Die Erforschung der Kirchengeschichte. Leben, Werk und Bedeutung von Hubert Jedin (1900-1980), hg. v. Smolinsky, Heribert (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 61). Aschendorff, Münster 2001. VIII, 116 S.

 

Vom 8.-10. September 2000 fand in Bensberg eine von der „Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum“ und von der „Thomas Morus Akademie“ organisierte Studientagung zum Thema „Die Erforschung der Kirchengeschichte. Leben, Werk und Bedeutung von Hubert Jedin“ statt. Mit dieser Tagung sollte an eine der Größen unter den Kirchenhistorikern des 20. Jahrhunderts erinnert werden, die am 17. Juni 2000 einhundert Jahre alt geworden wäre. Der hier zu besprechende Band enthält sechs Referate, welche die Faszination der Persönlichkeit Hubert Jedins, seine Wurzeln und seine Laufbahn als Wissenschafter und akademischer Lehrer zum Teil aus persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen widerspiegeln.

 

Es ist erstaunlich, daß sich trotz des großen Umfangs der Literatur[1] über den bekannten Kirchenhistoriker noch immer neue Fakten und Aspekte zu seinem Leben und Wirken finden lassen. Dieses Urteil betrifft alle Beiträge in diesem Sammelband, auch wenn einige keine generell neuen Themenstellungen und grundsätzlich Neues zu Person und Wirken Jedins beinhalten. Hierzu gehören zum Beispiel die Referate von Raymund Kottje, Zur Lebensgeschichte Hubert Jedins (1900-1980). Stätten - Wege - Gedanken, Giuseppe Alberigo, Hubert Jedin als Geschichtsschreiber 1900-1980, und Klaus Ganzer, Hubert Jedin und das Konzil von Trient. Innovativ in der Themenstellung, allerdings schwierig im Nachweis und weitgehend auf Bekanntes aufbauend, ist der Aufsatz von Joachim Köhler, Geprägt von der Herkunft? Hubert Jedin als Schlesier.

 

Etwas irreführend scheint mir der Titel des Beitrages von Odilo Engels, Die Vermittlung der Kirchengeschichte – der akademische Lehrer Hubert Jedin, zu sein. Dieses Referat beinhaltet nicht primär – wie man vermuten könnte – eine Würdigung der akademischen Laufbahn Jedins, sondern setzt sich in erster Linie mit dessen Verständnis der Kirchengeschichte auseinander. Jedin verstand deren Gegenstand nämlich als „das Wachstum der von Christus gestifteten Kirche in Zeit und Raum“ und erteilte damit implizit vielen anderen Auffassungen eine Absage. So richtete sich seine Formulierung - so Engels - gegen die Auffassungen der Kirchengeschichte als „Geschichte des Christentums“ oder als „Historische Theologie“, also gegen die Thesen von Albert Erhard und Joseph Lortz. Nach Jedin kann die Kirchengeschichte nur als Heilsgeschichte begriffen und „ihr letzter Sinn nur im Glauben erfaßt werden. Sie ist die fortdauernde Präsenz des Logos in der Welt (durch die Glaubensverkündigung) und der Vollzug der Christusgemeinschaft durch das neutestamentliche Gottesvolk (in Opfer und Sakrament), bei der Amt und Charisma zusammenwirken.“

 

Engels schenkt in seinen Ausführungen vor allem einem Hauptwerk Hubert Jedins, nämlich dem von ihm herausgegebenen „Handbuch der Kirchengeschichte“, besonderes Augenmerk. Überzeugend kann er darstellen, wie sich Jedins ursprüngliche Konzeption[2] dieses Werks - beruhend auf seinem Verständnis der Kirchengeschichte - durch Einflüsse des Verlegers und in Folge divergierender Vorstellungen der einzelnen Sachbearbeiter allmählich verändert hat. Das Handbuch weist demnach eine Periodisierung auf, die mit den ursprünglichen Intentionen Jedins kaum mehr etwas gemein hat.

 

Viel Neues vermag Norbert Trippen in seinem Beitrag (Hubert Jedin und das Zweite Vatikanische Konzil) zu bieten. Dies unter anderem deshalb, da ihm der Zugang zu dem noch grundsätzlich gesperrten Nachlaß von Kardinal Frings im historischen Archiv des Erzbistums Köln möglich war. Trippen schildert in seinen Ausführungen Jedins Rolle bei den Vorbereitungen des II. Vatikanischen Konzils und sein späteres Wirken als „peritus“ während dieser Kirchenversammlung. So war Jedin Mitglied der „Vorbereitenden Kommission für Studien und Seminare“. In der Folge verfaßte er für Kardinal Frings zahlreiche Stellungnahmen zu verschiedenen Konzilsthemen, unter anderem zu den Schemata „De officiis et beneficiis ecclesiasticis“ und „De sacramento ordinis“. Trotz seines aktiven Mitwirkens am Konzil kann man die Haltung Jedins zum II. Vaticanum nur als eher reserviert umschreiben. Er übte heftige Kritik an der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, auch die Schlußfeier des Konzils am 8. Dezember 1965 fand nicht seine Billigung. Insbesondere über die Folgen des Konzils - also die nachkonziliaren Periode - zeigte sich der berühmte Konzilshistoriker wenig erfreut. Er betrachtete diese Zeit als Krise, „sie war dadurch entstanden, daß man nicht mehr sich damit begnügen wollte, das Konzil durchzuführen, sondern es als Initialzündung radikaler Neuerungen ansah, die in Wirklichkeit die Dekrete des Konzils weit hinter sich ließen.“

 

Alles in allem bieten die nunmehr publizierten Referate der Bensberger Tagung ein facettenreiches Bild von der großen Gelehrtenpersönlichkeit Hubert Jedins, ohne zu einer einheitlichen Bewertung von Leben und Werk zu kommen. Gerade diese Differenzen und Auffassungsunterschiede machen aber die Lektüre zu einem Gewinn für den Leser.

 

Salzburg                                                                                                         Alfred Rinnerthaler



[1] Neben der posthum erschienen Selbstbiographie (Konrad Repgen [Hg.], Lebensbericht [= Veröffentl. d. Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen 35], Mainz 1984, Paderborn ³1988) und zwei kleineren autobiographischen Aufsätzen (Hubert Jedin, Wie ich dazu kam, eine Geschichte des Konzils von Trient zu schreiben, in: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit 85/1976, 74-80, und ders., Was nicht in den Akten steht: Erinnerungen an das Priesterkolleg unter dem Rektorat David, in: Erwin Gatz [Hg.], Hundert Jahre deutsches Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico 1876-1976. Beiträge zu seiner Geschichte [= Röm. Quartalschrift, 35. Supplementumheft], Rom 1977, 174-186) seien hier genannt:

Gabriel Adriányi, Wie kam Prof. Hubert Jedin (1900-1980) nach Bonn?, in: Archiv für Schlesische Kirchengeschichte 40/1982, 241-246; Giorgio Butterini, Bibliographie Hubert Jedin 1976-1981, in Annali dell’Instituto storico italo-germanico in Trento, 6/1980 (erschienen 1982), 360-365; Erwin Iserloh / Konrad Repgen (Hg.), Reformata reformanda. Festgabe für Hubert Jedin zum 17. Juni 1965, Münster in Westfalen 1965; Konrad Repgen, Hubert Jedin (1900-1980), in: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, 101/1981, 325-340; ders., Hubert Jedin †, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1980, 1981, 88-103; ders., Der Geschichtsschreiber des Trienter Konzils, Hubert Jedin (1900-1980), in: ZSRG.K 70/1984, 356-393; Robert Samulski, Bibliographie Hubert Jedin (1966-1975), in: Annuarium historiae conciliorum, 8/1976, 612-637.

[2] Diese ging von den folgenden vier Perioden aus: 1. Ausbreitung und Ausformung der Kirche im hellenistisch-römischen Raum, 2. Die Kirche als Entelechie der christlich-abendländischen Völkergemeinschaft (700-1300), 3. Die Auflösung des christlich-abendländischen Kosmos, Reformen und Reformation, der Übergang zur Weltmission (14.-18. Jahrhundert) und 4. Die Weltkirche im industriellen Zeitalter.