Diestelkamp, Bernhard, Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich (= Ius Commune Sonderheft 122). Klostermann, Frankfurt am Main 1999. VIII, 611 S.
In diesem ansprechend ausgestatteten Band werden die Forschungen des Frankfurter Zivilrechtlers und Rechtshistorikers Bernhard Diestelkamp zu „Recht und Gericht im Heiligen Römischen Reich“ zusammengefasst. Der Ertrag eines fruchtbaren Forscherlebens schlägt sich in 21 Aufsätzen nieder, die zwischen 1973 und 1997 herausgekommen sind. Lediglich der letzte Aufsatz über „Schuld und Haftung“ in der Zivilrechtslehre des 19. Jahrhunderts, fällt zeitlich aus der Reihe und die Abhandlung über die Anwendung einer Clementine zum Zinswucher in der Praxis von Brabanter Schöffen liegt sachlich am Rande. Schließlich sind noch 2 Studien zur hessischen Rechtsgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts abgedruckt; sonst kreisen alle Beiträge um die höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Diestelkamp wie das diesen Band herausgebende Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte haben zur Vertiefung unserer Kenntnisse des Reichskammergerichts und seiner Vorläufer Entscheidendes geleistet; nur der Reichshofrat blieb stets am Rande.
Ausgangspunkt des neuen Aufbruchs zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich war das Ungenügen einiger Rechtshistoriker an der fast völligen Vernachlässigung eines Themas, das nicht nur für die jüngere Rechtsgeschichte, sondern auch für die Geschichte des Reichs in Spätmittelalter und früher Neuzeit zentral ist. Der Erfolg des Unternehmens wurde nachdrücklich dadurch gefördert, dass es von Anfang an mit der Erschließung von Quellen einherging: dem großen Projekt der Inventarisierung des weitgehend erhaltenen, aber weit verstreuten Archivs des Reichskammergerichts; der Edition von Gerichtsordnungen wie Appellations- und Gerichtsstandsprivilegien und schließlich der Regestierung der Urkunden des deutschen Königsgerichts und des königlichen Kammergerichts. Wie weit diese Quellenarbeit fortgeschritten ist und welche nachhaltige Wirkung sie hat, ist in diesem Band fast auf jeder Seite zu greifen.
Die
Untersuchungen zur Tätigkeit des königlichen Hofgerichts zwischen dem 13. und
15. Jahrhundert kreisen, gleich um welches Thema es geht, immer wieder um die
Normen der Entscheidungen, sachliche (peinliches Strafrecht) wie regionale
(Bistum Utrecht) Zuständigkeiten und Verfahrensfragen wie das „privilegium
fori“ des Klerus. Methodisch stehen hier wie auch beim Blick auf andere
Gerichte meist ein oder mehrere Prozesse im Mittelpunkt. Die Kennerschaft
Diestelkamps zeigt sich darin, welche weitreichenden Erkenntnisse über Recht
und Politik der Epochen mit Hilfe dieser Prozessanalysen gewonnen werden. Denn
sie verdeutlichen, welche bemerkenswerte Rolle das königliche Gericht für die
Rechtsentwicklung oder beim Minderheitenschutz, hier insbesondere der Juden,
gespielt hat, thematisieren aber auch immer wieder den Versuch des Königs, mit
Hilfe dieses Gerichts, seine Macht auszudehnen. Teils mit Erfolg wie beim
Judenschutz, teils ohne wie beim Bestreben, die peinliche Strafgerichtsbarkeit
an sich zu ziehen. Welche große Bedeutung gerade dieses Scheitern für die
unzureichende Ausbildung der Staatlichkeit in Deutschland hatte, wird betont
und in mehreren Vergleichen mit der anders verlaufenen Entwicklung in England und Frankreich überzeugend
nachgewiesen.
Betrachtet man die höchste Gerichtsbarkeit
als Rückgrat von Recht und Politik dann konnte das Interesse fast zwangläufig
nicht an der Epochengrenze des Spätmittelalters Halt machen, sondern musste
sich zur frühen Neuzeit hin weiten. Es konzentrierte sich wohl deswegen auf das
Reichskammergericht, weil dies in der Kontinuität des Königs- und
Reichshofgerichts stand. Der Doppelnatur dieses Gerichts gemäß hat sich
Diestelkamp sowohl mit dessen Stellung im Verfassungsgefüge
des Reiches als auch mit dessen Tätigkeit als Organ der Rechtsprechung
beschäftigt. Die einschlägigen Untersuchungen zeigen, dass das Gericht am
stärksten verfassungsgestaltend wirken konnte in Prozessen, in denen es um
Reichsstandschaft oder Zugehörigkeit zum Reich ging. Durch nichts wurde wohl
deutlicher, dass Fürsten und Stände auch nach 1648 nicht „souverän“ waren, als
dass sie jederzeit von ihren Untertanen vor dem Reichskammergericht oder
Reichshofrat verklagt werden konnten und dort ihre politischen Maßnahmen wie
auch ihre Rechtsprechung zu rechtfertigen hatten. Immer wieder ist es ein
Anliegen Diestelkamps, den Anteil dieses Gerichts an der
Vereinheitlichung und Fortentwicklung der Rechtsprechung wie des Rechts in
Deutschland herauszustellen. Das konnte so weit gehen, dass es beispielsweise
die fürstliche Kabinettsjustiz, ohne dass es sich hierfür auf einschlägige
Normen berufen konnte, bekämpfte, weil es diese für nicht mehr zeitgemäß hielt.
Zur Professionalisierung des Justizwesens, Sicherung der richterlichen
Unabhängigkeit und der Durchsetzung des Rechtstaatsgedankens hält Diestelkamp
dieses kaiserlich-ständische Gericht im Zeitalter der Aufklärung für besonders
geeignet, da es fern vom Hof anders als die oberen Gerichte in den Territorien
und den benachbarten europäischen Nationalstaaten sich dem „absolutistischen
Zugriff“ entziehen konnte. Die weit verbreitete Justizkritik der Zeit hat es
daher auch auffallend geschont.
Die hier
publizierten Aufsätze stellen in ihrer Gesamtheit einen bleibenden Beitrag zur
Neubewertung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich dar und sie haben so
zugleich Kenntnis und Verständnis vom Funktionieren eines politischen Systems
gefördert, das sich in seiner Andersartigkeit der Gegenwart nicht auf den
ersten Blick erschließt. Darin liegt der Wert dieser Studien und er
rechtfertigt es, diese erneut in einer eigenen Sammlung zugänglich zu machen.
Eichstätt Karsten
Ruppert