Carlen, Louis, Recht, Geschichte und Symbol. Aufsätze und Besprechungen. Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 2002. 387 S.

 

Nach den drei zwischen 1994 und 1998 bei Weidmann erschienenen Bänden: „Aufsätze zur Rechtsgeschichte der Schweiz“ - „Sinnfälliges Recht“ - „Kirchliches und Wirkliches im Recht“ kam nun ein vierter Band heraus, der wiederum wichtige Aufsätze des international bekannten Rechtshistorikers und Kirchenrechtlers Louis Carlen zusammenfasst: Aufsätze zur Rechtsgeschichte, zur Rechtsarchäologie, zur Kirchengeschichte und zum Kirchenrecht, Aufsätze auch zur Geschichte des Kantons Wallis, der engeren Heimat des Autors, sowie Rezensionen, die vor allem in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte erschienen sind. Auch in diesem Band zeigt sich wiederum das breite Spektrum des früheren Freiburger Professors, das eben Rechtsgeschichte nicht nur im gängigen Schema sieht - nein, Louis Carlen beschreitet in seinen Forschungen zur Rechtsgeschichte, zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde oft Neuland. So insbesonders mit der auch in diesem Band stark vertretenen kirchlichen Rechtsarchäologie, Rechtsikonographie und Rechtssymbolik. Louis Carlen hat mit seiner 1999 erschienen Einführung in die kirchliche Rechtsarchälogie: „Orte, Gegenstände, Symbole kirchlichen Rechtslebens“ ein profundes Kompendium zu dieser neuen rechtshistorisch-kanonistischen Disziplin geschaffen. In dem vorliegenden Band werden einige Themen kirchlicher Rechtsarchäologie weiter kontrapunktiert: „Kirchliche Rechtssymbolik“ (Klemens von Alexandrien hat schon im 2. Jh. n. Chr in der christlichen Symbolik ein sichtbares Zeichen des Unsichtbaren gesehen), „Rechtsorte in Rom“ (Lateran, Vatikan, Engelsburg, Quirinal, Carcer Mamertinus u. a.), „Kirchen Roms als Rechtsorte“ d. h. als Versammlungsorte der Konzilien und Synoden, als Krönungsorte deutscher Kaiser und Kaiserinnen, als Tagungsorte des Grossen und Kleinen Rates sowie der Gerichte Roms. Diese Beiträge zur Rechtsarchäologie Roms zeugen von Carlens langjähriger Beschäftigung mit der Geschichte der Heiligen Stadt. Aufschlussreich sind auch die Aufsätze über die Papstwahl im Kirchenrecht, die Verfassung des Kirchenstaates und die Lateranverträge, die uns den versierten Kirchenrechtler zeigen.

 

Aber auch die weltlichen Themen sind spannend, so der Aufsatz über die „Rechtsgeschichte der Schweizer Alpenpässe“ und insbesondere der über die Rechtsgeschichte des schon in römischer Zeit begangenen Simplonpasses, der das Wallis mit dem Val Divedro in Oberitalien und die Kleinstädte Brig und Domodossola miteinander verbindet. Im Mittelalter waren der Bischof von Sitten und der Bischof von Novara, die beiden Landesherren diesseits und jenseits des Simplons, in die Passpolitik besonders involviert. Das damit verbundene Niederlagsrecht zeigt sich in den verschiedenen Susten, den Umschlagsplätzen für den Warentransport an der Simplonstrecke, die schon 1291 in einem Vertrag zwischen dem Bischof von Sitten und Vertretern der Stadt Mailand belegt sind. Säumergenossenschaften besorgten den Transport - ähnlich wie am Gotthard oder an den Bündner Pässen.

 

Artikel zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Bienenrecht im Mittelalter, Brandmarkung, germanische Rechtsarchäologie) und zum Lexikon des Mittelalters (Zur Rechtsgeschichte der Brunnen im Mittelalter, Das Kreuz als Rechtssymbol z. B. in Fahnen oder Insignien) sind nun ebenso in diesem Band vereinigt wie die den schweizerischen Kanton Wallis betreffenden Arbeiten über die Geschichte der Advokatur im Wallis (bisher unveröffentlicht), über Gericht und Galgen in Ernen, 1000 Jahre Bischöfe von Sitten (mit dem Renaissance-Kardinal Matthäus Schiner aus Ernen), 2000 Jahre Kultur im Wallis (Forum Claudii Vallensium um 47 n. Chr. in Martinach, St. Maurice mit den Reliquien der thebäischen Legion, Sitten mit der Kirchenburg Valeria, das „katholische Goms“ als einzigartige barocke Sakrallandschaft - mit den berühmten Carlen-Orgeln, Brig mit dem Stockalperschloss usw.). Nicht zu vergessen sind die Würdigungen der bedeutenden Rechtshistoriker Karl-Siegfried Bader und Nikolaus Grass, die ebenfalls in diesem Band erstmals erscheinen. Der Band ist so reichhaltig, dass nicht alle Artikel erwähnt werden können. Stellvertretend für die Buchbesprechungen sei die (aktuelle) Rezension der Arbeit von Christine Magin über den Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern erwähnt, wonach schon das Konzil von Lyon um 1215 festlegte, dass Juden und Sarazenen sich von den Christen durch ihre Kleidung zu unterscheiden hätten, was offenbar noch das Konzil von Basel bestätigte. Und Augsburg soll die erste Stadt gewesen sein, die einen runden gelben Fleck als Judenzeichen vorgeschrieben hat.

 

Louis Carlen dokumentiert in diesem Band einmal mehr, wie vielseitig und interdisziplinär Rechtsgeschichte ist - oft lassen sich eben Geschichte, Rechtsgeschichte, Rechtsarchäologie, Rechtssymbolik, Rechtssprache, rechtliche Volkskunde, Kunstgeschichte, Kirchengeschichte, Kirchenrecht nicht fein säuberlich trennen - Louis Carlen hat den „New Historicism“ schon lange vor Berkeley praktiziert – das zeigt auch wieder dieser Band mit Aufsätzen zur Kulturgeschichte des Rechts.

 

 

Sarnen/Basel                                                                                                  Angelo Garovi