reichtstag (1608) sanktionierte Religionsfreiheit, allerdings
nicht für den Einzelnen, sondern nur für die der unmittelbaren königlichen
Jurisdiktion Unterworfenen, nicht jedoch für den Grundherrn unterworfene
Bauern, womit der Grundsatz „cuius regio, eius religio”
letztlich den ungarischen Ständen zugebilligt wurde (136).
Auf diese umfassende, in die
politisch-geographischen Verhältnisse eingearbeitete Darlegung der religiösen
Entwicklungen in der mehrfach geteilten Nation befaßt
sich der vierte Abschnitt anhand ausgewählter Städte und Märkte bzw.
Persönlichkeiten mit dem „Bürgertum und Adel als Förderer und Träger der
Reformation” (139-185). Wiederum werden ausgewogen aus den verschiedenen Teilen
des Landes Städte (z. B. „Bartfeld als lutherische Hochburg in Oberungarn”) und
Märkte beleuchtet sowie drei Magnaten (Thomas Nádasdy,Franz
Nádasdy, Gabriel Perény)
mit ihrem späthumanistisch-reformatorischen Wirken vorgestellt.
Dem durchgehenden Aufbau folgend wird
im anschließenden Abschnitt für die Zeit von 1606 bis zur Magnatenverschwörung
von 1670/71 vorerst die allgemeine religionspolitische Entwicklung im
königlichen Ungarn nachgezeichnet – nicht ohne die notwendigen Bezüge
insbesondere zur Selbständigkeit Siebensbürgens herzustellen. Im Zentrum stand
vorerst die ungeregelte Frage der Nutzung der Kirchengebäude,
mit welcher rasch auch die Frage der persönlichen
Religionsfreiheit der untertänigen Bauern verknüpft wurde. Diese
im Linzer Frieden von 1645 zugestandene Freiheit wurde allerdings nicht real
umgesetzt, die beginnende Rekatholisierung konnte
auch durch lange Beschwerdelisten auf den Reichstagen nicht aufgehalten werden.
Die vorerst nicht auf eine Rückeroberung des osmanisch besetzten Ungarns
gerichtete Politik der Habsburger löste schließlich die eher „dilettantisch
organisierte” Magnatenverschwörung (197) von 1670/71 aus. Vor diesem
Hintergrund zeichnet die Autorin die Stellung der oberungarischen Lutheraner
(197-205), Calvinisten (205-212) und Katholiken (212-228) nach, jeweils auf die
Hauptorte, die führenden Persönlichkeiten (z. B. Kardinal Peter Pázmány S. J., Erzbischof von Gran) und Institutionen
eingehend.
Das mit türkischer Unterstützung seit
1613 unter Gabriel Bethlen einen eigenständigen Weg
beschreitende Siebenbürgen wurde durch Fürst, Magnaten und Städte im
calvinistischem Sinne geprägt. Dabei kam es zu Jahrzehnten währenden
Auseinandersetzungen mit puritanischen Kreisen, die schließlich nach dem Ende
der politischen Selbständigkeit Siebenbürgens (1660) unterlagen, wenngleich
sich das forcierte Laienpresbytersystem halten konnte (244f).
Die Zuwanderung von orthodoxen und
katholischen Slawen aus Bosnien, Dalmatien und Serbien in das weitgehend
entvölkerte Südungarn veränderte ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die
ethnischen und konfessionellen Zustände. Die katholische Kirche übertrug ab
1625 durch eine Neuorganisation die Seelsorge vornehmlich den bosnischen
Franziskanern im Süden und den Jesuiten, die von ihren Schulgründungen (z. B. Pecs/Fünfkirchen) aus auch für den Wiederaufbau der
zerstörten Kirchen sorgten. Der katholisch geprägte Sonderweg Kroatiens innerhalb
Ungarns ab 1606 war eng verknüpft mit dem Wirken der Jesuiten sowie der Pauliner und Franziskaner. Während die Protestanten der
Gegenreformation letztlich weichen mußten, wurden
innerhalb des Militär(grenz)gebietes die Orthodoxen
toleriert, eine angestrebte Union mit Rom blieb freilich wenig erfolgreich.
Als die kaiserliche Armee Oberungarn
nach der Magnatenverschwörung 1671 besetzte, begannen – noch vor kaiserlichen
Anordnungen – ungarische Bischöfe und Magnaten protestantische Schulen zu
besetzen und die Prediger zu vertreiben. Die Verbitterung darüber führte zu
einem offenen Aufstand, der – 1672/73 niedergeworfen – vielfach Anlaß zur weiteren Vertreibung und/oder Verurteilung wegen
behaupteten Hochverrates gab. Die oftmals als Galeerensklaven verurteilten
Prediger wurden ab 1676 mit kaiserlicher Duldung von den Niederlanden
freigekauft, manche kehrten trotz strengen Verbotes sogar nach Ungarn zurück
(274).
Der letzte Abschnitt (269-283)
behandelt die Phase des einsetzenden Absolutismus: Zwar musste auf dem Ödenburger Reichstag von 1681 Kaiser Leopold I. von seiner
streng absolutistischen Linie abstehen, doch gelang es schließlich dem neuernannten Palatin den
erreichten Kompromiß auch bei den protestantischen
Ständen zur Wiedererlangung der ständischen Verfassung durchzusetzen,
wenngleich dies eine Einschränkung der bisherigen religionspolitischen Rechte
bedeutete. Bestätigt wurde die allgemeine Religionsfreiheit für Katholiken,
Lutheraner und Calvinisten im Sinne des Friedens von 1606. Die Restitution
bestimmter Kirche an die Protestanten oder der Bau neuer Kirchen wurde
(eingeschränkt) Gesetz, in den aufgezählten „Artikularorten”
war den Reformierten die Abhaltung von Gottesdiensten und die Errichtung von
Schulen für das jeweilige Komitat erlaubt.
Die nachfolgende Rückeroberung des
osmanisch besetzten Landes (1684-1718) zog in Folge der erstarkten
habsburgischen Königsmacht weitere Einschränkungen für die Protestanten nach
sich, etwa die bis zur 1691 erschienenen „Explanatio Leopoldina” in Ungarn nicht bekannte Unterscheidung
zwischen öffentlicher und privater Kultusausübung. In Siebenbürgen blieben die
Rechte der vier „rezipierten” Konfessionen erhalten,
allerdings gelang der vorerst enttäuschten katholischen Kirche durch eine Union
mit orthodoxen Rumänen eine wesentliche Stärkung.
Das Königreich Ungarn blieb auch in
den folgenden Jahrhunderten trotz der im Reichstag führenden Stellung der
katholischen Prälaten bis zu seinem Untergang ein multikonfessionelles Land,
ein aus dem Zeitalter der Glaubensspaltung bis in die Gegenwart reichendes
Faktum, das in der europäischen Religionsgeschichte gebührende Beachtung und
die hier vorgelegte eingehende Behandlung verdient.
Der abschließende miszellenartig verfaßte Forschungsbericht (285-292) behandelt vornehmlich
den ungarischen Forschungsstand, der nicht unwesentlich auf Werken des 19. Jahrhunderts
aufbauend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erweitert wurde. Während
der kommunistischen Ära wurden einschlägige Arbeiten im Sinne
literaturhistorischer oder frühdemokratischer Erscheinungen verfaßt
und ausgelegt. Die jüngere ungarische Forschung (ab 1990) wird als frei von
nationalen und konfessionellen Vorurteilen gesehen, als Forschungslücken
vornehmlich fehlende soziale und ethnische Untersuchungen der Trägerschichten
genannt sowie neuere Untersuchungen zur Rekatholisierung,
wofür als Voraussetzungen intensive Quellenforschungen und –editionen
betont werden, insbesondere auch im Hinblick auf die ohnedies schlechte
Quellenlage für die frühe Neuzeit.
Sinnvoller Weise belegt das Literaturverzeichnis (293-324) vornehmlich die deutschsprachige Literatur, daneben aber auch die dem Leser zumutbaren englischen und französischen Arbeiten, nicht dagegen die wegen der Sprachbarriere wohl weitestgehend nicht vom Leserkreis verwendbaren ungarischen Untersuchungen. Die nach Themenkreisen gegliederte Auflistung belegt denn auch das im deutschsprachigen Raume vorhandene Interesse an der von diesem Werk erfaßten Thematik. Die von Gregor Maier bearbeiteten Orts- und Personenregister erlauben die rasche Auffindung sowohl nach den ungarischen und slowakischen wie auch nach den deutschen Benennungen.
Der stets durchgehaltene Aufbau des
Werkes bezüglich zeitlicher, regionaler wie konfessioneller Gliederung jeweils
anschließend an ein die staats- und religionsrechtlichen Spezifika
darlegendes Kapitel, die auf zahlreichen Details etwa zur Geistes- und
Druckgeschichte gegründete klare und prägnante Darstellungsweise (mit den
hervorragenden Karten) rechtfertigen nicht nur die Aufnahme in die Gesamtreihe,
sondern machen die Arbeit auch zu einer wertvollen Anregung im Sinne der
vergleichenden Betrachtung.
Graz Otto
Fraydenegg-Monzello