De Monté ver
Loren, J. Ph.,
Hoofdlijnen uit de ontwikkeling der rechterlijke organisatie in de Noordelijke
Nederlanden tot de Bataafse omwenteling, zevende herziene druk, bewerkt door Spruit,
J. E. Kluwer, Deventer 2000. XIV, 345 S.
Die erste Auflage
dieser mittlerweile zur besten einführenden Übersicht der Rechtsgeschichte der
nördlichen Niederlande bis zur Batavischen Revolution (1795) ausgewachsenen
Arbeit erschien im Jahre 1946.[1]
Weil das Buch seitdem niemals in dieser Zeitschrift besprochen oder angezeigt
worden ist, stelle ich dem Leser zuerst die beiden Autoren vor. Johan Philip
de Monté ver Loren (1901-1974) hatte von 1942 bis 1971 (mit einer
Unterbrechung von 1945 bis 1957) die Utrechter Professur für niederländische
Rechtsgeschichte inne. Er bearbeitete selbst die ersten vier Auflagen des hier
besprochenen Buches, dessen Umfang sich in diesen Jahren von 80 auf 228 Seiten
erweiterte. Nach der Emeritierung de Montés (1971) hat sein Nachfolger Johannes
Emil Spruit (geb. 1937) auf seine Bitte die Bearbeitung weiterer Auflagen
übernommen. Es liegt auf der Hand, dass Spruit, ein der Romanistik
entstammender Rechtshistoriker, sich während der Erfüllung seiner Aufgabe immer
bemüht hat, die Grenzen des ursprünglichen Konzepts der Arbeit einzuhalten und
den Geist und die Stellungnahme des Autors zu respektieren (5. Aufl., S. V; 7.
Aufl. S. V). Er hat im Laufe der Jahre viele Ergänzungen, Verdeutlichungen und
Retuschen zum Text angebracht und die Gliedrung des Stoffes verfeinert und
zugänglicher gemacht, die Grundstruktur des Werkes jedoch aufrechterhalten. Nur
der Charakter der Fußnoten hat sich geändert. Anders als De Monté bemüht
Spruit sich, durch Aufnahme zahlreicher Werke des jüngeren Schrifttums
dem Buch die Rolle eines Nachschlagewerkes für die wissenschaftliche Betätigung
mit der institutionellen Rechtsgeschichte der nördlichen Niederlande zu
übertragen (Vorwort zur 6. Auflage, S. VI; weniger explizit in der 7. Auflage).
(Beiläufig weise ich darauf hin, dass Spruit dabei überwiegend deutsche
Literatur berücksichtigt und selten den Blick auf Belgien und Frankreich
wirft). Auf diese Weise ist natürlich eine Diskrepanz zwischen den
Formulierungen des Textes und der Aktualität der Fußnoten erwachsen: Die
rezente Literatur ist auch nicht systematisch in die Darlegungen eingearbeitet
worden.
Mit Respekt vor der
Struktur des Buches ist auch darauf hinzweisen, dass der Inhalt (leider) noch
immer nicht weiter reicht als bis zur sogenannten Batavischen Revolution, einer
Folge der Französischen Invasion. De Monté hatte diese Einschränkung
1946 nicht aus prinzipiellen Grund angebracht, sondern weil er „dan op het
terrein van collegae ..., die staatsrecht en volkenrecht doceren”, hätte ausgreifen müssen.[2]
Aus dem Gesichtspunkt des universitären Unterrichts wird diese Grenzziehung mit
zunehmendem Alter des Werks immer bedauerlicher. Ein anderer Schwachpunkt, den
ich am Ende meiner Besprechung zur Sprache bringen werde, hängt mit dem Konzept
der Behandlung der Materie zusammen.
Der ursprüngliche
Verfasser hat die Historiographie der Gerichtsverfassung, d. h. der
,Rechtskreise’ und ihrer Organe, wohlüberlegt mit der Beschreibung der
Grundbesitz- (oder Grundeigentums-) verhältnisse verknüpft, weil in alten
Zeiten in vielen territorialen Rechtskreisen die Zuständigkeit, an Verwaltung
und Rechtsbildung beteiligt zu sein, vom Grundbesitz abhängig gewesen sei. De
Monté betont, dass es vor 1795 in den Niederlanden viele territoriale
Rechtskreise gegeben hat, d. h. von geographischen Grenzen bestimmte
Gemeinschaften mit einem eigenen Recht und mit eigenen Organen, die dieses
Recht aufrechterhielten. Daneben bestanden die sogenannten personalen
Rechtskreise im Sinne von Gemeinschaften, die von einer Gruppe derjeniger
Personen, die eine bestimmte Qualität besaßen, gebildet wurden. Auch diese
Gemeinschaften (Rechtskreise) verfügten über ein eigenes Recht und ein Organ,
das ungeachtet des Aufenthaltsorts der betreffenden Personen dieses Recht
aufrechterhielt (S. 22). In der Beschreibung der Gerichtsverfassung - die
während der Republik der Vereinigten Niederlande (1581-1795) nicht
grundsätzlich von den spätmittelalterlichen Verhältnissen abwich (S. 269) –
geht De Monté methodisch und chronologisch von den Nachbarschaften, den
primären Rechtskreisen, aus denen die mittelalterliche Gesellschaft aufgebaut
war, aus. In den Nachbarschaften habe alle Macht in den Händen der geërfden, der Inhaber vollbäuerlicher
Stellen, gelegen (S. 96, 99-100). Nur die Vollberechtigten seien in den
ländlichen Rechtskreisen an der Verwaltung und der Rechtsbildung beteiligt
gewesen, nur sie hätten ,Stimme im Staat’ gehabt. Diese Lage, in der die
Vollberechtigtensammlung das einzige ,Rechtsorgan’ des Rechtskreises war,
bildet den Ausgangspunkt einer vorzüglich und originell dokumentierten
Darstellung einer 1795 abrupt abgebrochenen Entwicklung. Der Autor schildert,
wie die rudimentäre Organisation im Laufe der Jahrhunderte von der
Feudalisierung der Gesellschaft, von dem Aufstieg der Landesherrschaften (des
Utrechter Reichsbischofs, des Herzogs von Geldern, des Grafen von Holland), von
der Entstehung der heerlijkheden
(Fälle, in den Regalien oder Teile der Herrschaftsgewalt als vererbliche
Vermögensbestandteile in die Hände von Privatpersonen geraten waren,) und von
der Evolution der Städte zu selbständigen Rechtskreisen beeinflusst worden sei.
Nicht nur habe sich die Gerichtsverfassung differenziert, wobei zahlreiche
Organe für die unterschiedlichen obrigkeitlichen Funktionen entstanden seien,
sondern auch der Begriff der rechtsbildenden ,Gemeinde’ habe eine Änderung
erfahren. Allmählich hätten in den Jahrhunderten vor der Batavischen Revolution
neben den vollberechtigten Bauern auch die Ritterschaft und die städtische
Bürgerschaft bestimmte politische Rechte erlangt. Im Frühstadium der
städtischen Entwicklung sei das Bürgerrecht schon von dem Erfordernis der
Ansässigkeit gelöst worden (S. 203). Man sieht, dass das, was als eine
Geschichte der Gerichtsverfassung angefangen hat, sich im Laufe der Zeit in
eine Geschichte der Organisation der Obrigkeitsgewalt verwandelt.
Der
,nachbarschaftliche’ Anfang der im besprochenen Buch skizzierten
gerichtsverfassungsrechtlichen Entwicklung liegt im Mittelalter, besonders in
Quellen aus dem 13. Jahrhundert. Von diesem Zeitalter ab ist (materielle)
Kontinuität mit der Republik und selbst mit dem modernen Staat nachweisbar (S.
326). Dies gilt nicht für die germanische und die fränkische Periode. Außerdem
lag der Schwerpunkt der Machtausübung der fränkischen Könige nicht in den
nördlichen Niederlanden. Darum erstaunt es nicht, dass die einschlägigen
Kapitel 2 (,De Germaanse periode’) und 3 (,De Frankische periode’) nur 12 bzw.
49 Seiten zählen. Das zentrale vierte Kapitel (,De landsheerlijke periode’, in
den ersten vier Auflagen: ,De Middeleeuwen’) macht den größten Teil des Textes
aus (153 Seiten). Die Glanzzeit der nordniederländischen Geschichte, das
Zeitalter der Republik, muss mit 79 Seiten, von deren auch noch etwa zwanzig
dem Anfang der Batavischen Republik gewidmet sind, auskommen.
Nach dem Vorbild des
Buchtitels habe ich mehrmals die Wortkombination ,nördliche Niederlande’
gebraucht (der Titel schreibt nördlich mit großem N). Es ist aber gar nicht
ganz klar, was die Autoren damit meinen. Bisweilen hat es den Anschein, als ob
sie das Territorium der Republik der Vereinigten Niederlande auf die Jahre vor
der Spaltung der burgundisch-habsburgischen Niederlande zurückprojiziert haben,
jedoch mit der Maßgabe, dass die Generalitätslande meistens nicht erfasst sind.[3]
(S. 129). Meistens ist das berücksichtigte Gebiet aber kleiner. Tatsächlich
gründet De Monté seine Thesen und Betrachtungen auf die vorfeudalen
Zustände, und diese blieben in den ehemaligen Landprovinzen Friesland,
Groningen, Drenthe und Overijssel im Nordosten der Republik (und des heutigen
Königreichs der Niederlande) am längsten und am reinsten erhalten (S. 134-136,
183-185). In den ersten vier Auflagen seines Buches verwendete De Monté
nicht viel Text auf den historischen und geographischen Hintergrund der
,Eingriffe’ in oder ,auswärtigen Einwirkungen’ auf die vorfeudalen
Verhältnisse. Der Bearbeiter Spruit hat sich seit 1972 bemüht,
Erörterungen über noch zu wenig belichtete Themen, wie den Begriff der
fränkischen Kapitularien, die Wiedergeburt und die Rezeption des römischen
Rechts, die Entwicklung des kanonischen Rechts und seiner Quellen und die
Proliferation burgundischer Justiz- und Regierungskollegien, in den
ursprünglichen Text einzuflechten. Dies hat dazu geführt, dass der Themenkreis
des Buches in den letzten Auflagen eine größere Reichweite bekommen hat als vordem,
und allgemeinere Information gibt als die mit De Montés Gedankengang
wesentlich verbundenen. Allerdings sind die Einschübe, wie Flicken auf einem
alten Talar, nicht in einen organischen Zusammenhang mit dem Urtext gebracht.
So begegnet die Darstellung der Zusammensetzung und des Studiums des Corpus iuris canonici im Kapitel über
die fränkische Periode und die Besprechung der Glossatoren und Kompilatoren in
dem über die Republik der Vereinigten Niederlande. Und wer würde die arrêts
de règlement des Parlement de Paris im Germanen-Kapitel
suchen (S. 35-36)? Das leicht überholte Bild eines germanischen Hauptstromes
mit romanistischen, kanonistischen und französischen Nebenflüssen drängt sich
dem Leser auf. In unserem ,europäischen’ Zeitalter haben wir meines Erachtens
Bedürfnis nach einer harmonischeren Darstellung.
Meine
Schlussfolgerung ist, dass die Feststellung, dass das besprochene Buch heute
noch als die beste einführende Übersicht der Rechtsgeschichte der nördlichen
Niederlande betrachtet werden könne, ebensoviel über die Originalität und die
Erudition des ersten Autors und die Hingabe und Genauigkeit seines Nachfolgers
wie über die Schaffenskraft und die Zeitnot der späteren Generation aussagt.
Beek-Ubbergen Paul
Nève
[1] Die lobende Qualifizierung
habe ich der Besprechung des vorliegenden Buches durch den belgischen
Rechtshistoriker Georges Martyn (Gent) in: Pro Memorie. Bijdragen tot de
rechtsgeschiedenis der Nederlanden 3 (2001), S. 175-178, entnommen.
[2] So schrieb er mir am 30.
Dezember 1973.
[3] Die Generalitätslande
waren die durch die Republik zwischen 1585 und 1648 eroberten Gebiete, welche
ursprünglich zu den Provinzen Flandern und Brabant sowie zu den Brabanter Landen van Overmaas gehört hatten. Es
ist bezeichnend, dass die Autoren als nordniederländische Reichsfürsten nur den
Utrechter Bischof und den Herzog (seit 1339) von Geldern erwähnen, nicht aber
den Herzog von Brabant, der schon 1106 die Herzogswürde erworben hatte (S.
129).